OGH 11Os29/16y

OGH11Os29/16y10.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christoph P***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 12. Oktober 2015, GZ 22 Hv 15/15v‑42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00029.16Y.0510.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christoph P***** zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in L***** folgende Personen mit Gewalt und teils durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, wobei die Taten jeweils eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des Opfers zur Folge hatten, nämlich

(I) am 30. Oktober 2013 T*****, indem er sie umklammerte, sie gegen ein Geländer und ihren Kopf nach unten drückte, ihr Faustschläge ins Gesicht und auf den Rücken versetzte sowie an ihrer Handtasche riss, es jedoch infolge ihrer Gegenwehr und Flucht beim Versuch blieb, was zu Prellungen am Kinn und am linken Oberarm sowie einer mit einer länger als vierundzwanzig Tage dauernden Berufsunfähigkeit verbundenen Anpassungsstörung mit leichtgradiger depressiver Reaktion führte;

(II) am 1. Oktober 2014 J*****, indem er sie zu Boden schlug, sie dort festhielt, sich auf sie legte, ihr ans Gesäß fasste, sie sodann mit den Worten „Sei leise, sonst bring ich dich um!“ so fest am Arm packte, dass sie nicht weglaufen konnte, und sie auf diese Weise bis in seine Wohnung brachte, es jedoch infolge ihrer Flucht aus seiner Wohnung beim Versuch blieb, was zu Hautabschürfungen und einem Hämatom an der Nase und am linken Ohr, einer Wunde an der Oberlippe sowie einer an sich schweren und länger als vierundzwanzig Tage dauernden Gesundheitsschädigung in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung führte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Gerichts über entscheidende, also für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsame Tatsachen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 398 f).

Soweit der Beschwerdeführer die Feststellung, er habe - am selben Ort und kurz vor der vom Schuldspruch I erfassten Tat - (bereits) A***** einen Schlag auf ihr Gesäß versetzt (US 5), isoliert als „offenbar unzureichend begründet“ und „aktenwidrig“ bekämpft, spricht er solche gar nicht an (vgl überdies RIS‑Justiz RS0116737, RS0099507).

Ebenso wenig entscheidend ist der im Rechtsmittel als „aktenwidrig“ und „falsch“ bezeichnete, vom Erstgericht festgestellte Umstand, T***** habe sich „am 2. Jänner 2014“ (neuerlich) „in den Krankenstand begeben“ (US 6). Denn für die Qualifikation nach § 201 Abs 1 erster Fall (§ 84 Abs 1) StGB ist nicht auf die Dauer des vom Verletzten in Anspruch genommenen Krankenstands, sondern auf die der tatsächlich gegebenen Berufsunfähigkeit abzustellen ( Burgstaller/Fabrizy in WK 2 StGB § 84 Rz 13; zum Begriff RIS-Justiz RS0092685).

Eine Tatsachenrüge (Z 5a) ist ‑ soweit es ihr nicht um den Verfahrensaspekt unterlassener Beweisaufnahme geht ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 481) ‑ nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie anhand konkreten Verweises auf in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismaterial bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswürdigung darlegt, welches von ihr angesprochene Verfahrensergebnis aus welchem Grund erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit welcher Feststellungen über entscheidende Tatsachen wecken soll (RIS-Justiz RS0118780, RS0117749, RS0117446 [insbesondere T1, T10]).

Diesen Kriterien prozessförmiger Darstellung wird der ‑ in Verkennung der Verschiedenheit des Anfechtungsrahmens (RIS-Justiz RS0115902) auf „Ausführungen, die unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO aufgelistet werden“ verweisende - Einwand, es ließen sich aus „sämtlichen, allerdings nur kursorisch geschilderten Umständen“ „erhebliche Bedenken an den dem Urteilsspruch zugrundeliegenden wesentlichen Tatsachen ableiten“, nicht einmal ansatzweise gerecht.

Gleiches gilt, soweit der Beschwerdeführer einzelne Details der Zeugenaussage J***** ‑ losgelöst vom Urteilsinhalt (US 12 f, 15 f) ‑ eigenständig würdigt und daraus von jenen des Erstgerichts abweichende Schlüsse zu seiner Willensausrichtung in Bezug auf die Tat laut Schuldspruch II zieht.

Das auf den Inhalt eines „vor kurzem gesichteten Chatkontakt[es] der Zeugin J*****“ gestützte, diesen spekulativ zu seinen Gunsten interpretierende Vorbringen des Rechtsmittelwerbers verstößt ‑ wie er selbst einräumt ‑ gegen das Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0099708).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) fordert eine rechtliche Unterstellung des von den Schuldsprüchen erfassten Tatgeschehens als „Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB, allenfalls Verbrechen des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB“ (I) und „Nötigung im Sinne des § 105 StGB, allenfalls § 106 Abs 1 Z 1“ sowie „Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, allenfalls § 84 Abs 1 StGB“ (II).

Indem sie ihre Argumentation nicht auf Basis der die Schuldsprüche tragenden Feststellungen des Erstgerichts (US 5 bis 9) entwickelt, sondern diese bestreitet, sie beweiswürdigend durch eigene Auffassungen ersetzt und auf dieser Grundlage die (rechtliche) Annahme der Nötigungsziele des § 201 Abs 1 StGB negiert, verfehlt sie den - im Urteilssachverhalt gelegenen ‑ Bezugspunkt materieller Nichtigkeit ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 584, 593).

