OGH 9ObA192/94

OGH9ObA192/9428.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches und Helmuth Prenner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Susanna R*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Helga Hofbauer-Goldmann, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Österreichische Nationalbank, Otto Wagner-Platz 3, 1090 Wien, vertreten durch Cerha, Hempel & Spiegelfeld, Partnerschaft von Rechtsanwälten in Wien, wegen Feststellung (S 1,080.000 sA) und Anfechtung (S 1,080.000 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.April 1994, GZ 32 Ra 111/93-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17.März 1993, GZ 14 Cga 571/92-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Urteilsfällung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin war bei der beklagten Partei seit 2.8.1982, zuletzt als Referentin im Auslandszahlungsverkehr, beschäftigt. Ihr Dienstverhältnis war nach den Dienstbestimmungen der beklagten Partei (DB) pensionsversicherungsfrei und unkündbar. Am 16.11.1992 wurde sie nach "ordnungsgemäßer Verständigung" des Betriebsrats entlassen. Der Betriebsrat stimmte der Entlassung nicht zu.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß ihr Dienstverhältnis über den 16.11.1992 hinaus aufrecht fortbestehe, und in eventu, daß die Entlassung für rechtsunwirksam erklärt werde. Die DB seien zwar zwischen der Unternehmensleitung und der Belegschaftsvertretung ausgehandelt, aber nie unterfertigt worden. Es handle sich dabei nur um eine Vertragsschablone und es liege auch hinsichtlich der Teile, die nach dem ArbVG einer Betriebsvereinbarung zugänglich wären, keine Betriebsvereinbarung vor. Die Disziplinarordnung entspreche nicht den Vorschriften des § 102 ArbVG, so daß ein Disziplinarverfahren auf der Basis der bestehenden Vorschriften nicht abgeführt werden könne bzw nichtig wäre.

Der für die DB zuständige Generalrat der beklagten Partei könne sich aber wie sonst der Vorstand einer AG selbst binden oder einschränken. Da es die Möglichkeit zur Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht mehr gebe, komme sohin eine Entlassung aufgrund eines Disziplinarerkenntnisses gemäß § 35 Abs 1 DB nicht mehr in Betracht; die beklagte Partei sei vielmehr ausschließlich auf die Entlassungsgründe des § 35 Abs 2 lit a und b DB beschränkt. Eine Auflösung des Dienstverhältnisses aus anderen Gründen (§ 27 AngG) sei rechtsunwirksam. Der der Entlassung zugrunde liegende Vorwurf betreffe keinen der eingeschränkten Entlassungsgründe. Das Dienstverhältnis sei daher nach wie vor aufrecht.

Im übrigen sei die Entlassung ungerechtfertigt erfolgt und sozialwidrig. Die Entlassung bedeute eine unzumutbare soziale Härte. Wenn ein Dienstnehmer aus einem so geschützten Bereich wie bei der beklagten Partei "verabschiedet" werde, sei dieser für den freien Arbeitsmarkt stigmatisiert und nicht in der Lage, einen nur annähernd gleichen Arbeitsplatz zu finden. Es bestehe auch der Verdacht, daß das Dienstverhältnis deshalb aufgelöst worden sei, weil die Klägerin auch für die nächste Betriebsratswahl kandidieren wolle.

Die beklagte Partei beantragte, die Klagebegehren abzuweisen. Die Befugnis des Generalrats zur Erlassung von Dienstbestimmungen gemäß § 21 Z 15 NBG sei keine Ermächtigung zur einseitigen Gestaltung der Dienstverhältnisse mittels Verordnung, sondern lediglich als Befugnis zur Erstellung von Vertragsschablonen zu qualifizieren. Als Vertragsschablone würden die DB der beklagten Partei erst im Wege der ausdrücklichen oder stillschweigenden Unterwerfung Inhalt der gemäß § 38 Abs 1 NBG privatrechtlich gestalteten Einzelverträge. Dabei bleibe es den Parteien unbenommen, im Einzeldienstvertrag davon abweichende Regelungen zu treffen. In diesen DB seien zahlreiche, das Disziplinarrecht betreffende Regelungen enthalten und eine Geschäftsordnung der Disziplinarkommission vorgesehen. Diese Regelungen seien aber zur Zeit der Entlassung der Klägerin mangels formwirksamen Abschlusses einer diesbezüglichen Betriebsvereinbarung nicht in Geltung gestanden. Es habe keine Möglichkeit gegeben, ein Disziplinarverfahren durchzuführen.

Die Klägerin sei gemäß § 27 AngG entlassen worden, weil sie sich durch Manipulationen beim Umtausch von Fremdwährungen, bei denen sie einen Spekulationsgewinn von S 2.000 erzielt habe, im höchsten Maß vertrauensunwürdig gemacht habe. Abgesehen davon, daß ein genereller, auch verschuldete Tatbestände umfassender Ausschluß von Entlassungsmöglichkeiten durch Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei, könne man auch nicht davon ausgehen, daß lediglich § 35 Abs 2 DB ohne dessen Abs 1 weiterhin verbindlich sei. Nach § 35 Abs 1 DB könne das Dienstverhältnis durch Entlassung aufgelöst werden, wenn dies durch ein rechtskräftiges Disziplinarerkenntnis vorgeschlagen werde. Diese Möglichkeit sei hinsichtlich der Verfehlungen der Klägerin zufolge des Mangels wirksamer Disziplinarbestimmungen nicht gegeben gewesen. § 35 Abs 2 DB regle die Möglichkeit einer sofortigen Entlassung ohne Vorliegen eines Disziplinarerkenntnisses und beschränke diese Entlassungsgründe auf die Fälle der rechtskräftigen Verurteilung wegen gerichtlich strafbarer Handlungen und auf Sachwalterbestellung wegen Verschwendungssucht. Damit sollte § 35 DB praktisch alle Entlassungsgründe im Sinne des § 27 AngG umfassen. Dienstverfehlungen sollten zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens führen, das unter anderem die Entlassung ermöglicht. § 35 Abs 2 DB erfasse Umstände, die sich aus dem sonstigen Verhalten der Angestellten ergeben. Soweit der beklagten Partei bekanntgeworden sei, daß ein Angestellter wegen bestimmter schwerer Delikte verurteilt oder für ihn ein Sachwalter bestellt wurde, soll die Entlassung sofort ausgesprochen werden können.

Die von der klagenden Partei vorgenommene Aufspaltung des § 35 DB, daß die beklagte Partei nur mehr zur Entlassung im Sinne des § 35 Abs 2 DB berechtigt sei und aus noch so schwerwiegenden Dienstverfehlungen überhaupt keinen Entlassungsanspruch mehr ableiten könne, sei absurd. § 35 DB könne somit nur in seiner Gesamtheit oder gar nicht gelten. Selbst wenn man noch von der Zulässigkeit einer Vereinbarung im Sinne des § 35 DB ausgehen wollte, sei den Parteien zu unterstellen, daß sie auch von der Möglichkeit eines Disziplinarverfahrens ausgegangen sind. Da diese Möglichkeit nicht mehr bestehe, liege eine Vertragslücke vor, die primär durch das dispositive Recht zu schließen sei. Dazu biete sich die Regelung des § 27 AngG an, zumal in den Vorschriften über den Geltungsbereich der DB darauf verwiesen sei, daß im besonderen auf sämtliche Dienstnehmer die Bestimmungen des Angestelltengesetzes Anwendung fänden. Zum selben Ergebnis führe die Lückenfüllung nach dem hypothetischen Parteiwillen. Hätten redliche und vernünftige Parteien gewußt, daß ein Disziplinarverfahren nicht möglich sei, hätten sie nicht vereinbart, daß ein Dienstnehmer wegen schwerer Dienstverfehlungen überhaupt nicht entlassen werden dürfe, sondern, daß eine Entlassung zulässig sei, wenn Verfehlungen im Sinne des § 27 AngG vorliegen, welche die Einleitung eines Disziplinarverfahrens rechtfertigten.

Auch das Anfechtungsbegehren sei nicht berechtigt. Die Klägerin habe einen krassen Vertrauensbruch begangen und Untreuehandlungen gesetzt. Sie sei aus diesem Grund gerechtfertigt entlassen worden. Der Umstand, daß die Klägerin an 19.Stelle (bei acht Mandaten) für den Betriebsrat kandidiert habe, sei ohne Belang. Ebenso liege keine Sozialwidrigkeit vor.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt. Es traf noch folgende Feststellungen:

Die Dienstbestimmungen (DB) der beklagten Partei in der jeweils geltenden Fassung sind Bestandteil des Einzeldienstvertrags der Klägerin.

§ 35 der Dienstbestimmungen lautet:

"Entlassung

1. Ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis kann von der Bank durch Entlassung aufgelöst werden, wenn ihr durch ein rechtskräftiges Disziplinarerkenntnis (§ 41) die Entlassung vorgeschlagen wird. Auch ohne Vorliegen eines Disziplinarerkenntnisses kann die Bank einen Dienstnehmer entlassen, wenn eine der im Abs 2 genannten Voraussetzungen gegeben ist.

2. Die Bank ist zur Entlassung eines in einem pensionsversicherungsfreien Dienstverhältnis stehenden Dienstnehmers ohne Vorliegen eines Disziplinarerkenntnisses in nachstehenden Fällen berechtigt:

a) wenn er wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, oder wegen einer gegen fremdes Vermögen, die Sicherheit des Geldverkehrs oder gegen die Amtspflichten gerichteten sonstigen strafbaren Handlung, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als ein Monat bedroht ist, von einem Gericht rechtskräftig verurteilt wurde;

b) wenn er wegen Verschwendung unter Kuratel gesetzt wird."

Dazu vertrat das Erstgericht die Rechtsauffassung, daß außer Streit gestellt worden sei, daß im Zeitpunkt der Entlassung der Klägerin ein Disziplinarverfahren nicht habe durchgeführt werden können. Daraus folge, daß die beklagte Partei auf die übrigen im § 35 DB genannten Entlassungsgründe beschränkt sei. Das Vorliegen derartiger Gründe habe die beklagte Partei aber nicht einmal behauptet.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die im § 40 AngG aufgezählten Bestimmungen seien nur zugunsten des Angestellten unabdingbar, so daß diese Bestimmungen eine Selbstbindung des Dienstgebers, der Entlassung ein Disziplinarverfahren vorzuschalten, nicht ausschließe; es sei Sache des Dienstgebers, die von ihm selbst stipulierten Voraussetzungen für die Geltendmachung des Entlassungsgrundes zu schaffen. Die beklagte Partei sei nur zur Ausstellung von Vertragsschablonen befugt. Damit scheide eine Auslegung der DB dahin, daß die beklagte Partei ohne Zustimmung des Betriebsrats ein innerbetriebliches Disziplinarrecht schaffen könne, aus. Habe sich die beklagte Partei aber im Wege der Vertragsschablone einzelvertraglich eine Beschränkung des Lösungsrecht durch das Disziplinarrecht auferlegt, bleibe sie daran gebunden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Die vorgelegten Dienstbestimmungen der beklagten Partei (DB), die auf Blatt 2 im übrigen den Hinweis enthalten, daß die das Disziplinarrecht betreffenden Regelungen der DB sowie die Geschäftsordnung der Disziplinarkommission zur Zeit keine Gültigkeit haben, nehmen in mehreren Regelungen auf ein Disziplinarrecht Bezug. So kann etwa ein unkündbares Dienstverhältnis nach § 34 DB, abgesehen von den Fällen des Abs 2, gemäß Abs 3 durch Kündigung nur aufgelöst werden, wenn der beklagten Partei die Kündigung durch ein rechtskräftiges Disziplinarerkenntnis vorgeschlagen wird. Auch der Ausspruch der Entlassung ist diesfalls gemäß § 35 Abs 1 DB von einem entsprechenden Vorschlag eines Disziplinarerkenntnisses abhängig. Ohne Vorliegen eines Disziplinarerkenntnisses darf eine Entlassung gemäß § 35 Abs 2 lit a und b DB nur in bestimmten Fällen strafgerichtlicher rechtskräftiger Verurteilung oder gerichtlicher Sachwalterbestellung erfolgen. In § 38 Abs 1 DB findet sich die Umschreibung des Verhaltens eines Dienstnehmers, das als Disziplinarvergehen anzusehen ist. Die §§ 39 ff DB regeln das eigentliche Disziplinarverfahren (Organe, Verfahren, Disziplinarmaßnahmen: ua Entlassung, wenn der Dienstnehmer einen Entlassungsgrund gesetzt hat, u.dgl.) Darüber hinaus gibt es noch eine aufgrund des § 40 Abs 5 DB erlassene eigene Geschäftsordnung der Disziplinarkommission (§§ 1 bis 29).

Die Parteien stellten in erster Instanz "außer Streit", daß die das Disziplinarrecht betreffenden Regelungen zur Zeit der Entlassung der Klägerin mangels formwirksamen Abschlusses einer diesbezüglichen Betriebsvereinbarung nicht in Geltung gestanden seien; bei der beklagten Partei habe es die Möglichkeit eines Disziplinarverfahrens nicht gegeben. Erst im Rechtsmittelverfahren machte die Klägerin geltend, daß ein Disziplinarverfahren durchzuführen gewesen wäre, weil dessen Zulässigkeit offenkundig sei und Disziplinarregelungen gemäß § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen in Geltung stünden, vom Mitwirkungsrecht des Betriebsrats unberührt geblieben seien (993 BlgNR 13.GP, 3). Das innerbetriebliche Disziplinarrecht der beklagten Partei sei in der öffentlich-rechtlichen Bestimmung des § 39 Abs 2 NBG begründet. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß es sich bei den DB der beklagten Partei mangels Erfüllung der im ArbVG bzw im Kollektivvertragsgesetz 1947 normierten formalen und inhaltlichen Voraussetzungen weder um einen Kollektivvertrag im Sinne des § 2 ArbVG noch um eine Betriebsvereinbarung im Sinne des § 29 ArbVG noch um eine Arbeitsordnung im Sinne der §§ 21 ff Kollektivvertragsgesetz 1947 handelt. Die mit § 38 Abs 2 und § 39 Abs 2 NBG dem Generalrat der beklagten Partei übertragene Regelungsbefugnis ist aber, wie der Oberste Gerichtshof schon zu ähnlichen Ermächtigungen erkannt hat (Arb 9061 - HKG; 9 Ob A 50/88 - AKG), wegen Fehlens der nach Art 18 B-VG erforderlichen gesetzlichen Determination wenigstens der Grundzüge der zu treffenden Regelungen bei verfassungskonformer Interpretation auch nicht als Ermächtigung zur einseitigen Gestaltung der Dienstverhältnisse mit den eigenen Dienstnehmern oder einer Disziplinarordnung mittels Verordnung, sondern lediglich als Befugnis zur Aufstellung von Vertragsschablonen zu qualifizieren. Derartige Vertragsschablonen werden erst im Wege der ausdrücklichen oder stillschweigenden Unterwerfung Inhalt der gemäß § 38 Abs 1 NBG privatrechtlich gestalteten einzelnen Dienstverträge (vgl 9 Ob A 222/88; 9 Ob A 196/90; 9 Ob A 346/93). Es trifft daher nicht zu, daß das innerbetriebliche Disziplinarrecht der beklagten Partei aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen gelte; es ist vielmehr ebenso wie das übrige Dienstrecht der DB lediglich als eine Vertragsschablone anzusehen.

Das Recht, Disziplinarmaßnahmen zu verhängen, erfordert eine besondere Grundlage (Arb 9649 ua). Gemäß § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG bedarf die Einführung - sinngemäß auch die Aufrechterhaltung (vgl Floretta/Strasser, ArbVG2 § 96 Anm 8) - einer betrieblichen Disziplinarordnung zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrats. Die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen im Einzelfall ist gemäß § 102 ArbVG nur zulässig, wenn sie in einem Kollektivvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung (§ 96 Abs 1 Z 1) vorgesehen ist. Nun sind nach ständiger Rechtsprechung Kündigungen und Entlassungen von Dienstnehmern gar keine "Disziplinarmaßnahmen" im Sinne des § 102 ArbVG, so daß sie auch nicht Disziplinarstrafen nach einer gemäß § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG oder durch Kollektivvertrag zustande gekommenen Disziplinarordnung sein können (vgl Strasser in Floretta/Spielbüchler/Strasser, ArbR3 II 348 f mwH; Arb 10.606 ua). Ebensowenig läßt sich dem Gesetz das Erfordernis der Einhaltung eines bestimmten Verfahrens - abgesehen von der nur für arbeitsverfassungsrechtliche Disziplinarmaßnahmen geltenden Bestimmung des § 102 ArbVG - entnehmen. Die strittige Frage, ob die diesbezügliche Rechtsgestaltung im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG als Beschränkung des dem Dienstgeber nach den Normen des materiellen Rechts zustehenden Kündigungs- und Entlassungsrechts dennoch vom Spruch einer Disziplinarkommission abhängig gemacht werden kann (vgl Arb 9175, 10.410, 10.433, 10.606 = DRdA 1990/9 [krit Jabornegg] mwH ua), oder ob als einschlägige Mitbestimmungsregelung nur § 106 iVm § 105 ArbVG und nicht § 102 ArbVG oder ein dazwischen liegendes, im Gesetz überhaupt nicht vorgesehenes Mitbestimmungsmodell in Betracht kommt (Jabornegg in DRdA 1990, 120 ff, 122), kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen, da sich die Disziplinarordnung der beklagten Partei weder auf eine Betriebsvereinbarung noch auf einen Kollektivvertrag stützen kann. Daraus folgt, daß jedenfalls der verfahrensrechtliche Teil der Disziplinarordnung, welcher der unbedingt zwingenden Mitbestimmung des § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG unterliegt (vgl Strasser in HandkommzArbVG §§ 96, 97 Erl 3.2.2; ders in Floretta/Spielbüchler/Strasser, ArbR3 349), unwirksam ist (§ 878 ABGB). In Betrieben, in denen Betriebsvereinbarungen geschlossen werden können, scheidet eine einzelvertragliche Einführung einer betrieblichen Disziplinarordnung ebenso aus wie ein Unterlaufen der Mitbestimmung der Belegschaft dadurch, daß eine der Sache nach generelle Regelung im Wege von konkreten Einzelmaßnahmen getroffen wird (vgl Floretta/Strasser, ArbVG2 § 96 Anm 2; Tomandl in ZAS 1974, 183 ff, 184; Cerny in Cerny/Haas-Laßnigg/B.Schwarz, ArbVG 3 § 96 Erl 1 und B.Schwarz aaO § 102 Erl 2; Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, AngG7 § 25 Erl 13; Arb 9623, 9649 ua). Unabhängig davon, ob die Beschränkung der zuständigen Organe der beklagten Partei (§ 32 Abs 3 NBG) im Außenverhältnis gegenüber ihren Dienstnehmern auch im Sinne des § 74 Abs 2 AktG unzulässig ist (vgl 8 Ob A 276/94 - KVI), verstößt die im Wege einer Vertragsschablone zustande gekommene einzelvertragliche Disziplinarordnung sohin gegen absolut zwingendes Betriebsverfassungsrecht (§ 879 ABGB). Die Durchführung von Disziplinarverfahren ist derzeit nicht möglich. Daran kann auch entgegen der Ansicht der Klägerin der Umstand nichts ändern, daß die DB der beklagten Partei gemäß § 112 Abs 1 DB "im Einvernehmen mit den Betriebsräten" erlassen wurden und im Einvernehmen mit diesen "mit Wirkung für alle bestehende Dienstverhältnisse" abgeändert werden können.

