OGH 15Os128/16m

OGH15Os128/16m5.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache des Privatanklägers Heinz‑Christian S***** gegen Dr. Christoph B***** wegen des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB, AZ 113 Hv 41/16a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Dr. B***** auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00128.16M.0405.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. Juni 2016, GZ 113 Hv 41/16a‑9, wurde Dr. Christoph B***** des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe in der Höhe von 30 Tagessätzen zu 90 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 15 Tagen verurteilt, wobei gemäß § 43a Abs 1 StGB ein Teil der Geldstrafe im Ausmaß von 20 Tagessätzen unter Setzung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 19. April 2016 in L***** öffentlich Heinz‑Christian S***** beschimpft, in dem er ihn auf der Facebook‑Seite der Jutta K***** als „Arsch“ bezeichnete.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts fand am Abend des 18. April 2016 in W***** eine politische Demonstration der F***** statt, die sich gegen die Einrichtung eines Flüchtlingsheims in W***** richtete. Der Privatankläger trat dort als Redner auf, griff – wie schon vielfach zuvor – die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung heftig an und lehnte die Einrichtung von Unterkünften für Flüchtlinge ab. Dr. B***** war bei der Demonstration nicht anwesend. Er wusste im Vorfeld, dass sie stattfinden würde und was ihr Anliegen war. Die Demonstration endete gegen 19:00 oder 20:00 Uhr.

Ungefähr um diese Uhrzeit postete Jutta K***** auf ihrer Facebook‑Seite eine Fotografie von sich, einer weiteren Person mit einem nach oben gestreckten Daumen und dem Privatankläger und kommentierte dies mit dem Satz „Beste Stimmung auf der Demo!“. Den Chat, in dem sie dies postete, konnten zumindest 49 ihrer „Facebook‑Freunde“ (einschließlich des Angeklagten) einsehen.

Sechs Stunden später, am 19. April 2016 um 1:41 Uhr, kommentierte Dr. B***** diesen Eintrag der Jutta K***** mit dem Satz „nicht dein Ernst … wir kämpfen gegen diesen Arsch und du lässt dich mit dem fotografieren … ^^“. Sein Kommentar war für alle Chat‑Teilnehmer sichtbar (US 3 f).

Nach den Konstatierungen zum Bedeutungsinhalt verstehe der Leser aus dem Kreis der mit Jutta K***** bei Facebook befreundeten Personen diese Äußerung so, dass Dr. B***** es nicht gutheiße, dass jene bei einer Demonstration der F***** gegen ein Flüchtlingsheim in W***** teilgenommen habe und sich mit dem Privatankläger fotografieren habe lassen. Er habe Heinz‑Christian S***** als „Arsch“ beschimpft, gegen den er und gleichgesinnte Personen kämpften, wobei dem Leser „Arsch“ als derbes Schimpfwort bekannt sei.

Einen darüber hinausgehenden Inhalt, „wie etwa konkrete Kritik an der Politik des Privatanklägers, kann der Leser der inkriminierten Äußerung nicht entnehmen“. Auslöser für diesen Kommentar war kein Verhalten des Privatanklägers, sondern die Enttäuschung darüber, dass K*****, die der Angeklagte bis dahin für eine SPÖ‑Sympathisantin gehalten hatte, den Privatankläger offensichtlich in seiner Flüchtlingspolitik unterstütze (US 4).

Der dagegen gerichteten Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 28. September 2016, AZ 17 Bs 241/16i (ON 19 des Hv‑Akts), nicht Folge.

Ausgehend von den („durch die Schuldberufung nicht erschütterbaren“; US 8) Feststellungen des Erstgerichts verneinte auch das Berufungsgericht einen Zusammenhang der Äußerung mit der politischen Tätigkeit des Privatanklägers. Die Äußerung leiste keinen Beitrag zu einer „public debate“, werde das Bild der Politiker in der Öffentlichkeit doch weiter beschädigt, wenn die Bevölkerung wahrnehme, wie respektlos Politiker unterschiedlicher Ansichten miteinander umgingen. Insbesondere handle es sich bei der inkriminierten Äußerung um keine satirische, sondern bloß um eine „plumpe derbe Beschimpfung ohne jedweden Bezug auf bestimmte politische Inhalte“ (US 7).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese beiden Urteile richtet sich der Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam (RIS‑Justiz RS0122228), mit dem er eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK geltend macht.

Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeits-voraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737, RS0128394).

Demnach hat – da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur dann anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein – auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine – vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende – Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat sich der Erneuerungswerber mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und, soweit er auf der Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag, die Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]).

Diesen Anforderungen wird der Erneuerungswerber mit der bloßen Behauptung, die Verneinung eines Zusammenhangs des Kommentars mit der politischen Tätigkeit des Privatanklägers sei „falsch“, „selbstverständlich“ sei das Verhalten des Privatanklägers Auslöser für den Kommentar gewesen, und der daraus abgeleiteten Folgerung, die Gerichte hätten „bei korrekter Interpretation des inkriminierten Kommentars“ zu einem anderen Ergebnis gelangen müssen, nicht gerecht. Er vernachlässigt dabei nämlich jene Konstatierungen zum Bedeutungsinhalt, denen zufolge der inkriminierten Äußerung eine konkrete Kritik an oder auch nur ein Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des Privatanklägers nicht entnommen werden kann (ON 9 S 4; ON 19 S 6, 8).

