European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:E119982
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 688,92 EUR (darin enthalten 114,82 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Kläger sind je zur Hälfte Miteigentümer des Grundstücks 1054 GB *. Sie haben dieses Grundstück im Jahr 2012 gekauft. Über dieses Grundstück führt seit jeher ein Steig, über den man zum Grundstück 1052/2 gelangt.
Die Schwiegereltern des Beklagten sind Miteigentümer des (Alm-)Grundstücks 1052/2; dieses Grundstück gehört zur M* Alm. Rechtsvorgänger im Eigentum dieses Grundstücks war P* L*. Der Beklagte hat in der Almhütte auf dem Grundstück 1052/2 seit 2009 ein Zimmer gepachtet. Er befährt seit Jahren (seit 2002) mit einer motorbetriebenen Scheibtruhe diesen Steig. Im Jahr 2014 haben ihm die Kläger das Befahren untersagt.
Die M* Alm wurde seit urdenklichen Zeiten bewirtschaftet. Dementsprechend wurde das Grundstück 1052 (zwischenzeitlich unterteilt in 1052/1 und 1052/2) zumindest seit 1918 bis nach 1949 gemäht. In den Jahren zwischen 1949 und 1961 begab sich der damalige Eigentümer des Grundstücks 1052 im Zuge seiner Almaufenthalte auch jedes Jahr mehrmals zu Fuß zu dieser Parzelle, um dort nachzuschauen. Im Jahr 1963 holte er mit einer Scheibtruhe die Bleche der alten Holzhütte und führte diese über den in Rede stehenden Steig. Von circa 1965 bis circa 2006 war er – mit einer Unterbrechung während der 80er‑Jahre – Mitglied der M* Jagd. In den Jahren seiner Jagdtätigkeit war er ebenfalls pro Jahr mehrmals zu Fuß auf dem Grundstück 1052. Ab dem Jahr 2000 wurde auf den Grundstücken 1052/1 und 1052/2 eine neue Almhütte errichtet.
Die Kläger erhoben ein Unterlassungsbegehren. Vor dem Jahr 1995 hätten keine Steige über ihr Grundstück 1054 geführt. Die heute existierenden Hütten seien erst ab dem Jahr 1995/96 errichtet worden. Ein allenfalls ersessenes Geh- und Fahrrecht sei durch circa 40‑jährigen Nichtgebrauch verjährt. Das Befahren des Steiges mit der motorbetriebenen Scheibtruhe diene nicht der Bewirtschaftung des Almgrundstücks. Dabei handle es sich zudem um eine unzulässige Erweiterung einer Dienstbarkeit sowie um eine Änderung der Benützungsart.
Der Beklagte entgegnete, dass der in Rede stehende Steig seit jeher zur Bewirtschaftung der Almgrundstücke benützt worden sei. Das Grundstück 1052 sei bis in die 1950er‑Jahre gemäht und das Heu mit Pferdefuhrwerken abtransportiert worden. Der fragliche Steig sei auch ab 1963 regelmäßig befahren worden. Zugunsten des Grundstücks 1052/2 bestehe daher eine ersessene Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens. Das Befahren des Steiges mit einer motorbetriebenen Scheibtruhe stelle keine unzulässige Ausweitung des Dienstbarkeitsrechts dar.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Früher sei hinsichtlich des Grundstücks 1052/2 als herrschendes Grundstück die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens ersessen worden. Es stelle sich daher die Frage, ob dieses Recht durch Nichtgebrauch bzw Verjährung erloschen sei. Dies sei zu bejahen, weil der frühere Eigentümer des Grundstücks 1052 den fraglichen Steig ab 1990 nur mit einem „Hirschwagerl“ befahren habe. Dabei handle es sich um kein Befahren zu almwirtschaftlichen Zwecken. Das ursprünglich bestehende Fahrrecht sei daher durch Nichtgebrauch über mehr als 30 Jahre erloschen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Das Erstgericht sei zutreffend von der Ersitzung eines Geh- und Fahrrechts zu almwirtschaftlichen Zwecken hinsichtlich des Grundstücks 1052/2 als herrschendes Grundstück ausgegangen. Nach 1949 habe eine almwirtschaftliche Nutzung in Form von Mähen und Abtransportieren des Heus nicht mehr stattgefunden. Allerdings habe sich der damalige Eigentümer des Grundstücks 1052 in den Jahren 1949 bis 1961 jedes Jahr mehrmals zu Fuß auf die Parzelle begeben, um dort nachzuschauen. Dies habe er auch in den Jahren seiner Jagdtätigkeit, also zwischen 1965 und 2006, abgesehen von einer Unterbrechung in den 1980er‑Jahren, so gehandhabt. Dieses Nachschau-Halten sei der almwirtschaftlichen Nutzung zuzuordnen. Für die Ausübung einer Servitut seien nämlich die jeweiligen Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks maßgebend. Es schade auch nicht, dass der damalige Eigentümer den Steig nicht befahren habe, weil bereits die Teilausübung eines Dienstbarkeitsrechts auf fremdem Grund die Verjährung ausschließe. Mit Rücksicht auf den technischen Fortschritt liege auch keine unzulässige Erweiterung der Servitut vor. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage, ob das Begehen eines Steiges zur Nachschau der almwirtschaftlichen Nutzung zuzuordnen sei, in der Rechtsprechung des Höchstgerichts bisher nicht beantwortet worden sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kläger, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.
Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber die Revision ausführen und eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen (8 Ob 15/16p).
Die Kläger zeigen in ihrer Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf.
2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, in Ansehung des in Rede stehenden Steiges auf dem Grundstück 1054 der Kläger sei – zugunsten des Eigentümers des Grundstücks 1052/2 als herrschendes Grundstück – die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts zu almwirtschaftlichen Zwecken ersessen worden, wird in der Revision nicht angegriffen. Die Kläger stehen aber auf dem Standpunkt, dass das Dienstbarkeitsrecht durch Nichtgebrauch in den Jahren 1963 bis 2000 erloschen sei. Der Steig sei erst im Zuge der Neuerrichtung der Hütte im Jahr 2000 wieder regelmäßig im Rahmen der Almwirtschaft befahren worden.
3.1 Gewöhnlich verjähren Dienstbarkeiten durch bloßen Nichtgebrauch in 30 Jahren (§ 1479 ABGB). § 1488 ABGB verkürzt diesen Rechtsverlust auf drei Jahre, wenn sich der Verpflichtete über die gesamte Zeit ihrer Ausübung widersetzt und der Berechtigte sein Recht nicht geltend macht. Grund und Umfang des von ihm eingewendeten Erlöschens der Dienstbarkeit sind vom Verpflichteten zu behaupten und zu beweisen (8 Ob 104/14y mwN).
Eine Widersetzlichkeit durch den Grund‑eigentümer des dienenden Grundstücks liegt hier nicht vor. Die 30‑jährige Verjährung wird bereits durch eine Teilausübung des Dienstbarkeitsrechts auf fremdem Grund ausgeschlossen. Eine Teilrechtsausübung liegt vor, wenn der Berechtigte Handlungen vornimmt, zu denen er nur befugt ist, weil ihm die Dienstbarkeit zusteht. Es genügt, wenn ein auch nur geringer Teil der zustehenden Befugnisse ausgeübt wird (RIS‑Justiz RS0034136). Eine bestimmte Qualität oder Intensität der Rechtsausübung ist nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0121871). Ebenso genügt die Rechtsausübung auf einem räumlichen Teil des dienenden Grundstücks (8 Ob 116/08d). Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der konkrete Inhalt einer ungemessenen Servitut am jeweiligen Bedürfnis des herrschenden Gutes orientiert, wobei die Grenzen des ursprünglichen Bestands und der ursprünglichen Bewirtschaftungsart nicht überschritten werden dürfen (RIS‑Justiz RS0011691). Die Frage, ob ein Dienstbarkeitsrecht noch oder noch zumindest teilweise ausgeübt wird, oder ob es durch Nichtgebrauch erloschen ist, hängt typisch von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0121871).
3.2 Die Kläger beziehen den Nichtgebrauch der ersessenen Dienstbarkeit ausdrücklich nur auf die Zeit von 1963 bis 2000. Damit anerkennen sie, dass die Nutzungshandlungen der jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks, die bis 1963 und in der Folge ab 2000 stattgefunden haben, im Rahmen der Dienstbarkeit, also zu almwirtschaftlichen Zwecken erfolgt sind. Dazu zählt nach den Feststellungen auch die jährlich mehrmalige „Nachschau“ auf dem herrschenden Almgrundstück. Diese Handlungen haben zwar zunächst in den Jahren 1949 bis 1961 stattgefunden. Allerdings wurden sie auch in den Jahren 1965 bis circa 2006 (mit einer Unterbrechung während der 1980er‑Jahre) quantitativ und qualitativ unverändert ausgeübt. Aus der gleichen Wortwahl des Erstgerichts in seinen Feststellungen „pro Jahr mehrmals zu Fuß“ ergibt sich, dass die Beschreibung „in den Jahren seiner Jagdtätigkeit“ (des früheren Eigentümers des Grundstücks 1052) rein zeitlich gemeint ist und nicht bedeutet, dass er den fraglichen Steig nur zu Jagdzwecken verwendet habe. Die dahingehende Schlussfolgerung des Berufungsgerichts stößt damit auf keine Bedenken.
