OGH 6Ob168/17z

OGH6Ob168/17z26.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr.

Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** AG, *****, vertreten durch die Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. H***** Privatstiftung und 2. H***** Aktiengesellschaft, Verfahren jeweils durch Vergleich erledigt, 3. K*****, Verfahren durch Ruhensvereinbarung beendet, 4. B*****gmbH, *****, vertreten durch Berlin & Partner Rechtsanwälte in Salzburg, 5. T***** K***** M*****, Verfahren durch Ruhensvereinbarung beendet, 6. J***** K*****, vertreten durch Mag. Martin Stärker, Rechtsanwalt in Wien, 7. Mag. P***** K*****, vertreten durch Dr. Gernot Murko, Mag. Christian Bauer und Mag. Gerlinde Murko‑Modre, Rechtsanwälte in Klagenfurt, 8. Mag. W***** P*****, vertreten durch die Bichler Zrzavy Rechtsanwälte GmbH in Wien, 9. Dr. T***** B*****, vertreten durch Dr. Malte Berlin, Rechtsanwalt in Salzburg, 10. Dr. W***** K*****, Verfahren gemäß § 7 IO unterbrochen (ON 514), 11. Mag. Dr. O***** E***** und 12. Dr. S***** G*****, Verfahren jeweils durch Vergleich erledigt, und 13. Dr. H***** M*****, Verfahren durch Ruhensvereinbarung beendet, wegen 4.545.459,23 EUR sA hinsichtlich der viertbeklagten Partei sowie je 2.000.000 EUR sA hinsichtlich der sechst‑ bis neuntbeklagten Parteien, dies jeweils solidarisch mit dem gegenüber der viertbeklagten Partei erhobenen Klagebegehren; insgesamt daher 4.545.459,23 EUR sA und Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der viert‑ und neuntbeklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 5. Juli 2017, GZ 5 R 184/14i‑679, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00168.17Z.0926.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Klageänderungen sind tunlichst zuzulassen (RIS‑Justiz RS0039441 [T1]), insbesondere dann, wenn durch sie ein neuer Prozess vermieden und das Ziel der endgültigen und erschöpfenden Bereinigung erreicht werden kann (RIS‑Justiz RS0039518 [T7]) bzw wenn der bisher geleistete Prozessaufwand verwertbar bleibt und eine neue Klage vermieden wird (RIS‑Justiz RS0039441 [T5]). Die Notwendigkeit einer Vertagung ist nicht stets ein Grund für die Nichtzulassung (RIS‑Justiz RS0039441 [T8]). Wenn bei der laufenden Streitverhandlung auch ohne Klagsänderung Spruchreife nicht zu erzielen war, bedeutet die Notwendigkeit einer weiteren Streitverhandlung keine wesentliche Erschwerung der Verhandlung (RIS‑Justiz RS0039683).

Bei der Beurteilung sind jeweils die Umstände des Einzelfalls maßgebend (RIS‑Justiz RS0039441 [T11]). Ob im Einzelfall aufgrund der besonderen Umstände eine Klageänderung im Interesse der erwünschten endgültigen und erschöpfenden Beendigung des Streites zuzulassen ist, stellt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar, es sei denn es liegt eine Fehlbeurteilung, die im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifen wäre, vor (RIS‑Justiz RS0115548). Eine Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO ist nur dann gegeben, wenn dem Rekursgericht im Einzelfall eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die es aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich macht, die Frage vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen (RIS‑Justiz RS0115548 [T1]).

Unter Anwendung dieser Kriterien zeigen die Rechtsmittelwerber keine erhebliche Rechtsfrage auf:

1. Sie behaupten, es fehle oberstgerichtliche Rechtsprechung dazu, ob eine Klageänderung, die sich auf ein unschlüssiges Vorbringen stützt, zuzulassen sei.

1.1. Die Kriterien für die Zulässigkeit einer Klageänderung ohne Zustimmung des Gegners normiert § 235 Abs 3 ZPO. Sie kann danach zugelassen werden, wenn durch die Änderung die Zuständigkeit des Prozessgerichts nicht überschritten wird und aus ihr eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung nicht zu besorgen ist.

1.2. Nur diese Kriterien stellt das Gesetz auf. Dementsprechend hat sich nach oberstgerichtlicher Rechtsprechung die Prüfung auf verfahrensrechtliche Kriterien zu beschränken (1 Ob 572/92; 7 Ob 88/00t = RIS‑Justiz RS0039541 [T1]).

1.3. Die Frage der Schlüssigkeit eines Klagevorbringens ist aber keine verfahrensrechtliche, sondern eine materiell‑rechtliche Frage (vgl auch RIS‑Justiz RS0037407 [T4]: eine unschlüssige Klage ist ab‑ und nicht zurückzuweisen) und stellt demnach kein Kriterium für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Klageänderung dar.

1.4. Die aufgeworfene Frage ist daher in der oberstgerichtlichen Judikatur beantwortet.

1.5. Die anderslautende Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht zu AZ 40 R 25/13t (RIS‑Justiz RWZ0000182) ist für den Obersten Gerichtshof kein Prüfungsmaßstab. Im Gegensatz zur Aussage dieser Entscheidung bringt die Zulassung einer unschlüssigen Klageänderung keine Erschwerung oder Verzögerung iSd § 235 Abs 3 ZPO mit sich, ist doch – sofern nicht nach Erörterung mit der klagenden Partei das Begehren schlüssig gestellt wurde – ein trotz Verbesserungsversuchs unschlüssiges Klagebegehren ohne jegliches Beweisverfahren und somit ohne Erschwerung und Verzögerung sofort abzuweisen (RIS‑Justiz RS0037161 [T2]; vgl auch RS0039622 sowie 6 Ob 535/90: „Je offenkundiger im übrigen einem geänderten oder neu eingeführten Anspruch ein anspruchsaufhebender oder aufschiebender Grund entgegenstünde, desto weniger wäre von der Zulassung der Klagsänderung eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung zu besorgen.“).

1.6. Im Übrigen ist Kern des Hauptleistungsbegehrens die Rückforderung einer Sonderdividende, die – soweit noch streitgegenständlich – an die viertbeklagte Partei als Aktionärin der Klägerin im Jahr 2008 auf Basis eines in der Bilanz der Klägerin zum 31. 12. 2007 ausgewiesenen Bilanzgewinns ausgeschüttet wurde. Im bisherigen Verfahren hat die Klägerin verschiedene Umstände vorgebracht, warum im Jahresabschluss zum 31. 12. 2007 erhebliche Wertberichtigungen vorzunehmen gewesen wären, die bewirkt hätten, dass kein Bilanzgewinn ausgewiesen hätte werden können. Der Jahresabschluss sei falsch gewesen, die Sonderdividende hätte mangels Bilanzgewinns nicht ausgeschüttet werden dürfen. Mit der nunmehrigen Klageänderung werden weitere Umstände im Zusammenhang mit der Begebung von Vorzugsaktien vorgebracht, warum das Eigenkapital in der Bilanz der Klägerin zum 31. 12. 2007 (wegen des notwendigen Ausweises von Verbindlichkeiten bzw Rückstellungen) noch geringer ausgewiesen hätte werden müssen. Sollten die ursprünglich vorgebrachten Umstände der unterlassenen Wertberichtigungen nicht erwiesen werden können, könnte uU bewiesen werden, dass wegen der nunmehr in der Klageänderung behaupteten Umstände kein Bilanzgewinn ausgewiesen und somit die Sonderdividende nicht ausgeschüttet hätte werden dürfen.

