OGH 9ObA346/93

OGH9ObA346/9323.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinrich Matzke und Mag Heinrich Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Gerhard S*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Helga Hofbauer, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch das D*****, dieses vertreten durch Dr.Gerda Kostelka-Reimer, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 300.000 S sA nach RAT; 15.000 S nach GGG), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.Juli 1993, GZ 31 Ra 51/93-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.Dezember 1992, GZ 14 Cga 547/92-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß die schriftlich Ende Juni 1992 ausgesprochene Arbeitsvertragsänderung der beklagten Partei gegenüber der klagenden Partei rechtsunwirksam ist und somit die das Disziplinarrecht betreffenden Regelungen der Dienstbestimmungen sowie die Geschäftsordnung der Disziplinarkommission aufrecht bestehen bleiben, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 17.172 S (darin 2.862 S Umsatzsteuer) und 10.207,80 S (darin 1.701,30 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 12.247,20 S (darin 2.041,20 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Generalrat der beklagten Partei hat am 1.Jänner 1971 die die privatrechtlichen Dienstverhältnisse der Dienstnehmer der beklagten Partei detailliert regelnden Dienstbestimmungen sowie eine Geschäftsordnung der bei der beklagten Partei eingerichteten Disziplinarkommission erlassen.

Die Dienstbestimmungen enthalten unter anderem folgende Regelungen:

"6. Abschnitt Sonderbestimmungen für pensionsversicherungsfreie Dienstverhältnisse

§ 29

Begründung eines pensionsversicherungsfreien Dienstverhältnisses

(1) Das Direktorium kann einen Dienstnehmer mit dessen Einverständnis in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis überleiten.

(2) Das pensionsversicherungsfreie Dienstverhältnis kann kündbar oder unkündbar sein.

(3) Die Überleitung in ein pensionsversicherungsfreies kündbares Dienstverhältnis erfolgt in der Regel nach Vollendung des zweiten effektiven Dienstjahres, wenn dies durch die Leistungen und die Einsetzbarkeit des Dienstnehmers gerechtfertigt erscheint.....

(4) Die Umwandlung eines pensionsversicherungsfreien kündbaren Dienstverhältnisses in ein unkündbares Dienstverhältnis erfolgt in der Regel nach zehnjähriger effektiver Dienstzeit, wenn dies durch die Leistungen und die Einsetzbarkeit des Dienstnehmers gerechtfertigt erscheint.....

(5) Überleitungen im Sinne des Abs 3 und Umwandlungen im Sinne des Abs 4 werden den betreffenden Dienstnehmern in schriftlicher Form zur Kenntnis gebracht.

......

§ 34

Kündigung durch die Bank

(1) Die Bank kann ein pensionsversicherungsfreies kündbares Dienstverhältnis jederzeit aufkündigen.

(2) Ein pensionsversicherungsfreies unkündbares Dienstverhältnis kann nur dann aufgekündigt werden,

a) wenn der Dienstnehmer infolge Erkrankung durch einen längeren Zeitraum an der Dienstleistung verhindert war als gemäß § 32 Abs 1 bzw § 98 oder § 107 ein Anspruch auf Bezugsfortzahlung zustand und ihm keine Anwartschaft auf Pension im Sinne des § 52 Abs 1 oder 2 zusteht oder

b) wenn innerhalb eines Jahres die Vorstände dreier Büros (Bankanstalten) bzw die Leiter dreier Produktionsabteilungen der Druckerei für Wertpapiere, denen der Dienstnehmer zugeteilt war, diesen als nicht verwendbar bezeichnet haben. Ist ausnahmsweise eine solche Verwendung in drei Bereichen nicht möglich, ist dieser Kündigungsgrund gegeben, wenn der Dienstnehmer innerhalb eines Jahres vom unmittelbaren Vorgesetzten wegen unzureichender Arbeitsleistung dreimal vergeblich schriftlich, beim dritten Mal unter Beiziehung des Betriebsrates, ermahnt wurde.

