OGH 10ObS167/16f

OGH10ObS167/16f24.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter‑Straße 65, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 3. November 2016, GZ 25 Rs 80/16z‑11, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00167.16F.0124.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Verletzung, die der Kläger am 6. August 2015 bei einem Verkehrsunfall erlitten hat, auf einen Arbeits‑(weg‑)unfall zurückzuführen ist, sowie die Gewährung einer Versehrtenrente aus diesem Unfall.

Der Kläger arbeitet in V***** und wohnt in H*****. Mit dem PKW führt die kürzeste Wegstrecke von seinem Arbeitsort in V***** zu seinem Wohnhaus über die Abzweigung H*****‑Nord der Bundesstraße ***** in den Ort H*****.

Am 5. August 2015 wollte der Kläger nach Arbeitsschluss um 22:30 Uhr mit seinem PKW seinen Sohn von einer Geburtstagsfeier in L***** abholen und anschließend heimfahren. Er fuhr deshalb von V***** kommend an der Ausfahrt H*****‑Nord der Bundesstraße ***** vorbei und benützte die Umfahrungsstraße H*****, um im Anschluss auf der Bundesstraße ***** L***** zu erreichen. Auf der Umfahrungsstraße, etwa mittig zwischen den Ausfahrten H*****‑Nord und H*****‑Süd der Bundesstraße ***** wurde er kurz nach Mitternacht in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er schwer verletzt wurde. Hätte der Kläger nicht seinen Sohn in L***** abholen wollen, wäre er auch in der Unfallnacht – wie üblich – an der Abzweigung Nord der Bundesstraße ***** abgebogen, um sein Wohnhaus in H***** zu erreichen, und hätte nicht die Umfahrungsstraße benützt. Fallweise – vornehmlich im Winter – wählt der Kläger seinen Heimweg von der Arbeit aber auch so, dass er an der Abzweigung Nord vorbeifährt, den Ort H***** auf der Umfahrungsstraße umfährt, um erst an der Abzweigung H*****‑Süd von der Bundesstraße ***** abzufahren, weil die an die Abfahrt Nord anschließende F*****straße in ihrem Verlauf eine scharfe Kurve aufweist und die anschließende Zufahrt zu seinem Wohnhaus steiler ist und bergan führt. Die Strecke vom Arbeitsort in V***** über die Abzweigung Nord ist um 3,9 km kürzer als jene über die Abzweigung Süd, die Fahrzeit differiert um zwei Minuten.

Der Sohn hätte in der Unfallnacht auch von der Gattin des Klägers (mit dem der Familie zur Verfügung stehenden zweiten PKW) abgeholt werden können.

Die Vorinstanzen wiesen das auf Gewährung einer Versehrtenrente für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. August 2015 gerichtete Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung unzulässig.

1. Nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ist grundsätzlich nur der direkte Weg zwischen der Arbeits- oder Ausbildungsstätte und der Wohnung geschützt. Dies wird in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung zwischen dem Ausgangspunkt und dem Zielpunkt des Arbeitswegs sein, wobei der Versicherte zwischen im Wesentlichen gleichwertigen Möglichkeiten frei wählen kann (RIS‑Justiz RS0084838).

2. Auf einem durch Umweg längeren Weg besteht in der Regel – also mangels besonderer gegenteiliger Umstände – kein Versicherungsschutz. Diesem Gedanken liegen Gesichtspunkte der Gefahrtragung für die örtlich verschobene Risikosphäre zugrunde, weil durch einen Um‑ oder Abweg im Allgemeinen und durch eine erhebliche Verlängerung der Wegstrecke im Besonderen in den meisten Fällen eine vermeidbare Gefahrenerhöhung eintritt (RIS‑Justiz RS0084380 [T9]).

3.1 Versicherungsschutz besteht nur dann, wenn der an sich kürzeste Weg unter Bedachtnahme auf das benützte private oder öffentliche Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht (zB wegen einer Verkehrssperre) oder nur unter – vor allem für die Verkehrssicherheit – wesentlich ungünstigeren Bedingungen (zB Witterungs‑, Straßen‑ oder Verkehrsverhältnissen) benützt werden oder der Versicherte solche für die tatsächlich gewählte Strecke sprechende günstigere Bedingungen wenigstens annehmen konnte. Durch derartige Umstände erzwungene Abweichungen vom Weg berühren daher den Versicherungsschutz nicht (RIS‑Justiz RS0084838 [T1]; vgl R. Müller in SV‑Komm [161. Lfg] § 175 ASVG Rz 178 f mwN). Sonstige Um‑ und Abwege sind hingegen im Allgemeinen nicht vom Unfallversicherungsschutz umfasst.

