OGH 7Ob158/16k

OGH7Ob158/16k28.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** D*****, vertreten durch Mag. Helmut Hohl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Rudolf Deitzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 13.680 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Jänner 2016, GZ 1 R 201/15b‑37, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 25. August 2015, GZ 17 C 150/14d‑33, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00158.16K.0928.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.017,90 EUR (darin enthalten 169,65 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat bei der Beklagten einen Krankenhaus‑Tagegeldversicherungsvertrag nach dem Tarif QT 48 abgeschlossen, dem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten‑ und Krankenhaus‑Tagegeldversicherung 1999 (in Folge AVB) zugrunde liegen. Die für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Bestimmungen lauten wie folgt:

B. Leistungen für stationäre Heilbehandlung

[...]

5.8 Stationäre Heilbehandlung im Sinne dieser Versicherungsbedingungen ist eine Heilbehandlung im Rahmen eines medizinisch notwendigen stationären Aufenthalts in sanitätsbehördlich genehmigten Krankenanstalten oder Abteilungen von Krankenanstalten, sofern diese ständige ärztliche Anwesenheit vorsehen, über ausreichende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen, ausschließlich nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft arbeiten, nicht auf die Anwendung bestimmter Behandlungsmethoden ausgerichtet sind sowie Krankengeschichten führen. Als stationär gilt ein Aufenthalt nur, wenn die Art der Heilbehandlung einen Aufenthalt von mindestens 24 Stunden erfordert.

Als medizinisch notwendig gilt ein stationärer Aufenthalt insbesondere nicht, wenn er lediglich im Mangel an häuslicher Pflege oder sonstigen persönlichen Verhältnissen des Versicherten begründet ist.

[...]

5.10 Kein Versicherungsschutz besteht für Aufenthalte:

in Anstalten (einschließlich deren Krankenabteilungen) oder Abteilungen von Anstalten

Der Kläger war von 8. 7. 2013 bis 5. 8. 2013 und von 3. 10. 2013 bis 30. 10. 2013 in der A***** Klinik in B***** (in Folge Klinik).

Die Klinik ist eine Sonderkrankenanstalt für Psychosomatik und Psychotherapie. Praktische Ärzte, Fachärzte und Krankenhäuser überweisen Patienten an die Klinik. Die Patienten werden ersucht, Befunde der letzten zwei Jahre vorzulegen. Von der Zuweisung bis zur Aufnahme dauert es meist einige Monate, bis ein Bett frei ist.

Es werden nur Patienten mit einer F‑Diagnose aufgenommen. Diese umfassen Demenzen, affektive Störungen, Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen, sowie auch Suchterkrankungen, Intelligenzminderungen, neurotische Störungen und Entwicklungsstörungen.

In der Klinik werden aber bestimmte Krankheitsbilder mit F‑Diagnose, wie zum Beispiel Demenz, nicht behandelt, sowie andere Krankheitsbilder nur in stabilem Zustand. Patienten werden in der Klinik nur in einem Zustandsbild aufgenommen, in dem sie üblicherweise aus psychiatrischen Krankenhäusern entlassen werden, nämlich psychopathologisch stabil und medikamentös gut eingestellt. Die vorbestehende Medikation wird in der Klinik üblicherweise nicht verändert. Eine Aufnahme von Patienten, die unter anderem an akuter Suizidalität, einer akuten Psychose oder einer hirnorganischen Störung leiden, ist nicht möglich. Die Klinik ist kein Akutkrankenhaus.

Die ärztliche Behandlung einer psychiatrischen Erkrankung steht nicht im Vordergrund. Die Ausrüstung der Klinik zur Abklärung somatischer Erkrankungen entspricht nicht den diagnostischen Möglichkeiten eines psychiatrischen Krankenhauses. Es gibt auch keine geschlossene psychiatrische Abteilung. Vielmehr verfolgt die Klinik die Verbesserung der Lebensqualität, der Schmerztoleranz, der Selbstwahrnehmung und der sozialen Kompetenz.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 13.680 EUR sA an Krankenhaus‑Tagegeld. Er habe sich im Zeitraum 8. 7. 2013 bis 5. 8. 2013 und 3. 10. 2013 bis 30. 10. 2013 in der Klinik befunden. Die Beklagte könne sich auf die Klausel Art 5.8 AVB (Krankenanstalten, die auf einzelne Behandlungsmethoden ausgerichtet seien) nicht berufen; die Klausel sei intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG und gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB. Der Kläger sei nicht chronisch krank und die Klinik sei keine Rehabilitationsklinik. Im Übrigen habe die Beklagte das Krankenhaus‑Tagegeld für den Aufenthalt in der Klinik für den Zeitraum Jänner bis Februar 2011 bereits einmal ausgezahlt. Der Kläger habe daher darauf vertrauen können, dass die Beklagte auch nunmehr die Versicherungsleistung erbringe.

Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Die Klinik sei eine Modellklinik für Psychosomatik. In dieser Sonderklinik würden ausschließlich bestimmte Behandlungsmethoden angeboten, sodass der Ausschluss nach Art 5.8 AVB zur Anwendung gelange. Im Übrigen handle es sich bei den in der Klinik angebotenen Leistungen um solche der Rehabilitation psychisch Erkrankter, weshalb die Leistungspflicht auch gemäß Art 5.10 AVB ausgeschlossen sei. Letztlich seien in dieser Klinik Behandlungen durchgeführt worden, die auch ambulant möglich gewesen wären. Der Kläger, der seit dem Jahr 2005 ständig in psychiatrischer Behandlung sei, sei aufgrund einer chronischen Erkrankung in einer darauf ausgerichteten Krankenanstalt behandelt worden, sodass auch dieser Ausschluss gegeben sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach dem erkennbaren Zweck des Risikoausschlusses habe die Beklagte kein Tagegeld für stationäre Aufenthalte in Einrichtungen, die vorrangig eine allgemeine Verbesserung der Lebensqualität zu erzielen suchen, zu leisten. Dem Kläger müsse erkennbar gewesen sein, dass für den Aufenthalt in der Klinik kein Tagegeld zustehe.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und schloss sich der Beurteilung des Erstgerichts an.

