OGH 11Os141/16v

OGH11Os141/16v25.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Chery A***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 4 erster Fall FPG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des genannten Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 16. September 2016, GZ 4 Hv 26/16k‑276, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00141.16V.0425.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten Chery A***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Schuldsprüche von vier Mitangeklagten sowie Freisprüche des Beschwerdeführers und fünf weiterer Angeklagter enthält, wurde Chery A***** „des“ (siehe aber RIS-Justiz RS0130603 [T1]) Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

Danach hat er von 21. Mai bis Juni 2015 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise oder Durchreise von Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er in mehreren (im Urteil näher bezeichneten) Angriffen den Transport von jeweils mehreren über kein „Durchreisevisum“ verfügenden (US 10) Personen von Wien nach der Bundesrepublik Deutschland teils in Auftrag gab (Punkte 1, 2 und 4), teils selbst durchführte (Punkt 3).

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 2, 5a und 9 [lit] a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde dieses Angeklagten.

 

In ON 29 enthaltene Telefonüberwachungsprotokolle wurden in der Hauptverhandlung gegen den (begründungslos gebliebenen) Widerspruch (ON 275 S 19 verso und S 29) des Beschwerdeführers gemäß § 252 Abs 2 StPO (RIS-Justiz RS0117025; Kirchbacher , WK-StPO § 252 Rz 124) verlesen (ON 275 S 28 verso).

Der Vorwurf der Verfahrensrüge (Z 2), diese Protokolle würden „nicht den tatsächlichen und vollständigen Gesprächsinhalt widerspiegeln“, releviert keinen von einem Gesetz ausdrücklich als nichtig bezeichneten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 173 ff) Akt des Ermittlungsverfahrens. Nur dann aber könnte der Umstand, dass ihr Inhalt trotz des Widerspruchs des Angeklagten in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, die geltend gemachte Nichtigkeit bewirken.

Auf einen (gegebenenfalls aus Z 4 beachtlichen) begründeten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302, 333, 336 ff) Antrag in der Hauptverhandlung, die betreffenden Beweismittelinhalte nicht vorkommen zu lassen, beruft sich der Beschwerdeführer übrigens – zu Recht – nicht.

Eine Tatsachenrüge (Z 5a) ist – soweit es ihr nicht um den Verfahrensaspekt unterlassener Beweisaufnahme geht (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 481) – nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie anhand konkreter Verweise auf in der Hauptverhandlung (zumindest mögliches und erlaubtes – RIS‑Justiz RS0117749 [T1, T2] – idR aber) vorgekommenes Beweismaterial bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswürdigung darlegt, welches von ihr angesprochene Verfahrensergebnis aus welchem Grund erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit welcher Feststellungen über entscheidende Tatsachen wecken soll (RIS‑Justiz RS0118780, RS0117446 [insbesondere T1, T10]; jüngst 11 Os 29/16y).

Indem die Beschwerde einzelne Beweisergebnisse (nämlich Angaben der Zeugen D***** und H***** sowie die „durchgeführten Rufdatenauswertungen“) – ohne klaren Aktenbezug und ohne an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß zu nehmen – eigenständig würdigt und daraus jenen des Erstgerichts entgegengesetzte Schlüsse zieht, wird sie diesen Anforderungen nicht einmal ansatzweise gerecht.

Ob „tatsächliche Zahlungsflüsse“ stattgefunden haben, betrifft ebenso wenig eine entscheidende, nämlich für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsame Tatsache ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 399) wie, ob der Beschwerdeführer „überhaupt ein Entgelt erhalten hat“. Darauf bezogenes Vorbringen verfehlt daher von vornherein den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung.

Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird Nichtigkeit nach Z 5a – der Sache nach – gar nicht geltend gemacht (RIS‑Justiz RS0102162).

Die Feststellungen dazu, „ob tatsächlich Fremde vorliegen“, vermissende Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) nicht am Urteilssachverhalt, wonach es sich bei allen vom Angeklagten oder in dessen Auftrag geschleppten Personen um „Drittstaatsangehörige“ gehandelt habe (US 9).

Gleiches gilt für den Einwand des Fehlens von– im Urteil nämlich gar wohl getroffenen (US 9) – Feststellungen zur Anzahl jener Fremden, deren rechtswidrige Durchreise (durch Österreich) und Einreise (nach Deutschland) durch die vom Schuldspruch 3 erfassten Taten gefördert wurde. Er lässt zudem offen, weshalb diese Konstatierungen für die rechtsrichtige Beurteilung von Bedeutung wären. Sollte damit – der Sache nach aus Z 10 – die (zusätzliche) Annahme der Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 2 FPG angestrebt werden, ist die Nichtigkeitsbeschwerde (schon) nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt. In Anbetracht des festgestellten Transports von „zumindest sechs“ Personen durch jede der (insgesamt drei – US 9 iVm US 2) Taten laut Schuldspruch 3 (US 9) wäre diese Qualifikation übrigens (auch) insoweit nur in der zum Urteilszeitpunkt, nicht aber in der zur Tatzeit geltenden Fassung (vor BGBl I 2015/121) verwirklicht. Das Erstgericht brachte zutreffend das – ausgehend vom Urteilssachverhalt in der fallkonkreten Gesamtauswirkung günstigere (§ 61 zweiter Satz StGB; RIS-Justiz RS0119085 [insbesondere T1]; zum Günstigkeitsvergleich in Bezug auf die jüngsten Änderungen des § 114 FPG vgl 11 Os 13/16w; 11 Os 52/16f; 11 Os 96/16a; 13 Os 6/17g) – Tatzeitrecht (in Gestalt einer Subsumtion bloß nach den seither unverändert gebliebenen Bestimmungen des § 114 Abs 1, Abs 4 erster Fall FPG) zur Anwendung.

Weshalb der „objektive Tatbestand“ des § 114 Abs 1 FPG – entgegen dessen Wortlaut – den Eintritt einer unrechtmäßigen Bereicherung erfordern sollte, erklärt das diesbezügliche Konstatierungen vermissende Vorbringen nicht (siehe aber RIS-Justiz RS0116565) und entzieht sich damit einer meritorischen Antwort.

Soweit der Beschwerdeführer die Feststellungen zu seinem darauf gerichteten Vorsatz (US 10 iVm US 23) sowie zu seiner Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als deren Mitglied (US 8 f, 10 – der Sache nach insoweit Z 10) anhand eigenständiger, vom Urteilsinhalt abweichender Beweiswerterwägungen bestreitet, bringt er den geltend gemachten (materiellen) Nichtigkeitsgrund ebenso wenig zu prozessförmiger Darstellung ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 584, 593).

Hinzugefügt sei, dass die unter Verwendung von verba legalia getroffenen Feststellungen zum erweiterten Vorsatz des Angeklagten, „sich, jedenfalls aber einen Dritten“ (nämlich „zumindest eines oder mehrere Mitglieder“ der betreffenden Vereinigung – US 23) „durch ein hiefür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern“ (US 10), einen fallkonkret hinreichenden Sachverhaltsbezug (RIS‑Justiz RS0098664 [T2]) aufweisen (insbesondere US 8, 22, 23; vgl 14 Os 134/15k; Schloenhardt , JBl 2016, 745).

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit dem Croquis – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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