OGH 3Ob170/16w

OGH3Ob170/16w23.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. *****, 2. S*****, diese vertreten durch den Erstkläger als gesetzlicher Vertreter und Sachwalter, beide *****, beide vertreten durch Dr. Thomas Juen, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Univ.‑Prof. Dr. C*****, vertreten durch Dr. Udo Elsner Rechtsanwalt KG in Wien, wegen zuletzt 67.334,84 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Juni 2016, GZ 15 R 101/16g‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00170.16W.1123.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz ist im zweiten Rechtsgang in erster Instanz ein Verfahren (in der Folge: Anlassverfahren) anhängig, in dem die Zweitklägerin, vertreten durch ihren Vater, den Erstkläger als Sachwalter, eine Krankenanstalt auf Schadenersatz wegen mehrerer behaupteter Behandlungsfehler und Aufklärungspflichtverletzungen der behandelnden Ärzte in Anspruch nimmt. Der hier Beklagte erstattete in diesem Anlassverfahren ein schriftliches Gutachten, das mündlich erörtert wurde.

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind – nach rechtskräftiger Teilabweisung eines von der Zweitklägerin erhobenen Zahlungsbegehrens –

1. das nur vom Erstkläger erhobene Begehren auf Zahlung von 67.334,84 EUR sA und

2. das von beiden Klägern erhobene Begehren auf Feststellung, dass der Beklagte den Klägern für alle zukünftigen nachteiligen Folgen und Schäden resultierend aus der unrichtigen Gutachtenserstattung im Anlassverfahren hafte.

Zum Zahlungsbegehren brachte der Erstkläger vor, er sei als gesetzlich Unterhaltsverpflichteter infolge der unrichtigen gutachterlichen Äußerungen des Beklagten im Anlassverfahren dazu gezwungen gewesen, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der berechtigten Schadenersatzansprüche der Zweitklägerin einen Arzt und einen Rechtsanwalt mit der näheren Beratung und Vertretung sowie in weiterer Folge zwei Professoren mit der Erstattung von Privatgutachten zu beauftragen, wodurch ihm insgesamt Kosten in Höhe des Zahlungsbegehrens entstanden seien.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren zur Gänze ab.

Die außerordentliche Revision macht geltend, der Erstkläger habe entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht nur eine Schädigung durch Beeinflussung der gerichtlichen Entscheidung im Arzthaftungsprozess durch ein unrichtiges Gutachten behauptet, sondern sich ausdrücklich darauf gestützt, ihm seien aufgrund des unrichtigen Gutachtens des Beklagten Beratungs‑ und Gutachterkosten in Höhe des Zahlungsbegehrens entstanden, welche selbst im Fall eines allfälligen Obsiegens im Anlassverfahren nicht vom Kostenersatz umfasst wären. Dieser Schaden sei bereits unabhängig vom Ausgang des Anlassverfahrens eingetreten.

Rechtliche Beurteilung

Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zeigt die Revision damit nicht auf:

1. Wird ein Sachverständiger wegen seines in einem gerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachtens in Anspruch genommen und geht es um den Einfluss dieses Gutachtens auf die gerichtliche Entscheidung, steht das Ergebnis der gutachterlichen Tätigkeit des Sachverständigen erst mit Abschluss des Verfahrens endgültig fest. Davor fehlt es schon an der wesentlichen Voraussetzung für eine „vorbeugende Feststellungsklage“, nämlich dass sich das schädigende Ereignis, das einen konkreten Schaden hätte auslösen können, bereits ereignet hat (RIS‑Justiz RS0040838 [T15]; 7 Ob 140/16p).

2. Zutreffend ist, dass der Sachverständige nach allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts auch für alle den Parteien verursachten Schäden haftet, die durch ein wenn auch letztlich nicht der Entscheidung des Gerichts zugrunde gelegtes Gutachten entstehen, das sich im Laufe des Verfahrens als unrichtig und mangelhaft herausstellt und daher der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden kann. In diesem Fall haftet der gerichtliche Sachverständige den Prozessparteien für den dadurch verursachten Schaden (RIS‑Justiz RS0124312; 2 Ob 180/08x SZ 2008/160).

