OGH 9ObA70/17k

OGH9ObA70/17k25.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser und ADir. Gabriele Svirak in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** M*****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei ÖBB-***** GmbH, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte GmbH, wegen Feststellung, in eventu Entlassungsanfechtung, (Streitwert: 35.316,68 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Februar 2017, GZ 15 Ra 4/17a‑16, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Oktober 2016, GZ 43 Cga 40/16k‑11, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00070.17K.0725.000

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

I. Die Revision des Klägers ist entgegen dem– den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a ZPO) – Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

II. Der Kläger war seit 7. 1. 1992 bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt und seit 1996 unkündbar gestellt. Von Oktober 2013 bis Anfang Mai 2014 veruntreute er während seines Dienstes als Busfahrer Einnahmen für Einzelfahrscheine in Höhe von jedenfalls 600 EUR. Nach Hervorkommen der Tat wurde er vom Dienst suspendiert. Das über ihn durchgeführte gerichtliche Strafverfahren wurde diversionell erledigt. Das über ihn nach der DiszO 2004 idF 2009 durchgeführte Disziplinarverfahren endete mit mehrstimmigem Erkenntnis der Disziplinarkommission der Beklagten vom 12. 5. 2016, in dem zusammengefasst ausgesprochen wurde, dass der Kläger im genannten Zeitraum die Fahrscheineinnahmen veruntreut und sich zumindest in Höhe von 600 EUR unrechtmäßig angeeignet habe. Er habe dadurch schuldhaft gegen die Bestimmungen der §§ 6 Abs 1, 7 Abs 1 AVB 1995 und § 21 Abs 2 der Allgemeinen Beförderungsbestimmungen verstoßen und eine schwere Dienstpflichtverletzung begangen. Weiters wurde festgestellt, dass er iSd § 48 Abs 2 DiszO 1994 einen Entlassungsgrund gesetzt habe. Auf Grundlage dieser Entscheidung wurde der Kläger von der Beklagten mit Schreiben vom 13. 5. 2016 entlassen.

Die Vorinstanzen wiesen das Begehren des Klägers auf Feststellung des aufrechten Bestands seines Dienstverhältnisses, in eventu der Unwirksamerklärung der Entlassung, ab.

Das Berufungsgericht führte aus, nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 9 ObA 133/15x gelte nach § 48 Abs 1 DiszO 2004 für die Feststellung, ob der Beschuldigte einen Entlassungsgrund gesetzt habe, mangels Angestellteneigenschaft eines Mitarbeiters das Einstimmigkeitsprinzip, was zur Unwirksamkeit der Entlassung führen würde. Der Kläger sei aber aufgrund der Geltung der AVB, in der die Mitarbeiter der Beklagten als „ÖBB-Angestellte“ bezeichnet würden und die sich über weite Strecken an den Regelungen des Angestelltengesetzes orientiere, Angestellter ex contractu. Ungeachtet dessen sei ein Arbeitgeber zwar grundsätzlich an die Entscheidung der Disziplinarkommission gebunden. Die Grenze der Bindung liege allerdings dort, wo die Entscheidung der Disziplinarkommission in einer einem sachkundigen und unbefangenen Beurteiler sofort erkennbaren Weise im Kernbereich des Entlassungsrechts offensichtlich unrichtig sei. Das Stimmverhalten des gegen die Entlassung stimmenden Mitglieds der Disziplinarkommission sei ganz auffallend offensichtlich unrichtig, weil es sich um ein vorsätzlich begangenes Vermögensdelikt handle, der Schaden nicht gering sei, der Kläger die Untreuehandlung in etwa in 200 Fällen gesetzt habe, keine Notlage behauptet worden sei und das vom Kläger erst nach anhaltendem Leugnen unter dem Eindruck der bereits erfolgten strafgerichtlichen Verurteilung und in Anbetracht einer im Raum stehenden diversionellen Erledigung im Strafverfahren abgelegte Tatsachengeständnis nicht rechtfertigen könne, die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung zu verneinen. Die Rechtsansicht des vom Betriebsrat entsandten Mitglieds der Disziplinarkommission sei daher unvertretbar und verstoße gegen elementare Grundsätze des der Beklagten zustehenden Entlassungsrechts. Die Disziplinarordnung, die durch ihr Einstimmigkeitsprinzip derartig eklatant unrichtige Entscheidungen möglich mache und so immanent in das Entlassungsrecht des Dienstgebers eingreife, sei insoweit rechtswidrig und unwirksam. Dem Dienstgeber sei damit das Recht vorbehalten geblieben, den Kläger auch ohne eine einstimmige Entscheidung der Disziplinarkommission zu entlassen. Die Revision sei zur Beurteilung des Klägers als „Angestellter ex contractu“ und der Unanwendbarkeit des § 48 DiszO bei eklatanten und offensichtlichen Verstößen gegen Grundzüge des Entlassungsrechts zulässig.

In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 9 ObA 133/15x zu § 48 Abs 1 der Disziplinarordnung der Beklagten (DiszO 2004 idF 2009) Stellung genommen und die Anordnung, „Einstimmigkeit ist dann erforderlich, wenn es sich nicht um einen Entlassungstatbestand gemäß § 27 Angestelltengesetz mit Ausnahme der Zif 2 handelt“, dahin ausgelegt, dass der Ausnahmetatbestand auch die Anwendbarkeit des AngG voraussetzt. Ist dies nicht der Fall, erfüllt ein lediglich mit Stimmenmehrheit gefasstes Disziplinarerkenntnis die Voraussetzungen für einen Entlassungsausspruch der Beklagten grundsätzlich nicht.

2. Die Beklagte räumt ein, dass der Kläger – wie auch jener zu 9 ObA 133/15x – nicht in den gesetzlichen Anwendungsbereich des AngG fällt. Im Übrigen geht aus keinem der wechselseitigen Vorbringen der Parteien hervor, dass die Streitteile individualvertraglich die Anwendbarkeit des AngG auf das Dienstverhältnis des Klägers vereinbart hätten. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts reicht der bloße Umstand, dass die Mitarbeiter der Beklagten in den AVB als „ÖBB-Angestellte“ bezeichnet werden, nicht aus, um generell auf eine Geltung des AngG „für alle Dienstverhältnisse zu den österreichischen Bundesbahnen (s den in § 1 der AVB definierten Anwendungsbereich) zu schließen (s auch 9 ObA 57/17y), weil dafür nur die den Mitarbeitern vertraglich eingeräumte Position maßgeblich sein kann. Die punktuelle Orientierung der AVB an bestimmten Regelungen des Angestelltengesetzes ist hier schon deshalb nicht zielführend, weil gerade die an § 27 AngG angelehnte Bestimmung des § 49 AVB (Entlassung) zufolge der Übergangsbestimmung des § 67 Abs 3 Z 15 AVB auf den Kläger keine Anwendung findet. Eine allfällige Absicht der Beklagten, ihre Dienstnehmer generell als Angestellte iSd AngG zu behandeln und sie seiner Geltung zu unterwerfen, hätte auch einen deutlicheren Niederschlag erwarten lassen.

3. Aus dem Fehlen seiner Angestellteneigenschaft ist für den Kläger im vorliegenden Fall aber nichts zu gewinnen: Zu 9 ObA 133/15x wurde ebenso auf die ständige Rechtsprechung hingewiesen, dass eine Entlassung nicht als Disziplinarmaßnahme gemäß § 102 ArbVG anzusehen ist und daher auch keine Disziplinarstrafe einer gemäß § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG oder durch Kollektivvertrag zustande gekommenen Disziplinarordnung sein kann (RIS-Justiz RS0053043).

Die davon zu trennende Frage, ob und inwieweit das Entlassungsrecht des Arbeitgebers durch Bindung an die vorgeschaltete Entscheidung einer Disziplinarkommission eingeschränkt werden darf, war bereits Gegenstand der Entscheidung 8 ObA 12/04d. Darin wurde ausgeführt, dass die Disziplinarkommission als „Dritter“ mit der Konkretisierung bestimmter Rechte des Arbeitgebers betraut werden kann und im Ergebnis von einer Wirksamkeit der (Selbst-)Bindung des Arbeitgebers an die von ihm selbst geschaffenen Dienstvorschriften hinsichtlich des bei Entlassungen einzuhaltenden Verfahrens (auch hinsichtlich der Einschränkung auf die dort geltend gemachten Entlassungsgründe), aber auch an die Entscheidung der Disziplinarkommission auszugehen ist. Die Grenze liegt dort, wo deren Entscheidung in einer einem sachkundigen und unbefangenen Beurteiler sofort erkennbaren Weise im Kernbereich des Entlassungsrechts offensichtlich unrichtig ist. Auch in der Folge wurde mehrfach festgehalten, dass sich beide Teile des Arbeitsvertrags mit der Vereinbarung eines bestimmten Verfahrens der Entscheidung eines „Dritten“ unterwerfen, die soweit nicht als sittenwidrig anzusehen ist, als nicht in den zweiseitig zwingenden Kernbereich der vorzeitigen Auflösung eingegriffen wird (9 ObA 50/05a; 9 ObA 153/11g; 8 ObA 74/15p; s auch 8 ObA 43/14b).

4. Ob die Grenze der Sittenwidrigkeit überschritten wurde, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Das Berufungsgericht hat dies für den vorliegenden Fall in vertretbarer und nicht weiter korrekturbedürftiger Weise bejaht, wofür auf die dargelegten Erwägungen des Berufungsgerichts verwiesen werden kann.

5. Ist aber in Fällen wie dem vorliegenden die Selbstbindung des Dienstgebers an das Ergebnis des Disziplinarverfahrens unter materiellen Aspekten nicht aufrecht zu erhalten, kommt es auf das Stimmverhalten einzelner Kommissionsmitglieder nicht weiter an. Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob die Disziplinarordnung als solche insoweit rechtswidrig und unwirksam sei, als sie durch ihr Einstimmigkeitsprinzip derartig eklatant unrichtige Entscheidungen möglich mache und so immanent in das Entlassungsrecht des Dienstgebers eingreife (vgl dazu auch Kietaibl, Grenzen der Bindung des Entlassungsrechts an die Zustimmung einer Disziplinarkommission, ecolex 2016, 515), stellt sich danach nicht.

6. Da die aufgeworfenen Fragen anhand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gelöst werden können und diese vom Berufungsgericht in vertretbarer und nicht weiter korrekturbedürftiger Weise auf den vorliegenden Fall angewendet wurde, ist die Revision des Klägers mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

7.  Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 40 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979).

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