European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00041.16T.0907.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im den Angeklagten Majid Y***** betreffenden Schuldspruch C./, demzufolge auch im ihn betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Kassation verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche weiterer Angeklagter enthält, wurde Majid Y***** (zu C./) mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2 und Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.
Danach hat er von 30. Juli bis 18. September 2015 in S***** und andernorts als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter der Leitung des abgesondert verfolgten Zeiad D***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Mahmoud A***** als Mittäter gewerbsmäßig die rechtswidrige Durchreise „von insgesamt rund 16 Fremden in drei Angriffen“ durch einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem Mahmoud A***** von Zeiad D***** kontaktiert wurde und Majid Y***** beauftragte, die Fremden mit seinem PKW in N***** abzuholen und in die Wohnung des Mahmoud A***** zu befördern, wo sie durch weitere Mitglieder der kriminellen Vereinigung mittels PKW abgeholt und in weitere Mitgliedstaaten befördert wurden, wobei Majid Y***** pro geschleppter Person ein Entgelt von zirka 50 Euro erhielt und ein weiteres Entgelt von 200 Euro von den Geschleppten einbehielt und Mahmoud A***** aushändigte.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a, 10 und 11 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Majid Y***** kommt Berechtigung zu.
Zu Recht kritisiert die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall), dass die Feststellungen zu einem auf die Förderung der Durchreise von Fremden gerichteten Vorsatz des Angeklagten Y***** offenbar unzureichend begründet sind. Das Erstgericht hat die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite pauschal auf das „äußere Tatgeschehen“ und die „teilweise geständigen Angaben der Angeklagten“ gestützt (US 18), aber nicht dargelegt, aufgrund welcher konkreten Aussagen welches Angeklagten es zur Überzeugung gelangte, dass der Vorsatz des – lediglich mit der Beförderung der (bereits) illegal nach Österreich eingereisten Fremden von N***** nach Wien betrauten – Angeklagten Y***** (gerade auch) darauf gerichtet gewesen sei, deren Durchreise zu fördern, zumal die Tatrichter den Umstand, dass die geschleppten Personen nicht in Österreich bleiben wollten, neben der „raschen und organisierten Vorgehensweise“ (nur) aus den Angaben der Angeklagten A***** und N***** abgeleitet haben (US 18). Auch dem Einwand, jenes äußere Tatgeschehen, an dem der Beschwerdeführer beteiligt gewesen sei, biete keine Anhaltspunkte, ob und wohin eine weitere Reise geplant war, kann Berechtigung nicht abgesprochen werden.
Der aufgezeigte Begründungsmangel erfordert die mit dem Auftrag zur Verfahrenserneuerung verbundene Aufhebung des Schuldspruchs C./ in Betreff des Angeklagten Y*****, demzufolge auch die Kassation des ihn betreffenden Strafausspruchs einschließlich der Vorhaftanrechnung (§ 285e StPO), weshalb das weitere Beschwerdevorbringen auf sich beruhen kann und der Angeklagte mit seiner Berufung auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen ist.
Bleibt anzumerken, dass für ein amtswegiges Vorgehen nach §
290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO in Bezug auf den Angeklagten Mahmoud A*****
kein Anlass bestand, weil der vom Angeklagten Y***** zu C./ geltend gemachte Begründungsmangel nicht gleichermaßen auf ihn zutrifft (vgl RIS‑Justiz RS0129172).
Im zweiten Rechtsgang wird das Schöffengericht zu beachten haben, dass Anknüpfungspunkt des nach § 61 zweiter Satz StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleichs die Tat (der im Urteil festgestellte Lebenssachverhalt) ist, die entweder dem Tatzeitrecht oder (wenn die Gesetze, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren) dem Urteilszeitrecht zu unterstellen ist, während eine Kombination aus verschiedenen Rechtsschichten nicht vorgesehen ist (RIS‑Justiz
RS0119085, RS0112939; Höpfel in WK 2 StGB § 61 Rz 6).
Eine Durchreise im Sinn des § 114 Abs 1 FPG besteht im Durchqueren des Bundesgebiets oder eines anderen in dieser Bestimmung genannten Staatsgebiets samt den hiefür unerlässlichen Unterbrechungen (vgl § 2 Abs 4 Z 3 FPG), sodass zwar der (beabsichtigten) Ausreise, nicht aber dem Zielland der Reise Bedeutung zukommt. Mit Blick auf die zuvor zitierte Legaldefinition ist ebenso wenig der Umstand eines Aufenthalts von bis zu fünf Tagen entscheidend (vgl aber Tipold in WK 2 FPG § 114 Rz 7 und § 115 Rz 13, der gestützt auf § 20 Abs 5 FPG [jedoch idF BGBl I 2005/100] einer Verweildauer von maximal fünf Tagen maßgebliche Bedeutung beimisst).
Rechtswidrig ist die Ein- oder Durchreise eines Fremden, wenn deren gesetzliche Voraussetzungen nicht vorliegen, wobei sämtliche (verwaltungsbehördlichen) Rechtsvorschriften (vgl insbesondere § 15 FPG) in den Blick zu nehmen sind (RIS‑Justiz RS0118058). Für die vom Nichtigkeitswerber aufgestellte These, aus dem Vorgehen der österreichischen Behörden im Sommer 2015, welches offensichtlich auf Art 5 Abs 4 lit c Schengener Grenzkodex gestützt worden wäre (wonach ein Schengen-Mitgliedstaat die Einreise eines Drittstaatsangehörigen in sein Hoheitsgebiet insbesondere aus humanitären Gründen gestatten kann, obwohl die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt sind), sei abzuleiten, dass die Ein‑ oder Durchreise sämtlicher Fremder in dieser Zeit trotz Nichterfüllung der Voraussetzungen nach § 15 FPG nicht rechtswidrig war, solcherart die Verwaltungsnorm von sich aus ihre Geltung verloren hat, besteht keine Rechtsgrundlage (vgl RIS‑Justiz RS0118058 [T9]).
Die Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 2 FPG ist nur in Bezug auf jene (einzelnen) Taten – die allenfalls auch in Gestalt einer tatbestandlichen Handlungseinheit verwirklicht sein können – anzunehmen, in denen sich die jeweilige Förderung der rechtswidrigen Ein‑ oder Durchreise von Fremden (arg „die Tat nach Abs 1“) auf die vom Tatbestand geforderte Personenanzahl bezieht (RIS‑Justiz RS0130603).
Bei der Annahme der gewerbsmäßigen Begehung (§ 114 Abs 3 Z 1 FPG) nach Maßgabe des § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB ist wiederum zu beachten, dass diese erst ab der dritten Tat vorliegen kann.
Schließlich wird das Schöffengericht zu berücksichtigen haben, dass durch die Unterstützung von illegal in Österreich aufhältigen Fremden bei ihren Reisebewegungen innerhalb Österreichs allenfalls § 115 Abs 1 (und Abs 2) FPG erfüllt sein kann.
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