OGH 1Ob168/16m

OGH1Ob168/16m20.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, gegen die beklagte Partei G***** H*****, vertreten durch die Proksch & Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte OG, Wien, wegen Feststellung (210.000 EUR) und Räumung (5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. Juni 2016, GZ 1 R 45/16t‑160, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 8. Jänner 2016, GZ 5 Cg 81/09z‑154, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00168.16M.1220.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisisonsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO abgewiesen.

 

Begründung:

Der Beklagte ist Eigentümer der Liegenschaft EZ ***** GB *****, bestehend aus dem Grundstück Nr 130. Daran grenzt das Seegrund-stück Nr 2755/1 (Attersee) der EZ ***** GB ***** an. Die klagende Partei („Österreichische Bundesforste“) ist im Grundbuch als Eigentümerin dieser Liegenschaft einverleibt.

Die klagende Partei begehrte zuletzt die Feststellung, dass sie Eigentümerin jener Fläche sei, die – verkürzt – zwischen der Linie, die im nordöstlichen Teil durch die Grenze laut Urmappe des Jahres 1929 und im südwestlichen Teil durch den Normalhöchstwasserstand gebildet werde, und der heute in der Natur ersichtlichen Ufermauer liege, sowie die Räumung dieser Fläche durch den Beklagten.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung der Klage durch das Erstgericht und dessen Beurteilung, dass die Ersitzung der strittigen Fläche durch Rechtsvorgänger des Beklagten mehr als vierzig Jahre vor dem 1. 11. 1934 begonnen habe und daher noch vor dem Inkrafttreten des Ersitzungsverbots am öffentlichen Wassergut beendet gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei, die keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO anspricht.

1. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die vom Klagebegehren zuletzt erfasste Fläche bei regelmäßig wiederkehrendem ordentlichen höchsten Wasserstand auch noch heute umspült wäre, hätte es überhaupt keine anthropogenen Veränderungen gegeben. Dementsprechend sind auch die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die Revisionswerberin der ihr auferlegten Behauptungs- und Beweispflicht nachgekommen ist (vgl die dazu im ersten Rechtsgang ergangene Entscheidung 1 Ob 100/13g). Soweit sie in Ausführung ihres Rechtsmittels dennoch unter Bezugnahme auf einzelne Beweisergebnisse darlegt, dass sie die sachlichen Voraussetzungen nachgewiesen habe, wie sie für das Vorliegen von öffentlichem Wassergut grundsätzlich erforderlich sind, ist darauf nicht weiter einzugehen.

2.1 Die Voraussetzung für die Ersitzung nach § 1477 ABGB sind neben dem Zeitablauf echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprochen hat und der Besitzwille (RIS-Justiz RS0034138). Sie erfordert eine Besitzausübung, die die volle Zugehörigkeit der Sache zum Ausübenden so sichtbar zum Ausdruck bringt, dass sie eine Besitzausübung dritter Personen nicht zulässt (9 Ob 26/00i = RIS-Justiz RS0010101 [T5]; 1 Ob 137/14z; vgl RS0009792 [T2]). Der Ersitzende hat Art und Umfang der Besitzausübung und die Vollendung der Ersitzungszeit zu behaupten und zu beweisen (RIS‑Justiz RS0034237; RS0034251; RS0034243). In letzter Hinsicht genügt es jedoch, dass der Bestand des Besitzes zu Beginn und am Ende der Ersitzungszeit feststeht (M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1460 Rz 8 mwN).

2.2 Die Revisionswerberin räumt ein, dass das Berufungsgericht diese Grundsätze zutreffend wiedergegeben hat. Unverständlich sind jedoch ihre Ausführungen, dieses habe erkannt, dass vom Beklagten weder ein ausreichendes Vorbringen erstattet noch Beweise erbracht worden seien, hat sich das Berufungsgericht doch ausführlich mit der Frage der Behauptungslast auseinandergesetzt und dargelegt, dass das Vorbringen des Beklagten zur Ersitzung nur so verstanden werden könne, dass die strittige Fläche durch seine Rechtsvorgänger mehr als vierzig Jahre vor dem 1. 11. 1934 gutgläubig als Eigentum betrachtet worden und die Nutzung dieser Fläche in gleicher Weise erfolgt sei, wie die des übrigen Grundstücks Nr 130. Unter Berücksichtigung des Bestreitungsvorbringens der klagenden Partei im Verfahren erster Instanz, die dem Ersitzungseinwand des Beklagten das Verbot des § 4 Abs 6 WRG entgegengehalten und auf dessen Beweislast verwiesen habe, dass die Ufermauer bereits vor dem Jahr 1894 errichtet worden sei, gelangte es zum Ergebnis, dass der Beklagte die Ersitzungsvoraussetzungen ausreichend vorgebracht habe. Mit diesen Überlegungen setzt sich die Revisionswerberin erst gar nicht auseinander und vermag damit auch mit ihrem pauschal gehaltenen Hinweis, es fehlten Behauptungen, welche Sachbesitzhandlungen in den Jahren 1894 bis 1934 von welchem der Rechtsvorgänger des Beklagten wann gesetzt worden seien, eine im Einzelfall (vgl RIS-Justiz RS0042828) als unvertretbar aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts in der Auslegung des Vorbringens des Beklagten nicht darzulegen.

