OGH 9ObS11/91

OGH9ObS11/9129.5.1991

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Scheuch und Eduard Giffinger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** M*****, vertreten durch ***** wider die beklagte Partei Arbeitsamt Versicherungsdienste Tirol, Innsbruck, Schöpfstraße 5, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, wegen S 3.714,- sA, infolge außerordentlicher Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Jänner 1991, GZ 5 Rs 8/91-9, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 23.November 1990, GZ 47 Cgs 156/90-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionswerber hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1.2.1990 bis 24.3.1990 als Arbeiter bei Adelheid C***** beschäftigt, die ein Erdbewegungsunternehmen betrieb. Mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 23.3.1990, 19 Nc 218/90, wurde der Antrag der Tiroler Gebietskrankenkasse auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Adelheid C***** mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens gemäß § 72 Abs 3 KO abgewiesen.

Mit Mahnklage vom 24.4.1990 machte der Kläger gegen Adelheid C***** mit der Behauptung, unberechtigt vorzeitig entlassen worden zu sein, insgesamt S 46.984,38 brutto sA geltend. In dieser Summe war auch eine Urlaubsabfindung von S 3.951,49 brutto enthalten. Das Landesgericht Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht erließ am 8.5.1990 einen Zahlungsbefehl im Sinne des Klagebegehrens, der in Rechtskraft erwuchs.

Am 7.6.1990 stellte der Kläger beim (nunmehr beklagten) Arbeitsamt einen Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld. Hiebei machte er auch S 3.714,40 netto an Urlaubsabfindung geltend. Die beklagte Partei erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 21.9.1990 ein Insolvenz-Ausfallgeld von S 34.948,- zu und lehnte mit Bescheid vom selben Tag den darüber hinausgehenden Antrag des Klägers mit der Begründung ab, daß die Urlaubsentschädigung von S 3.714,40 kein gesicherter Anspruch sei, weil diese Forderung gemäß § 10 Abs 3 BUAG gegen die Urlaubs- und Abfertigungskasse zu richten sei.

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei Zahlung von S 3.714,-- netto mit der Begründung, daß die Beklagte bei der Entscheidung über die geltend gemachten Ansprüche gemäß § 7 Abs 1 IESG an das Versäumungsurteil des Landesgerichtes Innsbruck gebunden sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die vom Kläger behauptete Bindung bestehe bei der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen nicht, da der noch strittige Einwand im gerichtlichen Verfahren ungeprüft geblieben sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Gemäß § 10 Abs 3 BUAG richte sich der Anspruch des Arbeitnehmers auf Urlaubsentschädigung, wenn eine Auszahlung durch den Arbeitgeber nicht mehr möglich sei, gegen die Urlaubs- und Abfertigungskasse. Hiebei handle es sich aber um einen ausgeschlossenen Anspruch iS des § 1 Abs 3 IESG. In der Beurteilung solcher Anspruchsausschlüsse bleibe das Arbeitsamt in allen Fragen, die im gerichtlichen Verfahren von vornherein nicht zu prüfen waren oder (mangels Einwendung) nicht geprüft wurden, frei. Dies gelte insbesondere auch für die Anspruchsbegrenzungen des § 1 Abs 3 IESG. Es komme daher § 1 Abs 3 Z 5 IESG zur Anwendung, wonach für Ansprüche nach § 1 Abs 2 IESG, sofern auf Grund gesetzlicher Anordnungen ein anderer als der Arbeitgeber (ehemaliger Arbeitgeber) zur Zahlung verpflichtet sei, kein Insolvenz-Ausfallgeld gebühre.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Gemäß § 7 Abs 1 IESG sei das Arbeitsamt bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, die gegenüber dem Antragsteller rechtskräftig geworden seien, gebunden. Das bedeute aber, daß die Entscheidung nur für die Frage, ob und welcher Anspruch gegen den Arbeitgeber vorliege, bindend sei. Ob dieser arbeitsrechtliche Anspruch auch gesichert sei, habe hingegen die Verwaltungsbehörde und im Zuge der sukzessiven Kompetenz das Gericht zu entscheiden. Diese Überprüfungsbefugnis bestehe auch, wenn über die Forderung bereits ein rechtskräftiger Titel vorliege, sofern bei der Beurteilung des privatrechtlichen Anspruchs über eine entsprechende Einwendung nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei. Dieser Grundsatz habe für alle Fälle des § 1 Abs 3 IESG zu gelten.

