OGH 4Ob157/02w

OGH4Ob157/02w16.7.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.-Ing. Hans Ewald K*****, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei K*****, vertreten durch Putz & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 385.307,22 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. März 2002, GZ 3 R 32/02d-27, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. Dezember 2001, GZ 26 Cg 17/00x-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 2.667,35 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 444,56 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1. 6. 1986 bis 15. 3. 1994 als technischer Angestellter und Prokurist bei der H***** Baugesellschaft mbH beschäftigt; er war für deren Filiale in Kärnten verantwortlich. Bis 1987 war Dipl.-Ing. Ernst H***** alleiniger Geschäftsführer der H***** Baugesellschaft mbH; 1987 wurde Dipl.-Ing. Hans R***** zum zweiten Geschäftsführer bestellt. Mit Ende des Jahres 1996 schied Dipl.-Ing. Hans H***** als Geschäftsführer aus.

Als leitender Mitarbeiter erhielt der Kläger ein Überstundenpauschale. Dennoch hatte er - wie auch die anderen Angestellten - monatlich einen Anwesenheitsbericht zu legen, der vom technischen Geschäftsführer abgezeichnet werden musste. Die Anwesenheitsberichte dienten der Zentrale als Grundlage für die Kontrolle, ob Überstunden im Ausmaß des Pauschales geleistet wurden.

Mit 1. 3. 1991 wurde die Ö*****gesellschaft gegründet; Gesellschafter mit einem Anteil von 75 % und gewerberechtlicher Geschäftsführer war der Kläger. 1994 oder 1995 wurde Monika A*****, die Lebensgefährtin des Klägers, alleinige Gesellschafterin und auch Geschäftsführerin; seit 7. 1. 1997 ist Monika A***** nur mehr Gesellschafterin; alleiniger Geschäftsführer ist der Kläger.

Anfang 1990 trat der Kläger an Dipl.-Ing. Hans R***** heran und fragte ihn, ob eine Sondervereinbarung getroffen werden könnte. Inhalt dieser Vereinbarung sollte sein, dass er "offiziell" weniger arbeite und weniger verdiene, wobei die von ihm tatsächlich erbrachten und darüberhinausgehenden Leistungen anders abgegolten werden sollten. Dipl.-Ing. Ernst H***** befürwortete das Ersuchen, "allerdings unter dem Aspekt, dass sich die H***** Baugesellschaft mbH vom Kläger trennen wollte". Grund dafür war, dass die Filiale Klagenfurt nicht mehr den gewünschten Erfolg brachte. Dipl.-Ing. Ernst H***** überließ es Dipl.-Ing. Hans R*****, mit dem Kläger nähere Einzelheiten zu regeln.

Die Regelung bestand darin, dass der 40-Stunden-Dienstvertrag rückwirkend mit 1. 1. 1990 in ein Dienstverhältnis mit 28 Wochenstunden umgewandelt wurde. "Offizielle" Begründung war, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, mehr zu arbeiten. In Wahrheit blieb die Arbeitszeit aber unverändert. Das Entgelt für die "Überstunden" sollte über Rechnungen für Konsulententätigkeit an die Ö*****gesellschaft mbH gezahlt werden. Genauere Vereinbarungen über die Auszahlung wurden nicht getroffen. Dipl.-Ing. Ernst H***** ging von einer jährlichen Abrechnung aus; in diesem Fall hätte es keine Probleme mit der Auszahlung gegeben. Ob die Entgelte bei der H***** Baugesellschaft mbH auf ein "Depot" gelegt wurden, konnte nicht festgestellt werden.

Der Kläger schloss diese Vereinbarung, um die Bemessungsgrundlage für die Unterhaltsansprüche seiner geschiedenen Ehegattin zu verringern. Steuerlich war die Regelung für den Kläger mit dem - ihm von seinem Steuerberater aufgezeigten - Nachteil verbunden, dass die Überstundenentgelte und die Abfertigung nicht zu den begünstigten Steuersätzen versteuert werden konnten.

