Normen
AngG §27
ArbVG §2
ArbVG §96
ArbVG §102
KV für Angestellte der Versicherungsunternehmungen/Innendienst §§23 ff
AngG §27
ArbVG §2
ArbVG §96
ArbVG §102
KV für Angestellte der Versicherungsunternehmungen/Innendienst §§23 ff
Spruch:
Die Aufnahme der Entlassung als Disziplinarstrafe in den Strafenkatalog einer kollektivvertraglichen Disziplinarordnung bedeutet im Zweifel eine generelle Beschränkung des Entlassungsrechtes des Arbeitgebers, die Entlassung ohne Entscheidung der in der Disziplinarordnung vorgesehenen Disziplinarkommission ausschließt
OGH 11. 12. 1984, 4 Ob 121/83 (LGZ Wien 44 Cg 96/83; ArbG Wien 4 Cr 1529/82) = RdW 1985, 82 (Tomandl) = ZAS 1985/139 (Mayer-Maly)
Text
Der Kläger war seit dem 1. 10. 1959 bei der beklagten Versicherungsgesellschaft, deren Betrieb den Bestimmungen des Arbeitsverfassungsgesetzes unterliegt, zuletzt als Leiter des Rechnungswesens beschäftigt.
In § 1 des Anstellungsvertrages vom 5. 8. 1966 hatte die beklagte Partei dem Kläger die am 20. 6. 1962 erteilte Kollektivprokura und die zum 1. 7. 1962 erfolgte Bestellung zum Leiter des Rechnungswesens bestätigt. Gemäß § 9 Abs. 1 dieses Vertrages galten für eine Kündigung seitens der Gesellschaft ... die Bestimmungen des Kollektivvertrages/Innendienst (KVI) in seiner jeweils gültigen Fassung. Über eine Entlassung oder allfällige Entlassungstatbestände war in diesem Vertrag nichts vereinbart.
§ 10 des Anstellungsvertrages hatte folgenden Wortlaut:
"Alle sich aus diesem Dienstverhältnis ergebenden Fragen finden ihre Regelung
a) durch diesen Vertrag,
b) durch den jeweils gültigen Kollektivvertrag für Angestellte der Versicherungsunternehmungen/Innendienst,
c) durch das jeweils gültige Angestelltengesetz."
Gemäß § 21 KVI werde die Verletzung der Dienstpflichten durch Ordnungs- und Disziplinarstrafen geahndet. § 23 KVI (mit der Überschrift "Disziplinarstrafen") hat folgenden Wortlaut:
"(1) Disziplinarstrafen können nur auf Grund eines Erkenntnisses der Disziplinarkommission verhängt werden.
(2) Disziplinarstrafen sind:
1. Die Kürzung oder der Entzug der nächsten Remuneration (§ 14 Abs. 2);
2. der strafweise Aufschub der Vorrückung um ein Jahr;
3. die Rückversetzung in die nächstniedrige Gehaltsstufe für die Dauer eines Jahres; nach Ablauf dieses Jahres wird der Angestellte zur Fortsetzung seines unterbrochenen schematischen Avancements dort eingeteilt, wo er vor Verhängung der Disziplinarstrafe eingereiht war;
4. die strafweise Kündigung;
5. die strafweise Entlassung mit Abfertigung;
6. die strafweise Entlassung ohne Abfertigung.
(3) Auf strafweise Entlassung mit oder ohne Abfertigung darf nur erkannt werden, wenn einer den Entlassungsgrunde des § 27 Z 1 bis 6 Angestelltengesetz mit Ausnahme der Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unglücksfall vorliegt.
(4) Die Verhängung der in Abs. 2 unter Z 1 bis 6 angeführten Disziplinarstrafen ist an keine Reihenfolge gebunden."
Abschn. IX ("Auflösung des Arbeitsverhältnisses"; §§ 33 bis 36 a) KVI ist ausdrücklich auf die Kündigung abgestellt, ohne die Entlassung zu erwähnen.