Gemäß § 1 Abs 3 Z 5 IESG gebühre Insolvenz-Ausfallgeld nicht für Ansprüche nach Abs 2, sofern auf Grund gesetzlicher Anordnung ein anderer als der Arbeitgeber (ehemaliger Arbeitgeber) zur Zahlung verpflichtet sei. Der Kläger sei in einem Erdbewegungsunternehmen, also in einem Betrieb nach § 2 Abs 1 lit a BUAG beschäftigt gewesen. Er könne daher nach § 10 Abs 3 BUAG einen eventuellen Anspruch auf Urlaubsabfindung nur gegen die Urlaubs- und Abfertigungskassa geltend machen. Im Verfahren gegen die Arbeitgeberin sei die Frage, ob der Anspruch überhaupt gegen sie geltend gemacht werden könne, mangels Streiteinlassung ungeprüft geblieben. Diese Überprüfung habe im vorliegenden Verfahren nachgeholt werden können.

Der Kläger bekämpft diese Entscheidung mit außerordentlicher Revision. Er macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Gemäß § 7 Abs 1 IESG ist das Arbeitsamt bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen gebunden, die gegenüber dem Antragsteller rechtskräftig geworden sind. Zur Auslegung der Grenzen dieser Bindung hat der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, daß für die Frage, ob und welcher Anspruch gegen den Arbeitgeber vorliegt, die Entscheidung des Gerichtes bindend ist. Ob dieser arbeitsrechtliche Anspruch auch gesichert ist, hat hingegen die Verwaltungsbehörde zu entscheiden, hiebei aber wiederum zugrundezulegen, ob nach den anspruchsbegründenden Feststellungen des Urteils ein Anspruch vorliegt, der seiner Art nach (§ 1 Abs 2 IESG) zu den gesicherten gehört. In der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen bleibt das Arbeitsamt in allen Fragen, die im gerichtlichen Verfahren (als dort nicht anspruchsbegründend) von vornherein nicht zu prüfen waren oder (mangels Einwendung) nicht geprüft

wurden, frei (RdW 1989, 310; GesRZ 1989, 221 = WBl 1989, 377;

ähnlich EvBl 1990/126 = WBl 1990, 271; zuletzt 9 Ob S 3/90). An

dieser Rechtsansicht hat der Oberste Gerichtshof trotz vereinzelter Kritik im Schrifttum (Schima, ZAS 1989, 206; Liebeg, WBl 1990, 261) festgehalten (EvBl 1990/126 = WBl 1990, 271; 9 Ob S 3/90).

Der zunächst für den Fall des § 1 Abs 3 Z 3 IESG (Anrechnung desjenigen auf die Kündigungsentschädigung, was sich der Arbeitnehmer infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitiger Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat) ausgesprochene Grundsatz, daß diese Frage der Anspruchsbegrenzung mangels Einwendung im Titelprozeß im Verfahren vor dem Arbeitsamt von Amts wegen zu prüfen ist (Schwarz-Holzer-Holler, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz 169; Dirschmied, DRdA 1980, 383; Arb 10.098; RdW 1989, 310) gilt für alle (bisher geregelten) Fälle des § 1 Abs 3 IESG (9 Ob S 19/89 = DRdA 1990, 470). In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß auch die Frage, ob der in § 1 Abs 3 Z 1 IESG besonders normierte Ausschlußgrund gegeben ist, der Prüfung durch das Arbeitsamt und im Rahmen der sukzessiven Kompetenz (§ 65 Abs 1 Z 7 ASGG) der Beurteilung durch das Gericht unterliegt, wenn die (inhaltsgleiche) Frage, ob der Anspruch durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben wurde, mangels Erhebung einer entsprechenden Einwendung im Titelverfahren ungeprüft blieb.