Geht man aber davon aus, daß der Entlassung der Klägerin kein Disziplinarverfahren vorgeschoben werden konnte, ist - wie die beklagte Partei zutreffend ausführt - zu prüfen, ob die Einschränkung der Entlassungsgründe gemäß § 35 Abs 2 DB ohne Möglichkeit, andere Entlassungstatbestände im Sinne des § 35 Abs 1 DB geltend zu machen, eine Vertragslücke bewirkt hat. Da der Schutzzweck der absolut zwingenden Normen des Betriebsverfassungsrechts (vgl Koziol/Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts9 I 148; Krejci in Rummel, ABGB2 I § 879 Rz 250) weder für noch gegen eine gänzliche Unwirksamkeit des § 35 DB spricht, hängt es vom hypothetischen Parteiwillen ab, ob die Bestimmung teilweise aufrecht bleibt oder nicht (vgl Apathy in Schwimann, ABGB IV/1, § 879 Rz 26). Es ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln, ob die Parteien auch ohne den ungültigen Teil des § 35 DB kontrahiert hätten. Diese Frage ist zu verneinen. § 35 Abs 2 DB beschränkt die Möglichkeit einer Entlassung ohne Vorliegen eines Disziplinarerkenntnisses auf ganz bestimmte strafbare Handlungen, die nur vorsätzlich begangen werden können und wegen derer der Dienstnehmer von einem Gericht rechtskräftig verurteilt oder er wegen Verschwendung "unter Kuratel" gesetzt wurde. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung 4 Ob 121/83 ausgesprochen hat, ist ein genereller, auch verschuldete Tatbestände umfassender Ausschluß der Entlassungsbefugnis des Dienstgebers durch Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Der Kernbereich der vorzeitigen Auflösung eines Dienstverhältnisses ist nämlich zweiseitig zwingender Natur (Floretta in Floretta/Spielbüchler/Strasser, ArbR3 302; Kuderna, Das Entlassungsrecht2 24 mwH; Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, AngG7 § 25 Erl 3; Arb 10.410, 10.433 ua). Führt daher der Wegfall der Möglichkeit eines Disziplinarverfahrens und eines Disziplinarerkenntnisses zum Entfall der Kündigungsmöglichkeit nach § 34 Abs 3 DB und der Möglichkeit der Entlassung nach § 35 Abs 1 DB, wäre damit der vereinbarte Kündigungs- und Entlassungsschutz insgesamt in Frage gestellt. Der beklagten Partei kann nämlich nicht unterstellt werden, daß sie dem sogenannten Definitivum auch ohne eine derartige Einräumung der wesentlichen Möglichkeit zur Kündigung und Entlassung zugestimmt hätte. Durch die bloße Zwischenschaltung eines Disziplinarverfahrens hat die beklagte Partei auf keinen ihr nach dem Gesetz zustehenden Auflösungsgrund verzichtet. Andererseits bleibt aber die mit dem Definitivum verbundene materielle Einschränkung des Kündigungs- und Entlassungsrechts beachtlich.

Mit ihrem Einwand, daß sie auf diese Weise zufolge der Entlassung ohne Disziplinarerkenntnis ihre Pensionsanwartschaften verliere, übersieht die Klägerin, daß auch ein pensionsversicherungsfreies unkündbares Dienstverhältnis nach den DB gekündigt und durch Entlassung aufgelöst werden kann. Der Wegfall des vorgeschobenen Disziplinarerkenntnisses hat aber nicht zur Folge, daß das unkündbare Dienstverhältnis schlechthin durch die Entlassung endet. Im Falle eines vertraglich vereinbarten besonderen Bestandschutzes beendet eine Entlassung das Dienstverhältnis nämlich nur dann, wenn sie gerechtfertigt und rechtswirksam ist (vgl Kuderna aaO, 30 mwH). Der in den §§ 34 Abs 3 und 35 Abs 1 DB zugesicherte Kündigungs- und Entlassungsschutz ist daher lückenfüllend dahin zu reduzieren, daß zwar eine (gerechtfertigte) Entlassung im Sinne des grundsätzlich anzuwendenden § 27 AngG (wie bisher) möglich ist, daß aber bei nicht ausreichenden Entlassungsgründen noch geprüft werden muß, ob diese Gründe nicht etwa das Gewicht eines Kündigungsgrundes haben. Derartige Gründe hätten auch im Falle eines Disziplinarverfahrens geprüft werden müssen und die Entscheidung der Disziplinarkommission wäre der gerichtlichen Nachprüfung unterlegen. Ist das ebenfalls nicht der Fall, besteht das Dienstverhältnis der Klägerin weiterhin aufrecht fort.

Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren im Rahmen des Feststellungsbegehrens vorerst zu prüfen haben, ob die Entlassung der Klägerin im Sinne des § 27 AngG gerechtfertigt erfolgte. War die Entlassung begründet, ist damit auch der Anfechtungsgrund des § 106 Abs 2 ArbVG weggefallen (vgl B.Schwarz aaO, § 106 Erl 5 mwH). Sollten die geltend gemachten Verfehlungen zwar keine Entlassung rechtfertigen, aber das (nicht näher definierte) Gewicht eines Kündigungsgrundes erreichen, ist ferner zu prüfen, ob ein Anfechtungsgrund im Sinne des § 105 Abs 3 ArbVG vorliegt. Die Rechtssache erweist sich sohin insgesamt als noch nicht spruchreif.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 Abs 1 ZPO begründet.

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