OGH 11Os96/16a

OGH11Os96/16a13.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen Kaizar B***** wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 45 Hv 88/15m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das in diesem Verfahren ergangene Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 30. November 2015, GZ 45 Hv 88/15m‑55, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner und der Verteidigerin Mag. Scheed zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00096.16A.0913.000

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 30. November 2015, GZ 45 Hv 88/15m‑55, verletzt

1. im Schuldspruch II sowie

2. im Ausspruch des Verfalls eines Geldbetrags von 50.000 Euro

jeweils §§ 1, 61 StGB.

Das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Schuldspruch II, demzufolge auch im Strafausspruch und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche, sowie im Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 30. November 2015, GZ 45 Hv 88/15m‑55, wurde Kaizar B***** – soweit hier von Bedeutung – der Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall, Abs 3 StGB (I) sowie der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 FPG (II), jeweils in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung, schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 20 Abs 1 StGB (idgF) wurde ein Betrag von 56.600 Euro für verfallen erklärt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat der Angeklagte

(I) am 3. Juni 2005 in Wien mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte eines Bankinstituts durch die mit der Vorlage unwahrer Einkommensbestätigungen verbundene wahrheitswidrige Vorgabe, rückzahlungsfähiger und ‑williger Kreditnehmer zu sein, somit durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung eines falschen Beweismittels, zur Gewährung eines Kredits in Höhe von 99.200 Euro, sohin zu einer Handlung verleitet, die das Bankinstitut in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigte;

(II) Anfang 2011 in Dhaka, Bangladesch, gewerbsmäßig die rechtswidrige Einreise zweier Staatsangehöriger der Volksrepublik Bangladesch nach Österreich, somit in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, mit dem Vorsatz gefördert, sich durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er ihnen gegen Bezahlung von mehreren Tausend Euro „Wohnbestätigungen“ unwahren Inhalts zum Zweck deren Vorlage beim österreichischen Konsulat zur Erlangung jeweils eines Visums (vgl § 21 FPG) zur Verfügung stellte.

Über die gegen das Urteil – ausschließlich wegen des Ausspruchs über die Strafe – erhobenen Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wurde bislang nicht entschieden. Der Schuld- und der Verfallsausspruch sowie der (auf dem Schuldspruch II fußende) Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche erwuchsen unbekämpft in Rechtskraft.

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzt dieses Urteil das Gesetz in zweifacher Hinsicht:

Rechtliche Beurteilung

1. Das Erstgericht ging davon aus, dass die vom Schuldspruch II erfassten – nach den Feststellungen (US 5 f) zur Gänze in Bangladesch begangenen (§ 67 Abs 2 StGB; 13 Os 4/13g) – Taten der inländischen Gerichtsbarkeit unterliegen. Erkennbar (vgl US 12 f) stellte es dabei auf § 114 Abs 7 FPG ab, wonach Abs 1 bis 4 leg cit unabhängig von den Strafgesetzen des Tatorts für im Ausland begangene Straftaten gelten, wenn durch die Tat österreichische Interessen verletzt wurden.

§ 114 Abs 7 FPG wurde jedoch erst mit BGBl I 2013/144 (Inkrafttreten am 1. August 2013) neu geschaffen und stand daher zur Tatzeit (Anfang 2011) noch nicht in Geltung.

Die deshalb gebotene Prüfung, ob das Urteilszeitrecht in seiner fallkonkreten Gesamtauswirkung dem Täter nicht ungünstiger ist als das Tatzeitrecht (§§ 1, 61 StGB; RIS-Justiz RS0119085 [insbesondere T1], RS0118096), setzt daher die Klärung der Frage voraus, ob und inwieweit (auch) zur Tatzeit die – für sich genommen zwischen Tat- und Urteilszeitpunkt unverändert gebliebenen – Abs 1, Abs 3 Z 1 des § 114 FPG auf die dem Angeklagten angelasteten Auslandstaten anwendbar waren.

Die Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze auf Auslandstaten unabhängig von den Gesetzen des Tatorts war im Tatzeitrecht – mangels einer hier relevanten Sonderbestimmung – nur nach § 64 StGB (idF BGBl I 2010/108) vorgesehen. Keiner der darin normierten Fälle ist vorliegend indiziert.