Zur Frage, ob diese Grundsätze auch auf die durch Artikel IV Z 1 BUAG als Ziffer 5 in § 1 Abs 3 IESG neu eingeführte Ausschlußbestimmung anzuwenden sind, fehlt bisher eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, so daß die Revision trotz der grundsätzlichen Klärung der Grenzen der Bindungswirkung des § 7 Abs 1 IESG zuzulassen war, zumal die wiederholt novellierte Bestimmung des § 1 Abs 3 IESG die verschiedensten Arten von Ausschlußbestimmungen zusammenfaßt.

Nach § 1 Abs 3 Z 5 IESG gebührt Insolvenz-Ausfallgeld nicht (ausgeschlossener Anspruch)

"für Ansprüche nach Abs 2, sofern auf Grund gesetzlicher Anordnung ein anderer als der Arbeitgeber (ehemaliger Arbeitgeber) zur Zahlung verpflichtet ist."

Diese Ausschlußbestimmung beruht darauf, daß gemäß § 10 Abs 1 BUAG Arbeitnehmer, die in den Geltungsbereich des BUAG fallen, Anspruch auf (Urlaubs)Abfindung im Ausmaß der bereits erworbenen Anwartschaften haben, wenn sie seit mindestens sechs Monaten in keinem Arbeitsverhältnis mehr stehen, auf das dieses Bundesgesetz Anwendung findet, diesen Anspruch aber, da im Zeitpunkt seiner Geltendmachung kein Arbeitsverhältnis im Sinne des BUAG vorliegen kann und daher die Abwicklung der Auszahlung über einen Arbeitgeber nicht möglich ist (Martinek-Wiedorn, Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz 130) gemäß § 10 Abs 3 BUAG (nur) gegen die Urlaubs- und Abfertigungskasse richten können.

Der Revisionswerber ist der Ansicht, daß sich die in § 7 Abs 1 IESG normierte Bindungswirkung auch auf die Frage beziehe, ob der Anspruch gegen den Arbeitgeber oder gegen die Urlaubs- und Abfertigungskasse zu richten gewesen wäre. Da durch das Versäumungsurteil der Anspruch gegen die Arbeitgeberin rechtskräftig festgestellt worden sei, sei auch das Arbeitsamt in der Beurteilung der Frage, ob ein Anspruch gegen die Arbeitgeberin vorliege, gebunden.

Der Revisionsrekurswerber übersieht jedoch, daß die Verwaltungsbehörden bei der Beurteilung der Frage, ob ein arbeitsrechtlicher Anspruch gesichert ist, nur zugrundezulegen haben, ob dieser Anspruch nach den Feststellungen des Urteils seiner Art nach zu den gesicherten gehört, in der Beurteilung von Anspruchsausschlüssen aber in allen Fragen, die im gerichtlichen Verfahren (als dort nicht anspruchsbegründend) von vornherein nicht zu prüfen waren, oder - wie hier - mangels Einwendung nicht geprüft wurden, frei bleibt. Das muß auch dann gelten, wenn die Frage, ob ein Anspruch "gesichert" ist, davon abhängt, ob auf Grund gesetzlicher Anordnung (ausnahmsweise) ein anderer als der Arbeitgeber zur Zahlung verpflichtet ist, gegen den Arbeitgeber also kein konkreter Anspruch besteht, obwohl der Art nach ein arbeitsrechtlicher Anspruch vorliegt. Da die Frage, ob gegen die Arbeitgeberin im Hinblick auf die Bestimmungen des § 10 Abs 3 BUAG überhaupt ein Anspruch auf Urlaubsentschädigung bestanden hätte, im Titelverfahren mangels Einwendung der (dort) Beklagten nicht geprüft wurde, war das Arbeitsamt bei der Beurteilung des Anspruchsausschlusses nach § 1 Abs 3 Z 5 IESG frei; für diese in § 1 Abs 3 IESG neu eingefügte Ausschlußbestimmung gilt nichts anderes als für die übrigen schon bisher in § 1 Abs 3 IESG geregelten Fälle (9 Ob S 1003/91).

Daß die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 Z 5 IESG gegeben sind, wurde von den Vorinstanzen zutreffend erkannt; der Revisionswerber hat das auch nur im Hinblick auf die behauptete Bindungswirkung des Versäumungsurteiles bezweifelt, die aber, wie ausgeführt, insofern nicht besteht.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Zu einem Kostenzuspruch an den Kläger nach Billigkeit (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG) besteht kein Anlaß.

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