OGH 9ObA50/05a

OGH9ObA50/05a22.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Kaszanits und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Manfred D*****, Buslenker, *****, vertreten durch Mag. Helmut Holzer und andere, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Stadtwerke Klagenfurt AG, St. Veiter Straße 31, 9020 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung des Bestandes des aufrechten Dienstverhältnisses (Streitwert: EUR 36.336,42), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. September 2004, GZ 8 Ra 49/04v-49, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Februar 2004, GZ 32 Cga 196/01m-43, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Der Berufung der klagenden Partei im Kostenpunkt wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.926,08 (darin EUR 487,68 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 1.754,82 (darin EUR 292,47 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 1. 7. 1991 bei den Verkehrsbetrieben, einen Teilbetrieb der damaligen Klagenfurter Stadtwerke, als Autobuslenker beschäftigt. Er unterliegt als sogenannter „Vertragsbediensteter" der als Vertragsschablone geltenden VBO der Stadt Klagenfurt (im Folgenden: VBO genannt). Die als Wirtschaftsbetrieb der Stadt Klagenfurt geführten Stadtwerke gingen mit 30. 9. 2000 an die Beklagte „Stadtwerke Klagenfurt AG" über, der Betriebsübergang hinsichtlich der Dienstnehmer ist unstrittig.

Der Kläger wurde mit 1. 1.1998 unkündbar gestellt.

Am 11. 5. 1998 wurde der Kläger verwarnt, weil er es trotz mehrmaliger Aufforderung unterlassen hatte, die Abrechnung ordnungsgemäß durchzuführen und zeitgerecht binnen 24 Stunden abzugeben. Er wurde am 1. 6. 1998 aus diesem Grund für drei Monate als Springer eingeteilt.

Am 28. 7. 1998 unterließ es der Kläger, die Anzeige des Zielorts am Display einzuschalten, sodass zwei Kunden den Bus abfahren ließen. Als sie ihren Irrtum bemerkten beschwerten sie sich bei einem anderen Fahrer. Dieser machte den Kläger später darauf aufmerksam und wurde dafür von diesem beschimpft.

Am 8. 8. 1998 trat der Kläger unter dem Vorwand, sich beim Tennisspielen verletzt zu haben, seinen Dienst nicht an. Er wurde aber von dem von ihm aufgesuchten Arzt nicht krankgeschrieben.

Seinen Kollegen und Vorgesetzten begegnete er öfter unhöflich und ungebührlich. Insbesondere versuchte er am 14. und 31. 12. 1998, beim Dienstleiter Zusatzdienste gegen Bezahlung von Überstunden zu erreichen. Als diese Forderungen abgelehnt wurden, beschimpfte er den Dienstleiter, insbesondere betitelte er am 14. 12. den Diensteinteiler als „Arsch".

Am 18. 12. 1998 ließ der Kläger während einer längeren Stehzeit den von ihm gelenkten Bus an einem falschen Abstellplatz stehen und entfernte sich, ohne den Verkehrsmeister hievon in Kenntnis zu setzen. Aufgrund dieser Vorgangsweise mussten die Lenker nachfolgender Busse anstatt des vorgesehenen andere Parkplätze anfahren. Der Kläger konnte auch nicht ausfindig gemacht werden, weil er sich in einem Kaffeehaus aufhielt.

Nach der bei der Beklagten herrschenden Kleiderordnung sind die Fahrer verpflichtet, im Dienst eine Tellermütze zu tragen. Am 11. 1. 1999 trug der Kläger stattdessen eine Zipfelmütze. Er fuhr an diesem Tag auch so langsam, dass er von nachfolgenden Bussen derselben Linie mehrfach überholt wurde. Dennoch blieb er an einer Haltestelle stehen, las im Bus die Zeitung und teilte über Funk falsche Angaben hinsichtlich seines Standortes mit.

Am 30. 4. 1999 rief der Kläger kurz vor Dienstbeginn in der Fahrdienstleitung an und erklärte, aufgrund eines Zahnarztbesuchs erst später kommen zu können. Tatsächlich befand sich der Zahnarzt auf Urlaub. Der Kläger erschien erst zwei Stunden später zum Dienst.

Am 11. 6. 1999 holte der Kläger einen Bus wesentlich verfrüht aus dem Betriebshof ab und war daher gezwungen, den Bus bis zum Beginn seines Kurses abzustellen. Dies tat er, indem er eine Sperrlinie überfuhr und den Bus entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung parkte. Er leistete der über Funk erteilten Aufforderung, in der Pause die Fahrdienstleitung aufzusuchen, nicht Folge. Er rief erst zu einem späteren Zeitpunkt an und wollte wissen, was los sei. Der Verkehrsmeister erteilte dem Kläger die Weisung, bis auf Weiteres nicht zu fahren und sich am folgenden Montag bei der Direktion zu einer Besprechung zu melden. Diesen Auftrag missachtete der Kläger und nahm den Bus normal in Betrieb.

In der Folge kam es zu einer Untersuchung durch den Betriebsarzt, dessen Kalkül dahin lautete, dass ein weiterer Einsatz des Klägers bei den Verkehrsbetrieben als Busfahrer aufgrund dessen Persönlichkeitsstruktur und des Aggressionspotenzials nicht ratsam sei. Dem Kläger wurde als Alternativarbeitsplatz eine Arbeitsstelle als Lkw-Fahrer im E-Werk der Stadtwerke angeboten und ihm dann auch die „Anordnung" erteilt, sich dort zur Arbeit einzufinden. Dies hätte am 1. 9. 1999 stattfinden sollen. Der Kläger meldete sich jedoch krank und blieb dies auch in der Folge. Er lehnte eine Arbeit als Lkw-Fahrer im E-Werk ab.

In der Folge wurde der Kläger für eine verkehrspsychologische Untersuchung beim Kuratorium für Verkehrssicherheit „eingeplant". Er lehnte jedoch mehrere vom Verkehrspsychologen anberaumte Termine ab und unterzog sich erst am 24. 5. 2000 dieser Untersuchung. Der Verkehrspsychologe regte in seiner Stellungnahme eine psychiatrische Untersuchung an, dann sollte erst eine definitive Entscheidung über den Wiedereinsatz des Klägers im Fahrdienst folgen.

Am 11. 4. 2000 sollte der Kläger nach dem Willen der Stadtwerke wieder seinen Dienst im E-Werk antreten. Er behauptete, aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage zu sein, diese Tätigkeit auszuüben, brachte jedoch keine ärztliche Bestätigung bei. Am selben Tag war er aber als Buslenker bei einem privaten Unternehmen tätig und ließ den Bus dieses Unternehmens über längere Zeit auf einem Standplatz der Beklagten stehen. Infolge dieses letzten Vorfalls wurde ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger eingeleitet. Hievon wurde er am 21. 4. 2000 verständigt, gleichzeitig wurde er vom Dienst suspendiert. Mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission des Magistrats Klagenfurt für unkündbar gestellte Vertragsbedienstete vom 9. 5. 2001 wurde über dem Kläger die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Disziplinaroberkommission vom 17. 9. 2001 nicht Folge gegeben. Mit Schreiben vom 28. 9. 2001 wurde der Kläger von seiner Entlassung verständigt.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Dienstverhältnis zur Beklagten über den 28. 9. 2001 hinaus aufrecht fortbestehe.

Die Beklagte begehrte die Abweisung des Klagebegehrens, da die Entlassung zu Recht erfolgt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die festgestellten Dienstrechtsverletzungen des Klägers seine Entlassung durch die Disziplinarkommission rechtfertigten. Die Entlassung sei nicht verspätet, weil der Dienstgeber verpflichtet gewesen sei, das Disziplinarverfahren abzuwarten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass dem es dem Klagebegehren stattgab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die Einrichtung einer Disziplinarkommission aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen unzulässig und daher unwirksam gewesen sei. Mit der Unkündbarstellung des Klägers habe sich die Beklagte jedoch wesentlicher Entlassungsrechte begeben, nur noch besonders gravierenden Dienstpflichtverletzungen könnten zu seiner Entlassung führen. Die groben Verfehlungen des Klägers bis einschließlich Juni 1999 seien jedoch nicht unverzüglich geltend gemacht worden und daher verfristet. Die unmittelbar zur Einleitung des Disziplinarverfahrens herangezogenen Vorfälle vom März und April 2000 wiederum hätten nicht das Gewicht eines Entlassungsgrundes, nämlich, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Bedienstetem und Behörde zerstört und ein weiterer Verbleib im Dienst untragbar geworden sei. So habe der Kläger seinen Vorladungen zum verkehrspsychologischen Eignungstest letztlich doch Folge geleistet.

Der Vorfall vom 11. 4. 2000 könne dem Kläger ebenfalls nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die Beklagte bzw deren Rechtsvorgängerin habe dem Kläger gegenüber nie klar gemacht, worauf der Wechsel des Arbeitsplatzes von den Verkehrsbetrieben zu den E-Werken beruhe. Für eine Versetzung nach § 35c VBO fehle es an der Schriftlichkeit nach Abs 5 dieser Bestimmung. Eine „Dienstzuteilung" nach § 35d VBO habe die Dienstgeberin wiederum in keiner Weise nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht. Eine solche, mit 90 Tagen befristete Maßnahme sei für den Kläger nicht erkennbar gewesen. Eine „Verwendungsänderung" iSd § 35e VBO scheide deshalb aus, weil die neue Verwendung des Klägers nicht an seiner Dienststelle, sondern in einem anderen Teilbetrieb stattfinden hätte sollen. Offensichtlich sei sich die Beklagte selbst ihrer Maßnahme nicht klar gewesen, wenn sie von einer „probeweisen Verwendungsänderung" gesprochen habe.

Davon ausgehend könne es dem Kläger aber nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn er - für den Dienst in den Verkehrsbetrieben grundsätzlich dienstbereit - den Dienst im E-Werk nicht angetreten habe und am 11. 4. 2000 einer anderen Tätigkeit nachgegangen sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil es an Rechtsprechung zur Frage mangle, welche Auswirkungen die Nichtigkeit einer Disziplinarordnung auf zwischen den Parteien vereinbarte Entlassungsbeschränkungen habe.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei. Sie ist zulässig und berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 17. 3. 2005, 8 ObA 12/04d, zum Verhältnis einer aus Gründen des Betriebsverfassungsrechts teilunwirksamen Disziplinarordnung zum Entlassungsrecht des Arbeitgebers umfassend Stellung genommen und sich dabei mit der bisherigen Rechtsprechung und Lehre eingehend auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang wurde ausdrücklich die bisherige Judikatur aufrechterhalten, nach der Kündigungen und Entlassungen nicht als Disziplinarmaßnahme iSd § 102 ArbVG angesehen und damit auch nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung nach § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG sein können. Ist aber eine Entlassung schon aus diesem Grunde keine gesetzliche Disziplinarmaßnahme, kann es dahingestellt bleiben, ob, wie vom Berufungsgericht bezweifelt, eine solche Disziplinarordnung überhaupt hätte vereinbart werden können. Der Oberste Gerichtshof hat in der vorgenannten Entscheidung dargelegt, dass von der betriebsverfassungsrechtlichen Unwirksamkeit die einzelvertragliche „Restgültigkeit" zu unterscheiden sei. Mit der Vereinbarung eines bestimmten Verfahrens unterwerfen sich beide Teile des Arbeitsvertrages der Entscheidung eines „Dritten" die soweit nicht als sittenwidrig iSd § 879 ABGB anzusehen sei, als nicht in den zweiseitig zwingenden „Kernbereich" der vorzeitigen Auflösung eingegriffen werde (8 ObA 12/04d mwN). Es ist daher grundsätzlich zulässig, das Entlassungsrecht mit einem weiten Ermessen einem dafür auch verantwortlichen „Dritten" - der „Disziplinarkommission" - zu übertragen. Die Überprüfung der auf einem solchen „Disziplinarerkenntnis" beruhenden Entlassung durch das Gericht, insbesondere hinsichtlich des Vorliegens von Entlassungsgründen, ist aber stets möglich.

Im vorliegenden Fall zeigt sich, dass die auf dem „Disziplinarerkenntnis" beruhende Entlassung schon auf Grund des Vorfalls vom 11. 4. 2000 berechtigt und - wegen der vertraglich eingegangenen Verpflichtung der Beklagten zur Einhaltung des Disziplinarverfahrens - auch rechtzeitig war.

Es mag zutreffen, dass die Beklagte die als Vertragsschablone geltenden Formgebote für eine wirksame Versetzung nicht eingehalten hatte und mangels Verbleibs des Klägers an der selben Dienststelle auch keine „Verwendungsänderung" vorlag. Es mag auch sein, dass eine befristete „Dienstzuteilung" iSd § 35d VBO weder geplant war, noch zum Ausdruck gekommen ist, zumal auch die Beklagte selbst von einem „Angebot einer probeweisen Verwendungsänderung" sprach (Beil ./E). Dies alles kann aber das Verhalten des Klägers nicht rechtfertigen, unter offensichtlichem Vorschützen einer Krankheit überhaupt nicht zum Dienst (- auch nicht zum Busbahnhof - ) zu erscheinen und stattdessen für einen anderen Unternehmer - offensichtlich arbeitsfähig - als Buslenker zu arbeiten. Damit hat sich der Kläger jedenfalls eines Verstoßes gegen die Dienstpflichten schuldig gemacht, der ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt. Dieser Anlassfall weist auch die erforderliche Mindestintensität auf, um mit den früheren - für sich allein genommen verfristeten - Verfehlungen, die unschwer unter die Entlassungsgründe des § 41 lit b, c oder d der VBO zu subsumieren sind, in Verbindung gebracht (RIS-Justiz RS0029495) und in die Beurteilung des Gesamtverhaltens einbezogen werden zu können. Die Entlassung erweist sich daher als berechtigt.

Da die Beklagte unverzüglich nach dem letzten Vorfall die Disziplinarkommission eingeschaltet und den Kläger sowohl von der Einleitung als auch von der Entscheidung dieses Gremiums verständigt und sodann die Entlassung ausgesprochen hat, liegt keine Verspätung vor.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Der Oberste Gerichtshof hat auch über die in der Berufung des Klägers enthaltene Kostenbeschwerde zu erkennen, weil die Entscheidung erster Instanz in der Hauptsache wiederhergestellt wurde und das Berufungsgericht infolge der Abänderung in der Hauptsache auf die Kostenrüge nicht einzugehen hatte (RIS-Justiz RS0036047; Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 5 zu § 528 ZPO mwN). Zu Unrecht geht der Kläger davon aus, dass der einvernehmlich festgesetzte Streitwert (ASS 64, 79) von EUR 36.336,42 nachträglich einer Änderung unterzogen worden sei. Dieser Betrag ist daher der Kostenbemessung zugrunde zu legen.

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