OGH 1Ob148/16w

OGH1Ob148/16w30.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Gesellschaft ***** mbH, *****, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH, Graz, gegen die beklagte Partei Nachlass nach dem am ***** verstorbenen Ferdinand M*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr. Helwig Keber, Rechtsanwalt in Graz, und die Nebenintervenienten 1. Ing. Wolfgang W*****, und 2. Ingeborg W*****, beide vertreten durch Dr. Bernhard Krump, Rechtsanwalt in Gössendorf, wegen Aufkündigung, über den Rekurs beider Nebenintervenienten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 6. Juni 2016, GZ 7 R 35/16t‑24, mit dem die Berufung der Nebenintervenienten gegen das Anerkenntnisurteil des Bezirksgerichts Graz‑West vom 24. November 2015, GZ 210 C 184/15m‑13, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00148.16W.0830.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, nach Ergänzung des Verfahrens (Versuch der Behebung des Mangels der fehlenden verlassenschaftsgerichtlichen Genehmigung des erstinstanzlichen Rechtsmittelverzichts gemäß § 6 Abs 2 ZPO) neuerlich über die Berufung zu entscheiden.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Verstorbene war Hauptmieter der im Eigentum der Klägerin stehenden Wohnung. Der Erstnebenintervenient ist sein Enkel, die Zweitnebenintervenientin seine Tochter und erbantrittserklärte Miterbin.

Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis zur beklagten Verlassenschaft zum 31. 7. 2015 unter Berufung auf § 1116a ABGB und die Kündigungsgründe nach § 30 Abs 1 und 2 Z 1, 4 und 5 MRG gerichtlich auf. Die Beklagte erhob gegen die Aufkündigung, vertreten durch die nunmehrige Zweitnebenintervenientin als eine der beiden erbantrittserklärten Miterbinnen, Einwendungen.

Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom 15. 9. 2015 wurde nachfolgend der Verlassenschaftskurator „nach § 156 Abs 2 AußStrG“ zum Vertreter des Nachlasses im gegenständlichen Kündigungsverfahren bestellt, weil sich die beiden Miterbinnen über die weitere Vorgangsweise betreffend die Mietwohnung uneinig seien. In weiterer Folge traten die Nebenintervenienten auf Seite der Beklagten dem Verfahren bei.

Nachdem der Verlassenschaftskurator namens der Beklagten das Klagebegehren anerkannt und die Klägerin die Fällung eines Anerkenntnisurteils beantragt hatte, erließ das Gericht ein solches. Der Verlassenschaftskurator erklärte daraufhin seitens der Beklagten, auf ein Rechtsmittel zu verzichten, während die Nebenintervenienten die Berufung ausführten.

Das Berufungsgericht wies die fristgerecht eingebrachte Berufung der Nebenintervenienten zurück. Rechtlich führte es aus, ein Rechtsmittelverzicht der Hauptpartei binde den (einfachen) Nebenintervenienten. Insofern die Nebenintervenienten ihren Beitritt auf § 14 Abs 2 MRG stützten, seien sie nur einfache Nebenintervenienten, sodass sie der Rechtsmittelverzicht der Hauptpartei binde. Zur von ihnen eingebrachten und als „Hauptinterventionsklage“ bezeichneten Klage gegen die Parteien in diesem Verfahren (und die zweite Miterbin) hätten sie in erster Instanz kein substanziiertes Vorbringen erstattet. Selbst wenn ihre „Hauptinterventionsklage“ schlüssig sein sollte, läge jedenfalls keine streitgenössische Nebenintervention vor. Hätten sie keine schlüssige „Hauptinterventionsklage“ erhoben, so könne das ihre prozessuale Stellung als einfache Nebenintervenienten (aufgrund eines Eintrittsrechts gemäß § 14 Abs 3 MRG) auch nicht ändern. Mit der Bestellung des Verlassenschaftskurators nach § 173 Abs 1 AußStrG endeten die Rechte der präsumtiven oder erbserklärten Erben nach § 810 ABGB. Die Zweitnebenintervenientin könne sich daher nicht erfolgreich auf § 810 ABGB berufen. Einem (beitretenden) Miterben komme nicht die Stellung eines streitgenössischen Nebenintervenienten zu. Damit erweise sich (infolge des Rechtsmittelverzichts der Beklagten) die Berufung beider Nebenintervenienten als unzulässig.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Nebenintervenienten mit einem Aufhebungsantrag.

Die Klägerin hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluss, mit dem das Berufungsgericht eine Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückweist, kann gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs ohne Rücksicht auf den Wert des Entscheidungsgegenstands und das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhoben werden (RIS‑Justiz RS0042770 [T4, T7]; RS0043861 [T1]; RS0043882 [T1]; RS0043886 [T1, T4]; RS0043893 [T1, T7]; RS0098745 [T3, T9 {Rechtsmittelverzicht}, T16, T17]). Das Rechtsmittel der Beklagten ist daher zulässig und auch berechtigt.

1. Die Wirksamkeit des Beitritts der Nebenintervenienten ist im Rechtsmittelverfahren nicht strittig.

2.1. Dem hier insbesondere unter Berufung auf seine Eintrittsberechtigung gemäß § 14 Abs 3 MRG einschreitenden Erstnebenintervenienten kommt nur die Stellung eines einfachen Nebenintervenienten zu (RIS‑Justiz RS0035603; zuletzt 8 Ob 71/14w). Abgesehen davon, dass Einwendungen eines Nebenintervenienten nur das Rechtsverhältnis der Hauptpartei zum Gegner betreffen können, sodass Einwendungen des Nebenintervenienten kraft eigenen Rechts ausgeschlossen sind (RIS‑Justiz RS0035474), kommt dem Erstnebenintervenienten, der auch den Abschluss eines eigenen Mietvertrags zwischen ihm und der Klägerin als Vermieterin über die Wohnung behauptet, jedenfalls nicht die Stellung eines streitgenössischen Nebenintervenienten zu.

2.2. Aufgrund der Uneinigkeit der beiden Miterbinnen (darunter die Zweitnebenintervenientin) über die Vertretung des Nachlasses im Kündigungsverfahren wurde gemäß § 173 Abs 1 AußStrG ein Verlassenschaftskurator bestellt. Gemäß Satz 2 dieser Bestimmung endete damit die Vertretungsbefugnis anderer Personen und damit auch die der Zweitnebenintervenientin gemäß § 810 Abs 1 ABGB.

Soweit sie unter Berufung auf § 547 ABGB argumentiert, sie hätte als erbantrittserklärte Miterbin im Kündigungsprozess die Stellung einer streitgenössischen Nebenintervenientin, trifft das nicht zu. Bis zur Einantwortung der Verlassenschaft ist Partei in einem Prozess immer nur der ruhende Nachlass, nicht also der Erbe oder ein bestellter Verlassenschaftskurator; beide (Erbe wie Kurator) sind immer nur Vertreter der Verlassenschaft und nehmen insoweit nur eine den Streitgenossen ähnliche Stellung ein, ohne selbst Streitgenossen zu sein, weil dies ihre Parteistellung voraussetzen würde (10 Ob 2113/96z mwN = RIS‑Justiz RS0012282 [T4]). Vor der Einantwortung ist der Nachlass ein – nicht den mutmaßlichen Erben gehörendes – Sondervermögen (RIS‑Justiz RS0008181 [T5]). Auch die Zweitnebenintervenientin, die gesetzliche und erbantrittserklärte Miterbin ist, ist also nur einfache Nebenintervenientin.

3. Gemäß § 19 Abs 1 Satz 2 ZPO ist auch der einfache Nebenintervenient berechtigt, zur Unterstützung „seiner“ Hauptpartei Angriffs‑ und Verteidigungsmittel geltend zu machen und Prozesshandlungen vorzunehmen. Dazu gehört aber etwa auch die Erhebung eines – auch eigenständigen – Rechtsmittels gegen eine Entscheidung durch den Nebenintervenienten (RIS‑Justiz RS0035520). Gemäß § 19 Abs 1 letzter Satz ZPO sind solche Prozesshandlungen wirksam, soweit sie nicht mit Prozesshandlungen der Hauptpartei im Widerspruch stehen; es gelten sonst die Handlungen der Hauptpartei, die widersprechenden Handlungen der Nebenintervenientin sind unwirksam (RIS‑Justiz RS0035472). Ein Rechtsmittelverzicht der Hauptpartei bindet den Nebenintervenienten; die Hauptpartei darf auch ein vom Nebenintervenienten eingebrachtes Rechtsmittel zurücknehmen (RIS‑Justiz RS0035472 [T1]; RS0035520).

Während der Verlassenschaftskurator als Vertreter der beklagten Verlassenschaft nach der Verkündung des Anerkenntnisurteils auf ein Rechtsmittel verzichtete, führten die Nebenintervenienten die Berufung – ausgehend von der Wirksamkeit des in Anwesenheit der Parteien verkündeten Urteils (§ 416 Abs 3 Satz 1 ZPO) – fristgerecht aus. Der vom Verlassenschaftskurator für die Beklagte abgegebene Rechtsmittelverzicht wäre für die Nebenintervenienten nur dann bindend, wenn dieser – wovon das Berufungsgericht implizit ausgeht – rechtswirksam erklärt worden wäre. Das steht aber mangels verlassenschaftsgerichtlicher Genehmigung noch nicht fest.

4. Auf Vertretungshandlungen des Kurators ist nicht die – auf die Vertretung durch die Erben (Gesamtrechtsnachfolger) zugeschnittene – Regelung des § 810 Abs 2 ABGB, sondern vielmehr § 167 Abs 3 ABGB (sinngemäß) anzuwenden, der die Fremdvertretung nicht (ausreichend) Geschäftsfähiger regelt (1 Ob 245/12d, 107/13m = EF‑Z 2014/56, 87 [zustimmend A. Tschugguel ] = iFamZ 2014/68, 84 [kritisch Mondel ] = GesRZ 2014, 248 [ Enzinger ]; RIS‑Justiz RS0129074; ebenso 2 Ob 45/15d = EF‑Z 2016/18, 49 [zustimmend A. Tschugguel ] = EvBl 2016/44, 308 [zustimmend Verweijen ] = iFamZ 2016/37, 40 [kritisch Mondel ]).

Nach § 167 Abs 3 ABGB bedürfen Vertretungshandlungen des Verlassenschaftskurators in Vermögensangelegenheiten der Genehmigung des Gerichts, sofern die Angelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört. Unter dieser Voraussetzung gehören dazu insbesondere die „Erhebung einer Klage und alle verfahrensrechtlichen Verfügungen, die den Verfahrensgegenstand an sich betreffen“. Nach den Materialien (Ausschussbericht 587 BlgNR XIV. GP  11 [zum Bundesgesetz vom 30. Juni 1977 über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, BGBl 1977/403, mit dem § 154 ABGB aF geändert wurde]) ergibt sich daraus, dass die Prozessführung in Verfahren, die nicht vom Pflegebefohlenen eingeleitet wurden, keine Genehmigung des Gerichts erfordern; in Passivprozessen müsse das Gericht nur solchen Verfahrenshandlungen zustimmen, die über den Verfahrensgegenstand an sich verfügten. Damit folge der Vorschlag [§ 154 Abs 3 ABGB aF, nunmehr § 167 Abs 3 ABGB] der herrschenden Lehre, wonach der Vormund für das Führen von Passivprozessen des Mündels keiner Genehmigung nach § 233 ABGB aF bedürfe. Rechtsprechung und Lehre folgten dieser Auffassung (4 Ob 53/07h mwN = SZ 2007/63).

Zur Einlassung in den Streit als Vertreter des Beklagten bedarf ein Kurator keiner gerichtlichen Genehmigung, solange keine Anspruchsverfügungen getroffen werden (RIS‑Justiz RS0049146 [T1]; vgl RS0048154). Ein Genehmigungserfordernis ist daher nur bei Dispositivhandlungen des (gesetzlichen) Vertreters über den Verfahrensgegenstand anzunehmen. Darunter sind positive Verfügungen des (gesetzlichen) Vertreters über den prozessgegenständlichen Anspruch zu verstehen, etwa Verzicht, Anerkenntnis oder Vergleich (RIS‑Justiz RS0049197 [T2, T5]; 4 Ob 53/07h mwN; vgl zum Prozesskurator nach § 116 ZPO bereits JB 180 = GlUNF 3808). Keine solche Dispositionshandlung ist eine Außerstreitstellung oder das Unterlassen einer Prozesshandlung, insbesondere eines Rechtsmittels (RIS‑Justiz RS0049083).

Der Oberste Gerichtshofs hat zu § 233 ABGB aF und auch zu § 154 Abs 3 ABGB aF [nunmehr § 167 Abs 3 ABGB] schon ausgesprochen, dass für einen Rechtsmittelverzicht eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0049127; zuletzt 10 ObS 135/06k = SZ 2007/115). Dies wird damit begründet, dass der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels die Bedeutung des Verzichts auf ein vor rechtskräftiger Entscheidung noch in Schwebe befindliches Recht habe. Verzichte der Vater namens seiner minderjährigen Kinder auf die Einbringung der Berufung gegen ein Urteil, so entäußere er sich eines den minderjährigen Kindern zustehenden Rechts und unternehme damit eine Rechtshandlung, die er gleich dem Vormund eines Mündels (§ 244 ABGB aF) nicht selbständig, sondern nur mit Genehmigung der Vormundschaftsbehörde vorzunehmen berechtigt sei (§ 233 ABGB aF) (GlUNF 3771; ebenso 3 Ob 194/50 = SZ 23/103). Eine Rechtsmittelverzichtserklärung sei eine Dispositionshandlung über den in Streit verfangenen Anspruch (3 Ob 402/54 = SZ 27/182), nämlich eine sonstige Sachverfügung, und bedürfe daher der vormundschafts‑ oder pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung. Demgegenüber sei etwa die Unterlassung eines Rechtsmittels nicht genehmigungsbedürftig, weil darin keine derartige Verfügung über den Anspruch liege, sondern die Möglichkeit der Anfechtung der Entscheidung offengehalten werde (1 Ob 28/75).

Daraus folgt, dass der vom Verlassenschaftskurator namens des beklagten Nachlasses abgegebene Rechtsmittelverzicht der verlassenschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, damit er rechtswirksam wird.

5. Gemäß § 4 Abs 2 ZPO muss die zu einer einzelnen Prozesshandlung erforderliche besondere Ermächtigung bei Vornahme dieser Prozesshandlung nachgewiesen werden. Das Fehlen der Genehmigung stellt ein Prozesshindernis dar, welches in jeder Lage des Rechtsstreits und daher auch noch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen ist (§ 6 Abs 1 ZPO), wobei zwingend ein Sanierungsversuch stattzufinden hat ( Nademleinsky in Schwimann/Kodek ABGB 4 § 167 Rz 26 mwN; vgl RIS‑Justiz RS0035373; RS0035456; Fucik in Rechberger 4 § 4 ZPO Rz 4). Das System der verlassenschaftsgerichtlichen Ermächtigung zur Abgabe des Rechtsmittelverzichts durch den Verlassenschaftskurator führt gemäß § 6 Abs 2 ZPO daher nicht sofort zur Zurückweisung der Berufung der Nebenintervenienten. Das Gericht hat vielmehr alles Erforderliche vorzukehren, damit der Mangel beseitigt werden kann. Da das Berufungsgericht demnach einen Sanierungsversuch des Genehmigungsmangels, der auch noch im Rechtsmittelverfahren – durch das Gericht zweiter Instanz (7 Ob 296/01g mwN) – möglich und erforderlich ist, nicht durchgeführt hat, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und ihm eine solche Vorgangsweise aufzutragen.

Das Berufungsgericht wird im Sinn des § 6 Abs 2 ZPO hiezu die erforderlichen Aufträge zu erteilen und zu ihrer Erfüllung von Amts wegen eine angemessene Frist zu bestimmen haben, bis zu deren fruchtlosem Ablauf der Ausspruch über die Rechtsfolgen des Vertretungsmangels aufgeschoben bleibt. Für den Fall, dass der vom Verlassenschaftskurator abgegebene Rechtsmittelverzicht nicht verlassenschaftsgerichtlich genehmigt wird, wäre der Verzicht der Beklagten unwirksam und über die Berufung der Nebenintervenienten inhaltlich zu entscheiden. Im Fall der rechtskräftigen Genehmigung des Rechtsmittelverzichts der Beklagten durch das Verlassenschaftsgericht wäre die Berufung der Nebenintervenienten wiederum zurückzuweisen.

6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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