Bis zu seinem Ausscheiden am 15. 3. 1994 schickte der Kläger monatlich eine "offizielle" und eine - ziffernmäßig gar nicht ausgerechnete - "inoffizielle" Stundenabrechnung an die Zentrale. Nach seinem Ausscheiden ließ der Kläger seinen Steuerberater das "Depot-Geld" berechnen. Die Abrechnung an Hand der Durchschriften der Stundenabrechnungen ergab brutto 5,301.943 S. Diesen Betrag gab der Kläger Dipl.-Ing. Hans R***** bekannt.

Bis zum Ausscheiden des Klägers erhielt die Ö*****gesellschaft mbH von der H***** Baugesellschaft mbH keine Aufträge. Danach rechnete der Kläger seine Leistungen bei der Beendigung verschiedener Bauvorhaben als Konsulententätigkeit über die Ö*****gesellschaft mbH ab.

Während seines Dienstverhältnisses zur H***** Baugesellschaft mbH machte der Kläger seine "Gehaltsansprüche" nicht geltend. Er gab sie auch nicht ziffernmäßig bekannt. Dipl.-Ing. Ernst H***** ging aber davon aus, dass eine solche Verrechnung erfolgt. Am 31. 12. 1994 stellte der Kläger über die Ö*****gesellschaft mbH eine Teilrechnung über 1,000.000 S, nachdem er seine Forderung an dieses Unternehmen abgetreten hatte. Auf diese Rechnung zahlte die H***** Baugesellschaft mbH 700.000 S.

Am 6. 2. 1996 eröffnete das Landesgericht Linz zu S 135/96g über das Vermögen der H***** Baugesellschaft mbH das Konkursverfahren. Unmittelbar davor hatte der Kläger eine Gesamtrechnung über seine Leistungen gelegt.

Am 6. 3. 1996 kam es bei der Ö*****gesellschaft mbH zu einem Beratungsgespräch mit Dr. Georg S***** als Vertreter des Beklagten. Am 11. 3. 1996 sprach Monika A***** bei Dr. Norbert M*****, einem Arbeitsrechtsexperten des Beklagten, vor, der ihr bestätigte, dass ein Prokurist Anspruch auf Zahlung durch den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hat. Zu diesem Zeitpunkt wollte der Kläger allerdings seine Forderung über die Ö*****gesellschaft mbH anmelden, weil seine geschiedene Ehegattin von der Forderung nichts wissen durfte.

Am 15. 3. 1996 wies Dr. Georg S***** den Kläger darauf hin, dass für diese Anmeldung die Linzer Zweigestelle zuständig sei. Bei Prüfung der Unterlagen stellte er fest, dass für die Forderungen Umsatzsteuer verrechnet worden war. Er ließ sich von Monika A***** eine Vollmacht für den Beklagten unterschreiben und schickte die Unterlagen nach Linz. Am 2. 4. 1996 meldete die Linzer Filiale des Beklagten eine Forderung von 5,767.915.02 an. Am 31. 3. 1996 verrechnete der Beklagte der Ö*****gesellschaft mbH den Mitgliedsbeitrag 1996 und die Aufnahmegebühr.

Am 1. 8. 1996 teilte der Kläger Dr. Georg S***** telefonisch mit, dass der Masseverwalter die Forderung bestritten habe und er deshalb eine Dienstnehmerforderung geltend machen wolle. Bei dem im Telefongespräch vereinbarten Gespräch am 7. 8. 1996 wies Dr. Georg S***** darauf hin, dass der Beklagte nur in Konkursverfahren vertrete. Er riet dem Kläger, sich an die IES-Beratung in Linz zu werden. Allerdings verlangte Dr. Georg S***** Unterlagen über das Bestehen des Dienstverhältnisses und auch die Lohnunterlagen. Am 26. 9. 1996 übergab ihm der Kläger Unterlagen, die zumindest teilweise für die Anmeldung der Ö*****gesellschaft mbH verwendet wurden. Dr. Georg S***** schickte die Unterlagen nach Linz; die Filiale Linz des Klägers meldete am 1. 10. 1996 die Forderung des Klägers mit 5,301.943 S an. Dieser Betrag entspricht dem Nettobetrag der Rechnung der Ö*****gesellschaft mbH vom 20. 1. 1996 ohne Berücksichtigung der Teilzahlung und gleichzeitig dem Gehaltsbetrag, den der Steuerberater des Klägers errechnet hatte. Gleichzeitig wurde die Forderung der Ö*****gesellschaft um 5,662.331,60 S auf 105.583,42 S eingeschränkt.