2.1. Auf die von den Rechtsmittelwerbern behauptete angebliche Judikaturdivergenz zwischen der Entscheidung JBl 1953, 325, und den in RIS‑Justiz RS0039541 indizierten Entscheidungen muss nicht eingegangen werden, weil die Rechtsmittelwerber gar nicht behaupten, dem geänderten Klagebegehren mangle die „Bestimmtheit“. Nur in diesem Fall wäre nach JBl 1953, 325, die Klageänderung unzulässig.

2.2. Im Übrigen ist diese Entscheidung durch die jüngere Entscheidung 6 Ob 147/61 = RIS‑Justiz RS0039441 (T2) überholt. Danach kann ein allfälliger Mangel der

Bestimmtheit des Klagebegehrens unter Umständen zur Klagsabweisung führen, aber kein Grund zur Nichtzulassung der Änderung des Klagebegehrens sein.

3.1. Den mit der Zulassung der Klageänderung (möglicherweise) verbundenen Mehraufwand hat das Rekursgericht erwogen. Seine Einschätzung, dass trotzdem die Klageänderung zulässig sei, hält sich im Rahmen der am Beginn dieser Entscheidung zitierten Rechtsprechung und ist jedenfalls keine grobe Fehlbeurteilung.

3.2. Im Gegensatz zur Ansicht der Rechtsmittelwerber ist auch nicht zwangsläufig mit einem erheblichen Mehraufwand zu rechnen, wenn zwei vorliegende Urkunden (ein Strafurteil und ein in diesem Strafverfahren erstattetes Gutachten) gewürdigt und drei Personen (zu einem überschaubaren Thema) einvernommen werden sollen. Ob das weiters beantragte Gutachten überhaupt eingeholt werden muss, ist – ohne dass dem Beweisverfahren vorgegriffen werden kann – insofern nicht sicher, als bereits das Gutachten aus dem Strafverfahren vorliegt.

4. Ob die Klägerin ihr Vorbringen zur gegenständlichen Klageänderung früher erstatten hätte können und ob (von der klagenden Partei üblicherweise nicht zu erwartende) Prozessverschleppung vorliegt, hat das Gericht nach § 179 ZPO zu beurteilen, ist aber nach § 235 Abs 3 ZPO kein gesondertes Prüfkriterium (vgl RIS‑Justiz RS0036873).

5. Die Rechtsmittelwerber machen geltend, inzwischen seien mehrere Strafverfahren eingestellt worden, was zum Zeitpunkt der Entscheidung des Rekursgerichts noch nicht der Fall gewesen sei. Abgesehen davon, dass die Strafverfahren nicht bezeichnet werden, kann dies nicht berücksichtigt werden, weil die Frage, ob eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung des Verfahrens zu befürchten ist, nach dem Zeitpunkt der Klagsänderung zu beurteilen ist (RIS‑Justiz RS0039441 [T6]). Bei der Entscheidung über die Zulassung einer Klageänderung muss von der Aktenlage im Zeitpunkt des Beschlusses erster Instanz ausgegangen werden (RIS‑Justiz RS0039441 [T14]).

6. Der behauptete sekundäre Feststellungsmangel liegt nicht vor, weil die Unschlüssigkeit des Vorbringens nicht festgestellt werden kann, sondern rechtliche Beurteilung ist.

7. Nach dem unter Punkt 1.1. bis 1.5. Gesagten liegt auch kein Verfahrensmangel darin, dass das Rekursgericht die Schlüssigkeit des Vorbringens nicht (genau) geprüft hat.

8. Ob die von der Klägerin zum geänderten Klagevorbringen beantragten Beweise geeignet sind, die Behauptungen zu beweisen, ist kein Beurteilungskriterium für die Zulässigkeit einer Klageänderung. Sollten die beantragten Beweise schon abstrakt unerheblich sein, wären sie nicht aufzunehmen; die durch die Klageänderung verursachte Erschwerung oder Verzögerung im Sinn des § 235 Abs 3 ZPO wäre geringer (vgl oben 1.5.)

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