Allerdings kommt – aufgrund der festgestellten österreichischen Staatsbürgerschaft des Angeklagten (US 12; § 65 Abs 1 Z 1 StGB) – eine Anknüpfung nach § 65 StGB in Betracht, der die Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze davon abhängig macht, dass die Tat nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht ist, wobei im Fall der Erledigung des ausländischen Strafanspruchs auch der inländische Strafanspruch erloschen ist.

Gleiche Günstigkeit von Urteils- und Tatzeitrecht (§ 61 StGB) wäre daher – im Gegenstand – nur dann anzunehmen gewesen, wenn der Täter nach dem (Tatzeit‑)Gesetz des Tatorts (in der Gesamtauswirkung) nicht günstiger gestellt (§ 65 Abs 2 StGB) wäre als nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 FPG (idF vor BGBl I 2015/112) und keine Gründe vorgelegen wären, die zum Entfall der Strafbarkeit (§ 65 Abs 4 Z 1 bis 4 StGB) führten.

Um die Durchführung dieses (vom Erstgericht gänzlich unterlassenen) Günstigkeitsvergleichs zu ermöglichen, hätte es daher – hier nicht getroffener – konkreter Feststellungen zur Strafbarkeit der vorgeworfenen Handlungen im Tatortstaat und zu deren allfälligem Entfall bedurft (RIS‑Justiz RS0092377).

2. Gestützt auf § 20 (erkennbar gemeint; vgl US 14:) Abs 3 StGB idgF erkannte das Erstgericht auf Verfall eines Wertersatzes von

- 6.600 Euro für durch die Begehung der strafbaren Handlungen laut (aus den dargestellten Gründen rechtsfehlerhaftem) Schuldspruch II und

- 50.000 Euro für durch die Begehung der strafbaren Handlung laut Schuldspruch I erlangte Vermögenswerte (US 3, 14).

In Ansehung des zuletzt genannten Betrags lässt dieser Ausspruch unberücksichtigt, dass §§ 20 f StGB mit BGBl I 2010/108 (Inkrafttreten am 1. Jänner 2011) – also vor dem Urteilszeitpunkt, aber nach Vollendung der vom Schuldspruch I erfassten Tat (vgl US 2, 4 f) – grundlegend geändert wurden. Die Urteilszeitgesetze wären indes nur dann anzuwenden, wenn sie dem Täter nicht ungünstiger wären als die (davon verschiedenen) Tatzeitgesetze (§§ 1 Abs 2, 61 StGB).

Diese sahen als dem Verfall (§§ 20 f StGB idgF) vergleichbare vermögensrechtliche Anordnung die – nach dem sogenannten Nettoprinzip zu berechnende – Abschöpfung der Bereicherung vor (§ 20 StGB aF), von der abzusehen war, soweit die Zahlung des Geldbetrags das Fortkommen des Bereicherten unverhältnismäßig erschweren oder ihn unbillig hart treffen würde, insbesondere weil die Bereicherung im Zeitpunkt der Anordnung nicht mehr vorhanden ist, wobei auch aus der Verurteilung erwachsende andere nachteilige Folgen zu berücksichtigen waren (§ 20a Abs 2 Z 3 StGB aF). Nach § 20a Abs 1 StGB aF war die Abschöpfung zudem ausgeschlossen, soweit der Bereicherte zivilrechtliche Ansprüche aus der Tat befriedigt oder sich dazu in vollstreckbarer Form vertraglich verpflichtet hatte, er dazu verurteilt worden war oder zugleich verurteilt wurde oder die Bereicherung durch andere rechtliche Maßnahmen beseitigt wurde (RIS‑Justiz RS0119545 [insbesondere T5]).

Diesbezügliche Erwägungen (vgl neuerlich RIS‑Justiz RS0119085 [T1]) sind der angefochtenen Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen.

Da nicht auszuschließen ist, dass die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Bleibt anzumerken, dass § 114 Abs 3 Z 1 FPG angesichts seiner dynamischen Verweisung auf § 70 StGB– infolge der Neufassung dieser Bestimmung mit BGBl I 2015/112 (Inkrafttreten am 1. Jänner 2016) – seit dem Zeitpunkt der Fällung des angefochtenen Urteils eine Änderung erfahren hat. Im Fall eines insoweit neuerlichen Schuldspruchs im zweiten Rechtsgang wird dies bei der Durchführung des Günstigkeitsvergleichs (siehe Punkt 1.) ebenfalls zu berücksichtigen sein.

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