OGH 8ObS2/17b

OGH8ObS2/17b22.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** H*****, vertreten durch Stampfer & Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen Insolvenzentgelt (7.372,10 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 2016, GZ 7 Rs 41/16b‑12, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. Mai 2016, GZ 24 Cgs 202/15h‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBS00002.17B.0222.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revision selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 1. September 1992 bis 30. April 2002 als Angestellte bei der späteren Schuldnerin, einer Kommanditgesellschaft, beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung. Nach Beendigung des Dienstverhältnisses wurde der Klägerin die Abfertigung nicht ausbezahlt. Aus diesem Grund erhob sie im Verfahren ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz Klage über 4.858 EUR brutto sA. Die beklagte Dienstgeberin wendete in diesem Verfahren unter anderem Verjährung ein. Mit Urteil im Vorprozess vom 11. März 2014 wurden die Dienstgeberin und die persönlich haftende Gesellschafterin der Kommanditgesellschaft schuldig erkannt, der Klägerin 4.858 EUR brutto sA sowie 2.166,03 EUR an Verfahrenskosten zu zahlen. Dieses Urteil wurde rechtskräftig. In diesem Vorprozess wurden unter anderem folgende Feststellungen getroffen:

Die Zweitbeklagte (Komplementärin) bat die Klägerin, aufgrund ihrer prekären finanziellen Situation die Auszahlung des Abfertigungsanspruchs zu einem späteren Zeitpunkt zu ermöglichen. Sie stellte der Klägerin die Zahlung des Abfertigungsanspruchs für den Fall der Auflösung ihres Geschäfts in Aussicht. Sie sagte der Klägerin (wiederholt) zu, ihr die Abfertigung zum Zeitpunkt der Schließung des Geschäfts auszuzahlen. Ende 2009 erfolgte die Schließung des Unternehmens und die Auflösung des Geschäfts. (In der Folge) hat die Zweitbeklagte die Klägerin wiederum darauf verwiesen, dass sie das Geld erhält, wenn sie Geld hat.

Der Klägerin entstanden im Rahmen des von ihr geführten Exekutionsverfahrens sowie aufgrund ihres Antrags auf Erfüllung des Insolvenzverfahrens weitere Kosten.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 16. Juni 2015 wurde der Antrag der Klägerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Dienstgeber-KG mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2015 lehnte die hier beklagte IEF‑Service GmbH den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung von Insolvenzentgelt ab.

Im vorliegenden Verfahren begehrte die Klägerin 8.232 EUR sA an Abfertigung und Kosten. Das Urteil im Vorprozess sei für die Beklagte bindend.

Die Beklagte entgegnete, dass die Ansprüche aus dem Dienstverhältnis gemäß § 1486 ABGB (seit 1. Mai 2005) verjährt seien. Die Frage der Verjährung sei im Verwaltungsverfahren gesondert zu prüfen. Ein allfälliges Anerkenntnis des Arbeitgebers binde nur diesen, nicht aber die Beklagte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 7.372,10 EUR statt; das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Aus der Abfertigung gebühre der Klägerin nur der Nettobetrag. Für den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gebühre nur eine Entlohnung nach TP 1 RATG. Für das Verwaltungsverfahren vor der Beklagten gebührten keine Kosten. Der Anspruch der Klägerin sei nicht verjährt. Einem nach kontradiktorischem Verfahren ergangenen Urteil komme gemäß § 7 Abs 1 IESG Bindungswirkung zu. Der Einwand der Verjährung sei im Vorverfahren geprüft worden. Die Bindung erfasse auch die gerichtliche Kostenentscheidung, wenn der Arbeitgeber nur solche Ansprüche geltend gemacht habe, die nach dem IESG gesichert seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. In der Entscheidung 8 ObS 5/14i habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass eine Stundungsvereinbarung, die im Ergebnis auf einen Verjährungsverzicht hinauslaufe, nur gegenüber dem Dienstgeber wirksam sei. Vereinbarungen, bei deren Abschluss die Parteien damit hätten rechnen müssen, dass sie im Ergebnis zu Lasten des Insolvenzentgeltfonds gingen, seien gemäß § 879 Abs 1 ABGB ungültig. Mit einer Stundung übernehme der Dienstnehmer das Insolvenzrisiko für die zugrunde liegende Forderung. In dieser Hinsicht bestehe keine Bindung nach § 7 Abs 1 IESG. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage der Bindungswirkung eines kontradiktorischen Urteils, das die Verjährung einer Arbeitnehmerforderung infolge einer Stundungsvereinbarung oder eines Anerkenntnisses des ehemaligen Arbeitgebers verneine, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abstellt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1.  Die Frage der Verjährung der geltend gemachten Ansprüche ist im Sinn des § 1 Abs 2 IESG eine im Verfahren nach dem IESG von Amts wegen zu prüfende Anspruchsvoraussetzung (RIS‑Justiz RS0076711). Dadurch wird zunächst zum Ausdruck gebracht, dass im IESG‑Verfahren die Erhebung eines Verjährungseinwands (§ 1501 ABGB) nicht erforderlich ist (8 ObS 234/97p; 8 ObS 9/03m).

2.  In der Rechtsprechung sind im gegebenen Zusammenhang zudem folgende Grundsätze anerkannt:

‑ Dem Anerkenntnis verjährter Entgeltforderungen durch den Dienstgeber und dessen Erklärung, auf den Verjährungseinwand zu verzichten, kommt nur im Verfahren gegen den Dienstgeber Relevanz zu (RIS‑Justiz RS0118694; 8 ObS 9/03m; 8 ObS 14/06a).

‑ Eine Vereinbarung zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags über ein Hinausschieben des Verjährungsbeginns (Stundungsvereinbarung), die im Ergebnis auf einen Verjährungsverzicht hinausläuft, ist nur gegenüber dem Dienstgeber wirksam (8 ObS 5/14i).

‑ Im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemachte (geprüfte) Einwände, etwa des Verfalls oder der Verjährung, können im IESG‑Verfahren selbständig geprüft werden (RIS‑Justiz RS0064724).

‑ Ein rechtskräftiges Versäumungsurteil schließt die amtswegige Wahrnehmung der Verjährung nicht aus (9 ObS 19/93).

Nach den dadurch zum Ausdruck gebrachten Wertungen soll eine für den Arbeitnehmer günstigere privatrechtliche Gestaltung der Verjährungsfrage, die ihrem Wesen nach einem Verjährungsverzicht entspricht, zu Lasten des Fonds ausgeschlossen sein. Dies steht mit dem weiteren Grundsatz im Einklang, dass aus IESG-rechtlicher Sicht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Entstehen und der Fälligkeit der geltend gemachten Forderung und dem Sicherungsbegehren bestehen soll.

3.  In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 ObS 5/14i ausgesprochen, dass der Arbeitnehmer, der sich sein Entgelt nicht auszahlen lässt, sondern dieses seinem Arbeitgeber auf dessen Verlangen stundet, wie bei jeder Stundung einer ungesicherten Forderung ein Insolvenzrisiko übernimmt (vgl 4 Ob 157/02w). Dieses Risiko, das mit der Länge des Stundungszeitraums ansteigt, kann nicht über die gesetzliche Verjährungsfrist hinaus wirksam auf die Beklagte überwälzt werden.

Die zitierte Entscheidung betrifft zwar eine Stundungsvereinbarung. Die darin angestellten Überlegungen gelten für ein Anerkenntnis des Arbeitgebers, das im Ergebnis wie ein Verjährungsverzicht wirkt, aber gleichermaßen. Dabei ist es nach den anzustellenden Wertungen zum Schutz des Insolvenzentgeltfonds gleichgültig, ob das Anerkenntnis des Arbeitgebers im Verein mit einer schlüssigen Annahme durch den Arbeitnehmer als Stundungsvereinbarung qualifiziert wird, wie dies das Berufungsgericht im Anlassverfahren getan hat, oder ob das Anerkenntnis nach § 1497 ABGB zu einer Unterbrechung der Verjährung führt, wofür die Ausführungen im rechtskräftigen Urteil im Vorprozess sprechen.

4.  Jedenfalls bei privatrechtlicher Gestaltung der Verjährungsfrage zu Lasten des Insolvenzentgeltfonds kann dieser Umstand im IESG-rechtlichen Verfahren selbständig geprüft werden. In diesem Fall ist auch die rechtskräftige Entscheidung über den Verjährungseinwand im Vorverfahren nicht von der Bindungswirkung nach § 7 Abs 1 IESG umfasst.

5.  Insgesamt ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Der Revision der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit bestehen nicht.

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