OGH 10Ob56/16g

OGH10Ob56/16g11.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Schramm als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am * geborenen L*, vertreten durch Dr. Birgit Streif, Rechtsanwältin in Innsbruck, über den Revisionsrekurs des Vaters Mag. G*, vertreten durch Dr. Widukind W. Nordmeyer, Dr. Thomas Kitzberger, Rechtsanwälte in Wels, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 10. Juni 2016, GZ 53 R 59/16i‑90, womit infolge Rekurses des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichts Telfs vom 9. März 2016, GZ 4 Pu 34/14y‑83, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E116316

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs des Vaters wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist nur mehr die Frage, inwieweit dem Kind für die Zeit eines widerrechtlichen Zurückhaltens (hier: durch die Mutter) Geldunterhaltsansprüche gegen den an sich obsorgeberechtigten Elternteil (hier: den Vater) zustehen. Zu beurteilen ist die Geldunterhaltspflicht des Vaters im Zeitraum von 1. August 2011 bis 30. April 2013.

Der Vater war aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Thalgau vom 11. Juli 2011, GZ 3 Pu 81/09v‑5, ab 1. Juni 2011 zur Zahlung eines monatlichen Geldunterhalts von 180 EUR für seinen 2007 geborenen Sohn L* verpflichtet (ON 5). Am 2. Juli 2013 beantragte der durch seine Mutter vertretene Minderjährige eine Erhöhung des Unterhalts ab 1. Juli 2011 (ON 18). Der Vater sprach sich gegen diesen Antrag aus und brachte – soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung – vor (siehe ON 22), dass ihm im Oktober 2011 die einstweilige Obsorge übertragen worden sei. Die Mutter habe sich mit dem Kind nach Australien abgesetzt. Sie habe offenkundig selbst den Kindesunterhalt endgültig und vorbehaltslos erfüllt, weshalb ein Fall der Drittzahlung vorliege. Die Geltendmachung von Geldunterhalt für diesen Zeitraum sei zudem sittenwidrig. Der Entführer dürfe nicht im Namen des Kindes für den Zeitraum der Entführung rückwirkend Unterhalt zu seiner rechnungsfreien Verwendung begehren.

Mit Beschluss vom 9. März 2016 (ON 83) wies das Erstgericht den Erhöhungsantrag für den Zeitraum von 1. Juli 2011 bis 31. Juli 2011 (rechtskräftig) zurück und verpflichtete den Vater zur Zahlung erhöhter Unterhaltsbeträge – zusätzlich zu den mit Beschluss des Bezirksgerichts Thalgau vom 11. Juli 2011 festgesetzten monatlichen Geldunterhaltsbeträgen – für den Zeitraum von 1. August 2011 bis 30. April 2013. Neben den im Revisionsrekursverfahren nicht mehr relevanten Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen des Vaters stellte das Erstgericht fest, dass die damals allein obsorgeberechtigte Mutter am 15. September 2011 – gegen den Willen des Vaters – gemeinsam mit L* nach Australien zog, wo die beiden bis April 2013 lebten. Mit Beschluss vom 18. Oktober 2011, GZ 3 PS 81/09v-143, rechtskräftig seit 14. März 2013, entzog das Bezirksgericht Thalgau der Mutter die Obsorge für L* und übertrug sie dem Vater. Diese Entscheidung wurde gemäß § 44 AußStrG für sofort wirksam erklärt. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Entscheidung insoweit vorläufig (§ 107 AußStrG) ist, als sie hinfällig wird, sobald die Mutter dem Vater die unbegleitet eingeräumten Besuchskontakte ermöglicht. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 28. November 2014, GZ 4 PS 34/14y-341, ordnete das Erstgericht die Obsorge beider Eltern mit hauptsächlicher Betreuung durch die Mutter an.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, den obsorgeberechtigten Elternteil treffe auch dann die Pflicht, Geldunterhalt zu leisten, wenn sich das Kind gegen seinen Willen dauernd im Haushalt des anderen Elternteils aufhalte. Dies gelte auch im Fall einer Kindesentführung ins Ausland. Der Einwand der Sittenwidrigkeit könne dem Kind nicht wegen eines Verhaltens der Mutter entgegen gehalten werden, weshalb dahingestellt bleiben könne, ob die Verbringung des Kindes nach Australien als Kindesentführung zu werten sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters hinsichtlich der Bemessung des Erhöhungsbetrags teilweise Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, dass die Geldunterhaltspflicht des Vaters auch für den Zeitraum des Vorenthaltens des Kindes zu bejahen sei. Das Gesetz stelle nur auf die tatsächliche Betreuung des Kindes ab. Wem die Obsorge zukomme sei selbst dann irrelevant, wenn sich das Kind rechtswidrig im Haushalt des anderen Elternteils befinde. Der vorliegende Fall liege jedoch insofern anders, als die Mutter im Zeitpunkt der Ausreise nach Australien im September 2011 noch die allein Obsorgeberechtigte gewesen sei. Die Obsorgeübertragung auf den Vater durch das Bezirksgericht Thalgau stehe überdies unter der auflösenden Potestativbedingung der Ermöglichung von Besuchskontakten und sei insofern weder nachvollziehbar noch vollstreckbar. Der Vater sei für jenen Zeitraum, in dem sich die Mutter mit L* in Australien aufgehalten habe, nicht von seiner Geldunterhaltsverpflichtung befreit gewesen.

Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs nachträglich für zulässig, weil die Frage, ob dem Kind auch für die Zeit einer Kindesentführung Geldunterhaltsansprüche gegen den an sich obsorgeberechtigten Elternteil zustehen, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters aus den Revisionsrekursgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung sowie der Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Unterhaltserhöhungsantrags. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

In seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Minderjährige, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) liegt eine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht vor.

1. In seinem Revisionsrekurs bringt der Vater im Wesentlichen vor, mit jeder Kindesentführung sei zwangsläufig verbunden, dass der Entführer neben dem Naturalunterhalt auch die Bedürfnisse des Kindes in Geld zu befriedigen habe. Dies entspreche dem Willen des Entführers, der für den Zeitraum der Entführung den gesamten Unterhalt geleistet habe. Die Unterhaltsansprüche seien somit bereits getilgt und es sei der Unterhaltserhöhungsantrag abzuweisen.

2. Damit zeigt der Revisionsrekurswerber jedoch keine erhebliche Rechtsfrage auf. Es entspricht ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung, dass der Unterhaltspflichtige die Leistung von Geldunterhalt nicht mit dem Hinweis darauf verweigern kann, der andere Elternteil entziehe ihm widerrechtlich das Kind (OGH 2 Ob 569/88; RIS‑Justiz RS0079242; RS0047308). Beim Geldunterhaltsanspruch handelt es sich um einen eigenen Anspruch des Kindes, der nicht durch das (rechtswidrige) Verhalten eines Elternteils geschmälert wird oder gar gänzlich erlischt (vgl Barth/Neumayr in Klang³ § 140 Rz 15 mwN).

3. Daran ändert auch die (auflösend bedingte) Übertragung der Obsorge auf den Vater mit Beschluss des Bezirksgerichts Thalgau vom 18. Oktober 2011 nichts. Das Gesetz stellt nur auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht darauf ab, wem die Obsorge zukommt (OGH 3 Ob 540/95; RIS‑Justiz RS0079242; zustimmend Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ [2015] Rz 75 f). Selbst eine rechtskräftige Entscheidung über die Obsorgeübertragung hat daher keinen Einfluss auf die grundsätzliche Geldunterhaltspflicht des (noch) nicht betreuenden obsorgeberechtigten Elternteils. Der Vereitelung der Durchsetzung derartiger Beschlüsse ist ausschließlich mit den dafür vorgesehenen Mitteln des AußStrG (§ 111a, § 110 Abs 2 iVm § 79 Abs 2 AußStrG) und allfälligen Schadenersatzansprüchen gegenüber dem betreuenden Elternteil (4 Ob 8/11x) zu begegnen.

4. Diese Grundsätze haben selbst in Fällen internationaler Kindesentführung zu gelten. Bei der Entscheidung über den Kindesunterhalt kommt es eben nicht auf Umstände auf Seiten des entführenden Elternteils, sondern ausschließlich auf jene des Kindes an; nur dessen Interessen sind zu wahren. Der Kindesunterhalt dient der Deckung der angemessenen Bedürfnisse des Kindes; dessen Bedarf an Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinischer Versorgung etc bleibt unabhängig davon aufrecht, ob es sich rechtmäßig im Ausland aufhält oder widerrechtlich ins Ausland verbracht wurde. Selbst das widerrechtliche Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes durch einen Elternteil bewirkt kein Erlöschen seines Unterhaltsanspruchs (vgl auch 1 Ob 136/13a zur Frage der internationalen Zuständigkeit für die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs).

5. Ob ein Dritter, der dem Kind Unterhalt leistet, damit dessen Unterhaltsforderung tilgt, hängt davon ab, ob der Drittzahler diese Leistung in Erwartung des Ersatzes vom Schuldner erbringt und dadurch einen eigenen Anspruch nach § 1042 ABGB gegen den Schuldner erwirbt (vgl RIS‑Justiz RS0020019). Das Erlöschen des Unterhaltsanspruchs ist demnach von der Absicht des Drittzahlers abhängig. Entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers blieben die Feststellungen zu diesem Aspekt nicht mangelhaft. Nach der ständigen Rechtsprechung drückt eine mit Wissen der Mutter erfolgte Geltendmachung des Anspruchs durch das Kind im außerstreitigen Verfahren deren Willen aus, den von ihr gezahlten Betrag dem Kind nur vorschussweise zur Verfügung stellen zu wollen (RIS‑Justiz RS0047353 [T3]; ebenso Fischer-Czermak/Gitschthaler, Unterhaltsanspruch des Kindes und Regress des Drittzahlers, EF‑Z 2014, 245 [248]).

Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs des Vaters zurückzuweisen.

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