OGH 7Ob54/17t

OGH7Ob54/17t17.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei HR Mag. H***** W*****, vertreten durch Dr. Klaus Plätzer, Rechtsanwalt in Salzburg, und deren Nebenintervenienten 1. M***** GmbH, *****, und 2. G***** AG, *****, beide vertreten durch die Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei A***** SE, *****, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen 10.136,82 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2017, GZ 1 R 141/16k‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00054.17T.0517.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Der Kläger hat mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen. Die Beklagte hat den Versicherungsvertrag „rückwirkend aufgelöst“, weil der Kläger im Antragsformular die Frage, ob ihm oder einer mitversicherten Person bereits eine Rechtsschutzversicherung gekündigt/abgelehnt bzw eine solche einvernehmlich aufgelöst worden sei, wahrheitswidrig verneint hatte.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers auf Deckung aufgelaufener Verfahrenskosten und auf Feststellung des aufrechten Bestands des Rechtsschutzversicherungsvertrags ab. In seiner Revision gegen die bestätigende Entscheidung des Berufungsgerichts vermag der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen:

1. Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben (7 Ob 174/01s; 7 Ob 57/05s je mwN). Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich (RIS‑Justiz RS0080628). Nach Lehre und Rechtsprechung sind an die vom Versicherungsnehmer bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt, insbesondere dann, wenn die gestellten Fragen Individualtatsachen betreffen, ganz erhebliche Anforderungen zu stellen (7 Ob 170/13w; RIS-Justiz RS0080641).

2. Die im Antragsformular enthalten gewesene Frage, ob dem Kläger, einem Juristen, bereits eine frühere Rechtsschutzversicherung gekündigt worden war, war eindeutig und bezog sich – entgegen dem (vom Erstgericht auch als Schutzbehauptung erkannten) Standpunkt des Klägers – nicht nur auf die jüngste Vergangenheit. Dennoch verschwieg der Kläger, dass ihm die Zweitnebenintervenientin den mit dieser abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungs-vertrag gekündigt hatte, nachdem der Kläger von 2000 bis 2006 dieser gegenüber 23 Schadensfälle gemeldet hatte. Danach hat sich der Kläger bei einer von seiner Gattin abgeschlossenen Rechtsschutzversicherung mitversichern lassen, wobei er diese Vorgangsweise gerade deshalb gewählt hatte, weil er auf diese Weise die Frage im Versicherungsantrag nach dem Grund für die Kündigung umgehen wollte. Schließlich war dem Kläger bei der nunmehrigen Unterfertigung des Antragsformulars nach den erstgerichtlichen Feststellungen „bewusst, dass die Beklagte vor Vertragsabschluss einschätzen wollte, ob es sich bei ihm in Bezug auf den abzuschließenden Rechtsschutzversicherungsvertrag um eine Risikoperson handelt, die sich insofern von einer Durchschnittsperson unterscheidet und er im Hinblick auf die Vielzahl an Schadensfällen vor Abschluss dieses Vertrages nicht mit einem Durchschnittsversicherungsnehmer vergleichbar war“. Unter diesen Umständen beruhte das Verschweigen der Kündigung der Vorversicherung durch den Kläger nicht etwa nur auf Fahrlässigkeit, sondern auf Absicht, wofür schon bedingter Vorsatz ausreicht (RIS-Justiz RS0130762). Ein solcher liegt hier jedenfalls vor, hat doch der Kläger besagte Tatsache, zu deren Bekanntgabe er zufolge § 16 Abs 1 VersVG verpflichtet war, vorsätzlich („bewusst“) verschwiegen und so die Beklagte über diesen für den Vertragsabschluss wesentlichen Umstand getäuscht (vgl 7 Ob 174/01s; 7 Ob 277/04t; 7 Ob 253/05i), bei dessen Kenntnis die Beklagte vom Vertragsabschluss Abstand genommen hätte. Liegt – wie hier – ein Anwendungsfall des § 22 VersVG vor, ist die Beklagte infolge Unanwendbarkeit des § 21 VersVG gänzlich leistungsfrei (7 Ob 253/05i). Schon aus diesem Grund steht die von den Vorinstanzen angenommene Leistungsfreiheit auch für bereits eingetretene Schadensfälle mit vorliegender Rechtsprechung im Einklang.

3. Im Übrigen haben die Vorinstanzen die Leistungsfreiheit der Beklagten aber auch nach § 21 VersVG im Einklang mit den dazu vorliegenden Judikaturgrundsätzen bejaht:

Bei Rücktritt des Versicherers, nachdem der Versicherungsfall eingetreten ist, bleibt nach § 21 VersVG dessen Verpflichtung zur Leistung bestehen, wenn der Umstand, in Ansehung dessen die Anzeigepflicht verletzt ist, keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder soweit er keinen Einfluss auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hatte. Die Kausalität muss zwischen dem verschwiegenen oder falsch angezeigten Umstand und dem Eintritt des Versicherungsfalls und nicht zwischen dem Verschweigen oder der Falschanzeige und dem Vertragsabschluss bestehen. Im Hinblick auf den Umfang der Leistung darf aber auch zwischen dem nicht oder falsch angezeigten Umstand und dem Schaden keinerlei Kausalzusammenhang gegeben sein. Die Frage des Kausalzusammenhangs ist nach der Lehre von der adäquaten Verursachung zu beurteilen (RIS-Justiz RS0080020). Der Beweis der fehlenden Kausalität zwischen dem nicht oder falsch angezeigten erheblichen Gefahrenumstand und dem Eintritt des Versicherungsfalls oder dem Umfang der Leistungspflicht des Versicherers obliegt als Ausnahme von der normalen Rücktrittswirkung des § 21 VersVG dem Versicherungsnehmer. Um diesen Beweis zu erbringen, muss der Versicherungsnehmer dartun, dass der Unfall auf jeden Fall aus einem anderen als dem falsch angezeigten oder dem verschwiegenen Umstand eingetreten ist (RIS-Justiz RS0080771). Der Versicherer bleibt daher nur dann zur Leistung iSd § 21 VersVG verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer jede mögliche Mitursache des falsch angezeigten oder verschwiegenen Umstands an dem Eintritt des Versicherungsfalls und dem Umfang der Leistung des Versicherers ausschließen kann (RIS-Justiz RS0080025 [T1]). Im Lichte dieser Judikaturgrundsätze ist die Ansicht der Vorinstanzen, dass sich nunmehr genau das durch die gestellte Frage nach der Kündigung von Vorversicherungen abzuklärende Risiko – nämlich die außergewöhnliche Anfälligkeit des Klägers für gehäufte Schadensfälle im Rahmen der Rechtsschutzversicherung – verwirklicht habe, nicht korrekturbedürftig.

4. Dem Hinweis des Klägers auf § 6 Abs 1a VersVG ist zu erwidern, dass die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung in den §§ 16 ff VersVG geregelt sind.

5. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision unzulässig und daher zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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