3. Ob die Ersitzungszeit – hier vor dem 1. 11. 1934 – bereits abgeschlossen war, ist stets anhand der konkreten Umstände zu prüfen und entzieht sich damit als Frage des Einzelfalls regelmäßig der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof (vgl 6 Ob 323/99i = RIS-Justiz RS0113049). Soweit sich die klagende Partei gegen die von den Vorinstanzen angenommene Ersitzung der hier strittigen Grundfläche wendet, spricht sie auch keine Rechtsfragen an, sondern führt unter Berufung auf ihren Standpunkt günstige Beweisergebnisse aus, es fehlten Anhaltspunkte in tatsächlicher Hinsicht, dass Geländeveränderungen/ Uferbefestigungen bereits vor 1894 bestanden hätten. Damit bekämpft sie aber in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die ausdrücklich feststellten, dass die Geländeveränderungen/Uferbefestigungen und die heute strittige Fläche im Wesentlichen bereits vor 1894 vorhanden waren und von den Grundstückseigentümern (gemeint des Grundstücks Nr 130 und Rechtsvorgängern des Beklagten) genutzt worden sind (gemeint so wie das übrige Grundstück Nr 130, also als deren alleinige Sachbesitzer). Diese Feststellungen lässt die klagende Partei aber außer Acht, wenn sie Fragen der Beweislastverteilung anspricht, sodass sie schon insoweit keine im Einzelfall gemäß § 502 Abs 1 ZPO in dritter Instanz aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts anspricht. Mit ihren Ausführungen zum Regelbeweismaß der Zivilprozessordnung (dazu RIS-Justiz RS0110701), dem die Ausführungen des vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit nicht entsprächen, weil er lediglich davon ausgegangen sei, der Baumstandort dürfte schon vor 1894 vorhanden gewesen sein, spricht sie, weil die Vorinstanzen dessen Erkenntnisse zur Grundlage der Feststellungen machten, in Wahrheit wiederum Tatfragen an, die in dritter Instanz nicht mehr releviert werden können (RIS-Justiz RS0042903 [T2, T4]).

4. Das Gericht, an welches die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und/oder Entscheidung zurückverwiesen wird, ist nach § 499 Abs 2 ZPO an die Rechtsansicht des Berufungsgerichts in seinem Aufhebungsbeschluss gebunden. Hingegen ist es dem Gericht erster Instanz außerhalb abschließend erledigter Streitpunkte nicht verwehrt, im Rahmen des Ergänzungsauftrags die Feststellungen im zweiten Rechtsgang zu ändern (RIS-Justiz RS0117141 [T1]; vgl EKodek in Rechberger ZPO4 § 499 Rz 2). Wenn die Klägerin daher geltend macht, das Erstgericht habe Beweisergebnisse im Vergleich mit dem im zweiten Rechtsgang durch das Berufungsgericht aufgehobenen Urteil anders gewürdigt, spricht sie neuerlich nicht Rechts-, sondern Tatfragen an. Darüber hinaus legt sie ihren Reflexionen auf das im ersten Rechtsgang aufgehobene Urteil und den damit im Zusammenhang stehenden Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ein „Nebeneinanderbestehen“ beider Urteile zugrunde und verkennt damit vollkommen das Wesen eines Aufhebungsbeschlusses nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO, durch den das Verfahren in den Stand vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zurückgetreten ist (RIS‑Justiz RS0042458).

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

6. Da das außerordentliche Rechtsmittel der klagenden Partei als unzulässig zurückzuweisen ist, gebühren dem Beklagten für die ohne Zulassungsmitteilung im Sinn des § 508a Abs 2 ZPO eingebrachte Revisionsbeantwortung keine Kosten (RIS-Justiz RS0043690 [T6, T7]).

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