OGH 20Os26/15x

OGH20Os26/15x10.6.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 10. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Fellinger als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Grassner und Dr. Rothner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Janisch als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 13. Oktober 2014, AZ D 73/13 (DV 15/14), TZ 29, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Koenig, des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Mag. Lughofer, LL.M. und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0200OS00026.15X.0610.000

 

Spruch:

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht Folge gegeben.

In Stattgebung der Berufung wegen Strafe wird die Geldbuße auf 700 Euro reduziert.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes (nach § 1 Abs 1, 1. und 2. Fall DSt) schuldig erkannt und hierfür zu einer Geldbuße von 1.500 Euro verurteilt.

Danach hat er gegen das Gebot der Vertraulichkeit nach § 79 DSt, die Verpflichtung zur Verschwiegenheit nach § 9 Abs 2 RAO und gegen das in § 9 Abs 1 RAO verankerte Sachlichkeitsgebot dadurch verstoßen, dass er am 16. November 2013 auf seiner persönlichen Facebook‑Seite postete, dass eine Kollegin aus Altmünster gegen ihn eine Disziplinaranzeige für eine frühere Mandantin erhoben habe und dass diese Alkoholikerin und sehr pflegebedürftig sei.

Der Disziplinarbeschuldigte hatte in diesem Posting zwar keine Namen genannt, unbestritten war aber für Dritte erkennbar, wer mit der „früheren Mandantin“ gemeint war.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (der Sache nach § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO) und des Ausspruchs über die Schuld.

Da sich die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld bei grundsätzlicher Anerkennung der tatbestandlichen Handlungseinheit des historischen Geschehens ausdrücklich nur gegen die Anlastung eines Verstoßes gegen § 79 DSt richtet und in diesem Umfang einen (unzulässigen; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 523; RIS‑Justiz RS0120128) Freispruch begehrt, demnach also bloß einen Strafzumessungsaspekt berührt, verfehlt sie ihr Ziel grundlegend.

Es bleibt zu erwidern:

Mit dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 5. Fall) in Bezug auf die dem Disziplinarbeschuldigten angelastete Mitteilung wird keine unrichtige Wiedergabe des Inhalts eines Beweismittels behauptet, sodass dieser Nichtigkeitsgrund schon deshalb nicht vorliegen kann.

Nach § 79 DSt sind – mit Ausnahme der in § 70 DSt vorgesehenen Mitteilungen und Bekannt-machungen – Mitteilungen an die Öffentlichkeit über den Verlauf und die Ergebnisse eines Disziplinarverfahrens, über den Inhalt der Disziplinarakten sowie über den Inhalt einer nicht öffentlichen mündlichen Verhandlung und der Disziplinarentscheidung untersagt. Die Bestimmung ordnet also grundsätzlich die Vertraulichkeit des Disziplinarverfahrens an. Schutzobjekt ist nicht nur der betroffene Disziplinarbeschuldigte, sondern der Rechtsanwaltsstand als Gesamtheit (Feil/Wennig, Anwaltsrecht8, 978; Lehner in Engelhart et al RAO9, § 79 Rz 1; RIS‑Justiz RS0117716; RS0120827). Gerechtfertigt nach § 79 letzter Satz DSt ist es allerdings, dass der Rechtsanwalt, auf den sich das Disziplinarverfahren bezogen hat, über seinen Ausgang berichten darf, soweit er damit nicht seine berufliche Verschwiegenheit verletzt. Damit soll dem Rechtsanwalt offenbar die Gelegenheit gegeben werden, sich öffentlich zu rechtfertigen, da im Allgemeinen nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Tatsache eines solchen Verfahrens über den Kreis der zur Verschwiegenheit verpflichteten Personen hinaus gelangt ist. Diese Bestimmung ist Ausdruck einer sachlichen Notwendigkeit, die Vertraulichkeit aufzuheben (§ 21 RL‑BA 1977). An dieser sachlichen Rechtfertigung fehlt es indes am Verfahrensbeginn.

Ein Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgebot verletzt nicht nur Ehre und Ansehen des Standes, sondern stellt auch eine Berufspflichtenverletzung dar (Lehner in Engelhart et al RAO9, § 79 Rz 1; ebenso 29 Os 1/14k; ggtl noch 12 Bkd 2/96). Die Verpflichtung zur Vertraulichkeit gilt nicht nur für Details aus dem Verfahren, sondern bereits für die Tatsache, dass eine Disziplinaranzeige erstattet wurde (Lehner in Engelhart et al RAO9, § 79 Rz 2 DSt; RIS‑Justiz RS0101383 gegen 12 Bkd 13/89). Auch wenn der Wortlaut des § 79 DSt lediglich vom Verlauf, vom Inhalt und von den Ergebnissen eines Disziplinarverfahrens handelt, geht das Vertraulichkeitsinteresse teleologisch betrachtet darüber hinaus. Zu Recht weist der Kammeranwalt in seiner Gegenausführung darauf hin, dass ein schutzwürdiges Interesse schon darin liegt, Disziplinarverfahren ohne Beeinflussung von außen abzuführen. Dass der Disziplinarbeschuldigte davor geschützt werden muss, nicht öffentlich eines Disziplinarvergehens in Verbindung mit dem Hinweis, es sei eine Disziplinaranzeige eingebracht worden, beschuldigt zu werden, kann ebenfalls nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden.

Zu Unrecht beruft sich der Disziplinarbeschuldigte darauf, es müsse ihm gestattet sein, auf Disziplinarvorwürfe (öffentlich) zu reagieren. Die Aufhebung der Vertraulichkeit setzt, wie der (inzwischen aufgehobene) § 21 RL‑BA 1977 und der letzte Satz des § 79 DSt erweisen, die sachliche Notwendigkeit einer solchen Offenbarung voraus (in diesem Sinn auch RIS‑Justiz RS0120827). Eine derartige sachliche Rechtfertigung vermochte der Disziplinarbeschuldigte nicht darzutun.

Dem Berufungsvorbringen zuwider war die Veröffentlichung der Disziplinaranzeige auch nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Entgegen der Auffassung des Beschuldigten widerspricht § 79 DSt nicht dem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht nach Art 10 Abs 1 EMRK. Danach hat zwar jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung, Art 10 Abs 2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit auch Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Einschränkungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind. Standesrechtlich vorgesehene Disziplinarmaßnahmen sind daher bei bestimmten Meinungsäußerungen zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer in einer demokratischen Gesellschaft zulässig (VfGH B 1526/06; B 1359/12; zuletzt zu § 21 RL‑BA 1977 OGH 29 Os 1/14k). Hat der Disziplinarbeschuldigte an der Aufhebung der Vertraulichkeit ein berechtigtes Interesse, so lässt die Rechtsprechung schon bisher Ausnahmen zu (siehe RIS‑Justiz RS0120827; RS0101399); die Voraussetzungen dafür lagen in concreto indes nicht vor.

Der Disziplinarrat ging – ohne nähere Begründung – davon aus, dass der Disziplinarbeschuldigte mit der Veröffentlichung auf der Facebook‑Seite auch seine Geheimhaltungspflicht verletzt habe. Der Rechtsanwalt ist nach § 9 Abs 2 RAO zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten und die ihm sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Partei gelegen ist, verpflichtet. Feststellungen, die eine derartige Subsumtion zuließen, fehlen. Die ehrenrührige – von der Anzeigerin im Übrigen bestrittene – in der Veröfentlichung enthaltene Aussage, sie wäre Alkoholikerin – rechtfertigt ebenso wenig die Annahme, der Disziplinarbeschuldigte habe die Vertraulichkeit verletzt, wie die Behauptung, sie sei pflegebedürftig.

Aus Anlass der Anfechtung des Ausspruchs über die Schuld war auch über den Strafausspruch zu entscheiden (§ 49 letzter Satz DSt). Der Disziplinarrat hatte bei der Strafbemessung das Tatsachengeständnis als mildernd, eine Vorstrafe des Disziplinarbeschuldigten demgegenüber als erschwerend angesehen. Zu Recht weist der Kammeranwalt in seiner Gegenäußerung darauf hin, dass noch weitere Erschwerungs‑ und Milderungsgründe zu berücksichtigen gewesen wären. Erschwerend war danach jedenfalls das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen. Einen weiteren Milderungsgrund stellt § 34 Abs 2 StGB dar, wenn das gegen den Täter geführte Verfahren aus einem nicht von ihm oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lang gedauert hat. Die Zustellung des Erkenntnisses der 1. Instanz vom 13. Oktober 2014 ist erst am 8. Oktober 2015, also rund ein Jahr später erfolgt. Die damit insgesamt unverhältnismäßig lange Dauer des Disziplinarverfahrens bewirkte einen Grundrechtsverstoß (RIS‑Justiz RS0120138; zuletzt etwa 20 Os 8/15z). Das führt dazu, dass die an sich angemessene Geldbuße von 1.000 Euro auf die spruchgemäße Höhe zu reduzieren war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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