OGH 7Ob204/15y

OGH7Ob204/15y16.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei A***** Versicherungs-AG, *****, vertreten durch Lederer Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. August 2015, GZ 60 R 36/15x‑16, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 31. März 2015, GZ 7 C 368/14i‑12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00204.15Y.1216.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Streitteilen bestand eine Betriebshaftpflichtversicherung, der unter anderem die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 2003 und EHVB 2003) der A***** Versicherungs‑AG und die Besondere Bedingung ***** Nr 22 Kfz‑Reparaturbetriebe, Schäden an Kundenfahrzeugen außerhalb der Betriebsstätte (in der Folge: „Bes.Bed. Nr. 22“), enthalten in der Besonderen Bedingung Nr. 5520 O***** ‑ Kfz‑Betriebe, zugrunde lagen.

Art 7 AHVB 2003 lautet auszugsweise:

„Artikel 7

Was ist nicht versichert? (Risikoausschlüsse)

3. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen auf Grund des Amtshaftungs- (BGBl. Nr. 20/1949) und des Organhaftpflichtgesetzes (BGBl. Nr. 181/1967), beide in der jeweils geltenden Fassung.

10. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an

10.2 beweglichen Sachen, die bei oder infolge ihrer Benützung, Beförderung, Bearbeitung oder einer sonstigen Tätigkeit an oder mit ihnen entstehen;

...“

Abschnitt B Z 3 EHVB 2003 lautet:

„Kraftfahrzeug-Reparaturwerkstätten und ähnliche Betriebe

Abweichend von Art. 7, Pkt. 3. AHVB erstreckt sich der Versicherungsschutz auch auf Schadenersatzverpflichtungen auf Grund des Amtshaftungsgesetzes (BGBl. Nr. 20/1949) wegen Personen- oder Sachschäden im Zusammenhang mit Begutachtungen nach § 57a Kraftfahrgesetz (BGBl. Nr. 267/1967), beide in der jeweils geltenden Fassung.“

Die Bes. Bed. Nr. 22 lautet auszugsweise:

„1. Der Versicherungsschutz bezieht sich abweichend von Art. 7, Pkt. 10.2 AHVB auch auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Beschädigung oder Vernichtung bearbeiteter Fahrzeuge, sofern diese Schäden nach Übernahme des Fahrzeuges durch den Kunden und nachdem das Fahrzeug die Betriebsstätte verlassen hat, eingetreten sind.

Unter Fahrzeuge im Sinne der nachstehenden Bestimmungen sind Kraftfahrzeuge und Anhänger im Sinne des Kraftfahrgesetzes (BGBl. Nr. 267/1967) in der jeweils geltenden Fassung zu verstehen.

...“

Unter Art 7.1.1 AHVB 2003 war als Risikoausschluss eine Herstellungs‑, Lieferungs‑ und Montageklausel vereinbart.

Im Zuge der Überprüfung des Pkw eines Kunden nach § 57a KFG führte ein Mitarbeiter der Klägerin einen Abgastest durch. Dazu öffnete er zur Einführung eines Öltemperatursensors die Motorhaube. Nach dem Verschließen der Motorhaube absolvierte er außerhalb der Betriebsstätte auf einer Bundesstraße eine Probefahrt. Dabei sprang die Motorhaube auf, wodurch diese sowie die Windschutzscheibe und ein Kotflügel beschädigt wurden.

Die Klägerin begehrte die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für den Schadenfall, das Eventualbegehren ist auf Zahlung der Reparaturkosten von 6.414,19 EUR sA gerichtet. Im Zuge der Überprüfung nach § 57a KFG sei die Motorhaube nicht ordnungsgemäß verschlossen worden. Der Schadenersatzanspruch des Kunden beruhe daher auf Amtshaftung; dafür bestehe gemäß Abschnitt B Z 3 EHVB 2003 Versicherungsdeckung. Der Risikoausschluss nach Art 7.1.1 AHVB 2003 sei nicht verwirklicht. Der Risikoausschluss nach Art 7.10.2 AHVB 2003 komme aufgrund der Bes.Bed. Nr. 22 nicht zur Anwendung. Zwar sei das Fahrzeug noch nicht an den Kunden übergeben worden; es könne aber keinen Unterschied machen, wenn der auf dem unzureichenden Verschließen der Motorhaube beruhende Schaden im Zuge einer Probefahrt oder nach Übergabe des Fahrzeugs an den Kunden eingetreten sei. Sollte die Tätigkeitsklausel greifen, sei der Versicherungsschutz angesichts der Geschäftstätigkeit der Klägerin ausgehöhlt. Die Schadenregulierung im Jahr 2008 in einem identen Schadenfall begründe ein „Anerkenntnis“ der Beklagten für die Haftung für derartige Schäden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Ein Amtshaftungsanspruch liege nicht vor, weil der eingetretene Schaden nicht vom Schutzzweck des § 57a KFG erfasst sei. Neben dem Risikoausschluss des Art 7.1.1 AHVB 2003 greife der Risikoausschluss des Art 7.10.2 AHVB 2003. Der sekundäre Risikoeinschluss durch die Bes.Bed. Nr. 22 sei nicht verwirklicht. Der Versicherungsschutz der Klägerin sei nicht ausgehöhlt; insgesamt solle der Versicherungsnehmer dazu angehalten werden, ein fehlerfreies Werk zu übergeben und eine fehlerfreie Dienstleistung zu erbringen. Mit der Zahlung im Jahr 2008 in einem Einzelfall sei kein „Anerkenntnis“ begründbar.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Risikoausschluss nach Art 7.1.1 AHVB 2003 sei verwirklicht. Auf das Vorliegen eines allfälligen Amtshaftungsanspruchs sei nicht einzugehen, weil ein solcher nach Art 7.3. AHVB 2003 ausgeschlossen sei. Jeder Versicherungsfall sei anhand der Bedingungen erneut zu prüfen. Durch eine einzelne Zahlung selbst in einem ähnlich gelagerten Fall werde der Versicherungsschutz nicht konkludent erweitert.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Ansprüche aus Amtshaftung seien zwar aufgrund Abschnitt B Z 3 EHVB 2003 gedeckt, der am Pkw des Kunden im Zuge einer Probefahrt eingetretene Schaden sei jedoch nicht vom Schutzzweck des § 57a KFG umfasst. Im vorliegenden Fall könne die gelebte Praxis den Versicherungsschutz nicht erweitern.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Reichweite des Schutzzwecks des § 57a KFG in einer vergleichbaren Fallgestaltung höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Klägerin stützt sich darauf, dass der Ersatzanspruch ihres Kunden hinsichtlich des an seinem Pkw eingetretenen Schadens auf Amtshaftung beruhe. Dabei ist im Revisionsverfahren unstrittig, dass in der zu beurteilenden Betriebshaftpflichtversicherung die nach Art 7.3. AHVB 2003 an sich ausgeschlossenen Amtshaftungsansprüche gemäß Abschnitt B Z 3 EHVB 2003 (im Zusammenhang mit § 57a KFG) wieder eingeschlossen sind. Die vom Berufungsgericht und von der Revisionswerberin als erheblich angesehene Rechtsfrage der Reichweite des Schutzzwecks des § 57a KFG stellt sich nicht.

2.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der §§ 914, 915 ABGB auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063, RS0112256). Bei Unklarheiten findet § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]).

Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901).

Gegenüber der Auslegungsregel des § 915 ABGB kommt den Auslegungsgrundsätzen des § 914 ABGB Anwendungsvorrang zu. Kann mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB das Auslangen gefunden werden, liegt der Fall des § 915 2. Halbsatz ABGB (undeutliche Äußerung) nicht vor (RIS‑Justiz RS0017752). Es ist daher zu prüfen, ob sich nach den Auslegungsregeln des § 914 ABGB ein eindeutiger Sinn der Vertragserklärungen ergibt.

2.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahr und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RIS‑Justiz RS0080166 [T10], RS0080068).

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist in der Betriebshaftpflichtversicherung die Ausführung der bedungenen Leistung nicht versichert (RIS‑Justiz RS0081685). Es entspricht nämlich einem Grundgedanken einer solchen Haftpflichtversicherung, das Unternehmerrisiko im Allgemeinen nicht auf den Versicherer zu überwälzen (RIS‑Justiz RS0081518). Zur Absicherung des Grundsatzes, dass die bedungene Leistung des Versicherungsnehmers nicht versichert sein soll, dient unter anderem der Riskoausschluss nach Art 7.10.2 AHVB 2003.