Soweit sie behauptet, die ‑ gleichfalls unsubstantiiert bestrittenen ‑ Urteilsannahmen zur Vorhersehbarkeit der besonderen Folge der Tat (§ 7 Abs 2 StGB) laut Schuldspruch I erschöpften sich in einer „Wiedergabe der verba legalia“, legt sie nicht dar, warum es den auf US 6 getroffenen Feststellungen am gebotenen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS‑Justiz RS0119090 [T1]).

Das Erstgericht nahm an, dass alle Drohungen und Gewaltanwendungen, die der Angeklagte im Zuge des vom Schuldspruch II erfassten Tatgeschehens ‑ sei es außerhalb, sei es innerhalb seiner Wohnung ‑ gegenüber J***** setzte, von seinem (einheitlichen) Willen getragen waren, sie dadurch (letztlich) zur Duldung des Beischlafs oder einer diesem gleichzusetzenden Handlung zu zwingen (US 7 f, 17 f), und ging damit von einer tatbestandlichen Handlungseinheit im weiteren Sinn (RIS‑Justiz RS0122006) aus.

Weshalb es für die rechtsrichtige Beurteilung darüber hinaus noch der Feststellungen zur „Wegstrecke/Weglänge zwischen dem Ort des Zusammentreffens an der Bushaltestelle E*****-Straße und der Lage der Wohnung des Angeklagten E*****-Straße 67“ bedurft haben sollte, macht die Beschwerde nicht klar (siehe aber RIS‑Justiz RS0116565). Sollte damit, etwa in Ansehung der dem Betreten der Wohnung zeitlich vorgelagerten Tätlichkeiten, ein zusätzlicher Schuldspruch (wegen dadurch verwirklichter Nötigungen oder Körperverletzungen) angestrebt werden, ist die Nichtigkeitsbeschwerde (schon) nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt.

Die weitere Rüge vermisst ‑ ihrerseits zusammenhanglos ‑ einen „nahen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang“ zwischen den „Gewalthandlungen“ und dem „versuchten erzwungenen Beischlaf“. Damit spricht sie die - wohl der Sache nach bezweifelte ‑ rechtliche Annahme des Erreichens des Versuchsstadiums (§ 15 StGB) nicht einmal deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) an.

Dieses beginnt im Übrigen mit Verhaltensweisen, die (nicht erst dem Erreichen des Nötigungszieles, sondern schon) dem Einsatz des Nötigungsmittels unmittelbar vorangehen ( Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 40 mwN). Ein besonderes zeitliches oder räumliches Naheverhältnis zwischen der Anwendung des Nötigungsmittels und der (damit bezweckten) Vornahme oder Duldung des Beischlafs (oder der diesem gleichzusetzenden Handlung) verlangt § 201 Abs 1 StGB keineswegs (vgl Hinterhofer SbgK § 201 Rz 73; Kienapfel/Schmolle r BT III 2 §§ 201-202 Rz 43).

Unter Hinweis auf die Konstatierung, der Angeklagte habe, mit J***** in seiner Wohnung angekommen, seinen Festhaltegriff gelöst und ihr, während er im Wohnzimmer ein Kondom, ein Taschentuch und ein Stück Klebeband vorbereitet habe, gestattet, sich ein Glas Wasser aus der Küche zu holen, sodass sie durch die unversperrt gebliebene Eingangstür habe fliehen können (US 7), beruft sich der Beschwerdeführer auf freiwilligen Rücktritt vom (qualifizierten) Versuch (§ 16 Abs 1 StGB). Dabei vernachlässigt er prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) das der angestrebten rechtlichen Konsequenz entgegenstehende ( Fabrizy , StGB 11 § 16 Rz 8; RIS-Justiz RS0089870) Feststellungssubstrat, wonach der Angeklagte zunächst die Verfolgung aufnahm und seinen Tatplan erst aufgab, als er erkannte, dass er das die Stiege hinab flüchtende Opfer nicht mehr würde einholen können (US 7, 8, 18).

Mit Blick auf (dies indizierende) Verfahrensergebnisse zu Schuldspruch II begehrt der Rechtsmittelwerber die Feststellung, es sei „bis zur Untersuchung durch den gerichtlich beeideten Sachverständigen eine bereits angebotene und mehrfach besprochene Psychotherapie durch das Opfer nicht in Anspruch genommen“ worden. Dass daraus der rechtliche Schluss zu ziehen sei, die schwere Verletzung stelle keine „tatadäquate Folge“ dar und sei dem Angeklagten „jedenfalls nicht zuzurechnen“, weil J***** ein „entsprechendes Mitverschulden am aktuell festgestellten Gesundheitszustand“ treffe, wird aber ohne Ableitung aus dem Gesetz bloß behauptet (siehe RIS-Justiz RS0116565).

Hinzugefügt sei, dass ein nachträgliches Fehlverhalten des Verletzten die objektive Zurechnung nur dann (mangels Risikozusammenhangs) ausschließen kann, wenn das Opfer in Bezug auf seine Primärverletzung ein Folgeverhalten gesetzt hat, das für jeden vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betreffenden unter den gegebenen Umständen schlechthin unbegreiflich ist, und wenn ohne dieses Folgeverhalten des Opfers die schwere Tatfolge mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre (RIS-Justiz RS0089147). Anhaltspunkte, die eine solche Ausnahmekonstellation nahe legen würden, zeigt das Rechtsmittel ‑ aktenkonform - nicht auf.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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