Zu diesem Zeitpunkt unterfertigte der Kläger eine Vollmacht für den Beklagten und wurde auch Mitglied des Beklagten. Bereits zuvor hatte die Ö*****gesellschaft mbH die Forderung wieder an den Kläger rückabgetreten.

Am 7. 10. 1999 anerkannte der Masseverwalter die eingeschränkte Forderung der Ö*****gesellschaft mbH; die vom Kläger angemeldete Forderung bestritt er im Umfang eines Betrags von 3,910.964 S mit der Begründung, dass die Forderung verjährt und verfallen sei. Eine Konkursforderung von 1,390.979 S wurde festgestellt.

Die Forderung des Klägers wurde beim Bundessozialamt Oberösterreich nicht angemeldet. Die 6-monatige Anmeldungsfrist war am 6. 8. 1996 abgelaufen. Der Vertreter des Beklagten machte den Kläger bei keinem der Gespräche auf die Frist aufmerksam. Grundsätzlich versendet der Beklagte nach der Anmeldung einer Dienstnehmerforderung an jeden Dienstnehmer ein Schreiben, in dem (ua) auf die Anmeldungsfrist hingewiesen wird. Ob dem Kläger ein solches Schreiben geschickt wurde, konnte nicht festgestellt werden; dies wäre aber jedenfalls erst nach dem 1. 10. 1996 geschehen.

Als sich der Kläger schließlich an einen Rechtsanwalt wandte, wurde er von diesem darauf hingewiesen, dass die Frist abgelaufen sei. Dennoch meldete der Kläger seine Forderung am 4. 3. 1997 beim Bundessozialamt Oberösterreich an. Mit Bescheid vom 13. 10. 1997, AZ 408/5/495/96, wurde der Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld abgelehnt; die Klage des Klägers blieb in allen drei Instanzen erfolglos. Der Kläger verkündete dem Beklagten nicht den Streit, weil das Verfahren bereits in der ersten Verhandlung geschlossen wurde.

