OGH 15Os98/16z

OGH15Os98/16z12.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Oktober 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Marcel M***** und einen weiteren Angeklagten wegen der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2 und Abs 4 erster Fall FPG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Pawel W***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 9. Mai 2016, GZ 61 Hv 28/16w‑145, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00098.16Z.1012.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten W***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, einen rechtskräftigen Schuldspruch eines weiteren Angeklagten enthaltenden Urteil wurde Pawel W***** eines Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2 und Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

Danach hat er in Salzburg und andernorts als Mitglied einer kriminellen Vereinigung gewerbsmäßig die rechtswidrige Ein‑ und Durchreise von Fremden, nämlich von mehr als drei Personen mit syrischer Staatsangehörigkeit, in und durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich und einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem weiteren Angeklagten sowie zwei abgesondert Verfolgten Fremde gegen Zahlung von 700 Euro pro erwachsener Person und 200 Euro pro Kind mit vier Fahrzeugen aus Ungarn nach Österreich in Richtung Deutschland beförderte, und zwar

1./ von 31. August bis 1. September 2015, „wobei jeder ein mit Fremden voll besetztes Fahrzeug lenkte“;

2./ von 2. bis 3. September 2015, „wobei jeder ein mit Fremden voll besetztes Fahrzeug lenkte“;

3./ vom 4. bis 5. September 2015, „wobei sie 17 Personen mit syrischer Staatsangehörigkeit in den von ihnen gelenkten Fahrzeugen beförderten“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus den Gründen der Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten W*****, der keine Berechtigung zukommt.

Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) behauptet, das Erstgericht habe „keine schlüssige Begründung“ für die Annahme eines auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatzes des Angeklagten angeführt, weil im Tatzeitraum „eine ganz besondere Ausnahmesituation von erklärtermaßen und allgemein bekannt zumindest weitgehend offenen Grenzen“ bestanden habe. Damit zeigt sie einen Begründungsmangel nicht auf, sondern bekämpft bloß die Beweiswürdigung nach Art einer – im Schöffenverfahren unzulässigen – Schuldberufung. Warum die auf die Aussagen der Angeklagten und der beförderten Personen sowie auf die „allgemeine Lebenserfahrung, dass die Situation von Flüchtlingen durch das Verlangen überzogener Entgelte ausgenützt wird, zumal ein Risiko strafrechtlicher Verfolgung der Verantwortlichen besteht“ (US 8), gestützten Erwägungen der Tatrichter den Kriterien logischen Denkens oder der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechen sollten, legt die Rüge somit nicht dar (RIS‑Justiz RS0116732).

Mit der Kritik am Unterbleiben von Feststellungen zu einer „Ausnahmesituation“, wonach die österreichischen Behörden die Grenzen für ankommende Flüchtlinge geöffnet und Flüchtlingsmassen unkontrolliert ein- und durchreisen hätten lassen, wird weder eine Unvollständigkeit der Begründung (RIS‑Justiz RS0118316) noch ein Feststellungsmangel (RIS‑Justiz RS0118580) zur Darstellung gebracht (vgl RIS‑Justiz RS0118058; 15 Os 41/16t).

In unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik übt das Vorbringen, für eine arbeitsteilige Vorgangsweise des Angeklagten und der weiteren beteiligten Personen bestehe „richtigerweise keine Grundlage“, und man könne „richtigerweise“ nicht von einer Mitgliedschaft des Angeklagten in einer kriminellen Vereinigung ausgehen. Im Übrigen wird vernachlässigt, dass die Tatrichter die Feststellungen zur Mitgliedschaft des Angeklagten in einer kriminellen Vereinigung (US 4 und 6) nicht nur aus der „arbeitsteiligen Vorgangsweise“ bei den Schleppungen, sondern auch aus dem professionellen Vorgehen, der Anzahl der Schlepperfahrten, den Angaben der Angeklagten und daraus abgeleitet haben, dass den Fahrern die unentgeltliche Unterkunft in einem Hotel in Budapest ermöglicht und ihnen ihr Lohn von zwei weiteren Mitgliedern der kriminellen Vereinigung ausbezahlt wurde (US 9).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich nicht an den Konstatierungen zum Vorsatz des Angeklagten, sich und Dritte durch das „von den beförderten Personen geleistete überhöhte Entgelt“, nämlich 700 Euro pro erwachsener Person und 200 Euro pro Kind, unrechtmäßig zu bereichern (US 4 und 6; RIS‑Justiz RS0099810) und leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, welcher darüber hinausgehenden Feststellungen es für die Subsumtion nach § 114 Abs 1 FPG bedurft hätte (RIS‑Justiz RS0119090;

RS0130267).

Soweit die Beschwerde unter Hinweis auf die im Tatzeitraum in Österreich herrschende „Ausnahmesituation“ einen Irrtum in Bezug auf das normierte Tatbildmerkmal der Rechtswidrigkeit der Ein‑ und Durchreise einwendet (§ 5 Abs 1 StGB; vgl RIS‑Justiz RS0088950; RS0089602; Reindl‑Krauskopf in WK 2 StGB § 5 Rz 47 ff), bestreitet sie bloß die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 5 f) und orientiert sich damit ein weiteres Mal nicht an den Kriterien materieller Nichtigkeit.

Die gegen die Annahme der Qualifikation nach § 114 Abs 4 erster Fall FPG gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) geht prozessordnungswidrig nicht von den dazu getroffenen Feststellungen aus, denen zufolge sich der Angeklagte mit den vier im Urteil Genannten „zumindest konkludent zu einer auf längere Zeit angelegten kriminellen Vereinigung“ zusammengeschlossen hat, „dies mit dem zumindest bedingt vorsätzlich angestrebten Zweck der fortgesetzten Begehung derartiger Schleppereien, wobei sie sich (zumindest konkludent) darauf geeinigt hatten, sich bei der Begehung der Schleppungen zu helfen“ (US 4, 6 und 9).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO). Die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Berufungen kommt daher dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO), das auf die in Polen erfolgte Verurteilung des Angeklagten W***** vom 23. September 2015 (rechtskräftig seit 7. Dezember 2015), AZ IIK520/15, Bedacht zu nehmen haben wird (RIS‑Justiz RS0108409, RS0119220 [T3]; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 670 f).

Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht verfehlt (jedoch nicht zum Nachteil der beiden Angeklagten) jeweils lediglich ein Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2 Abs 4 erster Fall FPG angenommen hat, obwohl nach den Feststellungen drei einzelne Taten, nicht aber eine tatbestandliche Handlungseinheit, vorlagen (RIS‑Justiz RS0130603).

Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das Schöffengericht bei beiden Angeklagten jeweils zwei Taten (1./ und 2./) nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und Abs 4 FPG und die letzte Tat (3./) nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2 und Abs 4 erster Fall FPG (iVm § 70 Abs 1 Z 3 StGB) zu subsumieren gehabt, woraus – mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO – eine für die Angeklagten ungünstigere rechtliche Unterstellung resultiert hätte (vgl Ratz , WK‑StPO § 290 Rz 21).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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