3. Aus der zu 2. dargelegten Rechtsprechung leitet die Revision jedoch zu Unrecht ab, dass der Erstkläger die von ihm bereits getragenen Rechtsanwalts‑ und (Privat‑)Gutachterkosten schon vor rechtskräftiger Beendigung des Anlassverfahrens als Schadenersatzforderung gegen den Sachverständigen geltend machen könne:

3.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann in Strafsachen der Verurteilte, solange ein verurteilendes Strafurteil aufrecht ist, vom Sachverständigen, auf dessen Gutachten sich das Urteil stützt, nicht Schadenersatz wegen unrichtiger Begutachtung begehren (RIS-Justiz RS0026373).

3.2 Dieser Grundsatz gilt auch für den Fall, dass in dem anhängigen Strafverfahren noch keine Entscheidung ergangen ist (8 Ob 36/14y; RIS-Justiz RS0026373 [T4]), weil es die Ausgestaltung des strafrechtlichen Rechtsschutzsystems ausschließt, während des anhängigen Verfahrens eine Überprüfung der Ergebnisse des Strafverfahrens im Zivilverfahren herbeizuführen. Schon die Möglichkeit, derartige Klagen als Druckmittel zu missbrauchen, zwingt hier zu einer zurückhaltenden Beurteilung. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Person des Sachverständigen, sondern auch der Funktionsfähigkeit der Justiz insgesamt (8 Ob 36/14y; vgl auch 8 Ob 69/08t).

3.3 Aus eben diesen Erwägungen hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass das Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege die Ausnahme der Tätigkeit eines vom Gericht bestellten Sachverständigen von Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen iSd § 1330 Abs 2 ABGB gebietet (7 Ob 588/83 SZ 56/74; 4 Ob 75/92 Jbl 1993, 518 [krit Koziol zur der Übertragung dieses Grundsatzes auf Privatgutachten]; RIS-Justiz RS0031981).

3.4 Schließlich wird diese Rechtsprechungslinie auch auf den – mit der vorliegenden Konstellation vergleichbaren – Fall angewendet, bei welchem vordergründig andere als die unmittelbar aus einer Verurteilung resultierenden Schäden geltend gemacht werden (8 Ob 36/14y – erhöhte Verteidigungskosten), weil eine Bejahung der Möglichkeit, den Sachverständigen bereits vor rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens mit einer auf die behauptete Unrichtigkeit des Gutachtens gestützten Schadenersatzklage zu belangen, im Ergebnis auch in diesem Kontext zu einer Überprüfung führen müsste, wie die zukünftig im Strafverfahren ergehende Entscheidung richtigerweise zu lauten hätte.

3.5 Für die Geltendmachung einer Haftung wegen der behaupteten Unrichtigkeit eines in einem Zivilverfahren erstatteten Gutachtens kann nichts anderes gelten: Auch in diesem Fall müsste im Haftungsprozess geprüft werden, wie die „richtige“ Entscheidung in dem noch anhängigen Zivilverfahren zu lauten hätte. Die Klageführung der Kläger zielt somit im Ergebnis darauf ab, das bei Schluss der Verhandlung erster Instanz noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Anlassverfahren zu „überholen“ (vgl 9 Ob 38/11w – Schadenersatzbegehren gegen eine gutachtlich tätig gewordene Sachverständige während des noch anhängigen Obsorgeverfahrens). Diesem Ergebnis steht die in der Revision zitierte Entscheidung 2 Ob 180/08x nicht entgegen: In dem dort entschiedenen Fall war das Zivilverfahren bei Geltendmachung der Haftung bereits rechtskräftig beendet.

3.6 Eine andere Beurteilung könnte nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Haftung des Sachverständigen auf andere Gründe als die Unrichtigkeit seines Gutachtens gestützt wird, etwa darauf, dass er unnötige Kosten verursachte, weil er seine Befangenheit nicht offen legte (vgl 6 Ob 238/12m; 4 Ob 197/13i). Dieser Fall liegt jedoch hier nicht vor.

3.7 Das Berufungsgericht ist somit in Einklang mit der dargelegten Rechtsprechung zutreffend davon ausgegangen, dass auch eine Haftung des Sachverständigen für ein in einem Zivilverfahren erstattetes Gutachten vor dessen rechtskräftiger Beendigung nicht geltend gemacht werden kann.

4. Schon aus diesem Grund ist auch das Leistungsbegehren des Erstklägers abzuweisen, ohne dass es einer Auseinandersetzung mit seiner – von der Beklagten bestrittenen – Berechtigung zur Geltendmachung eigener Schäden gegen den Sachverständigen bedurfte.

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