3.3 Das Nachschau‑Halten wurde zwar nur zu Fuß ausgeübt. Auch dabei handelt es sich jedoch um eine Teilrechtsausübung der ersessenen Servitut. In diesem Sinn entspricht es der Rechtsprechung, dass das Recht des Fahrwegs auch allein durch die Benützung des dienenden Grundstücks zum Gehen erhalten bleibt (RIS‑Justiz RS0034146).
3.4 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die ersessene Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts nicht verjährt sei, weil der fragliche Steig in der Zeit der Nichtbewirtschaftung der M* Alm – wenn auch nur fallweise – zur Nachschau auf der Alm benützt worden sei, weshalb eine Teilrechtsausübung vorliege, hält sich damit im Rahmen der Rechtsprechung.
4. Im gegebenen Zusammenhang stehen die Kläger weiters auf dem Standpunkt, dass das Nachschauen ein Mindestmaß an Publizität hätte erfüllen müssen.
Auch damit wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Das angesprochene Publizitätserfordernis bezieht sich auf die Ersitzung einer Dienstbarkeit, also auf deren Begründung (RIS‑Justiz RS0010135), nicht aber auf die Ausübung einer bestehenden Servitut.
5. Soweit sich die Kläger auf das Fahren mit einer motorbetriebenen Scheibtruhe beziehen, ist darauf hinzuweisen, dass eine unzulässige Erweiterung einer Wegeservitut im Allgemeinen nur dann vorliegt, wenn sich durch die geänderte Nutzung die Belastung des dienenden Gutes erheblich erhöht (6 Ob 175/17z). Auch bei einer Änderung der Bewirtschaftungsart kann nur eine dadurch verursachte Mehrbelastung des dienenden Grundstücks untersagt werden (4 Ob 25/14a).
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die geänderte Nutzung des in Rede stehenden Steiges durch Verwendung einer motorbetriebenen Scheibtruhe (anstatt mit einem Pferdegespann samt „Schlapp“) stelle unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts keine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit dar, ist ebenfalls nicht unvertretbar.
6.1 Schließlich behaupten die Kläger, sie hätten nach dem Grundbuchstand ein lastenfreies Almgrundstück gekauft. Dies gelte ungeachtet des Umstands, dass sie bereits vor Vertragserrichtung und grundbücherlicher Durchführung gewusst hätten, dass der Beklagte über den fraglichen Steig fahre. Damit sei kein unmittelbares Wissen über das Bestehen eines Servitutsrechts verbunden.
6.2 Der Erwerber eines Grundstücks muss eine offenkundige Servitut gegen sich gelten lassen. Dies gilt selbst dann, wenn ihm vom Rechtsvorgänger ausdrücklich Lastenfreiheit zugesichert worden wäre (RIS‑Justiz RS0034803 [T4]). Eine offenkundige Dienstbarkeit liegt vor, wenn vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Vorgänge wahrgenommen werden können, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (RIS‑Justiz RS0034803). In diesem Zusammenhang schadet schon fahrlässige Unkenntnis (RIS‑Justiz RS0034803 [T15]; RS0011676 [T6 und T10]). Die Berufung auf die Gutgläubigkeit beim Erwerb der Liegenschaft wäre also nur dann beachtlich, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen (RIS‑Justiz RS0011676). Bei Vorliegen ausreichender Indizien für ein Wegerecht sind aber Nachforschungen über die Richtigkeit des Grundbuchstands anzustellen (RIS‑Justiz RS0034870; RS0107329). Auch die Frage, ob im Zeitpunkt des Erwerbs des dienenden Grundstücks ausreichende Gründe für die Offenkundigkeit der Dienstbarkeit oder für das Auslösen der Nachforschungspflicht gegeben sind, richtet sich typisch nach den Umständen des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0034870; 2 Ob 171/14g).
6.3 Die Kläger gestehen selbst zu, dass sie von den inkriminierten Benützungshandlungen des Beklagten vor ihrem Eigentumserwerb wussten. In einem solchen Fall scheidet guter Glaube aus. Der Hinweis der Kläger, dass ihr Grundstück ein Almgrundstück mit einer Vielzahl von Wanderwegen, Steigen und Wildtierspuren sei, ist nicht zielführend, zumal sie den Beklagten gerade auf dem hier in Rede stehenden Steig fahren gesehen haben.
7. Insgesamt gelingt es den Klägern nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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