OGH 4Ob47/16i

OGH4Ob47/16i12.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin Bundesarbeitskammer, *****, vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die Beklagte K***** GmbH, *****, vertreten durch Denkmair Hutterer Hüttner Waldl Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der Klägerin (Revisionsstreitwert 32.750 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. Jänner 2016, GZ 5 R 142/15i‑22, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Juni 2015, GZ 39 Cg 90/14f‑17, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 8. Juli 2015, ON 18, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00047.16I.0712.000

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird im noch nicht erledigten Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Das beklagte Unternehmen (eine GmbH) handelt mit Photovoltaik-Produkten und nutzt zur direkten Unternehmensfinanzierung qualifizierte Nachrangdarlehen. Sie hat zu diesen keinen Kapitalmarktprospekt aufgelegt.

Die seit Mai 2014 geltenden Darlehensbedingungen enthalten (ebenso wie die zuvor geltende Fassung) ua folgende Bestimmung:

1. Der DG [Darlehensgeber] tritt für den Fall der Insolvenz hiermit mit seinen nachrangigen Forderungen unwiderruflich im Rang hinter sämtliche Forderungen gegenwärtiger und zukünftiger anderer Gläubiger (mit Ausnahme der Gläubiger, die ebenfalls Nachranggläubiger sind) zurück. Der DG kann seine Forderungen aus dem Nachrangdarlehensvertrag nicht vor, sondern nur gleichrangig mit den Einlagenrückgewähransprüchen der K***** GmbH verlangen (qualifizierter Rangrücktritt).

2. Außerhalb der Insolvenz verpflichtet sich der DG, seine Forderungen so lange und so weit nicht geltend zu machen, wie die teilweise oder vollständige Befriedigung dieser Forderung zu einer zum Insolvenzantrag verpflichtenden Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der K***** GmbH führen würde. Die Forderungen des DG können außerhalb einer Insolvenz nur nachrangig, und zwar nach Befriedigung aller anderen nicht gleichrangigen Gläubiger und erst nach Beendigung der jeweiligen Krise aus einem etwaigen künftigen Jahresüberschuss befriedigt werden.

 

Je nach Laufzeit werden dem Darlehensgeber vorgegebene Zinssätze in Aussicht gestellt, die am Ende der Vertragslaufzeit mit dem Kapital zur Rückzahlung fällig sind. In den Verträgen ist weiters festgehalten, dass die Laufzeit unbefristet ist, jedoch mindestens fünf Jahre beträgt, und der Darlehensgeber nach Ablauf von vier Jahren das Recht zur ordentlichen Kündigung hat; eine pauschalierte Ersatzleistung bzw pauschalierter Schadenersatz ist nicht geregelt. Unter „Risikobelehrung“ halten beide Fassungen des Vertragstextes fest, dass solange und soweit die Beklagte als Darlehensnehmerin Zahlungsschwierigkeiten jedweder Art (zB Liquiditätsengpass/vorübergehende Illiquidität) hat, die zu einer Insolvenz führen könnten, die Geltendmachung eines Anspruchs auf Rückzahlung des Darlehensbetrags und der Zinsen gegenüber der Beklagten dauerhaft ausgeschlossen ist.

Die Beklagte stellt den Kontakt zu potentiellen Darlehensgebern durch ihre Angestellten und freien Dienstnehmer sowie durch externe Finanzdienstleister her. Die Vertriebsmitarbeiter der Beklagten sind teilweise als selbstständige Vermögensberater tätig und präsentieren manchmal auch ihren Vermögensberatungskunden die Möglichkeit des Abschlusses eines Vertrags über ein Nachrangdarlehen mit der Beklagten. Wenn die Beklagte auf Messen Photovoltaik-Anlagen präsentiert, erzählen ihre Mitarbeiter interessierten Kunden auch von der Möglichkeit des Abschlusses eines Darlehensvertrags. Ein wesentlicher Faktor bei der Akquise ist die Mundpropaganda. Die Mitarbeiter der Beklagten haben den Auftrag, ihre persönlichen Kontakte auszunutzen, um Vertragspartner zu akquirieren. Der anzusprechende Adressatenkreis ist unbegrenzt und richtet sich theoretisch an jedermann. Die Beklagte wirbt mit Werbegeschenken für erfolgreiche Weiterempfehlungen an andere Interessenten. Sie hielt keine öffentlichen Veranstaltungen ab, um konkret das Nachrangdarlehen zu bewerben. Bisher schloss die Beklagte mit 300 bis 350 Darlehenskunden Darlehensverträge mit einem Volumen von acht Millionen Euro ab, von dem bereits ein Betrag von etwa einer Million Euro tatsächlich bezahlt wurde. Die zur Finanzierung der Errichtung der Photovoltaik-Anlagen erforderlichen Fremdmittel stammen ausschließlich aus den Nachrangdarlehen.

Die in § 29 Abs 1 KSchG als Anspruchsberechtigte genannte Klägerin begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr öffentlich Veranlagungen, die nicht den Ausnahmebestimmungen des § 3 KMG unterliegen, anzubieten, ohne spätestens einen Bankarbeitstag davor einen nach den Bestimmungen des Kapitalmarktgesetzes erstellten und gebilligten Prospekt veröffentlicht zu haben. Weiters begehrte die Klägerin die Urteilsveröffentlichung. Da die Beklagte keinen Prospekt veröffentlicht habe, handle sie unlauter im Sinn von § 1 Abs 1 Z 1 und 2, § 2 Abs 4 UWG und § 28a KSchG.

Die Beklagte wendet ein, dass sie die Nachrangdarlehen nicht öffentlich, sondern nur im direkten Kontakt ihrer Mitarbeiter mit Kunden anbiete. Außerdem handle es sich dabei nicht um Veranlagungen im Sinn von § 1 Abs 1 Z 3 KMG, weil es vor allem am Tatbestandsmerkmal der gemeinsamen Rechnung und des gemeinsamen Risikos mangle. Eine Prospektpflicht bestehe daher nicht. Selbst wenn eine solche bestehen sollte, sei die Rechtsansicht der Beklagten vertretbar, weshalb kein unlauteres Handeln im Sinn des § 1 UWG vorliege. Bei der Darlehensgewährung von Verbrauchern an Unternehmen liege kein Geschäft im Sinn des § 28a KSchG vor, weshalb auch diese Bestimmung nicht verletzt sein könne.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren und teilweise auch dem Veröffentlichungsbegehren statt. Es liege ein öffentliches Angebot im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 KMG vor, das nach § 2 KMG prospektpflichtig sei. Da die Beklagte keinen Prospekt aufgelegt habe, verletze sie diese dem Anlegerschutz und der Transparenz dienende Bestimmung. Damit liege ein Rechtsbruch nach § 1 UWG vor. Gemäß § 1 Abs 4 Z 3 UWG handle es sich dabei um die Anwendung einer Geschäftspraktik, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er allenfalls nicht getroffen hätte. Nach § 25 UWG stehe der Klägerin auch ein Anspruch auf Urteilsveröffentlichung zu, und zwar auf der Homepage der Beklagten, nicht aber in einer Tageszeitung. Der abweisende Teil des Urteils blieb unbekämpft.

Das Berufungsgericht wies die Klage insgesamt ab. Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass eine „Veranlagung“ im Sinn des § 1 Abs 1 Z 3 KMG bei den von ihr angebotenen modifizierten Nachrangdarlehen mangels entsprechender Risikogemeinschaft nicht vorliege, weil es sich bei den Darlehensforderungen der einzelnen Investoren um selbstständige, unabhängig voneinander geltend zu machende Einzelforderungen handle, sei im Hinblick auf den unklaren Gesetzeswortlaut, fehlende Rechtsprechung und die nicht einhellige Literatur vertretbar. Hinzu komme, dass die Finanzmarktaufsicht (FMA), die zwar für die Auslegung des KMG nicht zuständig, jedoch in dessen Vollziehung eingebunden sei, mit Stand 2013 in ihrer Allgemeinen Information zu Bürgerbeteiligungsmodellen für Verbraucher ausgeführt habe, dass der Tatbestand der Veranlagung gemäß § 1 Abs 1 Z 3 KMG bei qualifizierten Nachrangdarlehen mangels Bestehens einer Risikogemeinschaft nicht erfüllt und eine Prospektpflicht gemäß KMG daher zu verneinen sei. In der Folge habe die FMA zwar mit Stand 2014 diesen Standpunkt dahin relativiert, dass qualifizierte Nachrangdarlehen unter Umständen – einzelfallbezogen, abhängig von der tatsächlichen Ausgestaltung – doch den Tatbestand der Veranlagung gemäß § 1 Abs 1 Z 3 KMG erfüllen könnten, eine generelle Prospektpflicht sei damit aber verneint worden. Ob das Verhalten der Beklagten gegen das nach Schluss der Verhandlung in Kraft getretene Alternativfinanzierungsgesetz (AltFG) verstoße, sei nicht zu prüfen, weil das beanstandete Verhalten der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung, zu welchem die alte Rechtslage gegolten habe, wegen der Vertretbarkeit der Rechtsansicht nicht unlauter gewesen sei, sodass eine Parallelprüfung nach neuem Recht nicht zu erfolgen habe. Die Revision sei in Ermangelung von Rechtsfragen erheblicher Bedeutung nicht zulässig.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, der Klage stattzugeben; in eventu stellte sie einen Aufhebungsantrag.

Nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof erstattete die Beklagte eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragt, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Prospektpflicht besteht nach § 2 Abs 1 KMG bei einem „öffentlichen Angebot“. Darunter ist nach der Legaldefinition in § 1 Abs 1 Z 1 KMG Folgendes zu verstehen:

Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Bedingungen eines Angebots (oder einer Einladung zur Zeichnung) von Wertpapieren oder Veranlagungen und über die anzubietenden Wertpapiere oder Veranlagungen enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, sich für den Kauf oder die Zeichnung dieser Wertpapiere oder Veranlagungen zu entscheiden. Diese Definition gilt auch für die Platzierung von Wertpapieren oder Veranlagungen durch Finanzintermediäre.

 

2.1. Da die Beklagte unstrittig kein Wertpapier angeboten hat, ist zu prüfen, ob die von ihr beworbenen und eingesammelten qualifizierten Nachrangdarlehen als „Veranlagung“ im Sinn des Kapitalmarktrechts zu werten ist. Dieser Begriff wird in § 1 Abs 1 Z 3 KMG wie folgt definiert:

Vermögensrechte, über die keine Wertpapiere ausgegeben werden, aus der direkten oder indirekten Investition von Kapital mehrerer Anleger auf deren gemeinsame Rechnung und gemeinsames Risiko oder auf gemeinsame Rechnung und gemeinsames Risiko mit dem Emittenten, sofern die Verwaltung des investierten Kapitals nicht durch die Anleger selbst erfolgt […].

 

2.2. Der Senat hat in der Entscheidung 4 Ob 184/11d zum Begriff der Veranlagung im Sinn des § 1 Abs 1 Z 3 KMG festgehalten, dass entscheidendes Kriterium eine gesellschafts- oder schuldrechtlich organisierte Risikogemeinschaft ist, es jedoch keinen Unterschied macht, ob diese rechtlich (etwa durch Beteiligung an einer Gesellschaft) oder bloß wirtschaftlich begründet ist (RIS‑Justiz RS0127765). Die Auffassung der älteren Lehre (Kalss/Oppitz, Die Neuerungen der KMG‑Novelle 1994, ÖBA 1994, 350 [258]), eine Veranlagung erfordere als konstitutives Merkmal darüber hinaus eine unmittelbare Beteiligung an Gewinn oder Verlust, wurde ausdrücklich verworfen (Rz 4.4.e). Im Anlassfall waren die Anleger nämlich nicht anteilig am wirtschaftlichen Gewinn oder Verlust beteiligt; vielmehr ging es für sie um „Alles oder Nichts“ (Rz 4.4.d). Entscheidendes Bezugsmerkmal für das bejahte Vorliegen einer Risikogemeinschaft war daher das Bestehen eines Totalverlustrisikos und dass dieses Risiko von der wirtschaftlichen Gebarung bzw vom wirtschaftlichen Erfolg der Emittentin abhängig war. Darüber hinaus anerkennt die Entscheidung auch den Normzweck, einen möglichst umfassenden Anlegerschutz zu gewährleisten (Rz 4.4.e).

3. Ausgehend von diesen Erwägungen bejaht die überwiegende Literatur, dass es sich bei qualifizierten Nachrangdarlehen um Veranlagungen im Sinn des § 1 Abs 1 Z 3 KMG handelt:

3.1. Kriegner (Erfüllen „qualifizierte Nachrangdarlehen“ den Tatbestand der Veranlagung iSd § 1 Abs 1 Z 3 KMG?, ÖBA 2014, 521 [525]) meint, jede gemeinschaftliche Kapitalaufbringung mehrerer Anleger in Erwartung künftiger Profite sei als Veranlagung anzusehen, wenn ein Totalverlustrisiko des eingesetzten Kapitals von der wirtschaftlichen Gebarung bzw vom wirtschaftlichen Erfolg der Emittentin abhängt. Im Falle qualifizierter Nachrangdarlehen liege eine klassische Form der gemeinschaftlichen Kapitalaufbringung mit Totalausfallsrisiko vor, weil die Anleger im Fall der Krise bzw der Insolvenz des Schuldners mit dem Totalausfall ihrer Forderungen rechnen müssten.

3.2. Ähnlich argumentiert Karollus („Crowd Funding“ über Nachrangdarlehen und Prospektpflicht nach dem KMG, in FS Reich-Rohrwig, 81 [94 ff]), der das Totalausfallsrisiko bereits bei „einfachen“ Nachrangdarlehen verwirklicht sieht, weil sie den Anleger in die Nähe von Eigenkapitalgebern rückten. Bei qualifizierten Nachrangdarlehen (Rückzahlungssperre in der Krise) komme erschwerend hinzu, dass der Anleger gegenüber Gesellschaftern sogar benachteiligt werde, weil ihm Rückzahlung nur aus etwaigen zukünftigen Jahresüberschüssen zustehe, nicht jedoch aus zukünftigen Bilanzgewinnen, womit Rücklagen oder Gewinnvorträge nicht berücksichtigt werden könnten.

3.3. Pittl/Steiner (Wann handelt es sich bei nachrangigen Darlehen um eine Veranlagung iSd KMG?, ZFR 214, 159 [162]) rücken den Aspekt des Anlegerschutzes in den Vordergrund. Umso riskanter und unverständlicher ein Finanzprodukt sei, umso eher sei eine Veranlagung und damit eine Prospektpflicht anzunehmen. Aufgrund des Totalverlustrisikos seien Nachrangdarlehen daher grundsätzlich als Veranlagungen zu betrachten. Jedoch könne dieses Risiko durch erfolgsunabhängige Zinsen, eine kurze Laufzeit und vor allem eine angemessene Kündigungsmöglichkeit ausgeglichen werden. Für die angemessene Kündigungsmöglichkeit liege es nahe, sich an der Legaldefinition des Veranlagungsbegriffs in § 1 Abs 1 Z 3 KMG zu orientieren, welche sogenannte Geldmarktinstitute mit Laufzeiten unter einem Jahr vom Veranlagungsbegriff ausnehme. Daher sei die Obergrenze für eine Kündigungssperrfrist ebenfalls bei einem Jahr anzusetzen.

3.4. Dieser Überlegung folgt Paulmayer (Rechtliche Grenzen und praktische Schwierigkeiten bei der KMU-Finanzierung, ecolex 2015, 362 [364]). Es falle schwer, bei den qualifizierten Nachrangdarlehen keine Ähnlichkeiten zu hochkomplexen regulatorischen Kapitalmarktinstrumenten zu erkennen. Nachrangdarlehen, die Zahlungssperren enthalten, die durch bestimmte Unternehmenskennzahlen ausgelöst (getriggert) werden, oder deren Zinszahlungen und/oder Kapitaltilgungen vom Erreichen bestimmter Werte abhängig sind (Jahresüberschuss oder Bilanzgewinn), näherten sich von der Grundstruktur komplexen Finanzinstrumenten an. Deren Beschränkung sei aus Anlegerschutzgründen gerechtfertigt.

3.5. N. Raschauer (Bürgerfinanzierung bei Energieanlagen, RdU-UT 2015, 75 [81]) weist auf die geänderte Rechtsansicht der FMA hin. Auch langfristige Nachrangdarlehen könnten – je nach Vertragsgestaltung – als prospektpflichtige Veranlagungen zu qualifizieren sein.

4.1. Das hier zu beurteilende qualifizierte Nachrangdarlehen (vgl dazu Pateter/Pirker, Zur Rechtsnatur der Nachrangabrede, ZIK 2015, 217 [219]) ist dadurch gekennzeichnet, dass der Anleger nicht nur im Fall der Insolvenz nachrangig befriedigt wird, sondern auch dann keine Rückzahlung erhält, wenn sich die Gesellschaft in der Krise befindet. Weitere Rückzahlungen werden erst aus etwaigen künftigen Jahresüberschüssen (nicht Bilanzgewinnen) geleistet. Ob der Anleger überhaupt etwas erhält, hängt daher entscheidend von der wirtschaftlichen Gebarung der Emittentin ab. Die ordentliche Kündigung ist nach den Darlehensbedingungen erstmals nach neun Jahren bzw nach der neueren Version des Finanzprodukts nach vier Jahren möglich.

4.2. Insgesamt ist daher (wegen des Risikos des Totalverlusts und wegen der – auch mit vier Jahren – langen Kündigungssperrfrist) von einer Vergemeinschaftung der nachrangigen Gläubiger bzw einer Risikogemeinschaft und (wegen der festgestellten Art des Vertriebs) von einem öffentlichen Angebot auszugehen, sodass eine Veranlagung im Sinn des § 1 Abs 1 Z 3 KMG vorliegt.

4.3. Jedoch verlangt die Klägerin nicht nur einen dem KMG entsprechenden, sondern auch einen „gebilligten“ Prospekt. Nach § 2 Abs 2 KMG ersetzt bei Veranlagungen die Überprüfung durch einen Prospektkontrollor im Sinn des § 8 Abs 2 [Z 1–4] KMG die Billigung durch die FMA; § 2 Abs 2 KMG normiert ausdrücklich, dass § 8a KMG, der die Billigung durch die FMA regelt, bei Veranlagungen nicht zur Anwendung gelangt (vgl 1 Ob 223/14x; 1 Ob 227/14k).

4.4. Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass für das gegenständliche Finanzierungsmodell gemäß KMG Prospektpflicht besteht, allerdings nicht im Sinn eines „gebilligten“ Prospekts.

5. Die Beklagte beruft sich auf die vertretbare Rechtsauffassung, dass im gegebenen Fall keine Prospektpflicht bestehe. Dazu ist Folgendes auszuführen:

5.1. Wenn eine nach dem Wortlaut des Gesetzes immerhin vertretbare Rechtsauffassung in der Folge von den Gerichten nicht geteilt wurde, ist dies kein Verstoß gegen § 1 UWG. Es kommt vor allem darauf an, ob die Auffassung über den Umfang der Befugnisse durch das Gesetz so weit gedeckt ist, dass sie mit gutem Grund vertreten werden kann (RIS‑Justiz RS0077771; RS0123239). Maßgebend für die Beurteilung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung sind der eindeutige Wortlaut und Zweck der angeblich übertretenen Norm sowie gegebenenfalls die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und eine beständige Praxis von Verwaltungsbehörden (4 Ob 225/07b, Stadtrundfahrten; 4 Ob 40/09z; 4 Ob 58/14d, Automatik‑Startfunktion). Bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs wird eine unvertretbare Rechtsansicht im Regelfall nur dann vorliegen, wenn und soweit dieser Begriff bereits durch höchstgerichtliche Rechtsprechung oder eine beständige Verwaltungspraxis konkretisiert wurde (RIS‑Justiz RS0077771 [T80]). Bei Beurteilung der lauterkeitsrechtlichen Vertretbarkeit einer Rechtsansicht durch den Obersten Gerichtshof sind zudem – wie auch im Amtshaftungsrecht – zwei Prüfungsstufen zu unterscheiden: Schon auf der ersten – für die Beurteilung durch die Vorinstanzen nach § 1 UWG maßgebenden – Stufe geht es nur um die Frage nach einer vertretbaren Auslegung der Normen, um die Verwirklichung eines zurechenbaren Rechtsbruchs bejahen oder verneinen zu können. Auf der zweiten – für die zulässige Anfechtung eines Urteils beim Obersten Gerichtshof gemäß § 502 Abs 1 ZPO hinzutretenden – Stufe geht es sodann nicht um die Frage, ob das Berufungsgericht jene Vertretbarkeitsfrage richtig, sondern nur, ob es sie ohne eine krasse Fehlbeurteilung gelöst hat (RIS‑Justiz RS0124004).

5.2. Zutreffend ist, dass die – für die Auslegung des KMG nicht zuständige – FMA zunächst die Prospektpflicht für Nachrangdarlehen verneinte und dies erst in einer geänderten Stellungnahme revidierte, sowie dass in der Literatur die Qualifikation von Nachrangdarlehen als Veranlagung im Sinn des § 1 Abs 1 Z 3 KMG unterschiedlich beurteilt wurde (vgl Brandl/Toman, Zur finanzmarktrechtlichen Einordnung von Crowdfunding, in Saria/Stocker [Hrsg], Unternehmensanleihen und Crowdfunding, 159; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht², § 11 Rz 11; Oberndorfer, Die Prospektpflicht nach dem KMG, 143 f).

5.3. Allerdings hat bereits die Entscheidung 4 Ob 184/11d das Kriterium des Totalverlustrisikos, das vom wirtschaftlichen Erfolg der Emittentin abhängt, als für das Vorliegen einer Risikogemeinschaft konstitutionell beurteilt, zumal eine Differenzierung zwischen rechtlicher und bloß wirtschaftlicher Risikogemeinschaft dem Normzweck des KMG, bei öffentlichen Angeboten einen möglichst umfassenden Anlegerschutz zu schaffen, zuwider laufen würde. Im Hinblick auf die konkrete Vertragsgestaltung war es daher angesichts dieser Rechtsprechung für die Beklagte – vor allem aufgrund des von der Rechtsprechung betonten Anlegerschutzes – unvertretbar anzunehmen, dass ihre Darlehenskonstruktion den Tatbestand der Prospektpflicht nicht erfüllt. Sie kann sich daher nicht auf eine vertretbare Rechtsauffassung berufen.

6. Ist eine Wiederholung des wettbewerbswidrigen Verhaltens schon vor Schluss der Verhandlung erster Instanz aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen, dann ist das Unterlassungsbegehren abzuweisen; fällt die Verbotsnorm erst während des Rechtsmittelverfahrens weg, dann fehlt es für die Überprüfung der Entscheidung an der Beschwer (RIS‑Justiz RS0037537). Fehlt es also einem ursprünglich rechtswidrigen Verhalten aus rechtlichen Gründen an der Wiederholungsgefahr, weil die Verbotsnorm weggefallen und die weitere Ausübung nicht wettbewerbswidrig wäre, ist ein dagegen gerichtetes Unterlassungsbegehren abzuweisen (RIS‑Justiz RS0037664). Der Beklagte darf nämlich nicht zu einer Unterlassung verurteilt werden, zu der er bei richtiger Auslegung des materiellen Rechts zum Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht (mehr) verpflichtet ist (vgl RIS‑Justiz RS0037461).

6.1. Mit 1. 9. 2015 (und damit nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) ist das Bundesgesetz über alternative Finanzierungsformen (AltFG) in Kraft getreten. Gleichzeitig wurde das KMG um die Bestimmung des § 3 Abs 1 Z 10a novelliert. Demnach ist auch ein Angebot von Wertpapieren oder Veranlagungen über einen Gesamtgegenwert in der Union von weniger als 1,5 Mio EUR von der Prospektpflicht ausgenommen, wenn dieses in den Anwendungsbereich des AltFG fällt. Das beanstandete Verhalten wäre daher nicht (mehr) rechtswidrig, wenn es wegen der Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 3 Abs 1 Z 10a KMG nicht mehr unter das KMG fiele. Dem Unterlassungsbegehren wäre somit dann der Boden entzogen, wenn das gegenständliche Finanzierungsmodell die Schwelle von 1,5 Mio EUR unterschreitet und unter das AltFG fällt.

6.2. Der festgestellte Sachverhalt bietet – wegen des Inkrafttretens des AltFG nach Schluss der mündlichen Verhandlung naheliegend – keine ausreichenden Anhaltspunkte, die eine abschließende Beurteilung im Sinn des § 3 Abs 1 Z 10a KMG zum Gesamtgegenwert des Angebots (Unterschreitung des Schwellenwerts von 1,5 Mio EUR?) sowie – falls die Unterschreitung gegeben ist – zur Anwendung des AltFG erlauben. Die Sache ist daher noch nicht spruchreif. Der außerordentlichen Revision der Klägerin ist somit Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben. Dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung im Umfang der noch nicht rechtskräftig erledigten Rechtssache nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

6.3. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren zunächst die neue Rechtslage mit den Parteien zu erörtern haben, um ihnen Gelegenheit zu geben, weiteres Vorbringen zur Rechtswidrigkeit des gegenständlichen Finanzierungsmodells zu erstatten. Sodann werden nach allfälliger Ergänzung des Beweisverfahrens die erforderlichen Feststellungen zu treffen sein, um beurteilen zu können, ob hier die Ausnahmebestimmung von der Prospektpflicht nach § 3 Abs 1 Z 10a KMG Anwendung findet. Sollte das Finanzierungsmodell der Beklagten den dort genannten Schwellenwert erreichen oder überschreiten, wäre das Unterlassungsgebot im berechtigten Umfang (vgl zuvor Punkt 4.4.) jedenfalls zu erlassen. Andernfalls wäre noch die Anwendbarkeit des AltFG zu prüfen, weil bei Nichterreichen des Schwellenwerts und Nichtanwendbarkeit des AltFG das Finanzierungsmodell der Prospektpflicht unterläge. Bleibt der Sachverhalt diesbezüglich unklar, liegt also ein non liquet vor, geht dies zu Lasten der Beklagten. Diese trägt hier die Beweislast für eine Ausnahme der grundsätzlich gegebenen Prospektpflicht (vgl idS zur Beweislastverteilung bei einem Regel-Ausnahme-Verhältnis 4 Ob 112/01a; RIS‑Justiz RS0111657; RS0109832).

7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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