OGH 3Ob31/16d

OGH3Ob31/16d27.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei S*****-AG, *****, vertreten durch Rechtsanwaltskanzlei Foglar-Deinhardstein KG in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei G***** AG, *****, vertreten durch DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, hier wegen einstweiliger Verfügung, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Jänner 2016, GZ 39 R 9/16m‑6, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 23. Dezember 2015, GZ 49 C 317/15d‑2, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00031.16D.0427.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.339,66 EUR (hierin enthalten 539,61 EUR USt und 102 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rekurses und ihrer Revisionsrekursbeantwortung endgültig selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Klägerin und gefährdete Partei (im Folgenden: Klägerin) betreibt seit dem Jahr 2000 einen Verbrauchermarkt in einem von ihr gemieteten Geschäftslokal im Fachmarktzentrum der Beklagten. Für die Kunden dieses Fachmarktzentrums stehen insgesamt 182 Kfz‑Stellplätze zur Verfügung. Der Verbrauchermarkt der Klägerin ist derzeit von drei angrenzenden Straßen aus gut wahrnehmbar. An einer der angrenzenden Straßen befindet sich ein 14 Meter hoher Werbepylon, der mit Zustimmung der (damaligen) Vermieterin auf Kosten aller Mieter des Fachmarktzentrums, also auch der Klägerin, errichtet wurde.

Die Beklagte plant die Errichtung eines zwei bis drei Stockwerke umfassenden, auf Säulen stehenden Bürogebäudes im Bereich des derzeitigen Kundenparkplatzes. Die Parkflächen sollen künftig größtenteils unterhalb dieses Bürogebäudes liegen. Die ersten Arbeiten, wie die Errichtung von Bauzäunen und die Verlegung von Leitungen, haben bereits stattgefunden. 25 der bisher zur Verfügung stehenden Parkplätze wurden gesperrt. Die Bauarbeiten sollen etwa 20 Monate dauern. Während dieser Zeit ist mit Einschränkungen für den Fußgänger-, Pkw- und Anlieferungsverkehr zu rechnen. Die Anzahl der Parkplätze wird sukzessive bis auf 84 reduziert werden. Im Rahmen der geplanten Arbeiten wird es phasenweise auch Bautätigkeiten vor den Geschäftslokalen geben. Die intensive Bauphase wurde für Jänner bis November 2016 geplant, die Fertigstellung soll im Frühjahr 2017 erfolgen.

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 21. Dezember 2015 eingebrachten Klage von der Beklagten die Unterlassung 1.) der Entfernung und/oder Verkleinerung und/oder Beeinträchtigung der Sichtbarkeit des Werbepylons, und 2.) der Durchführung, Veranlassung und/oder Gestattung von Baumaßnahmen aller Art im Bereich der Liegenschaft der Beklagten, durch die die gegenwärtige Sichtbarkeit des Verbrauchermarkts der Klägerin auf der Liegenschaft und/oder des Fachmarktzentrums als solches, jeweils samt den zugehörigen Parkplatzflächen, für potentielle Kunden der Klägerin bzw des Fachmarktzentrums, insbesondere für Pkw‑Lenker auf den drei angrenzenden Straßen eingeschränkt werde, und/oder die Parkmöglichkeiten für potentielle Kunden der Klägerin oder des Fachmarktzentrums auf dieser Liegenschaft beeinträchtigt würden; hilfsweise von im Einzelnen konkret beschriebenen Baumaßnahmen.