3.2. Das schadenauslösende Verhalten (behauptetes unsachgemäßes Verschließen der Motorhaube) und der Schadeneintritt am Fahrzeug des Kunden erfolgten im Rahmen einer Überprüfung nach § 57a KFG, die im Anlassfall auch eine Probefahrt einschloss. Demnach ist der Risikoausschluss des Art 7.10.2 AHVB 2003 verwirklicht.

3.3. Damit ist noch die Reichweite des von der Klägerin behaupteten sekundären Risikoeinschlusses nach Bes.Bed. Nr. 22 zu prüfen. Dabei räumt sie selbst ein, dass die Voraussetzungen dafür im vorliegenden Fall an sich nicht erfüllt sind. Sie meint jedoch, es könne keinen Unterschied machen, wenn der auf dem unzureichenden Verschließen der Motorhaube beruhende Schaden im Zuge einer Probefahrt oder nach Übergabe des Fahrzeugs an den Kunden eingetreten sei. Dem ist zu entgegnen, dass diese Bestimmung nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ganz offensichtlich darauf abstellt, dass nur jene Schäden vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen, die erst zu einem Zeitpunkt eintreten, in dem das Fahrzeug die Sphäre des Unternehmers zur Gänze verlassen hat. Dies war aber bei Durchführung der Probefahrt durch einen Mitarbeiter der Klägerin nicht der Fall, gehörte dies doch zu einem als erforderlich angesehenen Teil der Überprüfung nach § 57a KFG. Die Klägerin kann sich daher nicht mit Erfolg auf den sekundären Risikoeinschluss nach Bes.Bed. Nr. 22 berufen.

Das erkennt die Klägerin in ihrer Revision offenbar selbst, weil sie das Vorliegen eines Risikoausschlusses nicht mehr bestreitet, sich aber darauf stützt, dass ihr Kunde einen durch sekundären Risikoeinschluss gedeckten „Amtshaftungsanspruch“ geltend mache.

4. Es kann dahingestellt bleiben, ob der behauptete Anspruch überhaupt bestehen könnte, weil die Beklagte jedenfalls nicht deckungspflichtig ist.

Auch die Tätigkeitsklausel dient ‑ wie dargelegt ‑ dazu zu verhindern, dass der Versicherungsnehmer sein Unternehmerrisiko auf den Versicherer überträgt. Dieses anerkannte Ziel kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass die vom Risikoausschluss erfasste Tätigkeit im Wege des hier vereinbarten sekundären Risikoeinschlusses allenfalls zu decken wäre. Im vorliegenden Fall unterliegt die schadenverursachende Tätigkeit der Klägerin dem Risikoausschluss des Art 7.10.2 AHVB 2003; daher entfällt die Deckungspflicht der Beklagten jedenfalls.

5. Mit der Behauptung eines „Anerkenntnisses“ des Versicherungsschutzes infolge einer in der Vergangenheit geleisteten Zahlung in einem vergleichbaren Fall durch den beklagten Versicherer macht die Klägerin der Sache nach geltend, dass der beklagte Versicherer durch die Erbringung dieser Versicherungsleistung für die Zukunft konkludent auf die Geltendmachung von Risikoausschlüssen in vergleichbaren Fallgestaltungen verzichtet habe.

5.1. Für die Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf einen damit erklärten rechtsgeschäftlichen Willen legt § 863 ABGB einen strengen Maßstab an (RIS‑Justiz RS0014146, RS0014157). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein schlüssiger Verzicht auf ein Recht vorliegt, ist besondere Zurückhaltung und Vorsicht geboten. Er darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RIS‑Justiz RS0014190, RS0014229) und kein Zweifel möglich ist, dass das Verhalten des Berechtigten den Verzichtswillen zum Ausdruck bringen soll (RIS‑Justiz RS0014217). Dabei ist allein der Eindruck maßgebend, den der Erklärungsempfänger von den Erklärungen und dem Gesamtverhalten seines Partners haben muss (RIS‑Justiz RS0014236).

5.2. Die für das Vorliegen eines schlüssigen Verzichts beweispflichtige (vgl RIS‑Justiz RS0037797) Klägerin stützt sich darauf, dass die Beklagte in der Vergangenheit in einem vergleichbaren Fall eine Versicherungsleistung erbracht hat. Daraus allein kann keine Erklärung zur Reichweite des Versicherungsschutzes für die Zukunft abgeleitet werden. Selbst wenn die Erbringung einer Versicherungsleistung wie von der Klägerin vorgebracht festgestellt worden wäre, würde dies zu keinem anderen Verfahrensergebnis führen.

6. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.

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