European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00046.16B.0223.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Begründung:
Die Staatsanwaltschaft Wien beantragte die gerichtliche Hinterlegung einer Uhr nach § 1425 ABGB mit der Begründung, sie sei bei einem Einbruchsdiebstahl in Tschechien gestohlen worden. Diese Uhr habe der zunächst als Beschuldigter geführte Ersterlagsgegner bei einem Juwelier in Wien zur Reparatur gegeben. Dort sei aufgefallen, dass sie als gestohlen gemeldet gewesen sei. Das Verfahren gegen den Ersterlagsgegner wegen § 164 StGB sei in der Folge mangels Tatnachweises gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt worden, womit der Grund für die Verwahrung weggefallen sei. Da nicht klar sei, ob er Eigentum erworben habe, sei die materiell berechtigte Person nicht ersichtlich bzw könne diese nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand ermittelt werden, weshalb die Hinterlegung nach § 1425 ABGB beantragt werde.
Das Erstgericht wies den Antrag sogleich ab. Wenn das Strafverfahren eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen werde, sei der beschlagnahmte Gegenstand der Person zurückzugeben, gegen die sich die Beschlagnahme gerichtet habe. Eine Hinterlegung nach § 1425 ABGB habe daher nicht zu erfolgen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung; gleichzeitig wies es den Rekurs („samt Ergänzung“) des bestohlenen tschechischen Unternehmers rechtskräftig zurück. Falle der Grund für die weitere Verwahrung der sichergestellten Gegenstände weg, seien sie gemäß § 114 Abs 2 StPO jener Person auszufolgen, in deren Verfügungsmacht sie sichergestellt worden seien, außer diese Person wäre offensichtlich nicht berechtigt. Nur wenn eine berechtigte Person nicht ersichtlich sei und nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand festgestellt werden könne, sei nach § 1425 ABGB zu hinterlegen. Dann habe das Erlagsgericht eine Schlüssigkeitsprüfung in Ansehung der Hinterlegungsvoraussetzungen vorzunehmen.
Hier sei das Strafverfahren eingestellt worden. Da vorgebracht worden sei, dass der Verwahrgegenstand in einem Juweliergeschäft gestohlen worden sei, sei mangels weiterer Antragsbehauptungen nicht schlüssig dargelegt, welche Gründe gegen eine Ausfolgung an die berechtigte Person sprechen sollten. Nach der Aktenlage habe der vormalige Beschuldigte keinen Ausfolgungsantrag gestellt. Im Hinblick auf den vorliegenden Diebstahl sei sein Eigentumsrecht jedenfalls bedenklich. Dem Erlagsantrag fehle es daher an der erforderlichen Schlüssigkeit, weshalb das Erstgericht – im Ergebnis – zu Recht zu seiner Abweisung gelangt sei.
Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil keine höchstgerichtliche Judikatur zu den in § 114 Abs 2 StPO normierten Voraussetzungen eines Gerichtserlags nach § 1425 ABGB vorliege.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin , die die Annahme des Gerichtserlags anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Revisionsrekurswerberin vermisst Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob die in § 367 StPO normierten Hinterlegungsgründe auch auf die gerichtliche Hinterlegung durch Staatsanwaltschaften anzuwenden seien, und ob die in 1 Ob 376/98w ausgesprochene Fürsorgepflicht des Hinterlegungsgerichts in gleichem Maß für Staatsanwaltschaften zu gelten habe. Die Entscheidungen der Vorinstanzen seien auch widersprüchlich, weil das Erstgericht davon ausgehe, dass an den ehemaligen Beschuldigten auszufolgen sei, nach dem Rekursgericht dagegen offenbar an den bestohlenen Juwelier. Es stehe aber nicht fest, wer Eigentümer der Uhr sei, insbesondere ob ein Gutglaubenserwerb stattgefunden habe. Bei einem tauglichen Hinterlegungsgrund sei der Erlag ohne weiteres anzunehmen. Ein solcher sei hier geltend gemacht worden, weil ansonsten durch die Staatsanwaltschaft Wien allenfalls nach § 31 IPRG ein Gutglaubenserwerb geprüft werden müsse.
Die Erlagsgegner erstatteten keine Rechtsmittelbeantwortungen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig , weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Berechtigung bzw Verfügungsmacht iSd § 114 Abs 2 StPO fehlt; er ist auch im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt (7 Ob 269/08x; 5 Ob 234/10p).
1. Gesetzliche Grundlagen
1.1. Gemäß § 114 Abs 2 StPO sind, „wenn der Grund für die weitere Verwahrung sichergestellter Gegenstände wegfällt, diese sogleich jener Person auszufolgen, in deren Verfügungsmacht sie sichergestellt wurden, es sei denn, dass diese Person offensichtlich nicht berechtigt ist. In diesem Fall sind sie der berechtigten Person auszufolgen oder, wenn eine solche nicht ersichtlich ist und nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand festgestellt werden kann, nach § 1425 ABGB gerichtlich zu hinterlegen. Die hievon betroffenen Personen sind zu verständigen“.
1.2. Nach § 367 Abs 2 StPO kann ein solcher Gegenstand ua auch vor der Rechtskraft des Urteils auf Antrag des Opfers nach Anhörung des Beschuldigten und der übrigen Beteiligten, und zwar im Hauptverfahren durch das erkennende Gericht, im Ermittlungsverfahren jedoch durch die Staatsanwaltschaft zurückgestellt werden, wenn
„1. der Gegenstand zur Herstellung des Beweises nicht oder nicht mehr benötigt wird und
2. weder der Beschuldigte oder ein Dritter bestimmte Tatsachen behaupten, aus denen sich ein Recht auf die Sache ergeben könnte, das der Ausfolgung an den Antragsteller entgegensteht, noch sonst Umstände vorliegen, welche die Rechte des Antragstellers zweifelhaft erscheinen lassen.“
Wird einem Ausfolgungsantrag nach Abs 2 aus dem Grund der Z 2 nicht stattgegeben, so ist nach Abs 3 leg cit die Beschlagnahme aufzuheben und der Gegenstand nach § 1425 ABGB bei dem für den Sitz des Gerichts zuständigen Bezirksgericht zu hinterlegen.
1.3. Letztlich sind nach § 2 des mit 1. 5. 2011 in Kraft getretenen (vgl § 18 leg cit) Bundesgesetzes über die Hinterlegung und Einziehung von Verwahrnissen (Verwahrungs‑ und Einziehungsgesetz – VerwEinzG) BGBl I 2010/111, das insoweit das Bundesgesetz über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse, BGBl 1963/281, ersetzt hat, „Verwahrnisse, die das Strafgericht oder die Staatsanwaltschaft nach dem Wegfall des Rechtsgrundes für die gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Verwahrung nicht verwerten oder ausfolgen kann, nach § 1425 ABGB zu hinterlegen (strafrechtlicher Erlag)“. Auf solche Verwahrnisse sind die Bestimmungen des genannten Bundesgesetzes anzuwenden, wobei der Bund ab dem Erlagsantrag durch die Finanzprokuratur vertreten wird.
2. Rechtsprechung zum strafrechtlichen Erlag:
2.1. Auf den Erlag durch das Strafgericht ist § 1425 ABGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass als Erleger nicht der Schuldner, sondern das Strafgericht auftritt (5 Ob 32/00t SZ 73/48, RIS‑Justiz RS0123982). § 2 VerwEinzG normiert ebenso wenig wie früher § 2 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse, BGBl 1963/281, einen eigenständigen Verwahrungsgrund, sondern lediglich einen Anwendungsfall des § 1425 ABGB. Seine Voraussetzungen müssen daher– von der Person des Erlegers abgesehen – auch im Fall strafgerichtlicher Verwahrnisse vorliegen (6 Ob 105/08x).
2.2. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Erlag zu Gericht anzunehmen ist, hat das Gericht aber – anhand der Behauptungen des Erlegers – nur eine Schlüssigkeitsprüfung zu den Hinterlegungsvoraussetzungen vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0112198; RS0033495 [T1 und T2]; 8 Ob 31/11h; 5 Ob 32/00t SZ 73/48; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1425 Rz 17). Das Erlagsgericht hat den Antrag deshalb auf seine Schlüssigkeit hin zu prüfen, um zu verhindern, dass die Gerichte aus beliebigen Gründen mit Verwahreraufgaben belastet werden (6 Ob 105/08x; 8 Ob 75/16m; vgl auch Spenling in Fuchs/Ratz, WK‑StPO § 367 Rz 29; Danzl, Geo6 [2015] § 299 Anm 5 lit b).
