OGH 26Os14/15a

OGH26Os14/15a6.4.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 6. April 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Angermaier und Dr. Hofmann sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Danzl in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kühlmayer als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 8. Mai 2015, AZ D 234/12, 191/13, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Erste Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, des stellvertretenden Kammeranwalts Dr. Reif‑Breitwieser, des Beschuldigten und seines Verteidigers Prof. Dr. Wennig zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

Demnach hat er im Verfahren 19 Cg 98/12a des Handelsgerichts Wien

a) mit den Schriftsätzen vom 27. September 2012 und vom 9. Oktober 2012 den in diesem Verfahren tätigen Klagevertretern ***** und *****, beide Rechtsanwälte in *****, „vorgeworfen, diese würden die ***** AG wider besseren Wissens absichtlich zu schädigen versuchen bzw die Klägerin bei deren Vorhaben zumindest unterstützen, den Streit verkündet“;

b) mit Schriftsatz vom 11. April 2013 der in diesem Verfahren tätigen Klagevertreterin *****, Rechtsanwältin in *****, „vorgeworfen, sie hätte einen Rechtsmissbrauch der Klageführung auf Grund ihres zurechenbaren Wissenstandes zu verantworten, den Streit verkündet“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten (vgl RIS‑Justiz RS0128656).

Im angefochtenen Erkenntnis ging der Disziplinarrat auf der Sachverhaltsebene (RIS‑Justiz RS0092588) ‑ wenn auch formal im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (Punkt 4.2. seiner Begründung, idS auch 4.3. und 4.4. des Disziplinarerkenntnisses) ‑ davon aus, dass in den gegenüber den Gegenvertretern getätigten Vorwürfen Geltendmachung von Arglist im Sinn der rechtswidrigen, vorsätzlichen Täuschung beinhaltet ist. Rechtlich verneinte der Disziplinarrat eine sachliche Rechtfertigung dafür. Demnach habe der Beschuldigte gegen § 18 RL-BA verstoßen.

Die Berufung verfehlt ihr Ziel.

1. Das einer abstrakten Aufzählung verschiedener, in der Berufung pauschal behaupteter „Begründungsmängel“ (BS 2 f) folgende Vorbringen legt nicht deutlich und bestimmt dar, welche der vom Gesetz (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) auf der Feststellungs‑ und auf der Beweiswürdigungsebene der angefochtenen Entscheidung eröffneten Anfechtungsmöglichkeiten (vgl zB Fabrizy, StPO12 § 281 Abs 1 Rz 46 ff) in Anspruch genommen werden sollen.

2. Die insoweit nicht ausgeführte Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld iSd § 464 Z 2 erster Fall StPO weckt keine Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen den in der angefochtenen Entscheidung vom Disziplinarrat festgestellten Sachverhalt.

3. Soweit sich die Berufung gegen die rechtliche Beurteilung jenes Sachverhalts wendet (der Sache nach aus Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO), ist ihr zu erwidern:

Das Vorbringen, der Beschuldigte sei nicht zur inhaltlichen Überprüfung der inkriminierten Textpassagen der Schriftsätze verhalten gewesen, weil die Verfasserin ***** eine mit der Materie „bestens vertraute“ Rechtsanwältin sei und die A***** Ltd „jedenfalls massiv gegen rechtliche Normen“ verstoßen habe, entfernt sich (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0099810) von den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis (siehe dort die Punkte 3.2.4., 3.2.7. und 3.2.10.), wonach der Beschuldigte die Schriftsätze mit der Verfasserin erörtert und vor der Abfertigung genehmigt hat.

Soweit der Beschuldigte vermeint, gemäß § 9 RAO berechtigt zu sein, unumwunden vorzubringen, was er bei der Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, ist ihm grundsätzlich beizupflichten, doch ist es dem Rechtsanwalt gemäß § 18 RL‑BA aF (nunmehr übrigens § 21 Abs 1 RL‑BA 2015) untersagt, den Rechtsanwalt der anderen Partei unnötig in den Streit zu ziehen oder persönlich anzugreifen. Steht auch unbestritten Rechtsanwälten ein aus Art 10 MRK (und auch Art 13 StGG) erfließendes Recht zu, sachliche Kritik in gebotener Form an Standesvertretern oder an Kollegen zu üben (Berka, Die Grundrechte: Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich, Rz 570, mN zur Rsp des VfGH), so ist herabsetzende und unbegründete Kritik über das berufliche Verhalten eines Standeskollegen doch unzulässig. Der Beschuldigte lässt bei seinen Ausführungen die Feststellung der fehlenden Rechtskraft der Vorentscheidung des Handelsgerichts Wien ebenso außer Acht (ES 16) wie die Folge der Streitverkündigung, nämlich die Verhinderung der weiteren Vertretung des eigenen Mandanten.

Mit dem Vorbringen, das Wissen der gegnerischen Rechtsvertreter „von den Machenschaften“ der A***** Ltd liege „auf der Hand“, sodass der Rechtsanwalt den Wunsch seiner Mandantin nach dem inkriminierten Vorbringen nicht ablehnen dürfe und eine Nachforschungspflicht nur vor Erstattung einer Strafanzeige bestehe, macht die Berufung einen Rechtfertigungsgrund geltend, der jedoch in den Feststellungen, die ‑ der Sache nach zu den Fakten a) und b) ‑ den Vorwurf eines Prozessbetrugs umfassen (ES 15), keine Deckung hat.

Soweit der Beschuldigte bei der Begründung der Streitverkündigung (Vorbringen in den inkriminierten Schriftsätzen) insinuiert hat, dass die von ihm vorgebrachten Verstöße der Gegenvertreter gegen § 9 RAO auch als Verstoß gegen eine dem von ihm vertretenen Prozessgegner geschuldete Sorgfalt zu werten gewesen seien, verkennt er, dass § 9 RAO kein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB ist (RIS‑Justiz RS0102369). Insofern war die Streitverkündigung, die bei der Erstrichterin auf Bedenken gestoßen ist und zur Disziplinaranzeige geführt hat, gar nicht schlüssig ausgeführt (ES 4, 9). Dies würde den Vorwurf des unnötigen In‑den‑Streit‑Ziehens aber selbst dann tragen, wenn dem Beschuldigten nicht anzulasten wäre, dass er die gegnerischen Anwälte der Mitwirkung an einem Prozessbetrug bezichtigen wollte.

Entgegen der Berufung wurde „Wissentlichkeit“ nicht festgestellt, vielmehr lässt sich der Wille des Spruchkörpers erkennen (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19; RIS‑Justiz RS0117228), jedenfalls fahrlässiges Handeln des Beschuldigten zu konstatieren (ES 11, vgl auch 19; RIS‑Justiz RS0055146; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 855). Weshalb Feststellungen zur Verletzung der Kontrollpflicht angesichts der getroffenen, vorstehend schon angesprochenen Konstatierungen (ES 9, 10, 11, 19) hinaus noch erforderlich gewesen wären, sagt die Berufung nicht.

Die von § 1 Abs 1 Z 2 DSt alternativ formulierte Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes kann ‑ wie hier ‑ auch kumulativ vorliegen, was der Disziplinarrat zudem klar zum Ausdruck brachte, indem er den Vorwurf in den Schriftsätzen zutreffend als den eines (versuchten) Prozessbetrugs einstufte (ES 15).

Die Kenntniserlangung durch einen größeren Personenkreis wurde ebenso konstatiert wie die Schwere des Vorwurfs (ES 19). Demnach kann keine Rede davon sein, die Streitverkündigung sei lediglich den beiden „Gegenanwälten“, die ‑ was die Berufung verschweigt ‑ ihr Mandat daraufhin zurücklegten (ES 10; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 859), sowie der daraufhin einschreitenden Rechtsanwältin bekannt geworden (siehe auch ES 18).

Mit Blick auf das von § 18 RL‑BA aF (nunmehr übrigens § 21 Abs 1 RL‑BA 2015) pönalisierte (schlichte) In‑den‑Streit‑Ziehen (RIS‑Justiz RS0056108) bedurfte es der Feststellung einer Gefahr der Minderung der Wertschätzung nicht.

4. Über den Beschuldigten hat der Disziplinarrat die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt, somit die geringste mögliche Strafe (§ 16 DSt). Für eine Reduktion (vgl § 49 DSt aE) blieb daher kein Raum.

5. Der Berufung war demnach ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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