Der Kläger begehrt 385.307,22 EUR sA. Der Arbeitsrechtsexperte des Beklagten habe ihn darauf hingewiesen, dass er Leistungen aus dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds in Anspruch nehmen könne, und ihm erklärt, dass die Forderung nicht verjährt sei, weil er seine Forderungen bei Beendigung des Dienstverhältnisses der H***** Baugesellschaft mbH bekanntgegeben habe. Über irgendwelche Fristen für Ansprüche nach dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds sei nicht gesprochen worden. Der Kläger sei der Meinung gewesen, vom Beklagten vertreten zu werden, und habe geglaubt, dass der Beklagte seine Forderung beim Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds anmelden werde. Hätte ihn Dr. Georg S***** bei der Besprechung vom 7. 8. 1996 auf die Frist hingewiesen, so wäre der Antrag trotz der geringen Fristüberschreitung um einen Tag angenommen worden. Der Beklagte habe für den unvollständigen und unrichtigen Rat ihres Mitarbeiters einzustehen.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe es unterlassen, seine Forderung aufzuschlüsseln. Der Schadenersatzanspruch sei verjährt. Den Kläger treffe ein Mitverschulden, weil er sich erst einen Tag nach Fristablauf habe beraten lassen. Zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung sei ein Großteil der Gehaltsansprüche bereits verjährt gewesen. Wie hoch der Schaden des Klägers sei, könne nicht festgestellt werden, weil die Konkursquote noch nicht berücksichtigt sei. Hätte der Kläger dem Beklagten den Streit verkündet, so hätte dieser durch sein Vorbringen zur Fristversäumnis die Nachsicht von diesem Ablehnungsgrund bewirken können. Am 7. 8. 1996 habe Dr. Georg S***** dem Kläger erklärt, dass aufgrund der 6-Monats-Frist höchste Eile geboten sei und der Kläger unverzüglich beim Bundessozialamt Oberösterreich vorsprechen solle. Der Kläger habe dies abgelehnt. Die Forderungen des Klägers seien keine gesicherten Forderungen im Sinne des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes. Es sei mit dem Schutzzweck der Grundsicherung unvereinbar, wenn Jahre zurückliegende Ansprüche geltend gemacht werden, die mit der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts nichts zu tun haben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Am 1. 8. 1996 wäre es noch möglich gewesen, einen Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld zu stellen. Der Beklagte hätte aufgrund der Mitteilung des Klägers, seine Forderung als Dienstnehmerforderung anmelden zu wollen, die erforderlichen Schritte einleiten oder dem Kläger zumindest dringend raten müssen, einen Antrag zu stellen. Da dies nicht geschehen sei, sei dem Beklagten ein Beratungsfehler vorzuwerfen. Durch diesen Fehler sei aber dem Kläger kein Schaden entstanden, weil ihm kein Anspruch nach dem Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz zugestanden sei. Die Forderung des Klägers stehe mit der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts in keinem Zusammenhang und sei damit keine gesicherte Forderung im Sinne des Gesetzes.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Völlig atypische Arbeitsverhältnisse fielen nicht in den Schutzbereich des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes. Atypisch sei ein Arbeitsverhältnis, das nicht darauf ausgerichtet sei, ein Entgelt für das Bestreiten des Lebensunterhalts zu verdienen. Das treffe für das Arbeitsverhältnis des Klägers zu. Dieses sei durch eine Vereinbarung gekennzeichnet, durch die der Kläger - aus unlauteren Motiven - nach außen eine Kürzung seiner Wochenarbeitszeit hingenommen habe. Der Kläger habe Jahre hindurch seine Ansprüche nicht geltend gemacht. Er habe an der Nichtentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen für einen Gutteil seines Einkommens absichtlich mitgewirkt und sich damit bewusst außerhalb des im österreichischen Sozialversicherungsrechts geltenden Versicherungsprinzips gestellt. Sein Arbeitsverhältnis sei insgesamt als atypisch einzustufen. Er hätte auch bei zeitgerechter Belehrung und Antragstellung keine Leistungen aus dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds erhalten.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Klägers ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; die Revision ist aber nicht berechtigt.

Der Kläger macht geltend, dass keine Grundlage für die Annahme bestehe, er habe durch die Vereinbarung mit seinem Dienstgeber das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds verlagern wollen. Einziges Motiv sei die Verringerung der Bemessungsgrundlage für die Unterhaltsansprüche seiner geschiedenen Frau gewesen. 1990 habe das Unternehmen der späteren Gemeinschuldnerin floriert; auch 1994 sei von einer drohenden Insolvenz keine Rede gewesen. Die Auszahlung seines Gehalts sei nicht deshalb unterblieben, weil die spätere Gemeinschuldnerin die Zahlungen nicht hätte leisten können, sondern einzig und allein deshalb, weil dies der Kläger gewollt habe. Von einer Risikoverlagerung zulasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds könne keine Rede sein.

Die Ausführungen des Klägers überzeugen nicht:

Zweck des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes - IESG, BGBl 1977/324, zuletzt geändert durch BGBl I 2001/88, ist es, den Arbeitnehmer bei Insolvenz des Arbeitgebers gegen das Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlusts seiner Entgeltansprüche abzusichern, auf deren regelmäßige Befriedigung er typischerweise zur Bestreitung seines und seiner Angehörigen Lebensunterhalts angewiesen ist (9 ObS 4/91 = SZ 64/54; 9 ObS 22/91 = SZ 65/15; 9 ObS 24/93 = SZ 67/14; 8 ObS 6/94 = SZ 67/142 uva). Dieser Zweck ist allerdings begrenzt; der Arbeitnehmer bedarf nur insoweit einer Absicherung, als er die Gefahr eines Verlusts seiner Entgeltansprüche durch die Insolvenz seines Arbeitgebers nicht selbst abwenden und absichern kann (s 9 ObS 16/91 = SZ 64/124). In diesem Sinn wurde eine sittenwidrige und damit unzulässige Risikoüberwälzung angenommen, wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein muss, dass er vom Arbeitgeber kein Entgelt erhalten wird, sondern es vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bekommen könnte, und er deshalb weiter arbeitet. Dabei genügt bedingter Vorsatz; sittenwidrig handelt der Arbeitnehmer daher bereits dann, wenn ihm die Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewusst ist und er sich zumindest damit abfindet, sein Entgelt aus dem Fonds zu erhalten (8 ObS 192/98p = ZIK 1999, 141; 8 ObS 206/00b = wbl 2001/91, jeweils mwN).

Auf eine derartige Absicht ist zu schließen, wenn ein Arbeitnehmer trotz längerer Nichtzahlung seines Lohnes im Unternehmen tätig bleibt und nicht ernstlich versucht, sein Entgelt einbringlich zu machen (8 ObS 306/98b = RdW 2000/82; 8 ObS 39/01w = RdA 2001, 564 ua). Ob das Stehenlassen des Entgelts im Einzelfall den zumindest bedingten Vorsatz einer Verlagerung des Finanzierungsrisikos auf den Fonds indiziert, wird regelmäßig durch einen Fremdvergleich festgestellt. Dabei wird darauf abgestellt, bis zu welchem Zeitpunkt auch ein "unbeteiligter" Arbeitnehmer im Unternehmen geblieben wäre (8 ObS 192/98p = ZIK 1999, 141; 8 ObS 56/00v = wbl 2000/216 ua). Im Zusammenhang damit und in Fortführung dieser Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass "völlig atypisch gestaltete" Arbeitsverhältnisse, die nicht auf die Erzielung von Entgelt für die Bestreitung des Lebensunterhalts gerichtet sind, auch nicht nach den Bestimmungen des IESG gesichert sind (8 ObS 206/00b = wbl 2001/91 mwN).

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger die (teilweise) Nichtzahlung seines Entgelts nicht bloß hingenommen, sondern veranlasst hat. Damit unterscheidet sich der Kläger ganz wesentlich vom typischen Arbeitnehmer, der sich regelmäßig sein Gehalt auszahlen lässt und, wenn dies nicht geschieht, seine Ansprüche auch durchsetzt, um seinen Lebensunterhalt und den seiner Angehörigen bestreiten zu können. Der Kläger hingegen hat einen Teil seines Verdienstes im Unternehmen belassen, um die Bemessungsgrundlage für die Unterhaltsleistungen an seine geschiedene Ehegattin zu verringern. Sein Arbeitsverhältnis war daher, anders als das typische Arbeitsverhältnis, insoweit gerade nicht darauf gerichtet, ein Entgelt für die Bestreitung des Lebensunterhalts zu erzielen.

Zu prüfen bleibt, ob diese Abweichung vom typischen Arbeitsverhältnis die Annahme rechtfertigt, der Kläger hätte die Leistungen des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds missbräuchlich in Anspruch nehmen wollen. Zweck des Fonds ist es, wie oben dargelegt, den Arbeitnehmer gegen einen Verlust seiner Entgeltansprüche durch die Insolvenz seines Arbeitgebers abzusichern, soweit er dazu selbst nicht in der Lage ist. Das Mittel, das dem Arbeitnehmer zur Verfügung steht, ist regelmäßig der Austritt aus dem Unternehmen. Der Austritt verhindert, dass weitere (laufende) Entgeltansprüche entstehen und vom Arbeitgeber nicht beglichen werden, was zur Folge hätte, dass der Arbeitnehmer nicht über die Mittel verfügt, die er für die Bestreitung seines Lebensunterhalts und den seiner Angehörigen braucht. Lässt der Arbeitnehmer zwischen der Nichtzahlung fälliger Entgelte und seinem Austritt einen längeren Zeitraum verstreichen, so deutet dies regelmäßig darauf hin, dass er nur deshalb bleibt, weil er damit rechnet, sein Entgelt ohnehin aus dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu erhalten.

