OGH 7Ob87/16v

OGH7Ob87/16v25.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** W*****, 2. I***** R*****, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler und andere, Rechtsanwälte in St. Florian, gegen die beklagte Partei R***** B*****, vertreten durch Dr. Martin Peter Schloßgangl, Rechtsanwalt in Steyr, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Berufungsgericht vom 21. März 2016, GZ 1 R 280/15t‑21, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00087.16V.0525.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Vertragsübernahme ist ein eigenes Rechtsinstitut und bewirkt, dass durch einen einheitlichen Akt nicht nur die Gesamtheit der wechselseitigen Rechte und Pflichten übertragen wird, sondern dass der Vertragsübernehmer an die Stelle einer aus dem Schuldverhältnis ausscheidenden Person tritt und deren gesamte vertragliche Rechtsstellung übernimmt, ohne dass der Inhalt oder die rechtliche Identität des bisherigen Schuldverhältnisses verändert werden (RIS‑Justiz RS0032623).

Dass das Berufungsgericht im vorliegenden Fall auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses – und nicht der Vertragsübernahme durch den Beklagten abstellte – ist nicht zu beanstanden.

2. Der Begriff der „Geschäftsräumlichkeit“ iSd § 1 Abs 1 MRG ist weit zu verstehen. Die Rechtsprechung stellt auf den „normalen Sprachgebrauch“ ab und versteht unter „Geschäftsräumlichkeit“ ein dreidimensional abgeschlossenes, geschäftlichen Zwecken dienendes Gebilde (RIS‑Justiz RS0110398 [T1]). Des weiteren wird der Begriff des Geschäftsraums durch den Vertragszweck bestimmt (RIS‑Justiz RS0044863 [T2]; RS0110398 [T8]). Es ist demnach nicht entscheidend, in welcher Art ein Raum nach dem Abschluss des Mietvertrags tatsächlich verwendet wird. Maßgeblich ist, zu welchem Zweck er nach der Parteienabsicht bei Vertragsabschluss in Bestand gegeben beziehungsweise genommen wurde (RIS‑Justiz RS0066884). Bei sogenannten „neutralen Objekten“, die nicht von vornherein als Wohnungen oder Geschäftsräume anzusehen sind, liegt es am Mieter zu beweisen, dass das Objekt als Wohnung oder Geschäftsraum vermietet wurde und damit in den Anwendungsbereich des MRG fällt (RIS‑Justiz RS0069390 [T2]).

Im vorliegenden Fall steht fest, dass das „Wirtschaftsgebäude West“ – eine Scheune ohne Versorgungsanschlüsse – ausdrücklich zu Geschäfts‑, insbesondere Lagerzwecken vermietet wurde. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, es handle sich daher nicht um ein „neutrales Objekt“, sondern um einen Geschäftsraum, hält sich im Rahmen der dargestellten oberstgerichtlichen Judikatur.

3. Nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG sind vom Anwendungsbereich des MRG Mietgegenstände in einem Gebäude mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen oder Geschäftsräumlichkeiten ausgenommen; nachträglich neu geschaffene Dachbodenausbauten sind nicht zu zählen („Ein‑ und Zweifamilienhäuser“).

3.1 Für die Ausnahmeschädlichkeit zusätzlicher Räume kommt es in der Regel auf deren selbständige Vermietbarkeit an. Eine Ausnahme davon ist nur für Räume zu machen, die – obwohl sie abgesondert vermietbar wären – üblicherweise zu einem Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus gehören (wie etwa Abstellräume, Garagen etc) oder Bestandteil eines Wohnungsverbands sind. Zu beurteilen ist dabei der tatsächliche Zustand im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses (RIS‑Justiz RS0112564). Dies findet seinen Grund darin, dass dadurch der Charakter eines Ein‑ und Zweifamilienhauses nicht verloren geht, auch wenn diese Räume selbständig zugänglich sind und daher selbständig vermietbar wären. Die Frage, ob ein „Gebäude mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen oder Geschäftsräumlichkeiten“ vorliegt, entscheidet letztlich die Verkehrsauffassung (RIS‑Justiz RS0079853).

3.2 War im maßgeblichen Zeitpunkt der Vermietung ein selbständig vermietbarer Raum auch tatsächlich genutzt oder vermietet, geht die Verkehrsauffassung dahin, dass damit die Zugehörigkeit dieser Räume zu einer anderen Wohnung oder einem Geschäftslokal aufgehoben wurde (RIS‑Justiz RS0112564 [T3, T14]). Bei einer selbständigen Vermietung von Nebenräumen greift nicht die Vermutung der Zugehörigkeit zu einem anderen Mietobjekt (RIS‑Justiz RS0112564 [T7]). Es ist dann auf die Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen.

3.3 Nach der zur insoweit vergleichbaren Vorgängerbestimmung des § 1 Abs 4 Z 2 MRG ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Eigentümer einer Liegenschaft mit mehreren, insgesamt mehr als zwei Wohnungen enthaltenden Gebäuden auch dann, wenn eines davon ein wirtschaftlich selbständiges Wohnhaus ist, nicht in Bezug auf dieses Wohnhaus im Sinn des § 1 Abs 4 Z 2 MRG begünstigt, sondern dem Eigentümer einer Liegenschaft mit einem Haus mit mehr als zwei Wohnungen gleichzuhalten (RIS‑Justiz RS0069376). Weitere Gebäude, neben dem Einfamilien‑ bzw Zweifamilienhaus können für die Verfehlung der Teilausnahme vom MRG dann eine Rolle spielen, wenn sie sich auf derselben Liegenschaft (auf demselben Grundbuchskörper) befinden (RIS‑Justiz RS0069376 [T3]). Entscheidend ist, dass sich mit dem Begriff „Haus“, „Wohnhaus“, „Gebäude“ bestimmte Verkehrsanschauungen verbinden, die der Gesetzgeber offenbar für die Gesetzesauslegung nutzen wollte, indem er sich dieser landläufigen Begriffe bediente (RIS‑Justiz RS0069376 [T4]). Mit der Auflösung der Wohneinheit und Wirtschaftseinheit kann der Charakter des Einfamilienhauses oder Zweifamilienhauses (im Sinn des § 1 Abs 4 Z 2 MRG) verloren gehen. Werden Teile des Gebäudes, weil sie für den landwirtschaftlichen Betrieb nicht mehr benötigt werden, für Geschäftszwecke vermietet (etwa als Lager, Garage, Werkstätte udgl), versteht sich das von selbst, weil die selbständige Vermietung eines Objekts für geschäftliche Zwecke immer ausnahmeschädlich ist. Das Vermieterprivileg kann jedoch auch dann nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn der landwirtschaftliche Betrieb, in dessen Zentrum das Bauernhaus stand, aufgegeben wurde oder das Haus nicht mehr für Wohnzwecke der Bauernfamilie dient (RIS‑Justiz RS0079851).

3.4 Von diesen Grundsätzen weicht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht ab, wonach der gesamte sich auf demselben Grundbuchskörper befindliche Schlosskomplex, sohin jedenfalls das Schloss und das Wirtschaftsgebäude, bestehend aus dem „Wirtschaftsgebäude Ost“ und dem „Wirtschaftsgebäude West“ zu berücksichtigen sei. Seit 1969 würden die getrennt vermietbaren Wirtschaftsgebäude Ost und West, an denen nachträglich – nach grundbücherlicher Abschreibung – Wohnungseigentum (Wirtschaftsgebäude West = top 1, Wirtschaftsgebäude Ost = top 2) begründet worden sei, auch getrennt und insbesondere nicht zu Zwecken des Schlosses genutzt. Vor allem das gegenständliche „Wirtschaftsgebäude West“ werde seither an Dritte zu Lagerzwecken vermietet, sodass die Zugehörigkeit zum Schloss aufgehoben worden sei. Daraus folge aber, dass zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses mehr als zwei selbständig vermietbare Objekte vorhanden gewesen seien, was der Annahme des Ausnahmetatbestands des § 1 Abs 2 Z 5 MRG entgegenstehe.

4. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Klägerinnen daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte