OGH 6Ob159/15y

OGH6Ob159/15y26.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Dieter Benko, Rechtsanwalt in Innsbruck, als Insolvenzverwalter im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des B***** M*****, gegen die beklagte Partei Dr. Bernd Schmidhammer, Rechtsanwalt in Innsbruck, als Insolvenzverwalter im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Mag. G***** B*****, wegen Feststellung (Streitwert 47.547,88 EUR) über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. Juli 2014, GZ 1 R 119/14b‑34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 17. März 2014, GZ 16 C 963/12i‑29, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die mit 2.766,06 EUR (darin 461,01 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 4.715,88 EUR (darin 331,98 EUR USt und 2.724 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des B***** M*****, der Beklagte Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mag. G***** B*****. B***** M***** wurde gegen ein Entgelt von 1.000 EUR von Mag. G***** B***** (Gesellschafter) zum Geschäftsführer der P***** F***** GmbH bestellt. Die Eintragung im Firmenbuch erfolgt im November 2007. B***** M***** ist gelernter Elektrotechniker und hat keine für die Geschäftsführung einer GmbH erforderliche Ausbildung. Mag. B***** versicherte ihm, seine Geschäftsführertätigkeit sei lediglich vorübergehender Natur und mit wenig Arbeit verbunden. Faktisch übte die Geschäftsführertätigkeit weiter Mag. B***** aus; dieser war in Kenntnis darüber, dass die P***** F***** GmbH zu diesem Zeitpunkt bereits überschuldet war, ließ darüber jedoch B***** M***** in Unkenntnis.

Im Juni 2008 erfolgte durch die Gesellschaft der Ankauf einer Eigentumswohnung in Innsbruck und der sofortige Weiterverkauf an die Gesellschafterin der P***** F***** GmbH, B***** H*****. Nach dem Kaufvertrag sollte der Nettokaufpreis von 225.000 EUR auf das Konto der P***** F***** GmbH bei der Sparkasse K***** überwiesen werden; die Entrichtung der Umsatzsteuer von 45.000 EUR sollte durch „Überrechnung“ auf den Steuerkonten der Vertragsteile beglichen werden. Die Hypothekargläubigerin Sparkasse K***** forderte im Zuge der Lastenfreistellung, dass der gesamte Kaufpreis in Höhe von 270.000 EUR zuzüglich Kosten auf das Konto der P***** F***** GmbH überwiesen werden sollte. Mag. B***** trug dem abwickelnden Notar auf, den Bruttokaufpreis von 270.000 EUR zur Gänze auf das Konto der Sparkasse K***** zur Anweisung zu bringen. B***** M***** war über den konkreten Inhalt und die Folgen dieses Kaufvertrags nicht in Kenntnis gesetzt worden.

Ein Überrechnungsantrag war daraufhin nicht mehr durchführbar. Es entstand auf dem Abgabenkonto der P***** F***** GmbH eine Umsatzsteuerzahllast in Höhe von 45.000 EUR.

Über das Vermögen der P***** F***** GmbH wurde am 10. 2. 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet, über Mag. G***** B***** am 31. 3. 2009.

In der Folge erließ das Finanzamt Innsbruck gegen den Geschäftsführer B***** M***** am 17. 11. 2009 einen Haftungsbescheid über 46.521,39 EUR. Dieser Bescheid ist mittlerweile rechtskräftig.

Im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des B***** M***** meldete das Finanzamt aufgrund des Rückstandsausweises vom 15. 9. 2011 seine Forderung an. In der Folge meldete der Kläger seinerseits eine Forderung über 47.547,88 EUR im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mag. G***** B***** an. Diese Forderung wurde vom Beklagten bestritten.

Im vorliegenden Prüfungsverfahren begehrt der Kläger die Feststellung der angemeldeten Forderung. Dazu bringt er im Wesentlichen vor, B***** M***** sei von Mag. G***** B***** bewusst und widerrechtlich in seinem Vermögen geschädigt und getäuscht und seine persönliche Haftung herbeigeführt worden. Darüber hinaus hafte Mag. G***** B***** als früherer Geschäftsführer der P***** F***** GmbH gegenüber B***** M***** im Innenverhältnis auch für Abgabenschulden, die aus dem Zeitraum seiner Geschäftsführertätigkeit entstanden seien (Anspruchszinsen, Verspätungszuschläge, Stundungszinsen etc), die auf sein Verhalten zurückzuführen sei. Insgesamt habe Mag. G***** B***** vorsätzlich in Schädigungsabsicht zum Nachteil des B***** M***** gehandelt. Die P***** F***** GmbH sei überschuldet gewesen, sodass Mag. G***** B***** als damaliger Geschäftsführer auch verpflichtet gewesen sei, einen Konkurseröffnungsantrag zu stellen. Die Verletzung dieser Pflicht treffe auch einen ausgeschiedenen Geschäftsführer; der Schutzzweck der übertretenen Vorschrift erfasse auch später eingetretene Geschäftsführer, also auch B***** M*****.

Der Beklagte bestritt. Der Vorgang im Zusammenhang mit der Abwicklung des Liegenschaftskaufvertrags könne keine Schadenersatzpflicht von Mag. G***** B***** gegenüber B***** M***** auslösen. Tätigkeiten von Mag. G***** B***** nach der am 31. 3. 2009 erfolgten Eröffnung des Konkursverfahrens, mögen diese auch schadenersatzbegründend sein, könnten nicht dazu führen, eine Forderung im nunmehrigen Konkursverfahren anzumelden. Die Forderung des Finanzamts sei von B***** M***** bisher nicht berichtigt worden. Ein Regress finde aber erst dann statt, wenn der Verpflichtete den Schaden beglichen habe. Überdies treffe B***** M***** ein Mitverschulden, weil er sich selbst darauf eingelassen habe, Geschäftsführer zu werden, ohne dafür qualifiziert zu sein.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Den Geschäftsführer einer GmbH treffe die Verpflichtung, bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Konkurseröffnungsantrag zu stellen. Die Haftung für die Verletzung dieser Verpflichtung treffe auch den ausgeschiedenen Geschäftsführer. Vom Schutzzweck dieser Vorschrift seien auch Neugesellschafter und Neugeschäftsführer umfasst. Die Fälligkeit der Klagsforderung sei mit Rechtskraft des Rückstandsausweises gegeben. Ein Mitverschulden von B***** M***** sei nicht anzunehmen, weil Mag. G***** B***** ihn bewusst aus allen Geschäftsangelegenheiten herausgehalten und seine Unerfahrenheit ausgenutzt habe.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab. Für das Entstehen eines Regressanspruchs nach § 1313 Satz 2 ABGB sei grundsätzlich an den Zeitpunkt der Zahlung anzuknüpfen. Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Regressanspruchs treffe den Kläger; dieser Behauptungs‑ und Beweislast sei der Kläger nicht nachgekommen.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts auf den Einzelfall zugeschnitten sei und sich auf eine gesicherte Rechtsprechung stützen könne.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.

1.1. Dass jedenfalls das Verhalten des Mag. G***** B***** als faktischer Geschäftsführer unter Beachtung der mit B***** M***** betroffenen Vereinbarungen als rechtswidrig anzusehen ist, stellt auch das Berufungsgericht nicht in Zweifel. Das Berufungsgericht hat seine Abweisung auf § 1313 ABGB gestützt. Nach völlig herrschender Auffassung setzt das Regressrecht zumindest in den Fällen der Solidarhaftung Zahlung voraus ( Reischauer in Rummel ABGB 3 § 1313 Rz 4; RIS-Justiz RS0017558). Die Entscheidung SZ 60/73 leitet dies aus dem Wort „Rückersatz“ in § 1313 ABGB ab. Nach Reischauer (aaO) ist „dies nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen“.

