OGH 11Os52/16f

OGH11Os52/16f14.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Nordmeyer Mag. Michel und Dr. Oberressl in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Jülg, BSc, als Schriftführer in der Strafsache gegen Cihan E***** und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Marko P***** gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 13. Jänner 2016, GZ 12 Hv 86/15y‑56, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00052.16F.0614.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Marko P***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Schuld- und Freisprüche des Mitangeklagten Cihan E***** enthält, wurde Marko P***** „des“ (siehe aber RIS‑Justiz RS0130603 [T1]) Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (idgF) schuldig erkannt.

Danach hat er in N***** und an anderen Orten Österreichs als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise oder Durchreise einer „größeren Zahl von Fremden“ in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er – zusammengefasst – in sieben vom 28. Juli 2015 bis zum 8. August 2015 begangenen Angriffen teils in einverständlichem Zusammenwirken mit weiteren (Mit‑)Tätern jeweils den Transport von zumindest zehn bis zu 26 Personen, die „nicht zum Aufenthalt in der Europäischen Union berechtigt“ waren, von Ungarn nach Österreich mittels Kraftfahrzeug durchführte oder veranlasste, und zwar teils durch Lenken des Transportfahrzeugs (I A bis C, II), teils eines den Schleppertransport begleitenden Fahrzeugs (I D 1) und teils, indem er das Transportfahrzeug zur Verfügung stellte, den Auftrag zur jeweiligen Schlepperfahrt erteilte sowie dem Lenker dafür Entlohnung versprach (I D 1 und 2).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde dieses Angeklagten.

Aus Z 4 reklamiert der Beschwerdeführer, seinen „im Rahmen der Hauptverhandlung vom 18. 11. 2015“ gestellten Anträgen auf zeugenschaftliche Vernehmung zweier Polizeibeamten sei zu Unrecht nicht entsprochen worden.

Dazu ist aus den Verfahrensakten festzuhalten, dass die Hauptverhandlung am 13. Jänner 2016 ‑ infolge geänderter Gerichtszusammensetzung – gemäß § 276a zweiter Satz StPO neu durchgeführt wurde (ON 55 S 1 verso). Damit verloren alle in einer früheren Verhandlung gestellten Anträge ihre Gültigkeit. Sie hätten, um als Grundlage der nunmehrigen Anfechtung dienen zu können, wiederholt werden müssen; ihre (bloße) gerichtliche Verlesung in der wiederholten Hauptverhandlung (vgl ON 55 S 35) erfüllte diese Voraussetzung nicht (RIS‑Justiz RS0099049, RS0098869 [insbesondere T1, T6]). Schon weil der Angeklagte dies versäumte, schlägt seine Verfahrensrüge fehl.

Das weitere Beschwerdevorbringen (nominell nur Z 10, inhaltlich auch Z 5) strebt den Wegfall der Qualifikation nach § 114 Abs 4 (erster Fall) FPG an.

Nach den diesbezüglichen Urteilsannahmen setzte der Nichtigkeitswerber das vom Schuldspruch erfasste Verhalten – mit entsprechender Willensausrichtung (US 11) – als Mitglied eines „auf längere Zeit angelegten Zusammenschlusses“ von mehr als zwei Personen (nämlich des Beschwerdeführers mit Luka K*****, einem „Syri“ sowie „zumindest zwei weiteren, unbekannt gebliebenen Vermittlern von Schlepperfahrten sowie anderen Organisatoren und Fahrzeug- und Fußschleppern“), der auf die (arbeitsteilige) Begehung dieser und weiterer, gleichartiger Taten durch seine Mitglieder ausgerichtet war (US 10).

Diese Feststellungen sind nicht „zu oberflächlich“ begründet (der Sache nach Z 5 vierter Fall), sondern wurden willkürfrei aus der geständigen Einlassung des Beschwerdeführers im Zusammenhalt mit Wahrscheinlichkeitsschlüssen (vgl RIS‑Justiz RS0098362) abgeleitet (US 15 f, 17).