Gemäß § 4 Abs. 1 KVI dauert das Provisorium (der Anstellung) fünf Jahre. Das Unterbleiben einer Kündigung während des Provisoriums bedeutet, wenn sich der Angestellte im Zeitpunkt des Ablaufes des Provisoriums nicht länger als sechs Wochen ununterbrochen im Krankenstand befindet, automatisch die Erlangung des Definitivums.
Nach § 33 Abs. 3 KVI kann die Anstalt das Dienstverhältnis provisorischer Angestellter unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist kundigen; mangels Vereinbarung hat die gesetzliche Regelung zu gelten.
Nach § 33 Abs. 4 KVI kann Angestellten nach Erlangung des Definitivums wegen zweimaliger nicht zufriedenstellender Dienstbeschreibung, sonst aber nur auf Grund eines Disziplinarerkenntnisses oder in einigen anderen, (hier nicht relevanten) Fällen gekundigt werden.
Mit Schreiben vom 28. 8. 1982 wurde der Kläger unter Hinweis auf § 23 (2) Punkt 6 des KVI - jedoch ohne Einleitung eines Disziplinarverfahrens - wegen völligen Verlustes der Vertrauenswürdigkeit entlassen.
Mit der Behauptung, daß sich die beklagte Partei damit über § 23 KVI hinweggesetzt habe, wonach der Kläger als definitiver Angestellter nur auf Grund eines Erkenntnisses der Disziplinarkommission hätte entlassen werden dürfen, verlangt der Kläger die Feststellung, daß die von der Beklagten ihm gegenüber mit Schreiben vom 20. 8. 1982 ausgesprochene Entlassung rechtsunwirksam sei und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über diesen Zeitpunkt hinaus aufrecht fortbestehe.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Da der KVI nach seinem § 1 Abs. 2 lit. b für Prokuristen mit einem Sondervertrag nicht gelte, der Kläger aber diesem Personenkreis angehört habe, sei der KVI auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht als generelle Norm, sondern lediglich auf Grund vertraglicher, gesonderter Vereinbarung (§ 10 des Dienstvertrages vom 5. 8. 1966) anzuwenden gewesen. Die Kündigung, die Entlassung und die dauernde Versetzung eines Arbeitnehmers (§ 101 ArbVG) seien auch dann keine Disziplinarmaßnahmen iS des § 102 ArbVG, wenn sie im Einzelfall als disziplinäre Maßnahmen vorgesehen sind; sie könnten auch nicht Disziplinarmaßnahmen einer gemäß § 96 Abs. 1 Z 1 ArbVG oder durch Kollektivvertrag zustande gekommenen Disziplinarordnung sein. Sei trotzdem in einem Kollektivvertrag die Disziplinarstrafe der Kündigung oder der Entlassung vorgesehen, dann habe dies keine betriebsverfassungsrechtliche, sondern nur arbeitsvertragsrechtliche Wirkung, sofern man nicht überhaupt den Kollektivvertragsparteien eine Regelungskompetenz in diesem Bereich absprechen und solche Regelungen in Kollektivverträgen auch arbeitsvertragsrechtlich als unwirksam ansehen wolle. Selbst bei gegenteiliger Ansicht könnte aber dem Arbeitgeber auch durch einen Kollektivvertrag niemals das Recht genommen werden, zumindest auf schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers mit einer Entlassung zu reagieren, gleichgültig ob die Disziplinarkommission dieser Maßnahme zustimmt oder nicht; die Rechtfertigung der Entlassung könnte dann freilich im nachhinein vom Arbeitsgericht überprüft bzw. der Ausspruch der Entlassung gemäß § 106 ArbVG bekämpft werden. Im vorliegenden Fall sei im KVI neben der "schlichten" Entlassung auch eine "strafweise" Entlassung vorgesehen, welche nur auf Grund eines formalisierten Verfahrens unter Mitwirkung der Repräsentanten der Belegschaft ausgesprochen werden dürfe und nicht nur den Betroffenen, sondern auch die übrigen Arbeitnehmer von der Begehung ähnlicher Verfehlungen abhalten solle. Der Arbeitgeber könne zwischen der "schlichten" und der "strafweisen" Entlassung wählen. Die von der beklagten Partei hier ausgesprochene "schlichte" Entlassung des Klägers sei mangels Anfechtung durch den Betriebsrat oder den Kläger selbst rechtswirksam geworden. Davon abgesehen sei die Wirksamkeit einer Entlassung weder ein Recht noch ein Rechtsverhältnis und damit kein tauglicher Gegenstand einer Feststellungsklage. Da der Kläger ohne weiteres mit Leistungsklage vorgehen könnte, fehle ihm auch das nach § 228 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Die Entlassung sei im übrigen gerechtfertigt gewesen, weil sich der Kläger des Vertrauens der Beklagten unwürdig gemacht habe (§ 27 Z 1 AngG).