Zur Sicherung dieses Unterlassungsanspruchs beantragte die Klägerin die Erlassung einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung. Das Fachmarktzentrum und insbesondere der von ihr betriebene Verbrauchermarkt würden zu rund 80 % von Kunden frequentiert, die mit dem Pkw anreisten. Für die Kundenfrequenz sei entscheidend, dass die Kfz-Stellplätze, der Verbrauchermarkt und der Umstand, dass auf dem Areal auch diverse andere Fachgeschäfte unterschiedlicher Branchen angesiedelt seien, für Pkw-Fahrer schon von weitem gut ersichtlich seien. Die klare Sichtbarkeit des Verbrauchermarkts der Klägerin von den drei angrenzenden Straßen aus und dessen eindeutige Erkennbarkeit als Teil eines Fachmarktzentrums mit umfangreichen, nicht durch bauliche Einrichtungen eingeschränkten Parkmöglichkeiten sei eine vertraglich bedungene Eigenschaft des Mietobjekts. Die Beklagte sei daher gemäß § 1096 Abs 1 ABGB verpflichtet, die Sicht- und Erkennbarkeit des Mietobjekts der Klägerin als Teil einer einheitlichen Einkaufsagglomeration mit „im Wesentlichen hindernislosen“ Parkmöglichkeiten während der gesamten Mietdauer zu erhalten.

Der von der Beklagten nun geplante groß angelegte Umbau des Areals würde den mietvertraglich bedungenen Gebrauch der Geschäftsräumlichkeit der Klägerin vereiteln, weil das geplante mehrstöckige, auf Stelzen gelagerte Bürogebäude das straßenseitige Erscheinungsbild der Liegenschaft prägen und das dahinterliegende, niedrigere Fachmarktzentrum optisch „verschwinden“ lassen würde. Damit ginge also die Sichtbarkeit des Fachmarktzentrums, insbesondere des Verbrauchermarkts der Klägerin, wie auch der auf dem Areal vorhandenen Parkplätze für potentielle Kunden vollkommen und dauerhaft verloren. Nach den aktuellen Bauplänen würde sich auch die Anzahl der derzeit verfügbaren Parkplätze am Standort verringern. Überdies würden die bisher freien Parkflächen durch die zu errichtenden Stelzen stark eingeengt, wodurch der Standort für die Kunden der Klägerin wesentlich unattraktiver werde. Darüber hinaus plane die Beklagte die Entfernung des Werbepylons im Zuge der Vorbereitungen für die Umbaumaßnahmen. Dies wäre klar rechtswidrig: Der Werbepylon sei nämlich aufgrund einer Vereinbarung der Mieter des Standorts mit der damaligen Eigentümerin ‑ auf Kosten der Mieter, also auch der Klägerin ‑ errichtet worden. Die Klägerin habe deshalb einen Rechtsanspruch auf Erhaltung des Werbepylons, weil er von ihrem Mietverhältnis mitumfasst sei; die Fläche, auf der er stehe, sei als ihrem Mietobjekt zugehörige mitvermietete Fläche zu qualifizieren. Darüber hinaus habe ihr die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit außergerichtlichem Vergleich vom 10. Februar 2004 ausdrücklich zugesichert, dass eine werbliche Darstellung des Verbrauchermarkts der Klägerin nach deren Anforderungsprofil während der gesamten Dauer des Mietverhältnisses vorhanden sein werde. Diese Zusage werde nach Abschluss der Umbauarbeiten nicht mehr erfüllbar sein, weil die Aufstellung eines neuen Werbepylons, der in Größe und Ausgestaltung dem bisherigen entspreche, nicht mehr behördlich genehmigungsfähig sein werde. Der Verlust dieses Werbepylons würde die Sichtbarkeit und Erkennbarkeit des Verbrauchermarkts der Klägerin für Kunden bei Umsetzung der geplanten Baumaßnahmen der Beklagten noch weiter dramatisch verschlechtern.