Keineswegs „widersprüchlich“ (der Sache nach Z 5 dritter Fall) sind die Urteilsaussagen, wonach an zwei von beiden Angeklagten im einverständlichen Zusammenwirken durchgeführten Schleppungen (Schuldsprüche II A und B) nur P*****, nicht aber der – an der kriminellen „Schleppervereinigung“ eben nicht beteiligte – E***** als deren Mitglied mitwirkte (US 10).

Indem ein vom Rechtsmittelwerber isoliert herausgegriffenes Element der tatrichterlichen Beweiswürdigung als „Feststellung“ bezeichnet wird, die „äußerst bedenklich“ sei, wird ein Nichtigkeit begründender Tatumstand ebenso wenig deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) angesprochen wie mit abstrakten rechtlichen Überlegungen abseits des Urteilsinhalts.

Soweit das Beschwerdevorbringen als Subsumtionsrüge (Z 10) aufgefasst werden kann, bringt es den geltend gemachten (materiellen) Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung:

Mit dem Einwand, er habe „keinen Vorsatz“ gehabt, „eine kriminelle Vereinigung zu gründen oder ein Mitglied hievon zu sein“, und eigenständig entwickelten Spekulationen zu deren personeller Zusammensetzung, wonach „nur mehr zwei Beteiligte überbleiben, die allerdings keine kriminelle Vereinigung mehr bilden“, hält der Rechtsmittelwerber nicht am Urteilssachverhalt fest (RIS‑Justiz RS0099724). Gleiches gilt, soweit aus der Feststellung, er habe mit „Syri“ (US 8), und aus dem Referat seiner Verantwortung in den Entscheidungsgründen, er habe mit Luka K***** sowie „drei verschiedenen Vermittlern“ (US 15) jeweils „Kontakt“ gehabt, die – urteilskonträre – Hypothese abgeleitet wird, es habe sich um keinen „auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss“ gehandelt.

Welche weiteren Feststellungen zum „Wesen dieser vom Gericht angenommenen kriminellen Vereinigung“, zu deren „Organisationsgrad“, zum „Zusammenschluss der Tätergruppe“ und zum „zeitlichen Element“ für die rechtsrichtige Beurteilung notwendig sein sollten, erklärt die Beschwerde nicht (RIS‑Justiz RS0118342; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584).

Hinzugefügt sei, dass die Wiedergabe der verba legalia – hier des § 278 Abs 2 StGB zur Feststellung einer Willenseinigung („Zusammenschluss“; dazu Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 5) und der zeitlichen Komponente („längere Zeit“; dazu RIS‑Justiz RS0125232) in US 10 – dann als Tatsachengrundlage ausreicht, wenn der erforderliche Sachverhaltsbezug hergestellt wird (RIS‑Justiz RS0119090 [T1, T3]). Im Gegenstand geschah dies durch die Erwähnung entsprechender „Vereinbarungen“ des P***** „mit den jeweiligen Vermittlern“ (US 17) und des Vorhabens wiederholter Tatbegehung über einen Zeitraum von (zumindest) mehreren Wochen (vgl US 15: „jedenfalls bis Ende August 2015“) in den Urteilsgründen.

Bleibt anzumerken (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO), dass § 114 Abs 3 Z 2 FPG zuletzt mit BGBl I 2015/121 (Inkrafttreten am 1. Oktober 2015) – demnach zwischen Tat- und Urteilszeitpunkt – geändert wurde. Die Wortfolge „größere Zahl von Fremden“ wurde dabei durch die Formulierung „mindestens drei Fremde“ ersetzt. Da das Tatzeitrecht vorliegend (in seiner Gesamtauswirkung im konkreten Einzelfall) nicht günstiger ist als das Urteilszeitrecht (§ 61 zweiter Satz StGB; vgl die vom Schöffengericht mit Blick auf die mit 1. Jänner 2016 in Kraft getretene Neufassung des § 70 StGB [BGBl I 2015/112] abgelehnte [zusätzliche] Subsumtion nach § 114 Abs 3 Z 1 FPG [US 18]), trifft die vom Erstgericht – wenngleich unter irreführender Zitierung des Gesetzeswortlauts zur Tatzeit (US 2, 17) – vorgenommene Unterstellung der Taten nach der geltenden Fassung dieser Bestimmung zu.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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