1.2. Die Anwendung dieser Bestimmung erfordert jedoch ‑ wie sich aus der systematischen Stellung der Bestimmung zweifelsfrei ergibt ‑, dass der Regressnehmende im Außenverhältnis seinerseits nach schadenersatzrechtlichen Bestimmungen für fremdes Handeln haftet. Der gegen B***** M***** erlassene Haftungsbescheid nach § 9 BAO setzt demgegenüber zwar Verschulden voraus, beruht aber nicht auf einem zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch für fremdes Handeln. Vor allem stützt sich der Kläger noch gar nicht auf § 1313 ABGB.

1.3. Die Bestimmung des § 896 ABGB ist zwar auch auf das Innenverhältnis zwischen mehreren Schadenersatzpflichtigen anwendbar (RIS-Justiz RS0017522). Diese Bestimmung betrifft jedoch nur das Verhältnis zwischen mehreren solidarisch Haftenden und ist im vorliegenden Fall daher schon aus diesem Grund nicht einschlägig. Darauf, dass Mag. G***** B***** auch gegenüber dem Finanzamt (gemeinsam mit B***** M*****) solidarisch haften würde, hat der Kläger seine Klage nicht gestützt und hat dies auch der Beklagte nicht geltend gemacht.

2.1. Aufwendungen zur Schadensbeseitigung stellen einen positiven Schaden dar ( Kodek in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON § 1293 Rz 10; Reischauer in Rummel , ABGB³ § 1293 Rz 5a); diese sind daher bereits bei leichter Fahrlässigkeit zu ersetzen ( Apathy , Aufwendungen zur Schadensbeseitigung [1979] 44 ff, 92 ff; Kodek aaO). Nach herrschender Auffassung stellt auch das Hinzukommen von Passiva einen positiven Vermögensschaden dar, weil das gegenwärtige Vermögen durch diese Belastung eine Minderung erfährt (5 Ob 189/62 SZ 65/83; 6 Ob 141/63; 1 Ob 516/89; 1 Ob 3/92 SZ 65/125; 6 Ob 191/04p SZ 2005/16; 4 Ob 7/08w; 2 Ob 210/07g; RIS‑Justiz RS0022518; RS0022568). Diese Rechtsprechung wurde auch auf Abgabenschulden angewendet (4 Ob 7/08w).

2.2. Der Entscheidung des Berufungsgerichts liegt der Sache nach offenbar die Erwägung zugrunde, dass, würde man im vorliegenden Fall den vom Kläger ausschließlich geltend gemachten Geldersatzanspruch bejahen, der geleistete Ersatz nur zu einem Bruchteil dem Finanzamt zugutekäme, weil dessen Forderung ‑ wie diejenige aller anderen Insolvenzgläubiger ‑ im Insolvenzverfahren nur quotenmäßig befriedigt wird.

2.3. Würde man im vorliegenden Fall einen sofort fälligen Zahlungsanspruch des Geschädigten verneinen, so würde dies dazu führen, dass dieser Anspruch zumindest teilweise außerhalb des Insolvenzverfahrens weiterbestünde. Dafür, dem Finanzamt als Drittgläubiger im Ergebnis im Konkurs der Geschädigten eine einem Absonderungsrecht vergleichbare Rechtsposition zuzubilligen, und es dadurch zu privilegieren wurden (außerhalb des Anwendungsbereichs der Sonderregelung des § 157 VersVG) keine Grundlagen geltend gemacht. Die Annahme einer unbedingten Zahlungspflicht des Schädigers gegenüber dem Geschädigten führt auch nicht zu einer unbilligen Belastung des Schädigers, wird er doch durch die Bezahlung des betreffenden Betrags von seiner Schuld gegenüber dem Geschädigten befreit. Auf eine eigene Haftung gegenüber dem Finanzamt (§ 896 ABGB) hat sich der Schädiger ja nicht berufen. Darin, dass der Drittgläubiger, im vorliegenden Fall also das Finanzamt, nur die Quote erhält, liegt auch keine Benachteiligung des Geschädigten, weil die Zahlung des Schädigers auch die Quote für alle anderen Gläubiger erhöht, sodass der Geschädigte in diesem Umfang diesen gegenüber befreit wird, sofern es im Insolvenzverfahren nicht ohnedies zur Restschuldbefreiung kommt. Damit erweist sich aber die Rechtsansicht des Erstgerichts als durchaus sachgerecht.