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Da der Kläger wegen Vertrauensunwürdigkeit entlassen worden sei und dieser Entlassungstatbestand zu den "reinen Unzumutbarkeitsgrunden" gehöre, liege keine Strafmaßnahme gegen den Arbeitnehmer, sondern eine - nicht in die Zuständigkeit der Disziplinarkommission fallende - Maßnahme zum Schutz des Unternehmens vor. Das Feststellungsbegehren des Klägers sei daher nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht stellte fest, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ungeachtet der von der Beklagten mit Schreiben vom 20. 8. 1982 ausgesprochenen Entlassung des Klägers aufrecht fortbestehe. Es führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG von neuem durch. Da die Voraussetzungen einer Entlassung im Anstellungsvertrag nicht geregelt seien, komme nach § 10 lit. b dieses Vertrages insoweit der KVI zur Anwendung. Richtig sei, daß die Entlassung - ebensowenig wie die Kündigung - dem Begriff der Disziplinarmaßnahme iS des § 102 ArbVG unterstellt werden könne. Das bedeute aber nur, daß bei Kündigungen oder Entlassungen, die in einem dem Arbeitsverfassungsgesetz unterliegenden Betrieb aus disziplinären Gründen ausgesprochen werden, nicht geprüft zu werden brauche, ob ein Kollektivvertrag oder eine Betriebsvereinbarung eine derartige Maßnahme überhaupt vorsieht bzw. ob ihr der Betriebsrat oder eine mit seiner Zustimmung eingerichtete Stelle zugestimmt hat. Der von der beklagten Partei gezogene Umkehrschluß, daß Kündigungen oder Entlassungen nicht Disziplinarmaßnahmen einer durch Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung zustande gekommenen Disziplinarordnung sein könnten, sei aber unzulässig, wären doch solche Bestimmungen selbst dann, wenn sie keine betriebsverfassungsrechtliche Wirkung hätten, zumindest arbeitsvertraglich wirksam; von einer Überschreitung der Regelungskompetenz der Kollektivvertragsparteien könne hier keine Rede sein. Auch im vorliegenden Fall sei also davon auszugehen, daß die Kollektivvertragsparteien das Kündigungs- bzw. Entlassungsrecht des Arbeitgebers zulässigerweise gewissen Beschränkungen unterworfen hätten. Während sich für die provisorischen Angestellten nichts geändert habe, sei für definitiv gestellte Angestellte ein Kündigungsschutz begrundet worden, nach welchem der Arbeitgeber eine Kündigung nur noch aus bestimmten wichtigen Gründen - ua. auch auf Grund eines Disziplinarerkenntnisses - aussprechen könne. Bei einem solchen Disziplinarerkenntnis handle es sich offenbar um die in § 23 Abs. 2 Z 4 KVI vorgesehene strafweise Kündigung. Während also der Kollektivvertrag zwischen "schlichter" und "strafweiser" Kündigung klar unterscheide, sei ihm eine gleichartige Unterscheidung beim Begriff der Entlassung nicht zu entnehmen. Daß der Kollektivvertrag nur die "strafweise Entlassung" erwähne, lasse zwar grundsätzlich den Schluß zu, daß es daneben auch noch eine "schlichte" Entlassung gebe; gegen eine solche Annahme sprächen aber zwei triftige Gründe:
Da gemäß § 23 Abs. 3 KVI auf strafweise Entlassung mit oder ohne Abfertigung nur erkannt werden dürfe, wenn einer der Entlassungsgrunde des § 27 Z 1 bis 6 AngG mit Ausnahme der Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unglücksfall vorliegt, müßte sich eine daneben gleichfalls mögliche "schlichte" Entlassung auf die im Gesetz genannten wichtigen Gründe beschränken, die sonst zur vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigten; eine solche Unterscheidung wäre aber sachlich durch nichts gerechtfertigt. Wollte man aber der Rechtsansicht der beklagten Partei folgen, wonach der Arbeitgeber zwischen der "schlichten" und der "strafweisen" Entlassung wählen könnte, dann wäre in der Praxis für die strafweise Entlassung faktisch kein Raum mehr, weil der Arbeitgeber in den Fällen des § 27 Z 1 bis 6 AngG es vorziehen würde, sich nicht der unsicheren Entscheidung der Disziplinarkommission auszuliefern und lieber eine "schlichte" Entlassung auszusprechen, während ihm in den wenigen noch verbleibenden Fällen wichtiger Gründe ohnehin nur die Form der "schlichten" Entlassung zur Verfügung stunde. Gegen diese Rechtsauffassung spreche aber auch die Möglichkeit einer "strafweisen Entlassung mit Abfertigung"; da die strafweise Entlassung nach Ansicht der beklagten Partei immer mit einem besonderen Tadeleffekt und einer gewissen Breitenwirkung mit Abschreckungsfunktion verbunden sei, wäre es unverständlich, in einem solchen Fall die Möglichkeit zu eröffnen, den gewünschten Abschreckungseffekt durch die Zuerkennung einer Abfertigung an den entlassenen Arbeitnehmer zu mildern. § 33 KVI könne daher sinnvoll nur dahin ausgelegt werden, daß nach dem Willen der Kollektivvertragsparteien jede Entlassung eines den Bestimmungen dieses Kollektivvertrages unterliegenden Angestellten eine Disziplinarstrafe sei und deshalb der Zustimmung der Disziplinarkommission bedürfe. Ein Wahlrecht des Arbeitgebers zwischen "schlichter" und "strafweiser" Entlassung sei abzulehnen; selbst bei Annahme einer solchen Wahlmöglichkeit wäre aber für die Beklagte nichts gewonnen, weil sie sich in ihrem Entlassungsschreiben ausdrücklich auf § 23 Abs. 2 Z 6 KVI und damit auf den Tatbestand der strafweisen Entlassung gestützt habe. Die beklagte Partei habe also gegen den Kläger eine Disziplinarstrafe ausgesprochen, die nach dem Kollektivvertrag nur auf Grund eines Erkenntnisses der Disziplinarkommission hätte verhängt werden dürfen. Da ein solches Erkenntnis unstreitig nicht ergangen sei, bestehe das Arbeitsverhältnis des Klägers über den Zeitpunkt der Entlassung hinaus aufrecht fort. Dem Urteilsantrag des Klägers sei infolgedessen - in der aus dem Spruch ersichtlichen, auf die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses eingeschränkten Fassung - Folge zu geben.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht ist im Einklang mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung davon ausgegangen, daß der betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmung des § 102 ArbVG ein besonderer, vom allgemeinen Arbeitsrecht abweichender Begriff der Disziplinarmaßnahme zugrunde liegt, welcher Kündigungen und Entlassungen von Arbeitnehmern auch dann nicht umfaßt, wenn sie im Einzelfall in einer Disziplinarordnung als Disziplinarstrafe vorgesehen sind (SZ 50/129; SZ 53/121 = Arb. 9894; Strasser in Floretta - Strasser, ArbVG 594; § 101 Anm. 6, 596 ff., § 102 Anm. 2.3; Tomandl, Einschränkungen des Entlassungsrechtes durch kollektivvertragliche Disziplinarverordnungen - dargestellt am Beispiel des Kollektivvertrages der Versicherungsangestellten (Innendienst), RdW 1983, 108 ff. (109); aM Spielbüchler in Floretta - Spielbüchler - Strasser, Arbeitsrecht[2] I 121). Sind danach aber Kündigungen und Entlassungen keine Disziplinarmaßnahmen iS des § 102 ArbVG, dann können sie auch nicht Disziplinarstrafen einer gemäß § 96 Abs. 1 Z 1 ArbVG oder durch Kollektivvertrag zustande gekommenen Disziplinarordnung sein; werden sie trotzdem in eine kollektivvertraglich vereinbarte Disziplinarordnung aufgenommen, dann können sie nur als Regelung der gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer iS des § 2 Abs. 2 Z 2 ArbVG wirksam sein (ebenso Tomandl aaO 109 f.).
Diese Rechtsauffassung liegt auch der - gleichfalls zum Kollektivvertrag für Angestellte der Versicherungsunternehmungen-Innendienst ergangenen - Entscheidung des OGH vom 29. 1. 1974, 4 Ob 104/73, Arb. 9175 = EvBl. 1974/194 = SozM I C 865 = ZAS 1974, 181, zugrunde. Nach ihr ist in der Aufnahme der Kündigung als Disziplinarstrafe in den Strafkatalog einer Disziplinarordnung zur Ahndung von Dienstvergehen und in der Bindung des Arbeitgebers hinsichtlich dieser Art der Vertragsauflösung an das Erkenntnis einer Disziplinarkommission eine Beschränkung des dem Arbeitgeber nach den Normen des materiellen Rechts zustehenden, grundsätzlich (von den hier nicht in Betracht kommenden Fällen des Kündigungsschutzes abgesehen) frei zulässigen und nicht an das Vorliegen von Gründen gebundenen Kündigungsrechtes zu sehen; eine solche den Arbeitnehmer begünstigende, auf dispositives materielles Recht einwirkende Regelung verstößt nicht gegen verfassungsrechtliche Normen.
Zu prüfen bleibt aber, ob das gleiche auch für die in einem Kollektivvertrag vorgesehene Disziplinarstrafe der Entlassung gilt; auch eine solche Kollektivvertragsbestimmung müßte dann insofern als rechtswirksam angesehen werden, als der Arbeitgeber die Entlassung eines Arbeitnehmers nur nach vorheriger Zustimmung eines Dritten - nämlich der Disziplinarkommission - aussprechen dürfte. Gegen die Zulässigkeit einer derartigen Beschränkung der Handlungsfreiheit des Arbeitgebers hat die beklagte Partei in einem - den später in RdW 1983, 108 ff. veröffentlichten Aufsatz von Tomandl nahezu wörtlich vorwegnehmenden - Schriftsatz grundsätzliche, aus der Natur des Entlassungsrechtes abgeleitete Bedenken erhoben. Sie hält einen generellen, auch verschuldete Entlassungstatbestände umfassenden Vorausverzicht des Arbeitgebers auf sein Entlassungsrecht deshalb für sittenwidrig, weil dem Arbeitgeber weder im Arbeitsvertrag noch durch Kollektivvertrag das Recht genommen werden dürfe, zumindest auf schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers mit der sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu reagieren. Eine Kollektivvertragsbestimmung, die es dem Arbeitgeber schlechthin verbietet, einen Arbeitnehmer auch ohne auf diese Sanktion lautenden Spruch einer Disziplinarkommission zu entlassen, müßte deshalb als rechtsunwirksam angesehen werden; lasse hingegen der Kollektivvertrag - was im Zweifel anzunehmen sei - dem Arbeitgeber die Wahl zwischen einer "schlichten" und einer "strafweisen" Entlassung des Arbeitnehmers, dann bestunden dagegen keine rechtlichen Bedenken.
Dieser Auffassung kann zunächst schon darin nicht gefolgt werden, daß der Arbeitgeber auch dann, wenn die Disziplinarordnung eines Kollektivvertrages die Entlassung als Disziplinarstrafe vorsieht, im Zweifel daneben auch noch eine "schlichte", nicht an die vorherige Durchführung eines Disziplinarverfahrens gebundene Entlassung aussprechen dürfte (so aber Tomandl aaO 112; Spielbüchler, Grundlagen eines betrieblichen Disziplinarstrafrechtes, RdA 1970, 7 ff. (20 J)). Sieht man nämlich iS der obigen Ausführungen in einer solchen Kollektivvertragsbestimmung eine Beschränkung der dem Arbeitgeber kraft Gesetzes zustehenden Befugnis, das Arbeitsverhältnis bei Vorliegen wichtiger Gründe vorzeitig mit sofortiger Wirkung aufzulösen, dann bedürfte die Annahme, daß der Arbeitgeber ungeachtet einer solchen kollektivvertraglichen Regelung dennoch berechtigt bliebe, Entlassungen von Arbeitnehmern auch weiterhin "schlicht" - also ohne Befassung der Disziplinarkommission und ohne deren auf Entlassung lautendes Erkenntnis - auszusprechen, einer besonderen, zumindest aus dem Zusammenhang des Kollektivvertrages abzuleitenden Rechtfertigung; kann dagegen dem Kollektivvertrag ein solches Wahlrecht des Arbeitgebers nicht entnommen werden, dann muß im Zweifel eine generelle, "schlichte" Entlassungen schlechthin ausschließende Beschränkung seines Entlassungsrechtes angenommen werden.
Dem vorliegenden Kollektivvertrag kann entgegen der - gleichfalls von Tomandl (aaO 111 ff.) übernommenen - Rechtsansicht der beklagten Partei ein derartiges Wahlrecht des Arbeitgebers zwischen "schlichter" und "strafweiser" Entlassung nicht entnommen werden. Mit dem Hinweis darauf, daß der KVI neben der in § 23 Abs. 2 Z 4 als Disziplinarstrafe angeführten "strafweisen Kündigung" in seinem IX., mit "Auflösung des Dienstverhältnisses" überschriebenen Abschnitt (§§ 33 bis 36 a) auch noch eine andere, nicht an die vorherige Durchführung eines Disziplinarverfahrens gebundene Kündigungsmöglichkeit kennt, ist für die Beklagte schon deshalb nichts zu gewinnen, weil diese beiden Formen der Kündigung hier nicht etwa wahlweise, sondern für jeweils verschiedene Kündigungstatbestände vorgesehen sind: Gemäß § 33 Abs. 4 KVI kann ein Angestellter nach Erlangung des Definitivums nur in ganz bestimmten, in dieser Gesetzesstelle taxativ angeführten Fällen "schlicht", also unter Einhaltung lediglich der in § 33 Abs. 5 KVI vorgesehenen Fristen und Termine, gekundigt werden, sonst aber nur auf Grund eines Disziplinarerkenntnisses. Daß sich der Arbeitgeber dort, wo ihm der Kollektivvertrag demnach eine "schlichte" Kündigung erlaubt - also bei provisorischen Angestellten (§ 33 Abs. 3) sowie in den Fällen der §§ 20, 33 Abs. 7 bis 10, §§ 34 und 35 -, statt dessen freiwillig auch für eine "strafweise", erst nach Durchführung eines Disziplinarverfahrens auszusprechende Kündigung entscheiden könnte, ist der beklagten Partei durchaus zuzugeben; daß es ihm aber umgekehrt in den sonstigen, in § 33 Abs. 4 KVI nicht genannten Fällen verwehrt ist, an Stelle der "strafweisen", vom Erkenntnis der Disziplinarkommission abhängigen Kündigung eines definitiven Angestellten auch eine "schlichte" Kündigung auszusprechen, kann angesichts des klaren Wortlautes des § 33 Abs. 4 KVI ("sonst nur auf Grund eines Disziplinarerkenntnisses") nicht ernstlich bezweifelt werden.
Richtig ist, daß sich der IX., mit "Auflösung des Dienstverhältnisses" überschriebene Abschnitt des KVI mit dem Endigungsgrund der Entlassung überhaupt nicht befaßt, während der im VI. Abschnitt ("Ordnungs- und Disziplinarstrafen") enthaltene Katalog der Disziplinarstrafen zwei Formen der "strafweisen Entlassung" kennt, nämlich die "strafweise Entlassung mit Abfertigung" (23 Abs. 2 Z 5) und die "strafweise Entlassung ohne Abfertigung" (§ 23 Abs. 2 Z 6). Inwiefern jedoch daraus zu schließen wäre, daß der Kollektivvertrag auch in diesem Punkt dem Arbeitgeber die Wahl zwischen einer "strafweisen" und einer "schlichten" Entlassung eingeräumt hätte, ist nicht zu sehen. Daß der Arbeitgeber einen provisorischen Angestellten zwar frei kundigen, aber nur strafweise (unter Einschaltung der Disziplinarkommission) entlassen kann, ist entgegen der Meinung der beklagten Partei durchaus kein Widerspruch, sondern eine sinnvolle, angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen dieser beiden Endigungsarten jedenfalls zu rechtfertigende Differenzierung. Soweit die beklagte Partei ein Wahlrecht des Arbeitgebers zwischen "schlichter" und "strafweiser" Entlassung deshalb befürwortet, weil der Arbeitgeber ja auch die Wahl zwischen schlichter Kündigung und strafweiser Kündigung habe, übersieht sie, daß nach dem oben Gesagten der Arbeitgeber zwar in bestimmten Fällen - nämlich bei provisorischen Angestellten und bei den in § 33 Abs. 4 KVI ausdrücklich angeführten Tatbeständen - statt der "schlichten" auch eine "strafweise" Kündigung aussprechen kann, niemals aber umgekehrt anstelle der für die sonstigen Fälle zwingend vorgeschriebenen "strafweisen" Kündigung mit einer "schlichten" Kündigung vorgehen darf. Gerade eine solche Wahlmöglichkeit wird aber von der Beklagten hier beim Endigungsgrund der Entlassung für sich in Anspruch genommen.
Daß § 23 Abs. 3 KVI eine strafweise Entlassung auch bei Vorliegen des Entlassungstatbestandes des § 27 Z 2 AngG (Unfähigkeit des Angestellten, die versprochenen oder den Umständen nach angemessenen Dienste zu leisten) zuläßt, ohne dabei zwischen verschuldeter und unverschuldeter Dienstunfähigkeit zu unterscheiden, ist angesichts der Tatsache, daß nach derselben Bestimmung des KVI eine durch Krankheit oder Unglücksfall bedingte Dienstverhinderung (§ 27 Z 5 AngG) nicht zur strafweisen Entlassung führen soll, ein gewisser Widerspruch; inwiefern aber auch dieser Umstand nur den von der beklagten Partei (und von Tomandl aaO 111 f.) gewünschten Schluß zuließe, daß der Kollektivvertrag nichts anderes wollte, als den Arbeitgeber für den Fall, daß dieser an Stelle einer schlichten eine strafweise Entlassung aussprechen möchte, zu verpflichten, die Disziplinarkommission einzuschalten, ist schlechthin unverständlich. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang mit Recht darauf verwiesen, daß bei Annahme eines Wahlrechtes des Arbeitgebers zwischen "strafweiser" und "schlichter" Entlassung für die erstgenannte Endigungsart faktisch kein Raum mehr bliebe, weil es der Arbeitgeber wohl in den meisten Fällen vorziehen würde, sich nicht der Entscheidung der Disziplinarkommission auszuliefern und lieber die "schlichte", das Arbeitsverhältnis in jedem Fall mit sofortiger Wirkung beendende Entlassung auszusprechen. Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, daß die "strafweise", als Disziplinarmaßnahme ausgesprochene Entlassung (mit oder ohne Abfertigung) immer auch die öffentliche Feststellung eines Fehlverhaltens, einen damit verbundenen öffentlichen Tadel und deshalb auch eine generalpräventive, die übrigen Arbeitnehmer von gleichartigen Verfehlungen abschreckende Wirkung habe. Da erfahrungsgemäß auch die "schlichte", ohne Disziplinarverfahren ausgesprochene Entlassung eines Arbeitnehmers den übrigen Betriebsangehörigen zumindest im Regelfall ebenso bekannt wird wie die Gründe, die zu dieser Maßnahme geführt haben, ist der erwähnte Abschreckungseffekt regelmäßig auch mit dieser Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbunden, und zwar in kaum geringerem Maß als mit einer "strafweisen" Entlassung.
