OGH 10ObS5/05s

OGH10ObS5/05s18.2.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl S*****, Portier, *****, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Oktober 2004, GZ 8 Rs 143/04i-23, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Im Revisionsverfahren ist allein noch strittig, ob der Unfall des Klägers vom 5. 9. 2002 als Arbeitsunfall iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG zu beurteilen ist.

Die Vorgangsweise des Berufungsgerichtes, in seiner im zweiten Rechtsgang gefällten Entscheidung zur Beurteilung dieser Frage auf seine in dem im ersten Rechtsgang gefassten Aufhebungsbeschluss vertretene Auffassung zu verweisen, trägt dem Umstand Rechnung, dass auch das Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang an seine im Aufhebungsbeschluss vertretene Rechtsansicht gebunden war (Kodek in Rechberger, ZPO2 § 499 Rz 2 mwN ua). Diese Vorgangsweise steht daher nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und begründet auch keinen Verfahrensmangel.

Auch der weitere Vorwurf, das Berufungsgericht sei bei seiner Entscheidung von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Vorliegens eines Arbeitsunfalles iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG abgewichen, ist nicht berechtigt. Nach § 175 Abs 2 Z 1 erster Halbsatz ASVG sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits - oder Ausbildungsstätte ereignen. Grund des Schutzes ist der Umstand, dass es der Versicherte nicht vermeiden kann, sich den Wegegefahren auszusetzen, will er seiner Erwerbstätigkeit nachgehen (SSV-NF 13/137). Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles ist, dass das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, in einem inneren (sachlichen) Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw nach Beendigung dieser Tätigkeit der Erreichung der Wohnung dient. Es trifft zu, dass nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur der direkte Weg zwischen der ständigen Wohnung des Versicherten und der Arbeits- oder Ausbildungsstätte geschützt ist. Dies wird in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung sein, wobei der Versicherte zwischen im Wesentlichen gleichwertigen Verbindungen frei wählen kann. Es wurde auch bereits mehrfach ausgesprochen, dass auf einem längeren Weg nur dann Versicherungsschutz besteht, wenn der an sich kürzeste Weg unter Bedachtnahme auf das benützte private oder öffentliche Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht (zB wegen einer Verkehrssperre) oder nur unter vor allem für die Verkehrssicherheit wesentlich ungünstigeren Bedingungen (zB Witterungs-, Straßen- oder Verkehrsverhältnissen) benützt werden oder der Versicherte solche für die tatsächlich gewählte Strecke sprechenden Bedingungen wenigstens annehmen konnte. Daher ist ein allein oder überwiegend im privatwirtschaftlichen Interesse nicht gewählter Umweg nicht versichert (SSV-NF 3/132 mwN ua; RIS-Justiz RS0084380, RS0084927).

Bei diesen Erwägungen ist allerdings zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Unfallversicherung, wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits ausgesprochen hat, dem Versicherten grundsätzlich ein bestimmtes Maß an räumlicher Bewegungsfreiheit einräumt, ohne dass er negative versicherungsrechtliche Auswirkungen befürchten muss (10 ObS 8/98v). So steht dem Versicherten insbesondere die Wahl des Verkehrsmittels frei. Auch bezüglich der Wahl des Weges steht dem Versicherten ein gewisser Spielraum zu. Der Versicherte ist somit nicht ausschließlich auf dem entfernungsmäßig kürzesten Weg von und zu der Arbeits- oder Ausbildungsstätte geschützt. Ist von dem Versicherten nicht der kürzeste Weg eingeschlagen worden, entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn für die Wahl des Weges andere Gründe maßgebend gewesen sind, als die Absicht, den Ort der Tätigkeit bzw auf dem Rückweg die Wohnung zu erreichen, und wenn die dadurch bedingte Verlängerung der Wegstrecke unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände als erheblich anzusehen ist. Hiebei sind alle nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu berücksichtigenden Umstände in Betracht zu ziehen, insbesondere der Wunsch den Weg möglichst störungsfrei und zweckmäßig zurückzulegen, wobei auch objektive Kriterien zu berücksichtigen sind. Ferner ist die Wahl des vom Versicherten gewählten Verkehrsmittels und die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit, im Hinblick auf die Art des gewählten Verkehrsmittels einen bestimmten Weg einzuschlagen, um das Ziel möglichst schnell und sicher zu erreichen, zu berücksichtigen (vgl Schwerdtfeger in Lauterbach, UV4 7. Lfg § 8 SGB VII Rz 465; Krasney in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2 Unfallversicherung 190; Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Band 2 § 8 SGB VII Rz 201 mwN ua). Auch in der österreichischen Rechtsprechung wurde daher der Unfallversicherungsschutz bejaht, wenn der Versicherte zwar nicht den kürzesten, aber einen mit diesem im Wesentlichen gleichwertigen Weg gewählt hat (vgl SSV-NF 3/132 ua). Wegen der Besonderheiten des Straßen- und Wegenetzes, der unterschiedlichen geografischen Gegebenheiten und der Vielfalt der Lebenssachverhalte, die bei der Wahl des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit bedeutsam sind, lassen sich keine allgemeinen Regeln hinsichtlich der Länge des Weges, der in Anspruch genommenen Geh- oder Fahrzeit oder sonstiger einschlägiger Kriterien festlegen (Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band 3, Gesetzliche Unfallversicherung § 8 Rz 224). Die Entscheidung der Frage, ob ein vom Versicherten gewählter Weg im Verhältnis zur kürzesten Wegverbindung als gleichwertig anzusehen ist, hängt daher von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (SSV-NF 15/34).

Im vorliegenden Fall standen dem Kläger zur Erreichung seiner im großstädtischen Bereich gelegenen Arbeitsstätte mit den öffentlichen Verkehrsmitteln naturgemäß mehrere Alternativen zur Verfügung. Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Kläger am Unfallstag nur seinen Arbeitsplatz erreichen wollte und insbesondere kein bestimmtes „Nebenziel" verfolgt hat. Der vom Kläger gewählte Weg habe im Vergleich zu den möglichen Alternativen keine wesentliche Verlängerung der Wegstrecke oder der Wegzeit und auch keine wesentliche Gefahrenerhöhung bewirkt. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass der Kläger einen Teil des Weges zu Fuß zurückgelegt habe, weil er nach seinen eigenen Angaben die Straßenbahn knapp versäumt habe. Soweit die Revisionswerberin demgegenüber meint, der Unfall sei deshalb nicht geschützt, weil er sich im Zuge des vom Kläger unternommenen (langen) Fußmarsches ereignet habe, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Art des Zurücklegens des Weges für den Versicherungsschutz grundsätzlich nicht wesentlich ist. Selbst wenn der gesamte Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zurückgelegt werden kann, besteht Versicherungsschutz auch bei Unfällen, die darauf zurückzuführen sind, dass der Versicherte einen Teil des Weges zu Fuß zurücklegte. Wenn das Berufungsgericht bei der geschilderten Sachlage einen Unfallschutz iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG bejaht hat, hat es den ihm bei dieser Entscheidung eingeräumten Ermessensspielraum jedenfalls nicht überschritten. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht ausgesprochen, dass die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist.

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