3.1. An diesem Ergebnis änderte sich auch nichts, wenn man im Sinne der neueren Lehre ( Oberhofer , Die entstandene Ersatzverpflichtung als Schadensbild, ÖJZ 1995, 180; Kodek , Der schadenersatzrechtliche Freistellungsan-spruch ‑ das unbekannte Wesen, Zak 2015, 204) davon ausgeht, dass dem Geschädigten, wenn ihm ein Schaden in Form des Entstehens einer Verbindlichkeit entsteht, nicht ein sofort fälliger Anspruch auf Geldersatz, sondern ein Freistellungsanspruch zusteht. Dies wird aus dem Grundsatz der Naturalrestitution (§ 1323 ABGB) abgeleitet. Die Naturalrestitution in Form der Befreiung von einer Verbindlichkeit beruht darauf, dass der Geschädigte seinerseits (im Verhältnis zum Schädiger zu Unrecht) mit einer Haftung belastet ist ( Schiemann in Staudinger , BGB § 249 Rz 202; Kodek aaO Zak 2015, 204 [205]).

3.2. Allerdings kann der Schädiger nach herrschender Auffassung zwischen der Vornahme der Naturalrestitution und Geldersatz wählen (RIS‑Justiz RS0112887; vgl auch Hinteregger in Kletecka/Schauer , ABGB-ON § 1323 Rz 5 und 11 mwN). Jedenfalls dann, wenn der Schädiger die Freistellung verweigert, muss dem Geschädigten die Möglichkeit einer Zahlungsklage zugebilligt werden.

3.3. Im Übrigen verwandelt sich nach herrschender Auffassung zum deutschen Recht bei Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Freistellungsgläubigers der Freistellungsanspruch in einen Geldanspruch; der Freistellungsverpflichtete hat also Zahlung an die Masse in jener Höhe zu leisten, die er auch ohne Insolvenzeröffnung leisten müsste (vgl BGH NJW 1994, 49; Krüger in MünchKomm BGB6 [2012] § 257 Rz 10 mwN; Peters in MünchKomm InsO³ § 35 Rz 399; Bischoff, Der Befreiungsanspruch ‑ materielle und prozessuale Probleme, ZZP 120 [2007] 237, 247 ff; aA Gursky, Befreiungsansprüche im Konkurs des Befreiungsgläubigers, KTS 1973, 27). Der Befreiungsschuldner muss also den gesamten Betrag in die Masse einzahlen; der Drittgläubiger kann nur quotenmäßige Befriedigung verlangen und steht damit den anderen Gläubigern der Masse gleich (Bischoff aaO). Dadurch wird verhindert, dass der Drittgläubiger ein Aussonderungsrecht in Bezug auf den Befreiungsanspruch und damit im Gegensatz zu den übrigen Insolvenzgläubigern volle Befriedigung erhält (Bischoff aaO mwN).

3.4. Zudem wurde im vorliegenden Fall auch über das Vermögen des Befreiungsschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Daher ergibt sich schon aus § 14 Abs 1 IO, dass sich der Befreiungsanspruch in eine Geldforderung verwandelt. Dies entspricht auch der völlig einhelligen Auffassung zum deutschen Recht (vgl nur Bischoff aaO; Krüger in MünchKomm BGB6 [2012] § 257 Rz 11).

4. Damit erweist sich aber die Entscheidung des Erstgerichts im Ergebnis als zutreffend, sodass diese in Stattgebung der Revision wiederherzustellen war.

5. Aufgrund der Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts war auch die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren neu zu fassen. Diese gründet sich ebenso wie die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.

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