OGH 12Os33/16v

OGH12Os33/16v14.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Jülg, BSc, als Schriftführer in der Strafsache gegen Soufian A***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB aF und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Soufian A***** und Abdul W***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 17. Dezember 2015, GZ 27 Hv 118/15m‑76, sowie über die Beschwerde des Angklagten Soufian A***** gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00033.16V.0714.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und über die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Soufian A***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB aF (A./) und der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB aF (C./) sowie des Diebstahls nach § 127 StGB (D./) und Abdul W***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB aF (A./) und des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach haben in der Nacht von 2. auf den 3. Oktober 2015 in W***** und anderen Orten

A./ Soufian A***** und Abdul W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Ismail K***** mit Gewalt unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in der Höhe von zumindest 300 Euro mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem Abdul W***** diesen in den „Schwitzkasten“ nahm und würgte und Soufian A***** ihm eine massive Glasflasche gegen die Brust warf;

B./ Abdul W***** Ismail K***** mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch die Vorgabe der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit, somit durch Täuschung über Tatsachen, zum Transport mit dem Taxi von I***** nach W***** gemeinsam mit Soufian A*****, also zu einer Handlung verleitet, wodurch Ismail K***** in einem Betrag von 100 Euro an seinem Vermögen geschädigt wurde;

C./ Soufian A***** Ismail K***** mit Gewalt zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme von der Verständigung der Polizei, genötigt, indem er ihm das Handy aus der Hand schlug;

D./ Soufian A***** unbekannten Verfügungsberechtigten einer Tankstelle zwei Flaschen Malibu unerhobenen Werts mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, denen keine Berechtigung zukommt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Soufian A ***** :

Dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider ist es unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden, dass die Tatrichter ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken der beiden Angeklagten zu Schuldspruch A./ ersichtlich aus dem objektiven Tatgeschehen ableiteten (US 11). Dass sie sich offensichtlich vor der Tat in ihrer für das Opfer nicht verständlichen Muttersprache abgesprochen haben, stellt somit keinen Umstand dar, in dem das Erstgericht erkennbar eine notwendige Bedingung für die Feststellung einer entscheidenden Tatsache erblickt hätte (vgl RIS‑Justiz RS0116737; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 410).

Rechts‑ und Subsumtionsrüge (Z 9 lit a und 10, dSn nur Z 10) gestehen zwar zu, dass der Verwendung einer Waffe nach ständiger Rechtsprechung ein funktionaler Waffenbegriff zu Grunde zu legen ist (vgl RIS‑Justiz RS0093928; Eder‑Rieder in WK 2 StGB § 143 Rz 15 ff), vermeinen jedoch, die Tatrichter hätten ein „Hauen“ mit der verwendeten Flasche „wie mit einem Baseballschläger“ oder ein Zustechen (mit einem zerbrochenen Teil) nicht festgestellt, ohne jedoch methodisch vertretbar aus dem Gesetz abzuleiten, weshalb der Wurf dieses Gegenstands gegen die Brust des Tatopfers, der einen wuchtigen Aufprall zur Folge hatte, der Unterstellung unter die herangezogene Qualifikationsnorm nicht genügen sollte (vgl RIS‑Justiz RS0116569).

Im Übrigen sei – auch zum Vorbringen der Rüge des Zweitangeklagten – darauf hingewiesen, dass § 143 zweiter Fall StGB aF zwar mehr als ein bloßes Bei‑sich‑führen, aber nicht auch den Gebrauch der Waffe in ihrer spezifischen Wirkungsweise verlangt (vgl RIS‑Justiz

RS0093914,

RS0093850; Eder‑Rieder in WK2 StGB § 143 Rz 12).

Weshalb die zur subjektiven Tatseite zu Schuldspruch A./ getroffenen Feststellungen (US 8) unzureichend sein sollten, sagt die Rüge nicht und ist damit einer sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich.

Bei ihrem zu Schuldspruch C./ erhobenen Einwand, infolge Tateinheit zwischen Raub und Nötigung wäre letztere nicht gesondert zu verurteilen gewesen, orientiert sich die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht an den Urteilsannahmen, dass der Beschwerdeführer Ismail K***** vor Beginn des Raubgeschehens – und damit nicht im Zusammenhang mit der Sachwegnahme (vgl RIS‑Justiz RS0093085 [T5], RS0093509; Eder‑Rieder in WK 2 StGB § 142 Rz 69) – das Handy aus der Hand schlug, um ihn an der Verständigung der Polizei zu hindern (US 7), und verfehlt damit den (auf der Sachverhaltsebene) gerade

darin gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Abdul W***** :

Soweit sich die Mängelrüge (Z 5) gegen die unbemerkte Wegnahme der Geldtasche des Taxilenkers aus der Fahrertür (US 7) wendet, spricht sie mangels diesbezüglichen Schuldspruchs keine entscheidende Tatsache an. Die Gewaltanwendung unter Einsatz einer Waffe und die schließlich danach erfolgte Entnahme von zumindest 300 Euro aus der Tasche des Tatopfers gründeten die Tatrichter mängelfrei auf die als glaubwürdig erachteten Bekundungen des Zeugen Ismail K***** (US 11 iVm ON 75 S 19 ff), ohne dabei – wie von der Rüge behauptet (Z 5 zweiter Fall) – die Verantwortung der Angeklagten zu übergehen (US 10 f).

Dass die Begründung der Annahme eines bewussten und gewollten Zusammenwirkens anlässlich der Raubtat nicht zu beanstanden ist, wurde bereits bei Behandlung der Mängelrüge des Erstangeklagten dargelegt. Den auf die Verwendung einer Waffe gerichteten Vorsatz des Nichtigkeitswerbers haben die Tatrichter zulässig unter anderem aus dem objektiven Tatgeschehen erschlossen (US 11).

Der Vorwurf der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall, dSn Z 10) in Ansehung der eingesetzten „Malibu“‑Flasche mangels Konstatierung ihrer konkreten Beschaffenheit legt nicht dar, weshalb sie nicht auch im (von der Rüge unterstellten) leeren Zustand bei einem Gewicht von etwa 500 Gramm und ohne scharfe Kanten aufzuweisen als Waffe im funktionalen Sinn anzusehen sein sollte (vgl neuerlich RIS‑Justiz RS0116569). Im Übrigen entspricht eine Flasche, mag sie leer, voll oder halbvoll sein, dem erweiterten Waffenbegriff des § 143 StGB (RIS‑Justiz RS0093928 [T40, T58]). Schließlich wurde der verwendete Gegenstand in dem zur Verdeutlichung der Feststellungen heranzuziehenden Urteilsspruch (vgl RIS‑Justiz RS0114639 [insbes T6]) als „massive Glasflasche“ beschrieben.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu Schuldspruch B./ im Wege eigenständiger – vorwiegend beweiswürdigender und auch damit unzulässiger – Erwägungen die konstatierte Täuschung über die mangelnde Zahlungsfähigkeit des Zweitangeklagten bestreitet, orientiert sie sich der Verfahrensordnung zuwider nicht an den erstgerichtlichen Feststellungen. Im Übrigen leitet sie nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, warum die vorgenommene Subsumtion angesichts der festgestellten Täuschung sowohl über die Zahlungsfähigkeit als auch über die Zahlungswilligkeit verfehlt sein sollte.

In Bekämpfung der Annahme der Qualifikation nach § 143 zweiter Fall StGB aF leitet die Subsumtionsrüge (Z 10) die geforderte rechtliche Konsequenz nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz ab (vgl RIS‑Justiz RS0116569, RS0118416), indem sie bloß mit Hinweis auf die unterschiedliche Textierung des § 109 Abs 2 Z 3 StGB und § 129 Abs 2 Z 2 StGB nicht weiter substantiiert behauptet, dass unter Waffen im Sinn der Qualifikation des § 143 StGB nur solche im technischen Sinn zu verstehen seien, denen eine (allenfalls sogar leere) Flasche nicht zu unterstellen sei.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der

Waffenbegriff des § 143 StGB nicht nur Waffen im technischen Sinn (§ 1 WaffG) umfasst, sondern – nach

funktionalen Kriterien erweitert – auch alle Gegenstände, die sonst nach der konkreten Art ihres Einsatzes zur Gewaltanwendung gegen eine Person oder zur Raubdrohung geeignet erscheinen, weil sie bezüglich Form, Wirkungsweise und Anwendbarkeit in einem Kampf den ersteren gleichwertig sind, sich demnach dazu eignen, die Abwehrfähigkeit des Opfers durch unmittelbare Einwirkung herabzusetzen und solcherart den Gewahrsamsbruch zu erleichtern (12 Os 132/15a mwN).

Indem der Beschwerdeführer die klare Feststellung seines auf Verwendung einer Waffe gerichteten Vorsatzes bestreitet, übergeht er der Verfahrensordnung zuwider die Urteilsannahmen, wonach er in Kenntnis der Attacke des Opfers mit der Glasflasche durch Soufian A***** dieses seinerseits mit Raubvorsatz in den Würgegriff nahm (US 7 f). Soweit er aus dem konstatierten Geschehnisablauf mit eigenständigen Plausibilitätserwägungen zu anderen, für ihn günstigeren Ergebnissen in Bezug auf die innere Tatseite in Ansehung der Verwendung einer Waffe bei Begehung des gemeinschaftlich durchgeführten Raubes gelangt, kritisiert er im Ergebnis die erstgerichtliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte