OGH 9ObS19/93

OGH9ObS19/9323.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Edith Söllner und Winfried Kmenta als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Harjinder S*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Johann Kalliauer, Sekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten, Linz, Volksgartenstraße 40, dieser vertreten durch Dr.Aldo Frischenschlager und Dr.Dieter Gallistl, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Versicherungsdienste, Wien 4., Schwindgasse 5, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 11.023 netto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Februar 1993, GZ 32 Rs 3/93-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14.September 1992, GZ 11 Cgs 2001/92-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Sultan M***** Gesellschaft mbH in W***** vom 1. Februar 1986 bis 27.Jänner 1987 als Angestellter beschäftigt. Nach zwei unbeantwortet gebliebenen Mahnschreiben vom 12.Jänner und 8. Februar 1989 erhob er unter anderem wegen eines restlichen Entgeltanspruches für die Zeit vom Februar bis Mai 1986 eine Klage, die beim Erstgericht am 26.Juni 1989 einlangte. Zufolge Ausbleibens der Beklagten erging am 28.September 1989 ein dem Klagebegehren stattgebendes Versäumungsurteil. Nach erfolglosen Exekutionsversuchen stellte der Kläger einen Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen seines ehemaligen Arbeitgebers, der am 29.April 1991 gemäß § 63 KO zurückgewiesen wurde.

Mit Bescheid vom 18.Mai 1992 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld betreffend die Entgeltforderung für Februar bis Mai 1986 in Höhe von S 11.023 ab, da diese Teilforderung im Zeitpunkt der Erhebung der Klage bereits verjährt gewesen sei.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger den Zuspruch dieses Betrages. Gemäß § 7 Abs 1 IESG sei die beklagte Partei bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die rechtskräftige Entscheidung des Gerichts gebunden. Überdies sei die Verjährung im Sinne des § 1497 ABGB unterbrochen worden, da die Forderung mehrmals eingemahnt worden sei und die ehemalige Arbeitgeberin gegen das Bestehen der Forderung keine Einwände erhoben habe. Damit habe diese die Forderung auch anerkannt.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Da die Frage der Verjährung im gerichtlichen Verfahren mangels eines diesbezüglichen Einwandes nicht geprüft worden sei, sei sie berechtigt gewesen, diese Frage selbständig zu beurteilen. Die Entgeltansprüche des Klägers für Februar bis Mai 1986 seien aber gemäß § 1486 Z 5 ABGB verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die beklagte Partei sei an die gerichtliche Entscheidung wohl in der Beurteilung gebunden, ob und welcher arbeitsrechtliche Anspruch vorliege. Bei der Prüfung von Anspruchsausschlüssen und damit auch bei der Wahrnehmung der Verjährung bestehe aber Entscheidungsfreiheit, da diese Fragen im gerichtlichen Verfahren nicht geprüft worden seien. Dem Eintritt der Verjährung der geltend gemachten Teilansprüche stünden die erfolglosen Mahnungen nicht entgegen, da dem Schweigen des ehemaligen Arbeitgebers darauf kein Erklärungswert zukomme.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Klagebegehren stattgab, und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Das Arbeitsamt sei nicht berechtigt, einen durch das Gericht geschaffenen Titel - etwa im Sinne einer Wiederaufnahme des Verfahrens - zu überprüfen. Es habe lediglich darüber zu entscheiden, ob der rechtskräftige Anspruch auch gesichert sei.

Anfechtungsmöglichkeiten seien auf den Fall des § 1 Abs 3 Z 1 IESG beschränkt. Dies gelte auch für Versäumungsurteile, zumal auch im kontradiktorischen Verfahren wahrheitswidrige Außerstreitstellungen beweisbefreiend wirken können.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung hat das Arbeitsamt bei der Beurteilung der Frage, ob ein arbeitsrechtlicher Anspruch gesichert ist, mit Bindungswirkung nur davon auszugehen, ob dieser Anspruch nach den Feststellungen eines darüber ergangenen Urteils seiner Art nach zu den gesicherten gehört. Die Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen, die im gerichtlichen Verfahren etwa mangels Einwendung nicht geprüft wurden, hat die Behörde aber selbst vorzunehmen (vgl 9 Ob S 15/88 = SZ 62/16 = RdW 1989, 310; 9 Ob S 17/91; 9 Ob S 3/92; 9 Ob S 18/93 ua). Dieser vorerst für die Fälle des § 1 Abs 3 IESG entwickelte Grundsatz gilt aber auch dann, wenn ein für die Qualifikation eines Anspruches als "gesicherter" Anspruch im Sinne des IESG maßgeblicher Umstand im gerichtlichen Verfahren überhaupt ungeprüft blieb, da kein diesbezüglicher Einwand erhoben wurde und keine amtswegige Wahrnehmung erfolgen konnte (9 Ob S 11/91; 9 Ob S 12/91; 9 Ob S 17/91; 9 Ob S 3/92 ua). Das Arbeitsamt hat demnach nicht nur von Amts wegen zu prüfen, ob der geltend gemachte Anspruch im Sinne des § 1 Abs 3 IESG ausgeschlossen ist, sondern auch - soweit diese Frage im gerichtlichen Verfahren ungeprüft blieb -, ob überhaupt ein gesicherter Anspruch vorliegt (zu allem: 9 Ob S 23/92).

Gemäß § 1 Abs 2 IESG sind ausdrücklich nur aufrechte, nicht verjährte und nicht ausgeschlossene Ansprüche (Abs 3) aus dem Arbeitsverhältnis gesichert. Damit wird einerseits eine amtswegige Wahrnehmung der Verjährung oder des Verfalls von Ansprüchen ermöglicht, die ansonsten nur auf Einwendung erfolgen könnte (§ 1501 ABGB; Arb 10.097 ua), und andererseits die Prüfung der Anspruchsqualifikation als "gesichert" auch bei Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung nicht ausgeschlossen (§ 7 Abs 1 IESG). In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof bereits hinsichtlich einer Kündigungsentschädigung entschieden, daß der Anspruch seiner Art nach zwar zu den gesicherten Ansprüchen gehöre und daß diesbezüglich eine Bindungswirkung eingetreten sei, daß aber dem im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemachten Einwand des Verfalls Beachtlichkeit zukomme (9 Ob S 23/92). Dieselben Grundsätze müssen auch für die hier entscheidende Frage der Verjährung gelten, wobei dahingestellt bleiben kann, ob gerichtliche Entscheidungen, deren prozessuale Grundlage allein die Parteiendisposition ist, hinsichtlich der Qualifikation eines Anspruches als gesicherten an sich bindend sind (vgl etwa die Entscheidungen des VwGH in Feil, IESG, § 7 Anm 89 ff; aber 9 Ob S 15/88 ua). Darauf, daß bloße Mahnschreiben die Verjährung nicht unterbrechen können, hat bereits das Erstgericht zutreffend hingewiesen. Ebenso trifft es entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu, daß Versäumungsurteile einen Verjährungsverzicht des Beklagten enthalten.

Die Kostenentscheidung ist in dem § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG begründet. Der Kläger hat Umstände, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen, nicht einmal behauptet.

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