Ohne die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung wäre die gerichtliche Verfolgung des sich aus § 1096 Abs 1 ABGB ergebenden Unterlassungsanspruchs der Klägerin durch eine zwischenzeitig eintretende Veränderung des bestehenden Bau- und Lagezustands iSd § 381 Z 1 EO massiv erschwert, ja gleichsam vereitelt, weil die dadurch verursachten schwerwiegenden Schädigungen der vertraglichen Rechte der Klägerin und ihres Betriebs nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten: Bereits ab Beginn der Bauarbeiten werde es zu einer starken Beeinträchtigung der Sichtbarkeit des Mietobjekts und des gesamten Fachmarktzentrums und in weiterer Folge zu einem massiven Rückgang der Kundenfrequenz kommen, und nach Durchführung des Umbaus würden ‑ auch im Fall außerordentlich intensiver und qualitätsvoller Marketingmaßnahmen ‑ die durch die Umgestaltung des Standorts abwandernden Kunden der Klägerin nicht mehr zurückzugewinnen sein. Außerdem werde der Verlust des Werbepylons mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr kompensiert werden können. Der Klägerin würden durch die unmittelbar bevorstehende Umsetzung der geplanten rechtswidrigen Baumaßnahmen samt Abriss des Werbepylons also sämtliche Nachteile entstehen, die durch die Unterlassungsklage verhindert werden sollten.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Die Voraussetzungen des § 381 Z 1 EO lägen nicht vor. Selbst wenn die Beklagte unzulässigerweise Baumaßnahmen vornehmen sollte, stehe es der Klägerin frei, ihr Unterlassungsbegehren in ein Wiederherstellungsbegehren zu ändern, weshalb die Durchsetzung ihres Anspruchs auch ohne Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht gefährdet sei. Eine einstweilige Verfügung dürfe überdies ‑ außer nach der Bestimmung des § 381 Z 2 EO, auf die sich die Klägerin nicht gestützt habe ‑ der endgültigen Entscheidung nicht vorgreifen.

Das Rekursgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Nach den Feststellungen sei evident, dass die Beklagte die den Gegenstand der Unterlassungsklage bildenden baulichen Veränderungen der Liegenschaft durchführen wolle und dies durch Einteilung in Bauabschnitte bereits vorbereitet habe. Damit könne aber kein Zweifel daran bestehen, dass die Verfolgung des Unterlassungsanspruchs ohne Erlassung der einstweiligen Verfügung vereitelt oder erheblich erschwert würde. Die Klägerin habe also ihre Gefährdung iSd § 381 Z 1 EO bescheinigt. Das mit der beantragten einstweiligen Verfügung angestrebte befristete Unterlassungsgebot greife entgegen der Ansicht des Erstgerichts auch dem endgültigen Urteil nicht vor. Die einstweilige Verfügung sei deshalb zu erlassen, ohne dass es auf die im Rekurs relevierten Feststellungsmängel ankomme.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs begehrt die Beklagte, die Entscheidung des Rekursgerichts als nichtig aufzuheben, hilfsweise sie dahin abzuändern, dass der Provisorialantrag abgewiesen werde, oder die einstweilige Verfügung nur gegen Erlag einer Sicherheitsleistung von 4.848.256 EUR zu erlassen; wiederum hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil dem Rekursgericht eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist.

Der Klägerin wurde daher die Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung freigestellt, mit der sie beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt nur dann vor, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt, nicht aber bei bloß mangelhafter Begründung (7 Ob 226/15h; RIS-Justiz RS0007484; RS0042133). Dass sich das Rekursgericht darauf beschränkt hat, die Argumente des Erstgerichts zu widerlegen, ohne sich näher mit dem zu sichernden ‑ von ihm offenbar stillschweigend als jedenfalls bestehend erachteten ‑ Unterlassungsanspruch auseinanderzu-setzen, macht seine Entscheidung somit nicht nichtig.

2. Soweit der Provisorialantrag darauf abzielt, der Beklagten vorläufig die Durchführung, Veranlassung und/oder Gestattung der näher umschriebenen Baumaßnahmen zu verbieten, fehlt es entgegen der Ansicht des Rekursgerichts bereits an einer schlüssigen Behauptung der Gefährdung des Anspruchs der Klägerin, die durch Glaubhaftmachung konkreter Tatsachen darzutun ist (RIS-Justiz RS0011600 [T1]). Das Vorbringen der Klägerin, nach Durchführung des Umbaus (und bei dessen Weiterbestand) wäre es ihr nicht möglich, die durch die Umgestaltung des Standorts abwandernden Kunden zurückzugewinnen, kann nämlich eine Gefährdung iSd § 381 Z 1 EO ‑ und nur auf diese Vorschrift hat sie sich gestützt ‑ nicht begründen. Die Auswirkungen der Umsetzung der geplanten Baumaßnahmen auf die wirtschaftliche Situation der Klägerin haben nichts mit der in diesem Zusammenhang allein entscheidenden Frage zu tun, ob die gerichtliche Verfolgung oder Durchsetzung des zu sichernden Anspruchs ‑ also des behaupteten Anspruchs auf Zuhaltung des Mietvertrags ‑ ohne das begehrte Unterlassungsgebot vereitelt oder erheblich erschwert würde, ob es also ‑ für den Fall, dass sich ihr Unterlassungsanspruch als berechtigt herausstellen sollte ‑ unmöglich wäre, die bereits vorgenommenen baulichen Veränderungen wieder rückgängig zu machen.

In diesem Umfang ist schon deshalb der Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen, ohne dass es in diesem Stadium des Verfahrens erforderlich wäre, auf die Berechtigung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs einzugehen.

3. Hinsichtlich des Werbepylons hat die Klägerin demgegenüber ihre Gefährdung iSd § 381 Z 1 EO schlüssig behauptet, indem sie sich darauf stützte, dass eine Neuerrichtung des Pylons nach einem allfälligen ‑ von der Beklagten angeblich aktuell geplanten ‑ Abriss künftig nicht mehr behördlich genehmigt würde, ein der Klage insoweit stattgebendes Urteil also faktisch nicht durchgesetzt werden könnte.

Allerdings hat sie den zu sichernden Anspruch auf Unterlassung der Entfernung des Werbepylons nicht schlüssig dargestellt, weil sie diesen nur mit der Vereinbarung zwischen ihr und der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 10. Februar 2004 (von der Klägerin als Beilage „./9“ vorgelegt) und damit begründet hat, dass der Werbepylon aufgrund der Vereinbarung zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und allen Mietern (Beilage „./11“) von ihrem Mietverhältnis mitumfasst und die Fläche, auf der er errichtet worden sei, als ihrem Mietobjekt zugehörige, mitvermietete Fläche zu qualifizieren sei.

Das letztgenannte Argument ist nicht nachvollziehbar; auch die Klägerin vermag keine Rechtsgrundlage für ihre Ansicht anzuführen, durch die bloße Kostentragungsvereinbarung zwischen der Vermieterin und sämtlichen Mietern sei sie (allein?) Mieterin jener Fläche außerhalb ihres Geschäftslokals geworden, auf der der Werbepylon errichtet wurde. Aus dem Vergleich zwischen ihr und der Rechtsvorgängerin der Beklagten (Beilage „./9“) ergibt sich lediglich ein Anspruch der Klägerin auf Anbringung einer zusätzlichen werblichen Darstellung ihres Logos im Bereich des Fachmarktzentrums.

Im Ergebnis ist der Provisorialantrag daher auch in diesem Umfang unschlüssig und ‑ ohne vorheriges Verbesserungsverfahren (RIS-Justiz RS0005225 [T2, T5]; RS0005452 [T6, T7, T11]) ‑ abzuweisen. Es schadet deshalb nicht, dass das Erstgericht ‑ was das Rekursgericht bei seiner Entscheidung offenbar übersah ‑ keine Feststellungen zur Gefährdung der Klägerin getroffen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 402 Abs 4, § 78 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. An Erhöhung der Entlohnung im elektronischen Rechtsverkehr steht der Beklagten jedoch nicht der verzeichnete Betrag von 7,90 EUR zu (der gemäß § 23a RATG nur in Grundbuch- und Firmenbuchsachen unter bestimmten Voraussetzungen gebührt), sondern nur der Betrag von 2,10 EUR. Die Pauschalgebühr für den Revisionsrekurs beträgt nach Anmerkung 1a zu TP 3 GGG nur die Hälfte der Tarifpost nach TP 3 lit a GGG, hier also ‑ bei einer Bemessungsgrundlage von 750 EUR (§ 16 Abs 1 Z 1 lit c GGG) ‑ nur 102 EUR.

Stichworte