OGH 9ObA153/11g

OGH9ObA153/11g27.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Dr. Klaus Mayr als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F***** L*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei Ärztekammer für Niederösterreich, *****, vertreten durch Mag. Markus Lechner, Rechtsanwalt in Lochau, wegen Feststellung eines aufrechten Dienstverhältnisses (Streitwert 165.000 EUR) über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. September 2011, GZ 9 Ra 5/11p‑11, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach der Dienstordnung der Angestellten der Beklagten kann die Entlassung eines pragmatisierten Angestellten aufgrund eines Disziplinarverfahrens von einer Disziplinarkommission als Disziplinarstrafe verhängt (§ 34 Abs 1 lit d, § 36 DO) oder aber vom Präsidenten verfügt werden, wenn aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung die Wirkung des § 27 Abs 1 StGB eingetreten ist, wenn die rechtskräftige Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung erfolgt, deren Gründe den Angestellten für das Dienstverhältnis unwürdig erscheinen lassen, oder wenn nachträglich Umstände hervorkommen, die die Ausschließung von der Anstellung bewirkt hätten (§ 40 DO). Dies wurde auch jahrelang so praktiziert. Der seit 1. 8. 1981 (pragmatisiert seit 1. 8. 1987) bei der Beklagten beschäftigte Kläger wurde mit Schreiben vom 7. 7. 2010, 9. 7. 2010, 12. 7. 2010 und 8. 9. 2010 entlassen. Davor wurde kein Disziplinarverfahren durchgeführt. Der Kläger wurde auch nicht strafrechtlich verurteilt. Die Vorinstanzen stellten den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses des Klägers fest.

Die Ansicht der Beklagten, dass die Disziplinarordnung unwirksam sei, weil dazu keine Zustimmung des Betriebsrats (§ 96 Abs 1 Z 1 ArbVG) vorliege, diese auch nicht durch Einzelvereinbarung umgangen werden könne und damit auch die Einführung von verfahrensrechtlichen Teilen der Disziplinarordnung ausscheide, begründet keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO:

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 8 ObA 12/04d zum Verhältnis einer aus Gründen des Betriebsverfassungsrechts teilunwirksamen Disziplinarordnung zum Entlassungsrecht des Arbeitgebers umfassend Stellung genommen und sich dabei auch mit der bisherigen Lehre und Rechtsprechung, insbesondere auch mit der von der Beklagten ins Treffen geführten Entscheidung 9 ObA 192/94, eingehend auseinandergesetzt. Darin wurde ausdrücklich die bisherige Judikatur aufrechterhalten, nach der Kündigungen und Entlassungen nicht als Disziplinarmaßnahme iSd § 102 ArbVG angesehen und damit auch nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung nach § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG sein können (ebenso 9 ObA 50/05a), womit im vorliegenden Fall insofern keine Betriebsvereinbarung abzuschließen war.

Zur Vermeidung von Missverständnissen sei hervorgehoben, dass aus der Entscheidung 8 ObA 12/04d nicht abgeleitet werden kann, dass dann, wenn ‑ wie hier ‑ überhaupt keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, die inhaltlichen Voraussetzungen der Entlassung selbst zwar einzelvertraglich, etwa im Wege der Vertragsschablone, geregelt werden können, die Vorschaltung eines Disziplinarverfahrens und die Konstituierung einer Disziplinarkommission jedoch stets einer Betriebsvereinbarung iSd § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG bedürfte. Vielmehr wurde festgehalten, dass unter Berücksichtigung von nicht bedachten Rahmenbedingungen (Unzulässigkeit der Erweiterung der paritätischen Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 102 ArbVG auf Entlassungen) jener hypothetische Parteiwille zu ermitteln ist, der bei Kenntnis dieser Rahmenbedingungen das von beiden Parteien getragene Ergebnis eines ‑ doch zentral durch das vorgesehene Verfahren und die organisatorische Einbindungen ausgestalteten ‑ Bestandschutzes angemessen berücksichtigt, aber noch nicht gegen die gesetzlichen Rahmenbedingungen verstößt. Wie in der Folge auch zu 9 ObA 50/05a ausgeführt wurde, ist es dabei zulässig, dass sich beide Teile des Arbeitsvertrags mit der Vereinbarung eines bestimmten Verfahrens der Entscheidung eines dafür auch verantwortlichen Dritten ‑ der Disziplinarkommission - unterwerfen können. Das ist so weit nicht als sittenwidrig iSd § 879 ABGB anzusehen, als nicht in den zweiseitig zwingenden Kernbereich der vorzeitigen Auflösung eingegriffen wird. Eine solche Sittenwidrigkeit wurde hier nicht behauptet.

Die Ansicht der Vorinstanzen, dass die Beklagte gemäß der von ihr eingegangenen Verpflichtung vor einer Entlassung das in der Dienstordnung vorgesehene Disziplinarverfahren einzuhalten hat, ist damit nicht korrekturbedürftig.

Inwiefern sich die Beklagte gewinnbringend auch auf die fehlende Zustimmung des Betriebsrats zur Entlassung (§ 102 ArbVG) stützen könnte, ist nicht ersichtlich, weil aus diesem Umstand nicht auf die Wirksamkeit der Entlassung geschlossen werden kann.

Neben all dem kann dahin gestellt bleiben, dass die Beklagte dem Klagsvorbringen auch keine Gründe zur Rechtfertigung der Entlassung entgegengehalten hat.

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