OGH 9ObA113/16g

OGH9ObA113/16g20.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.‑Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ao. Univ.‑Prof. Dr. P*****, vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Univ.‑Prof. Dr. J*****, vertreten durch Greiter Pegger Kofler & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 2.340,30 EUR sA und Rechnungslegung (Streitwert 3.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 2.335,66 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Mai 2016, GZ 15 Ra 41/16s-28, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00113.16G.0420.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. § 94 ÄrzteG 1998 verpflichtet Kammerangehörige (unter anderem) vor Einbringung einer zivilgerichtlichen Klage alle sich zwischen ihnen bei Ausübung des ärztlichen Berufs oder im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Standesvertretung ergebenden Streitigkeiten einem Schlichtungsausschuss der Ärztekammer zur Schlichtung vorzulegen. Diese Bestimmung enthält eine obligatorische Schlichtungsklausel. Eine solche bildet nach ständiger Rechtsprechung kein zur Klagezurückweisung führendes Prozesshindernis (RIS-Justiz RS0033687), sondern begründet den über Einwand wahrzunehmenden Mangel der (derzeitigen) Klagbarkeit (RIS-Justiz RS0045298; RS0033687) bzw der Fälligkeit (RIS-Justiz RS0082250; vgl 6 Ob 32/05g).

Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht dazu Stellung genommen hat, welche Personen von § 94 ÄrzteG 1998 umfasst sind. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt aber dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS-Justiz RS0042656). Die Verpflichtung betrifft nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Bestimmung nur Kammerangehörige. Die Möglichkeit der Anrufung des Schlichtungsausschusses setzt daher nach dem ÄrzteG 1998 ausdrücklich die Zugehörigkeit der Streitparteien zu einer Ärztekammer voraus, im Fall der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Landeskammern ist entscheidend, welche Kammer zuerst angerufen wird. Zusätzlich wird verlangt, dass sich die Streitigkeiten bei Ausübung des ärztlichen Berufs oder im Rahmen der Tätigkeit in der Standesvertretung ergeben. Insoweit unterscheidet sich diese Regelung etwa von § 8 VerG 2002, der die Zuständigkeit der Vereinsschiedsgerichte für „Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis“ vorsieht, ohne dass auf eine (aufrechte) Vereinszugehörigkeit Bezug genommen wird.

Wer Kammerangehöriger einer Ärztekammer ist, ergibt sich aus § 68 Abs 1 und 2 ÄrzteG 1998. § 68 Abs 4 ÄrzteG regelt, unter welchen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zu einer Ärztekammer erlischt.

Unstrittig war der Beklagte zur Zeit der Klagseinbringung beim Erstgericht (12. 1. 2015) nicht kammerzugehörig iSd ÄrzteG 1998. Eine Verpflichtung des Klägers zur vorherigen Anrufung eines Schlichtungsausschusses der Ärztekammer bestand daher nicht.

Der Oberste Gerichtshof hat sich bei der Prüfung der Frage, ob eine außerordentliche Revision einer weiteren Behandlung unterzogen oder verworfen werden soll, auf jene Gründe zu beschränken, die in der Zulassungsbeschwerde als solche angeführt wurden (RIS-Justiz RS0107501). Auf die unsubstanziierten Überlegungen des Beklagten in der Ausführung des Rechtsmittels zu einer allfälligen Unionsrechtswidrigkeit des § 94 ÄrzteG 1998 ist daher nicht weiter einzugehen.

2. Der Beklagte wendet sich nicht gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Vereinbarung des honorarberechtigten Arztes mit den durch den Poolrat vertretenen Poolberechtigten nach § 41 Tir KAG zwar Entgelte für Leistungen aus selbständiger Tätigkeit zum Inhalt hat, es aber aufgrund des Konnexes zur unselbständigen Tätigkeit der poolberechtigten Ärzte aufgrund des Dienstverhältnisses zum Anstaltsträger sachgerecht sei, die Regeln für Widerrufsvorbehalte und Unverbindlichkeitsvorbehalte, die für das Arbeitsrecht entwickelt wurden, auch auf solche Vereinbarungen anzuwenden.

3. Nach der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung werden regelmäßig gewährte Zuwendungen, mit denen der Arbeitnehmer rechnen kann, verpflichtender Vertragsinhalt, wenn nicht klar betont wird, dass es sich um freiwillige, unverbindliche und jederzeit widerrufliche Leistungen handelt (RIS-Justiz RS0014154). Unverbindlichkeitsvorbehalte weisen darauf hin, dass eine Leistung freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bzw ohne Einräumung eines Anspruchs auf eine zukünftige Leistungserbringung gewährt wird. Auch durch die wiederholte Gewährung soll kein Rechtsanspruch für die Zukunft entstehen. Es soll dem Arbeitgeber von Fall zu Fall überlassen bleiben, neu zu entscheiden, ob und in welcher Höhe er die Leistung weiter gewähren will. Will er dies nicht mehr, so reicht es aus, dass er die Leistung einfach einstellt. Der Widerrufsvorbehalt hingegen setzt einen Anspruch des Arbeitnehmers voraus, der durch den Widerruf wieder vernichtet werden kann, wobei die Ausübung des Widerrufsvorbehalts einer gewissen Ausübungskontrolle unterliegt (9 ObA 113/08w; RIS-Justiz RS0014154 [T31]).

4. Ob und welche Vorbehalte vorliegen, kann naturgemäß nur nach der konkreten Vertragsbeziehung im Einzelfall beurteilt werden und stellt dementsprechend regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0044358 [T37]). Insbesondere wenn ein Unverbindlichkeitsvorbehalt mit einem Widerrufsvorbehalt kombiniert ist, bedarf es der Auslegung dahin, ob es für den Arbeitnehmer klar sein musste, dass kein Rechtsanspruch eingeräumt oder mit dem Verweis auf den mangelnden Rechtsanspruch vielmehr nur die Widerruflichkeit bestärkt werden sollte (9 ObA 113/08w). Dabei ist nicht auf die einzelne Klausel abzustellen, sondern der Gesamtzusammenhang der Vereinbarung, aber auch die Umstände, unter denen die Erklärungen abgegeben wurden, zu berücksichtigen (vgl 9 ObA 113/08w). Dass in anderen Universitätskliniken ähnliche Verträge mit gleichartigen Klauseln bestehen, vermag daher für sich allein ebenfalls keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu begründen. Dies gilt auch für den Umstand, dass im Einzelfall eine Vielzahl von Personen durch die Vereinbarung betroffen sind (RIS-Justiz RS0042776 [T26]; RS0042816 [T3]).

5. Im vorliegenden Fall verwies das Berufungsgericht darauf, dass der Beklagte vor dem Hintergrund, dass der Poolrat eine Sicherstellung des 70 %‑Anteils an den Sonderklassehonoraren anstrebte, einerseits die Freiwilligkeit der 25 % über dem nach § 41 Abs 7 lit a TirKAG vorgeschriebenen Anteil an den Poolgeldern betonte, zugleich aber in den Verhandlungen Umstände nannte, die zu einer Minderung der Leistung führen sollten (fehlende Zielerreichung; Regresspflicht bei Verletzung der Arbeitszeitgesetze; gesamtwirtschaftliche Situation der Klinik). Nur im Kontext mit einer Änderung der gesamtwirtschaftlichen Situation sei festgehalten worden, dass aus der Vereinbarung kein Rechtsanspruch abgeleitet werden könne. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass damit nur die Widerruflichkeit bestärkt werden sollte und dies nicht schon als Hinweis auf die Unverbindlichkeit verstanden werden musste, ist vor diesem Hintergrund nicht unvertretbar.

Die Betonung der Freiwilligkeit anlässlich einer wiederholt gewährten Leistung bedeutet nur, dass die Zuwendung auf einen ursprünglich freiwilligen Entschluss zurückgeht; es wird damit nur die Unterscheidung zu den gesetzlich oder kollektivvertraglich geschuldeten Leistungen zum Ausdruck gebracht, nicht aber der Vorbehalt der Unverbindlichkeit und Widerruflichkeit (RIS-Justiz RS0014154 [T26]).

Allein aus der Feststellung, dass es über die Vereinbarung „Diskussionen“ gab, deren Inhalt weder vorgebracht noch festgestellt wurde und es in einzelnen Punkten zu Umformulierungen der vorgeschlagenen Fassung der Vereinbarung kam, lässt sich ebenfalls keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts ableiten.

6. Ausgehend von einem Widerrufsvorbehalt ist aber auch die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die von einem Poolratsvertreter verursachte einmalige eigenmächtige teilweise Nichtausschüttung von Poolgeldern, für die er sich in der Folge entschuldigte, und die „aggressive Stimmung“ unter den Kollegen keinen Widerrufsgrund gegenüber sämtlichen Poolgeldberechtigten darstellen, nicht korrekturbedürftig. Da der Beklagte bereits ab Juli 2014 nur noch den gesetzlichen Anteil überwies, lässt sich die Berechtigung dafür auch nicht daraus ableiten, dass „ab Juni“ keine Abrechnungen mehr erfolgten.

7. Die außerordentliche Revision des Beklagten ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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