3.2 Ist von dem Versicherten nicht der kürzeste Weg eingeschlagen worden, so entfällt der Versicherungsschutz somit dann, wenn für die Wahl des Weges andere Gründe maßgebend gewesen sind als die Absicht, den Ort der Tätigkeit bzw auf dem Rückweg die Wohnung zu erreichen, und wenn die dadurch bedingte Verlängerung der Wegstrecke unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände als erheblich anzusehen ist.

3.3 Ob die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz auf Umwegen vorliegen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (10 ObS 37/05x, SSV-NF 19/29 mwN). Dabei sind alle nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu berücksichtigenden Umstände in Betracht zu ziehen, insbesondere der Wunsch, den Weg möglichst störungsfrei und zweckmäßig zurückzulegen, wobei auch objektive Kriterien zu berücksichtigen sind. (10 ObS 5/05s mwN).

4. Die Ansicht der Vorinstanzen, die den Unfallversicherungsschutz verneint haben, weil der Kläger zum Unfallzeitpunkt den direkten und kürzesten Weg (über die Abzweigung Nord) bereits aus eigenem Willensentschluss wegen rein privater Gründe verlassen hatte, ohne dass ersichtlich ist, aus welchen – etwa witterungsbedingten oder verkehrstechnischen – Gründen diese Strecke in der Unfallnacht eine dem direkten Arbeitsweg gleichwertige Verbindung darstellen sollte, steht mit der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung in Einklang. Dafür, dass die Einhaltung des kürzesten Weges für den Kläger wegen wesentlich ungünstigerer Umstände unzumutbar gewesen wäre, bestehen keine Anhaltspunkte, steht doch fest, dass er in der Unfallnacht zur Erreichung seines Wohnhauses nicht die Umfahrungsstraße benutzt hätte (sondern direkt in den Ort gefahren wäre), hätte er nicht seinen Sohn aus L***** abholen wollen. Auch dass – wie in der Revision ausgeführt wird – objektiv gesehen auf der längeren Strecke eine Ortsdurchfahrt sowie eine scharfe Kurve vermieden wird, machte die kürzere Route noch nicht unzumutbar. Dass die Unzumutbarkeit dieser Route zu anderen Jahreszeiten (etwa im Winter witterungsbedingt im Hinblick auf die scharfe Kurve und die steile Anfahrt zum Wohnhaus) gegeben sein kann, ist für den im August liegenden Unfallzeitpunkt nicht maßgeblich.

5.1 Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung, dass der innere Zusammenhang zwischen einem Weg und der versicherten Tätigkeit nicht nur gegeben ist, wenn die versicherte Tätigkeit den alleinigen Grund für das Zurücklegen des Weges bildete. Diente der Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit sowohl der versicherten Tätigkeit als auch eigenwirtschaftlichen Interessen („gemischter Weg“), so ist gemäß den Grundsätzen bei gemischten Tätigkeiten für den Versicherungsschutz bedeutsam, ob sich der zurückgelegte Weg eindeutig in zwei Teile zerlegen lässt, von denen der eine der versicherten und der andere der nichtversicherten Tätigkeit gedient hat. Soweit diese Aufteilung nicht möglich ist, besteht der innere Zusammenhang, wenn der Weg zwar nicht allein, jedoch zumindest auch wesentlich der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt war (RIS‑Justiz RS0084903; RS0084858).

5.2 Die Vorinstanzen vertraten dazu die Ansicht, die beiden Wegstrecken seien im Hinblick darauf, dass die über die Ausfahrt H*****‑Süd führende Strecke um fast 4 km länger sei und auch deutlich mehr Fahrzeit in Anspruch nehme, nicht als gleichwertig anzusehen. Es sei daher eine Aufteilung des Weges möglich, weil die Fahrt ab dem Nichtabfahren an der Abzweigung Nord nicht mehr der versicherten, sondern einer nichtversicherten Tätigkeit bzw einem eigenwirtschaftlichen Interesse des Klägers zuzuordnen sei (seinen Sohn abzuholen). Auch mit dem Vorbringen, es handle sich bei der kürzeren und der längeren Route doch um gleichwertige Varianten des Arbeitsweges, weshalb ein „gemischter Weg“ gegeben sei, gelingt es dem Revisionswerber nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.

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