Über Antrag des Klägers ließ das Berufungsgericht nachträglich die Revision zu. Der erkennbare Zweck des Risikoausschlusses liege darin, dass die Beklagte für Krankenhausaufenthalte Tagegeld leiste, aber nicht für stationäre Aufenthalte in Einrichtungen, die vorrangig eine allgemeine Verbesserung der Lebensqualität zu erzielen suchen. Ob dies in der vorliegenden Klausel transparent im Sinne des § 6 Abs 3 KSchG zum Ausdruck komme, begründe eine erhebliche Rechtsfrage.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die Beklagte verweigert Deckungsschutz unter anderem nach Art 5.10 AVB. Danach besteht kein Versicherungsschutz für Aufenthalte in Anstalten (einschließlich deren Krankenabteilungen) oder Abteilungen von Anstalten, die vornehmlich auf Rehabilitation ausgerichtet sind.

1.1 Die vom Erstgericht getroffene – vom Berufungsgericht gebilligte – „Feststellung“, es sei nicht feststellbar, ob die Klinik eine Rehabilitationsklinik im Sinne der Versicherungsbedingungen sei, stellt tatsächlich eine einer Feststellung nicht zugängliche Rechtsfrage dar. Die Beurteilung hat vielmehr aufgrund der vorliegenden Sachverhaltsfeststellungen zu erfolgen:

2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlichen verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901).

3. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt, also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RIS‑Justiz RS0080166 [insbes T10], RS0080068).

Bereits nach der Formulierung stellt Art 5.10 AVB eindeutig einen Risikoausschluss dar.

Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Risikoausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert. Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen (RIS‑Justiz RS0107031).

4. Betrachtet man den Wortlaut des Art 5.10 AVB, ist für die Beurteilung der Frage des herangezogenen Risikoausschlusses nicht die Art der Krankheit, sondern lediglich die Art der Anstalt, in der die Krankheit behandelt wurde, maßgebend. Unter Rehabilitation versteht man allgemein in der Medizin die Wiederherstellung der physischen und/oder psychischen Fähigkeiten eines Patienten im Anschluss an eine Erkrankung, ein Trauma oder eine Operation. Als Sekundärziel soll eine Wiedereingliederung in das Sozial‑ und/oder Arbeitsleben erreicht werden.

Nach den Feststellungen ist die Klinik kein Akutkrankenhaus. Patienten werden nur in einem Zustandsbild aufgenommen, in dem sie üblicherweise aus psychiatrischen Krankenhäusern entlassen werden, nämlich psychopathologisch stabil und medikamentös gut eingestellt. Die Ausrüstung der Klinik zur Abklärung somatischer Erkrankungen entspricht nicht den diagnostischen Möglichkeiten eines psychiatrischen Krankenhauses. Ärztliche Behandlungen einer psychiatrischen Erkrankung stehen auch nicht im Vordergrund, akute psychische Störungen oder andere schwerwiegende gesundheitliche Beschwerden werden an das Landeskrankenhaus zur Behandlung überwiesen. Behandlungsziel ist eine Verbesserung der Lebensqualität, der Schmerztoleranz, der Selbstwahrnehmung und der sozialen Kompetenz.

Das heißt, keiner der Therapiezwecke richtet sich unmittelbar gegen die Grunderkrankung eines Patienten, der im Regelfall bei der Aufnahme schon medikamentös eingestellt ist. Es erfolgen vielmehr Nachbehandlungen an Patienten, die im stabilen Zustand aufgenommen werden, wobei die Therapie dem Patienten ein zufriedenes Alltagsleben ermöglichen soll.

Nach diesen konkret getroffenen Tatsachenfeststellungen ist die Klinik daher vornehmlich auf eine Rehabilitation ausgerichtet, was auch einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer leicht aufgrund der allgemeinen Beschreibung der Tätigkeit der Klinik erkennbar ist. Der Risikoausschluss des Art 5.10 AVB ist damit gegeben.

5. Es erübrigt sich damit, auf die Einwände des Klägers gegen Art 5.8 AVB einzugehen.

6. Für die Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf einen damit erklärten rechtsgeschäftlichen Willen legt § 863 ABGB einen strengen Maßstab an (RIS‑Justiz RS0014146). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein schlüssiger Verzicht auf ein Recht vorliegt, ist besondere Zurückhaltung und Vorsicht geboten. Er darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RIS‑Justiz RS0014190, RS0014229). Dabei ist allein der Eindruck maßgebend, den der Erklärungsempfänger von den Erklärungen und dem Gesamtverhalten seines Partners haben muss (RIS‑Justiz RS0014236).

Der für das Vorliegen eines schlüssigen Verzichts beweispflichtige (vgl RIS‑Justiz RS0037797) Kläger stützt sich darauf, dass die Beklagte in der Vergangenheit in einem vergleichbaren Fall eine Versicherungsleistung erbracht hat. Daraus allein kann keine Erklärung zur Reichweite des Versicherungsschutzes für die Zukunft abgeleitet werden (vgl 7 Ob 204/15y).

7. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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