Soweit jedoch die beklagte Partei (wieder übereinstimmend mit Tomandl aaO 112) die Auffassung vertritt, daß jede Auslegung, nach welcher der Kollektivvertrag nur die strafweise Entlassung erlaube, zufolge der Unzulässigkeit einer solchen Beschränkung des Entlassungsrechtes zur Unwirksamkeit dieser Regelung führen mußte, kann ihr gleichfalls nicht gefolgt werden. Der beklagten Partei ist zwar einzuräumen, daß ein genereller, auch verschuldete Tatbestände umfassender Ausschluß der Entlassungsbefugnis des Arbeitgebers durch Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit nichtig, der Kernbereich der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses also zweiseitig zwingender Natur ist (so auch Floretta in Floretta - Spielbüchler - Strasser, Arbeitsrecht[2] I 225; Kuderna, Entlassungsrecht 33; Martinek-Schwarz, Abfertigung-Auflösung des Arbeitsverhältnisses 127; insofern auch richtig Tomandl aaO 110 bei und in FN 18). Ein derartiger Ausschluß des Entlassungsrechtes des Arbeitgebers liegt aber hier gar nicht vor. Der Kollektivvertrag nimmt dem Arbeitgeber keineswegs die Befugnis, das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen iS des § 27 AngG vorzeitig und mit sofortiger Wirkung aufzulösen; er verpflichtet ihn lediglich, in solchen Fällen nicht gleich in aller Strenge mit der Entlassungserklärung vorzugehen, sondern damit zunächst die - paritätisch besetzte (§ 26 Abs. 2 in Verbindung mit § 20 Abs. 1 KVI) - Disziplinarkommission zu befassen. Erst auf Grund eines schuldigsprechenden Erkenntnisses und eines auf Entlassung lautenden Strafantrages dieser Kommission (§ 28 Abs. 5 KVI) kann der Arbeitgeber dann die "strafweise" Entlassung iS des § 23 Abs. 2 Z 5 oder 6 KVI aussprechen. Eine solche Beschränkung des Entlassungsrechtes ist aber entgegen der Meinung von Tomandl (aaO) als durchaus zulässig anzusehen (vgl. dazu auch Martinek-Schwarz aaO 127 f.).
Zusammenfassend ist daher der Ansicht des Berufungsgerichtes zu folgen, wonach die Beklagte auf Grund der Bestimmungen des KVI den Kläger nur auf Grund eines Erkenntnisses der Disziplinarkommission hätte entlassen dürfen. Da ein derartiges Erkenntnis unstreitig nicht ergangen ist, der Kläger vielmehr mit dem Schreiben vom 20. 8. 1982 "schlicht" entlassen wurde, erweist sich sein Urteilsantrag auf Feststellung des aufrechten Fortbestehens seines Arbeitsverhältnisses als berechtigt.
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