OGH 29Os1/14k

OGH29Os1/14k20.11.2014

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 20. November 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weitere Richter und die Rechtsanwälte Dr. Hajek und Dr. Kölly als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krampl als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Mag. Claus‑Peter S*****, Rechtsanwalt in O*****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland vom 20. Jänner 2014, D 11/12, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Brenner, des stellvertretenden Kammeranwalts Mag. Philipp des Verteidigers Mag. Wolfgang Steflitsch und des Disziplinarbeschuldigten Mag. Claus‑Peter S***** zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0290OS00001.14K.1120.000

 

Spruch:

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und über den Disziplinarbeschuldigten Mag. Claus-Peter S***** wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt 1990 gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt 1990 ein schriftlicher Verweis erteilt.

Im Übrigen wird der Berufung keine Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auch einen Freispruch betreffend einen weiteren Disziplinarbeschuldigten enthaltenden Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland vom 20. Jänner 2014, D 11/12‑21, wurde Mag. Claus‑Peter S***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes schuldig erkannt, weil er am 2. Oktober 2012 in einem Schriftsatz an das Bezirksgericht O***** eine (den Rechtsbeistand des Verfahrensgegners betreffende) Disziplinaranzeige an die Rechtsanwaltskammer Burgenland vorgelegt hat.

Über den Disziplinarbeschuldigten wurde eine Geldbuße von 500 Euro verhängt. Überdies wurde er zum Ersatz der Kosten des Verfahrens verpflichtet.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten Mag. Claus-Peter S***** „hinsichtlich des Schuldspruches sowie des Straf- und Kostenausspruches zur Gänze“.

Die Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO), mit der die Qualifikation der Tat auch als Berufspflichtverletzung bekämpft wird, ist nicht berechtigt:

Berufspflichten bestehen auch dann, wenn durch die RAO oder RL‑BA 1977 Pflichten für Mitglieder des Berufsstandes begründet werden, die eben nur Kammerangehörige, also Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, nicht aber jedermann treffen. Dazu gehören nach herrschender Judikatur sowohl Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Rechtsanwaltskammer als auch die Verpflichtung zum Eingehen einer Krankenversicherung (RIS‑Justiz RS0125817). Die Mitglieder der Rechtsanwaltskammer obliegende Geheimhaltung von Disziplinarangelegenheiten nach § 21 RL‑BA 1977 begründet daher in gleicher Weise eine Berufspflicht, deren Missachtung als Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt 1990 zu werten ist. An der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Erkenntnisses ist daher nicht auszusetzen.

Das Vorbringen (der Sache nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO), mit der inkriminierten Urkundenvorlage im Honorarprozess sei nicht jene Mindestpublizität erreicht worden, die für eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes erforderlich wäre, weil lediglich das Gericht und die wegen des Honorars Beklagten Kenntnis von der Disziplinaranzeige der Klagevertreter gegen den Vertreter der Beklagten erlangt hätten, verkennt, dass Öffentlichkeit eines Verhaltens immer dann anzunehmen ist, wenn keine Gewähr besteht, dass die Mitteilung nicht über einen relativ kleinen oder zumindest sehr geschlossen unter Geheimhaltungspflicht stehenden Kreis hinaus gelangt (14 Bkd 5/05, AnwBl 2007, 41; vgl auch RIS‑Justiz RS0114064).

Die Annahme einer die Öffentlichkeit ausschließenden Voraussetzung kann im konkreten Fall infolge der vom Disziplinarrat angenommenen Information sowohl des Gerichts als auch der beiden Beklagten (ES 4, 5 und 6) nicht ausgegangen werden.

Dem inhaltlich als Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) zu wertenden Berufungsvorbringen zuwider war die Vorlage der Disziplinaranzeige im Honorarprozess nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung „gedeckt“. Denn entgegen der Auffassung des Rechtsmittelwerbers widerspricht § 21 RL‑BA 1977 nicht dem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht des Art 10 Abs 1 EMRK. Danach hat zwar jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Allerdings sieht Art 10 Abs 2 EMRK im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit auch Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Einschränkungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind. Standesrechtlich vorgesehene Disziplinarmaßnahmen sind daher bei bestimmten Meinungsäußerungen zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer in einer demokratischen Gesellschaft zulässig (VfGH B 1526/06 = VfSlg 18001; VfGH B 1359/2012).

Wenn der Rechtsmittelwerber auf die „sachliche Notwendigkeit“ verweist, die Disziplinaranzeige und deren Inhalt dem Gericht und den Prozessparteien mitzuteilen (inhaltlich wiederum § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO), hätte es ‑ wie im angefochtenen Disziplinarerkenntnis zutreffend dargestellt wird ‑ ausgereicht, das Prozessvorbringen des Gegners in einem vorbereitenden Schriftsatz zu bestreiten und allenfalls durch entsprechende Beweismittel zu entkräften. Legt man daher den Prüfungsmaßstab an, wonach ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung gesetzlich vorgesehen sein kann, sofern er verhältnismäßig ist und einem legitimen Zweck dient (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 23 Rz 20), ist fallbezogen die in erster Instanz vorgenommene Verneinung einer unmittelbaren sachlichen Notwendigkeit der Offenbarung nicht zu beanstanden (vgl 5 Bkd 3/01, AnwBl 2002/7820, 420). Die bloße Behauptung des Berufungswerbers, der gegen ihn erhobene Vorwurf der Aktenmanipulation (iS einer falschen Beurkundung einer Besprechung) sei strafrechtlich relevant und für einen Rechtsanwalt existenzbedrohend, bietet keine Rechtfertigung der Bekanntgabe der gegen den Beklagtenvertreter im Honorarprozess vor dem Bezirksgericht O***** eingebrachten Disziplinaranzeige.

Soweit der Berufungswerber die Anwendung des § 3 DSt 1990 releviert, ist ihm zu entgegnen, dass die mangelnde Strafwürdigkeit im konkreten Fall allein schon deshalb nicht anzunehmen ist, weil der inkriminierte ‑ vorsätzlich begangene ‑ Gesetzesverstoß ein Verschulden zum Ausdruck bringt, dessen Gewicht im Vergleich zu den Durchschnittsfällen von Disziplinarvergehen (die in ihrer Gesamtheit als Vergleichsparameter heranzuziehen sind; zur annähernd vergleichbaren Ausgangslage zu § 191 StPO bei mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen siehe Schroll, WK‑StPO § 191 Rz 56) nicht deutlich abfällt. Es liegt somit kein Grund vor, der eine Verfolgung des Disziplinarbeschuldigten wegen des vorgeworfenen Disziplinarvergehens iSd § 3 DSt 1990 ausschließt.

Der Berufung im bisher behandelten Umfang war daher keine Folge zu geben.

Im Recht ist allerdings die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe:

Die angefochtene Entscheidung wertete bei der Strafbemessung als mildernd die bisherige Unbescholtenheit und das sehr emotional geführte Verfahren, welches Ausgangspunkt der Disziplinarvergehen war; einen Erschwerungsumstand verneinte der Disziplinarrat. Ausgehend davon wurde über den Disziplinarbeschuldigten eine Geldstrafe von 500 Euro verhängt.

Auch bei Berücksichtigung der erschwerend wirkenden zweifachen Verwirklichung von Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt 1990 kann nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs angesichts der ersten disziplinären Verfehlung des Berufungswerbers bei der Ahndung des unsachlichen, tatbestandsmäßigen Vorgehens des Disziplinarbeschuldigten im von ihm geltend gemachten Honorarprozess mit einem schriftlichen Verweis nach § 16 Abs 1 Z 1 DSt 1990 das Auslangen gefunden werden.

Ein Vorgehen iSd § 39 DSt 1990 kam mit Blick auf das Gewicht der Verletzung der Geheimhaltungspflicht und die Beeinträchtigung des korrespondierenden Rechts des angezeigten Vertreters der Beklagten nicht mehr in Frage.

Da sich die Berufung bloß unsubstantiiert gegen die in der angefochtenen Entscheidung normierte Verpflichtung zur Tragung der Kosten des Disziplinarverfahrens nach § 38 Abs 2 DSt 1990 wendet, entzieht sich dieser Einwand einer inhaltlichen Erwiderung.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt 1990 iVm § 36 Abs 2 DSt 1990.

Stichworte