2.3. Allgemein wird es im gegebenen Zusammenhang als Hinterlegungsgrund nach § 1425 ABGB angesehen, wenn mehrere Personen (Herausgabeprätendenten) Ausfolgungsansprüche erheben, die in schlüssiger Weise miteinander konkurrieren, oder wenn die Berechtigung eines einzelnen „Eigentumsansprechers“ (Herausgabeprätendenten) nach den Umständen zweifelhaft ist, etwa weil sie von einem Dritten schlüssig bestritten wird (vgl 6 Ob 105/08x; siehe dazu auch Spenling in Fuchs/Ratz, WK‑StPO § 367 Rz 10). In solchen Fällen kann die Herausgabeberechtigung erst in einem Zivilrechtsstreit geklärt werden. Demgegenüber ist ein Erlag nicht gerechtfertigt, wenn der Herausgabeberechtigte leicht feststellbar ist (vgl 6 Ob 105/08x).
2.4. Auch das Strafgericht (bzw hier die Staatsanwaltschaft) hat im Erlagsgesuch einen tauglichen Hinterlegungsgrund im Sinn des § 1425 ABGB darzutun (6 Ob 105/08x; 5 Ob 32/00t SZ 73/48; Maleczky Das Schicksal beschlagnahmter Gegenstände im Strafprozeß, ÖJZ 1997, 456 [459]; Danzl, Geo6 [2015] § 613 Anm 9 lit a). Nennt es mehrere Forderungsprätendenten (Erlagsgegner), sind deren Ansprüche auf den Erlagsgegenstand und die Schwierigkeit ihrer rechtmäßigen Erfüllung plausibel zu machen (RIS‑Justiz RS0113469).
3. Die Staatsanwaltschaft hat hier in ihrem Antrag als Erlagszweck ausdrücklich und ausschließlich § 114 Abs 2 StPO angegeben (ON 1).
Die Erhebung jedweder Ansprüche bzw Ausfolgungsanträge im Strafverfahren wurde weder behauptet, noch ergibt sie sich aus den Akten. Die in Zusammenhang mit § 367 StPO im Revisionsrekurs aufgeworfenen Rechtsfragen sind daher nicht entscheidungsrelevant.
Auch die in 1 Ob 376/98w enthaltenen Ausführungen zu den (Fürsorge‑)Pflichten des Hinterlegungsgerichts bei vom Verderben bedrohten oder wartungsintensiven Verwahrungsgegenständen sind hier nicht einschlägig.
4. Zu § 114 Abs 2 StPO:
4.1. Die Antragstellerin ging vom Vorliegen der Hinterlegungsvoraussetzungen deshalb aus, weil die materiell berechtigte Person nach § 114 StPO im Hinblick darauf nicht klar und auch nicht leicht zu ermitteln sei, weil ein allfälliger Eigentumserwerb des Ersterlagsgegners fraglich sei.
4.2. § 114 Abs 2 StPO setzt aber nicht Eigentum voraus, sondern stellt auf die Berechtigung der Person ab, aus deren „Verfügungsmacht“ die Gegenstände entzogen wurden (vgl jüngst 15 Os 34/16p).
Hier ist den im erstinstanzlichen Akt erliegenden Auszügen aus dem Strafakt überdies zu entnehmen, dass die Uhr nicht beim Ersterlagsgegner, dessen fraglichen Eigentumserwerb die Antragstellerin thematisiert, beschlagnahmt wurde, sondern bei dem mit der Reparatur beauftragten Juwelier. Mit dem mit diesem abgeschlossenen Werkvertrag über die Reparatur war aber als Nebenpflicht eine Verwahrungspflicht iSd § 957 ABGB notwendigerweise verbunden (vgl RIS‑Justiz RS0019378), durch die der Verwahrer allerdings weder Eigentum noch Besitz erwarb, sondern lediglich Inhaber mit der Pflicht wurde, die ihm anvertraute Sache vor Schaden zu sichern (§ 958 ABGB).