(3) Abgesehen von den Voraussetzungen der Abs 1 und 2 kann ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis von der Bank durch Kündigung nur aufgelöst werden, wenn dieser durch ein rechtskräftiges Disziplinarerkenntnis die Kündigung vorgeschlagen wird. ....."

Mit Schreiben vom 26.September 1984 teilte die beklagte Partei dem Kläger unter anderem mit, daß auf sein Dienstverhältnis die Bestimmungen der §§ 1 bis 28, 44 bis 59, 69 bis 89 und 91 der Dienstbestimmungen Anwendung finden. Am 1.Oktober 1985 wurde das Dienstverhältnis des Klägers in ein pensionsversicherungsfreies kündbares Dienstverhältnis übergeleitet. Spätestens mit Diensteantritt wurde dem Kläger eine Broschüre "Dienstbestimmungen der Österreichischen Nationalbank" ausgefolgt. Anläßlich der Überleitung in ein pensionsversicherungsfreies kündbares (Beilage C) Dienstverhältnis am 1.Oktober 1985 erfolgte die in § 30 Dienstbestimmungen aus Anlaß der Überleitung in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis vorgesehene Angelobung des Klägers, in der unter anderem auch auf die Dienstbestimmungen Bezug genommen wurde. Der Kläger erhielt bei Änderungen der Dienstbestimmungen entweder Austauschblätter oder eine auf den neuesten Stand gebrachte Ausgabe. Im Juni 1992 erhielt der Kläger eine komplette neue Ausgabe der Dienstbestimmungen, in der sich auf dem zweiten Blatt (erstmals) der Satz findet: "Die das Disziplinarrecht betreffenden Regelungen der Dienstbestimmungen sowie die Geschäftsordnung der Disziplinarkommission haben zur Zeit keine Gültigkeit."

Der Kläger begehrte die Feststellung, daß die schriftlich Ende Juni 1992 ausgesprochene Arbeitsvertragsänderung der beklagten Partei gegenüber dem Kläger rechtsunwirksam sei und somit die das Disziplinarrecht betreffenden Regelungen der Dienstbestimmungen sowie die Geschäftsordnung der Disziplinarkommission aufrecht bestehen bleiben. Der Generalrat der beklagten Partei habe im Einvernehmen mit den Betriebsräten gemäß § 38 Abs 2 Nationalbankgesetz die Dienstbestimmungen erlassen. Die entsprechenden Teile der Dienstbestimmungen würden Inhalt des einzelnen Arbeitsvertrages. Mit dem Zusatz über die Ungültigkeit des in den Dienstbestimmungen enthaltenen Disziplinarrechtes strebe die beklagte Partei eine einseitige Abänderung des Arbeitsvertrages an. Wenn die Kündigung als Disziplinarmaßnahme in den Strafkatalog einer Disziplinarordnung aufgenommen worden sei, sei die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur aufgrund eines Erkenntnisses einer Disziplinarkommission möglich; andernfalls könne das Arbeitsverhältnis jederzeit durch Kündigung aufgelöst werden. Der Kläger habe daher Interesse an der Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der ihm zum Nachteil gereichenden Vertragsänderung.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen einer Betriebsvereinbarung bzw Arbeitsordnung (zB Schriftlichkeit, Anschlag im Betrieb, formelle Zustimmung des Betriebsrates) seien die Dienstbestimmungen nicht als wirksame Betriebsvereinbarung anzusehen. Es handle sich um eine Vertragsschablone, die nur soweit zum Inhalt des einzelnen Dienstvertrages geworden sei, als es sich nicht um unwirksame Bestimmungen handle, die nicht Bestandteil eines privatrechtlichen Vertrages werden könnten. Die disziplinarrechtlichen Regelungen der Dienstbestimmungen und die Geschäftsordnung der Disziplinarkommission hätten nie Gültigkeit erlangt. Die Mitteilung des Direktoriums der beklagten Partei vom Juni 1992 sei lediglich als erneute schriftliche Klarstellung zu werten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Auf das Dienstverhältnis des Klägers seien seit 1.Oktober 1985 die Regelungen des 6. Abschnittes (Sonderbestimmungen für pensionsversicherungsfreie Dienstverhältnisse) der Dienstbestimmungen anzuwenden. Die Dienstbestimmungen seien durch einzelvertragliche Vereinbarung Bestandteil des Dienstverhältnisses zwischen den Streitteilen geworden. Sämtliche darin enthaltenen Vereinbarungen, die die Dienstnehmer gegenüber den allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen begünstigten, seien - unabhängig davon, ob die Betriebsvereinbarung mangels Einhaltung der Formvorschriften unwirksam sei - rechtswirksam und für den Dienstgeber bindend.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Bei den Dienstbestimmungen handle es sich mangels Erfüllung der im ArbVG bzw im Kollektivvertragsgesetz 1947 normierten formalen und inhaltlichen Voraussetzungen weder um einen Kollektivvertrag noch um eine Betriebsvereinbarung, sondern um eine Vertragsschablone. Da bei Überleitung in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis die im 6.Abschnitt enthaltenen, das Disziplinarrecht betreffenden Bestimmungen nicht ausgenommen worden seien, seien sie Bestandteil des Einzeldienstvertrages des Klägers geworden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zu Recht wendet sich die Revisionswerberin aber gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes.

Gemäß § 228 ZPO ist eine Feststellungsklage nur zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen gerichtlichen Feststellung des bestrittenen Rechtsverhältnisses hat. Das Feststellungsinteresse als besondere Prozeßvoraussetzung ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen und zu beachten (Fasching ZPR2 Rz 1102). Hiebei ist die ausdrückliche Anführung von das Feststellungsinteresse begründenden Tatsachen nicht erforderlich, es genügt vielmehr, daß sich das Feststellungsinteresse aus dem Klagevorbringen im Zusammenhalt mit den Einwendungen der beklagten Partei ergibt (SZ 57/203 mwH).

Der Kläger hat vorgebracht, daß bei Ungültigkeit der Disziplinarordnung die beklagte Partei das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen jederzeit durch Kündigung auflösen könne und damit sein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung begründet. Mit dem weiteren Vorbringen, er könne gemäß § 38 Abs 1 der Dienstbestimmungen gegen sich ein Disziplinarverfahren beantragen, in dessen Verlauf er seine Unschuld beweisen könne, nahm der Kläger nicht auf andere Disziplinarmaßnahmen Bezug. Es ist daher lediglich zu prüfen, ob der Kläger im Zusammenhang mit einer Aufkündigung seines Dienstverhältnisses durch die beklagte Partei ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des von ihm bezeichneten Rechtsverhältnisses hat.

Nach dem Inhalt der Dienstbestimmungen ist das vom Kläger behauptete rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung zu verneinen. § 34 Abs 1 Dienstbestimmungen, in dem die freie Kündbarkeit eines pensionsversicherungsfreien kündbaren Dienstverhältnisses ausdrücklich festgelegt wird, wird im § 34 Abs 3 Dienstbestimmungen eigens als Ausnahme von dem dort normierten Erfordernis eines der Kündigung vorangehenden Disziplinarverfahrens aufrecht erhalten ("abgesehen von den Voraussetzungen der Abs 1 und 2..."); darüber hinaus verblieben dann, wenn auch ein pensionsversicherungsfreies kündbares Dienstverhältnis - abgesehen von den auch unkündbare Dienstverhältnisse umfassenden Fällen des § 34 Abs 2 der Dienstbestimmungen - nur nach Durchführung eines Disziplinarverfahrens kündbar wäre, keinerlei Unterschiede in der Auflösbarkeit, die die Differenzierung zwischen kündbaren und unkündbaren Dienstverhältnissen rechtfertigen würden.

Der Kläger, dessen Dienstverhältnis nach den Dienstbestimmungen ohne Durchführung eines Disziplinarverfahrens kündbar ist, hat daher nicht das von ihm behauptete rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung.

Der Revision war Folge zu geben und das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des erhobenen Feststellungsbegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten sämtlicher Instanzen beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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