Lässt sich der Arbeitnehmer sein Entgelt nicht auszahlen, sondern stundet er es seinem (zahlungsfähigen und auch zahlungswilligen) Arbeitgeber, so ist er zwar nicht mit dessen Insolvenz konfrontiert, er übernimmt aber - wie bei jeder Stundung einer ungesicherten Forderung - ein Insolvenzrisiko. Im Regelfall wird ein Arbeitnehmer das Entgelt nicht auf einen längeren Zeitraum stunden; tut er es dennoch, so wird er auf das Insolvenzrisiko Bedacht nehmen. Belässt der Arbeitnehmer daher - wie im vorliegenden Fall - einen Teil seines Entgelts im Unternehmen, noch dazu ohne nähere Vereinbarungen über die Zahlung zu treffen, so lässt dies darauf schließen, dass er damit rechnet, bei einer allfälligen Insolvenz ohnehin Leistungen aus dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu erhalten. Andernfalls wäre er wohl nicht bereit, Forderungen in einer Höhe entstehen zu lassen, wie sie im vorliegenden Fall geltend gemacht werden.

Die zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber getroffene Vereinbarung lässt daher zumindest auf den bedingten Vorsatz des Klägers schließen, das Einbringlichkeitsrisiko auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu überwälzen. Dieser Schluss kann nicht dadurch widerlegt werden, dass der Kläger die Vereinbarung geschlossen hat, um die Unterhaltsansprüche seiner geschiedenen Frau zu verkürzen (s 8 ObS 206/00b = wbl 2001/91, wonach der Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos nicht durch einen Beweis über die konkreten Absichten des Arbeitnehmers widerlegt werden kann). Seine unlautere Absicht konnte der Kläger wirtschaftlich sinnvoll nur umsetzen, wenn er gegen das Insolvenzrisiko abgesichert war. Andernfalls hätte er zwar erreicht, seiner geschiedenen Frau nicht den gebührenden Unterhalt zahlen zu müssen, gleichzeitig aber riskiert, durch eine - nie auszuschließende - Insolvenz das gesamte gestundete Entgelt zu verlieren.

Dem Kläger wäre demnach wegen sittenwidriger (§ 879 ABGB) und damit unzulässiger Überwälzung des Einbringlichkeitsrisikos auch dann kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld zugestanden, wenn er seinen Anspruch rechtzeitig geltend gemacht hätte. Die Vorinstanzen haben damit den gegen den Beklagten geltend gemachten Schadenersatzanspruch wegen unzureichender Beratung zu Recht verneint.

Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob der Anspruch des Klägers trotz grundsätzlicher Unabhängigkeit der Leistungen aus dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds von Beitragsleistungen (8 ObS 204/00h = RdW 2001/463 ua) auch deshalb zu verneinen wäre, weil - wie das Berufungsgericht meint - die Vertragsgestaltung die Beitragsaufbringung beeinträchtigt habe. Hat der Kläger - wie er behauptet - auch mit seinem "offiziellen" Verdienst immer die Höchstbemessungsgrundlage erreicht, so trifft es zu, dass trotz Stehenlassens eines Teils des Entgelts Beiträge in voller Höhe entrichtet wurden. Der nach § 12 Abs 1 Z 4 IESG (allein) vom Arbeitgeber zu leistende Anteil des Arbeitslosenversicherungsbeitrags nach § 2 Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz (AMPFG) bemisst sich nach der Höchstbeitragsgrundlage (§ 2 AMPFG; § 45 ASVG).

Der Ausschluss von Leistungen aus dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds wegen unzulässiger Übertragung des Finanzierungsrisikos steht mit der Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vom 20. 10. 1980, ABl Nr 238 vom 28. 10. 1980, 23 (Insolvenz-RL), im Einklang (s 8 ObS 206/00b = wbl 2001/91). Das Vorabentscheidungsersuchen zu 8 ObS 249/00a (= wbl 2001/224) betrifft Fragen, auf die es im vorliegenden Fall nicht ankommt, und zwar die Frage der Vereinbarkeit der Grundsätze über das Eigenkapital ersetzende Darlehen mit der Insolvenz-RL sowie die Frage, ob der Anspruchsverlust alle unberichtigten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis oder nur solche betrifft, die nach jenem fiktiven Zeitpunkt entstanden sind, zu welchem ein unbeteiligter Arbeitnehmer wegen Vorenthaltens des Lohnes den Austritt aus dem Arbeitsverhältnis erklärt hätte.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revision musste erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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