4.3. Nun stellt zwar Kroschl SbgK § 114 StPO Rz 15, im Bezug auf die Ausfolgung nach § 114 Abs 2 StPO auf den Besitz ab und äußern sich die Materialien (25 BlgNR 22. GP 159) dahingehend, dass lediglich in Fällen, in denen die Person, aus deren Verfügungsmacht die Gegenstände entzogen wurden, offenkundig nicht zum Besitz dieser Gegenstände berechtigt sei, an die tatsächlich berechtigte Person auszufolgen sei. Der Oberste Gerichtshof ist aber der Ansicht, dass damit den Strafbehörden keine diffizile Unterscheidung zwischen Eigentum, Besitz oder bloßer Innehabung, zB aufgrund von Verwahrungspflichten oä iSd ABGB, aufgetragen, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass die sichergestellten Gegenstände grundsätzlich der Person zurückzustellen sind, bei der sie sichergestellt wurden, die also zu diesem Zeitpunkt – aus welchem Grund immer – deren Inhaber war. Das trifft auch auf den bloßen Verwahrer einer Sache zu. Anderes gilt nur dann, wenn diese Person offensichtlich nicht zur Innehabung berechtigt war.
5. Wird ein Erlagsgesuch nun damit begründet, dass mehrere Forderungsprätendenten auf den Erlagsgegenstand Anspruch erheben und der oder die wahren Gläubiger nicht mit zumutbarem Aufwand zu ermitteln sind (was an sich ein tauglicher Erlagsgrund iSd § 1425 ABGB wäre: § 114 Abs 2 Satz 2 StPO), dann gehört zur Schlüssigkeitsüberprüfung auch, ob die Angaben des Erlegers über die auf den Erlagsgegenstand geltend gemachten Ansprüche rechtlich plausibel sind und auch schlüssig dargelegt wurden. Das gilt auch für einen strafrechtlichen Erlag. Auch in einem solchen Erlagsgesuch ist ein tauglicher Hinterlegungsgrund darzutun (5 Ob 32/00t SZ 73/48; 8 Ob 75/16m; RIS‑Justiz RS0113469).
Diesen Anforderungen wird der hier gestellte Antrag nicht gerecht. Einerseits fehlen im Hinblick auf die erörterte Abstufung des § 114 Abs 2 StPO bei der Ausfolgung schlüssige Behauptungen dazu, warum an den nach der Bestimmung in erster Linie in Frage kommenden Juwelier, bei dem beschlagnahmt wurde, nicht ausgefolgt werden konnte. Andererseits wurde der thematisierte (gutgläubige) Eigentumserwerb des Ersterlagsgegners als möglichen weiteren Berechtigten soweit ersichtlich von niemandem– auch nicht von ihm selbst – behauptet. Der bloße Hinweis der Antragstellerin auf die abstrakte Möglichkeit weiterer Anspruchsberechtigter reicht aber nach der Rechtsprechung zur Rechtfertigung eines Gerichtserlags jedenfalls nicht aus (6 Ob 57/12v; RIS‑Justiz RS0118340 [T2]). Letztlich erscheint mittlerweile auch in Bezug auf die Zweiterlagsgegnerin fraglich, ob es sich bei ihr tatsächlich um die Unternehmerin, der die Uhr gestohlen wurde, handelt, oder nur um eine Angestellte dieses Unternehmens.
Die Angaben im Erlagsgesuch sind damit insgesamt nicht ausreichend, um dem Erstgericht die gebotene Schlüssigkeitsprüfung des Erlagsgrundes zu ermöglichen.
6. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts kann deshalb der Erlagsantrag aber nicht sofort abgewiesen werden. Dies ist vielmehr erst möglich, wenn nach einer (durchführbaren) Schlüssigkeitsprüfung schon aus den Angaben des Erlegers hervorgeht, dass ein tauglicher Hinterlegungsgrund nicht geltend gemacht wird. Ansonsten ist der Erleger zu einer Klarstellung seines Vorbringens aufzufordern bzw wird ihm Gelegenheit zu geben sein, seine Angaben zu ergänzen; über dieses vervollständigte Erlagsgesuch ist dann neuerlich zu entscheiden (5 Ob 32/00t SZ 73/48; 8 Ob 71/09p).
7. In Stattgebung des Revisionsrekurses sind daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.
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