OGH 6Ob193/17a

OGH6Ob193/17a21.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. E***** S*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. G***** L*****, vertreten durch Lansky, Ganzger + partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 34.000 EUR) und Veröffentlichung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juni 2017, GZ 5 R 2/17a-25, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 31. Oktober 2016, GZ 57 Cg 44/15v-19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00193.17A.1221.000

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird, soweit sie die Abweisung des Veröffentlichungsbegehrens bestätigt, als Teilurteil, bestätigt. Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist die Witwe des am 24. 2. 2015 in der Justizanstalt W***** verstorbenen R***** A*****; er befand sich im Zeitpunkt seines Todes in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Wien hatte ihn mit Anklageschrift vom 29. 12. 2014 angeklagt, gemeinsam mit zwei Mittätern zwei kasachische Bankangestellte entführt, misshandelt, vergewaltigt und ermordet zu haben. Infolge seines Todes noch vor Beginn der Hauptverhandlung wurde das Strafverfahren gegen den Ehemann der Klägerin eingestellt.

Einer der beiden Mitangeklagten wurde am 10. 7. 2015 wegen des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und 2 StGB verurteilt, hinsichtlich der übrigen Anklagepunkte (somit auch hinsichtlich des Mordvorwurfs) freigesprochen. Der andere Mitangeklagte wurde hinsichtlich sämtlicher Anklagepunkte freigesprochen. Die L***** Rechtsanwälte GmbH erhob gegen dieses Urteil als Vertreterin der Privatbeteiligten (darunter der Klägerin) Nichtigkeitsbeschwerde.

Der Beklagte ist Rechtsanwalt und Partner der L***** Rechtsanwälte GmbH. Am 10. 7. 2015 war er in der vom Österreichischen Rundfunk auf ORF 2 ausgestrahlten Sendung „Zeit im Bild 2“ zu Gast im Studio. Auf die Eingangsfrage der Moderatorin Herr Doktor L*****, bei diesem Verfahren gab es zwei Angeklagte und zwei Vorwürfe. Die Vorwürfe lauteten „Mord“ und „Entführung“. Vom Mord wurden die beiden Angeklagten freigesprochen, einer von der Entführung, einer wurde eben, wie wir gehört haben, verurteilt. Warum konnten Sie die Geschworenen von Ihrer Version, von der Mordtheorie, nicht überzeugen, wenn das doch alles so offensichtlich war? antwortete der Beklagte:

[...] Was aber entscheidend ist: [Der verstorbene Ehemann der Klägerin] wäre, würde er noch leben, heute verurteilt worden. Das sagt auch der Wahrspruch der Geschworenen völlig klar. 10 Tage, von Anfang Februar bis zum 10. 2. 2007 wurden diese beiden Männer, nach der Anklage nur einer der beiden Männer, verurteilt, also wegen dem wurde verurteilt, unter grausamsten Umständen entführt, widerrechtlich gefangen gehalten, und am Ende des Tages waren die dann tot. Am 10. 2., und da macht halt dann das Urteil der Geschworenen plötzlich halt und verurteilt nicht mehr den letzten Schritt, weil wer entführt, hat auch gemordet, wenn das zeitlich umgehend danach ist. [...]

Auf eine weitere Frage der Moderatorin, wie sich die Witwen der beiden Opfer einen Rechtsbeistand leisten konnten, dem sie ein Anwaltshonorar in kolportierter Höhe von 14 Mio EUR bezahlten, antwortete der Beklagte:

Wir haben nicht nur zwei Frauen als Klientinnen. Wir haben cirka zehn Personen, die Opfer des Verbrechens des [verstorbenen Ehemanns der Klägerin] gewesen sind. Es gibt in Kasachstan erheblich mehr reiche Menschen, als es in Österreich gibt. Es gibt, wenn ich das richtig gelesen habe, über eintausend Millionäre, und, glaube ich, fünf Milliardäre in Kasachstan. Diese Menschen haben jedes Interesse daran, dazu beizutragen, dass die Täter vor Gericht kommen.

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, die Behauptung und/oder die Verbreitung der Äußerungen, ihr Ehemann habe gemordet und/oder cirka 10 Personen seien Opfer seiner Verbrechen gewesen, und/oder sinngleicher Äußerungen zu unterlassen und sie zur Urteilsveröffentlichung im ORF zu ermächtigen. Sie sei als nahe Angehörige zur Geltendmachung des postmortalen Persönlichkeitsrechts ihres verstorbenen Ehemanns legitimiert. Der Beklagte habe dieses durch seine Äußerungen verletzt und dabei ignoriert, dass eine Auslieferung ihres verstorbenen Ehemanns an die Kasachische Republik für nicht zulässig erachtet worden sei; für ihn gelte jedenfalls weiter die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK, ende diese doch erst mit rechtskräftiger Verurteilung eines Angeklagten, wohingegen das Strafverfahren gegen ihren Ehemann eingestellt worden sei.

Der Beklagte wendete ein, das Strafverfahren gegen den Ehemann der Klägerin sei lediglich aufgrund seines – ein Schuldeingeständnis darstellenden – Selbstmordes eingestellt worden. Die Anklagepunkte seien der breiten Öffentlichkeit bekannt gewesen, sodass sein Lebensbild durch die inkriminierten Äußerungen nicht nachhaltig in grober Weise negativ entstellt worden sei. Die Klägerin reiße die Äußerungen aus dem Zusammenhang; er habe keinesfalls behauptet, der Ehemann der Klägerin sei ein Mörder. Im Übrigen seien seine Äußerungen gerechtfertigt gewesen, habe er sie doch als Rechtsanwalt im Rahmen der Interessenvertretung seiner Mandanten getätigt und habe an der Berichterstattung über diese Causa ein öffentliches Interesse bestanden. Selbst wenn seinen Äußerungen die von der Klägerin behauptete Bedeutung unterstellt werden sollte, seien sie wahr und müsse dem Beklagten der Wahrheitsbeweis offenstehen.

Das Erstgericht gab der Klage hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens statt und wies das Veröffentlichungsbegehren ab.

Das Berufungsgericht wies das gesamte Klagebegehren ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und dass die ordentliche Revision zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu dem von der Klägerin aus § 16 ABGB abgeleiteten postmortalen Persönlichkeitsrecht ihres verstorbenen Ehemanns auf Wahrung der Unschuldsvermutung.

In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, eine zusätzliche Beeinträchtigung des schon zu seinen Lebzeiten beschädigten Lebensbildes des Ehemanns der Klägerin hätten die Äußerungen des Beklagten nicht bewirken können, sei doch ohnehin der Öffentlichkeit bekannt gewesen, dass gegen ihn ein Mordvorwurf erhoben worden und dass der Beklagte auch nach seinem Tod von dessen Schuld überzeugt sei. Tatsachenbehauptungen, die ein Rechtsanwalt über einen Prozessgegner seines Mandanten in den Medien aufstellt, seien zwar nicht nach § 9 RAO gerechtfertigt; Einschränkungen der Meinungsäußerungs-freiheit eines Rechtsanwalts seien jedoch lediglich in Ausnahmefällen zulässig. Eine Interessenabwägung müsse zugunsten des Beklagten, der im Interview zu erkennen gegeben habe, vom Freispruch nicht überzeugt zu sein, ausfallen, ohne dass ihm der Wahrheitsbeweis für jene Tatsachen abzuverlangen sei, auf die sich seine Schlussfolgerungen stützten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt.

1. Zum Veröffentlichungsbegehren

Der erkennende Senat hat erst jüngst (6 Ob 226/16b) in einem ebenfalls von der Klägerin wegen inhaltsähnlicher Behauptungen über deren Ehemann gegen den Medieninhaber einer Website eingeleiteten Verfahren, in welchem die Parteien von denselben Rechtsanwälten beziehungsweise Rechtsanwaltsgesellschaften rechtsfreund-lich vertreten waren wie im vorliegenden Verfahren, das Veröffentlichungsbegehren abgewiesen; § 7b MedienG diene nicht dem Schutz der Unschuldsvermutung in Beziehung auf Verstorbene, § 1330 Abs 1 und 2 ABGB sehen einen Anspruch auf Veröffentlichung eines Unterlassungsurteils nicht vor. Hinsichtlich des Veröffentlichungsbegehrens muss daher der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

2. Zum Unterlassungsbegehren

2.1. In der erwähnten Entscheidung führte der erkennende Senat insoweit aus:

Bei der gebotenen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der beklagten Medieninhaberin einerseits und dem postmortalen Persönlichkeitsrecht des Ehemanns der Klägerin andererseits (vgl Art 10 Abs 2 EMRK) ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Veröffentlichungen keine mediale Untergrabung des Rechts des Ehemanns der Klägerin auf ein von Medieneinwirkungen unbeeinflusstes faires Verfahren vor den zuständigen Gerichten (VfGH https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Vfgh&GZ=G294/94&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True ua) sein können, weil das Strafverfahren mit seinem Tod beendet war (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=11Os41/87&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True ; https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=12Os8/95&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True ). Außerdem ist zu beachten, dass es sich beim Strafverfahren des Ehemanns der Klägerin, der schwerster Verbrechen angeklagt war, um einen der aufsehenerregendsten Justizfälle der letzten Jahre handelte, über den in zahlreichen Medien laufend berichtet wurde. Die inkriminierten Äußerungen fielen zudem in großer zeitlicher Nähe zu dem durch den Tod des Ehemanns der Klägerin beendeten Strafverfahren. Die Veröffentlichungen der Beklagten können somit als Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse angesehen werden (vgl https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=4Ob121/08k&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True ; RIS-Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0123987&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Wahre Tatsachenbehauptungen in diesem Zusammenhang müssen grundsätzlich hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl § 1330 Abs 2 ABGB; https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=6Ob14/03g&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True ; RIS-Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0112084&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ; https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0009003&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Bei Tatsachenberichten hängt die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen vom Wahrheitsgehalt ab.

Nach diesen Erwägungen hängt die Entscheidung somit davon ab, ob der Beklagten der von ihr angebotene Beweis der Wahrheit ihrer Tatsachenbehauptungen gelingt. Sie trägt die volle Beweislast dafür (vgl RIS-Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0031798&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ).

Damit muss aber auch dem Beklagten die Möglichkeit offenstehen, den Wahrheitsbeweis für seine hier inkriminierten Behauptungen anzutreten. Auf seine Verantwortung im Verfahren erster Instanz, seine Äußerungen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden, er habe keinesfalls behauptet, der Ehemann der Klägerin sei ein Mörder, kommt der Beklagte im Revisionsverfahren nicht mehr zurück.

2.2. Das Berufungsgericht erachtete die Erbringung des Wahrheitsbeweises im konkreten Fall für nicht notwendig: Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit eines Rechtsanwalts seien lediglich in Ausnahmefällen zulässig; ein solcher liege hier aber nicht vor. Der Beklagte hat sich bereits im Verfahren erster Instanz (unter anderem) auf seine Stellung als Rechtsanwalt der Prozessgegner des Ehemanns der Klägerin berufen. § 9 RAO erlaube, alles für die Partei Dienliche vorzubringen, weshalb Einschränkungen seiner Meinungsäußerungsfreiheit besonders problematisch wären.

2.2.1. Mit dieser Argumentation übersieht der Beklagte allerdings die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach im Widerstreit zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit eines Rechtsanwalts zwar grundsätzlich nur in Ausnahmefällen als notwendig angesehen werden können (6 Ob 258/11a). Jedoch agiert ein Rechtsanwalt im Rahmen einer Pressekonferenz bei verbalen Angriffen gegen einen Prozessgegner oder potentiellen Prozessgegner seines Klienten, nicht mehr im Rahmen der ihm als Rechtsvertreter zukommenden Aufgaben der Rechtspflege, weil dies zur Rechtsdurchsetzung oder Rechtsverteidigung nichts sachlich Zielführendes beiträgt; Pressekonferenzen wie überhaupt mediale Ereignisse sind regelmäßig kein geeignetes Forum, Rechtsstandpunkte gegenüber einem Verfahrensgegner durchzusetzen (6 Ob 114/00h; 6 Ob 258/11a). Öffentliche ehrenbeleidigende Behauptungen über den Gegner könnten nur zu einer unsachlichen Emotionalisierung führen, die der ordnungsgemäßen Rechtspflege nicht nur nicht dienlich, sondern abträglich sei (6 Ob 114/00h; 6 Ob 60/03x; 6 Ob 238/03y; 6 Ob 258/11a). Während dem Gegner vor Gericht rechtliches Gehör zu gewähren ist (Art 6 EMRK), hat der Betroffene, dessen Ehre anlässlich medialer Ereignisse angegriffen wird, in den meisten Fällen keine Möglichkeit, den Angriffen auf dieselbe Art und Weise entgegenzutreten (6 Ob 114/00h; 6 Ob 258/11a); vielmehr ist er einer öffentlichen Herabwürdigung (regelmäßig) schutzlos ausgeliefert, weshalb herabwürdigende Äußerungen auf Pressekonferenzen auch nicht von § 9 RAO gedeckt sind (RIS-Justiz RS0114012).

2.2.2. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich bereits mit Meinungsäußerungen von Rechtsanwälten befasst und dabei zwischen anwaltlichen Äußerungen im Zuge des Verfahrens und Äußerungen außerhalb des Verfahrens (etwa in Pressemitteilungen oder Interviews) differenziert (EGMR 23. 4. 2015, Bsw 29369/10, [Morice/Frankreich] Rz 136 ff). Der Gerichtshof hält es dabei für maßgeblich, ob die Vorwürfe nur vor Gericht und strikt auf das Verhalten im Einzelnen, nicht jedoch gegen die Person als solche gerichtet wurden (EGMR 28. 10. 2003, Bsw 39657/98 [Steur/Niederlande] Rz 41). So sind beispielsweise die Verhängung einer Kriminalstrafe für anwaltliche Kritik an einem Staatsanwalt im Gerichtssaal (EGMR 21. 3. 2002, Bsw 31611/96 [Nikula/Finnland]) oder die Verhängung einer Haftstrafe über einen Rechtsanwalt wegen vermeintlicher Missachtung des Gerichts (EGMR 15. 12. 2005, Bsw 73797/01 [Kyprianou/Zypern]) unverhältnismäßige Eingriffe in das Recht auf freie Meinungsäußerung. Anwaltliche Meinungsäußerungen außerhalb des Verfahrens (etwa in Pressekonferenzen oder Interviews) beurteilt der EGMR hingegen strenger (EGMR 23. 4. 2015, Bsw 29369/10 [Morice/Frankreich] Rz 136 ff). So liegt etwa eine Verletzung des Art 10 EMRK nicht vor, wenn ein nationales Gericht einen Rechtsanwalt, der Schriftsätze in der Presse verbreitet, die als Korruptionsvorwürfe gegen eine Richterin verstanden werden müssen, zur Leistung von Schadenersatz verurteilt (EGMR 30. 10. 2012, Bsw 6086/10 [Karpetas/Griechenland]) oder eine Geldstrafe über eine Rechtsanwältin verhängt, die in einer Pressemitteilung den Justizbehörden Terrormethoden und Polizeibrutalität vorwirft, wenn es an einem entsprechenden Tatsachensubstrat fehlt (EGMR 24. 1. 2008, Bsw 17155/03 [Coutant/Frankreich]).

Über die Medien verbreitete Vorwürfe (auch) eines Rechtsanwalts sind daher nur dann zulässig, wenn sie eine ausreichend substantiierte Tatsachengrundlage haben (EGMR 23. 4. 2015, Bsw 29369/10 [Morice/Frankreich] Rz 139; 15. 12. 2011, Bsw 28198/09 ua); eine grundsätzliche Privilegierung eines Rechtsanwalts kann der Rechtsprechung des EGMR dabei nicht entnommen werden. Vielmehr erlaubt der EGMR bei Anwälten wegen ihrer besonderen Funktion im Rechtsstaat insoweit sogar weitergehende Beschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit (vgl bloß EGMR 24. 2. 1994, Bsw 15450/89 [Casado Coca/Spanien] Rz 54; 8. 1. 2004, Bsw 44998/98 [A/Finnland]; 28. 10. 2003, Bsw 39657/98 [Steur/Niederlande] Rz 38; vgl auch 29. 3. 2011, Bsw 1529/08 [Gouveia Gomes Fernandes/Portugal]; 17. 7. 2008, Bsw 513/05 [Schmidt/Österreich] Rz 42; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 [2016] § 23 Rz 30), was damit zu begründen ist, dass vom Rechtsanwalt, der direkt als Akteur an der Justiz beteiligt ist, eine Information der Öffentlichkeit über Gerichtsverfahren – anders als von Medienbetreibern – gerade nicht erwartet wird (EGMR 23. 4. 2015, Bsw 29369/10 [Morice/Frankreich] Rz 148).

2.3. Zu den Überlegungen des Berufungsgerichts, eine zusätzliche Beeinträchtigung des schon zu seinen Lebzeiten beschädigten Lebensbildes des Ehemanns der Klägerin hätten die Äußerungen des Beklagten nicht bewirken können, ist festzuhalten, dass Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch eine tatbestandsmäßige, nicht notwendig schuldhafte Gefährdung eines rechtlich geschützten Bereichs ist (Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts [2009] Rz 2/7 mwN); von der Klägerin geltend gemacht wird hier eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts ihres Ehemanns.

Es entspricht herrschender Auffassung, dass die Persönlichkeit auch über den Tod einer Person hinaus geschützt ist, was aus § 16 ABGB und Art 8 EMRK abgeleitet wird (1 Ob 550/84; 6 Ob 283/01p; F. Bydlinski, Paradoxer Geheimnisschutz post mortem? JBl 1999, 553; Meissel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2014] § 16 ABGB Rz 172; Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 [2015] § 16 Rz 51; Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB5 [2017] § 16 Rz 5). Während etwa der Kredit einer Person nach deren Tod nicht mehr geschützt sein kann, bleiben insbesondere Ehre und Privatsphäre über ihren Tod hinaus geschützt (Aicher aaO). Die soziale Wahrnehmung und Interpretation der Persönlichkeit geht über den Tod eines Menschen hinaus (Meissel aaO). Zur Geltendmachung des Persönlichkeitsrechts der Ehre sind nach dem Tod die nahen Angehörigen des Verstorbenen legitimiert (6 Ob 283/01p; 6 Ob 209/16bMR 2017, 16 [Korn/Walter]).

Der vom Beklagten erhobene Vorwurf, an einem Mord beteiligt gewesen zu sein, beeinträchtigt grundsätzlich nicht nur den Ruf, sondern auch die Ehre einer Person (6 Ob 115/14a; Reischauer in Rummel, ABGB³ [2004] § 1330 Rz 1; Kissich in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1330 Rz 20). Daran ändert sich auch nach dem Tod der Person nichts. So hielt es der Oberste Gerichtshof in der Leitentscheidung 6 Ob 283/01p (Omofuma) für nicht näher begründungsbedürftig, dass durch die durch nichts erwiesene Behauptung, der Verstorbene sei Drogendealer gewesen und habe Kinder ruiniert, dessen Lebensbild nachhaltig negativ entstellt wurde.

Damit steht aber der Eingriff in ein absolut geschütztes Gut (§§ 16, 1330 Abs 1 ABGB) fest. Dieser indiziert die Rechtswidrigkeit.

2.4. Folglich waren die inkriminierten Äußerungen des Beklagten nur dann zulässig, wenn sie wahr waren. Dem Beklagten steht der Wahrheitsbeweis offen, den er bereits im Verfahren erster Instanz angeboten hat und den nunmehr das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren auch aufzunehmen haben wird.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

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