Im Übrigen ist zu dem weiteren, auf die Judikatur des EGMR rekurrierenden, indes gleichfalls die den Bezugspunkt rechtlicher Ausführungen bildenden Feststellungen zum Bedeutungsinhalt außer Acht lassenden Vorbringen anzumerken, dass Art 10 MRK nach gesicherter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zwar dem kritischen Werturteil – zumal in der politischen Auseinandersetzung – eine sehr weitreichende verfassungsrechtliche Privilegierung gewährt, aber keineswegs eine schrankenlose Meinungs‑ und Kritikfreiheit einräumt (vgl Art 10 Abs 2 MRK). Denn auch gegenüber Politikern sind (Un‑)Werturteile ohne (einzelfallbezogen) hinreichendes Tatsachensubstrat, Wertungsexzesse oder formale Ehrenbeleidigungen vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht gedeckt (vgl RIS‑Justiz RS0075702; Kienapfel/Schroll BT I5 Vorbem §§ 111 ff Rz 12, 14 ff; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 23 Rz 28 f). Solcherart ist der Persönlichkeitsschutz von Politikern zwar insofern eingeschränkt, als die Grenzen der zulässigen Kritik bei ihnen weiter gezogen sind als bei Privatpersonen (für viele: EGMR 1. 7. 1997, 20834/92 Oberschlick/Österreich; (Nr. 2), Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 23 Rz 27, 32), die Grenze ist aber dort zu ziehen, wo unabhängig von den zur Debatte gestellten politischen Verhaltensweisen die persönliche Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht (vgl RIS‑Justiz RS0082182). Auch in einer heftigen politischen Auseinandersetzung vorgebrachte Äußerungen haben daher, gemessen am Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK, stets einem Minimum an Mäßigung zu entsprechen, insbesondere weil auch das Ansehen eines umstrittenen Politikers den von der MRK gewährleisteten Schutz genießt (15 Os 171/08y).

Der vorliegende Sachverhalt ist auch nicht mit der Entscheidung 15 Os 10/08x des Obersten Gerichtshofs („Arsch mit Ohren“) vergleichbar, weil dort eine durchaus witzig gemeinte politische Karikatur (Satire) zu beurteilen war und nicht – wie im vorliegenden Fall – eine Beschimpfung ohne jeden satirischen oder künstlerischen Anspruch (vgl hiezu auch 6 Ob 237/16w). Auch die – vom Erneuerungswerber zitierte – Entscheidung des EGMR 22. 2. 2007, 5266/03 Nikowitz und Verlagsgruppe News GmbH/Österreich, betraf einen humoristischen Kommentar, dessen ironische und satirische Note ohne weiteres erkennbar war.

Selbst unter Berücksichtigung der Besonderheiten der gegenständlichen (Facebook‑)Kommunikation, nämlich einer primär an eine dritte Person gerichteten Äußerung in einem niederschwelligen Internetmedium, und der Person des Privatanklägers, der als Proponent einer (gerade im Bereich der Migrations- und Flüchtlingspolitik) polarisierenden politischen Gruppierung selbst in seinen Wortmeldungen wenig Zurückhaltung erkennen lässt (vgl zu den Kriterien der Grundrechtsabwägung EGMR 7. 2. 2012 (GK), 40.660/08 und 60.641/08 Von Hannover/Deutschland,[Nr. 2]), lag nach den Annahmen der befassten Instanzen dennoch kein situativer Kontext vor, in dem die in Rede stehende Beschimpfung als unmittelbare Reaktion auf eine konkrete politische Äußerung oder Handlung des Privatanklägers erklärbar wäre. Solcherart losgelöst von einem an der Sache orientierten politischen Diskurs leistete die entgleisende Wortwahl des Antragstellers keinen Beitrag zu einer Debatte über Fragen von allgemeinem Interesse, weshalb in den bekämpften Urteilen keine unverhältnismäßige Einschränkung der grundrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit erblickt werden kann.

Über den Antragsteller wurde eine Geldstrafe in der Höhe von 30 Tagessätzen verhängt, wobei ein Teil dieser Strafe von 20 Tagessätzen unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen wurde (§ 43a Abs 1 StGB). Berücksichtigt man, dass die Gerichte nicht eine (alternativ mögliche) Freiheitsstrafe (von bis zu drei Monaten), sondern eine lediglich ein Sechstel des zur Verfügung stehenden Rahmens ausschöpfende Geldstrafe verhängt haben, deren überwiegender Teil bedingt nachgesehen wurde (wobei auch die Probezeit bloß mit zwei Jahren festgelegt wurde; vgl § 43 Abs 1 StGB), und zufolge der damit verbundenen Beschränkung der Auskunft aus dem Strafregister (§ 6 Abs 2 TilgG) keine über die Verurteilung hinausgehenden Folgen zu erwarten sind, ist die von den Gerichten gefundene Sanktion – selbst wenn man berücksichtigt, dass es sich um eine strafgerichtliche Verurteilung handelte – auch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden.

Die unmittelbare Bekämpfung (auch) des (erstinstanzlichen) Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. Juni 2016 mittels eines ohne vorherige Anrufung des EGMR eingebrachten Erneuerungsantrags war im Übrigen schon deshalb nicht möglich, weil nach den bereits erwähnten Zulässigkeitskriterien (Art 34 und 35 MRK) erst die letztinstanzliche Entscheidung nach Ausschöpfung des (horizontalen und vertikalen) innerstaatlichen Instanzenzugs anzufechten ist (vgl RIS‑Justiz RS0122737).

Der offenbar unbegründete Erneuerungsantrag (der mit Anträgen auf Kostenersatz [vgl aber Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 20] und „Entschädigung für die erlittene Kränkung“ verbunden wurde) war daher in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen.

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