European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00115.15H.0309.000
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Graz führt zu AZ 16 St 112/07y ein Ermittlungsverfahren (unter anderem) gegen Mag. Rudolf R***** wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen.
In diesem Verfahren erhob der genannte Beschuldigte mit Schriftsatz vom 18. November 2014 Einspruch wegen Rechtsverletzung.
Mit ‑ in mündlicher Verhandlung (§ 107 Abs 2 StPO) verkündetem ‑ Beschluss vom 30. Dezember 2014, AZ 5 HR 57/14z, der dem Verteidiger des Beschuldigten am 7. Jänner 2015 in schriftlicher Ausfertigung zugestellt wurde, wies der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz diesen Einspruch ab.
Das Oberlandesgericht Graz als Beschwerdegericht wies eine dagegen mit Schriftsatz vom 19. Jänner 2015 erhobene Beschwerde des Beschuldigten mit Beschluss vom 29. Jänner 2015, AZ 9 Bs 28/15h, als unzulässig zurück. Schon die Verkündung, nicht erst die Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des erstgerichtlichen Beschlusses habe die ‑ in § 88 Abs 1 zweiter Satz StPO normierte ‑ 14‑tägige Beschwerdefrist in Gang gesetzt. Die ‑ somit erst nach deren Ablauf erhobene ‑ Beschwerde des Beschuldigten sei daher verspätet.
Eine weitere, mit Schriftsatz vom 2. März 2015 gegen denselben erstinstanzlichen Beschluss erhobene Beschwerde des Genannten wies das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 21. April 2015, AZ 9 Bs 28/15h, (wegen entschiedener Sache) zurück. Mit Beschluss vom selben Tag, AZ 9 Ns 17/15w, verweigerte es ferner die vom Beschuldigten mit Schriftsatz vom 18. Februar 2015 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumen der Beschwerdefrist.
Gegen diese (drei) Beschlüsse des Oberlandesgerichts Graz wendet sich der am 23. September 2015 eingebrachte Antrag des Beschuldigten auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO per analogiam). Er bringt vor, infolge „unzutreffend[er] und aus rechtsstaatlicher Sicht unerträglich[er]“ Auslegung des § 88 Abs 1 zweiter Satz StPO habe das Oberlandesgericht seine Beschwerde nicht inhaltlich erledigt. Dadurch glaubt er sein „Recht auf rechtliches Gehör gem Art 6 Abs 1 EMRK und § 6 StPO“ verletzt.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag ist unzulässig.
Bei einem ‑ wie hier ‑ nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge (RIS‑Justiz RS0122737; jüngst 15 Os 154/14g).
Es sind daher (unter anderem) die zeitlichen Schranken des Art 35 Abs 1 MRK zu beachten, der die Einhaltung einer sechsmonatigen Frist nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung verlangt (RIS‑Justiz RS0122736).
Außerdem muss der Erneuerungswerber die Opfereigenschaft (Art 34 MRK) substantiiert und schlüssig behaupten, also aus einer bestimmten Konventionsgarantie nach Maßgabe juristisch geordneter Gedankenführung vertretbar (RIS‑Justiz RS0128393) deren zu seinen Lasten wirkende Verletzung ableiten (RIS‑Justiz RS0124359 [insbesondere T1]; Reindl-Krauskopf , WK‑StPO § 363a Rz 31).
Soweit der Antrag (erkennbar auch) gegen die beiden Beschlüsse des Oberlandesgerichts Graz vom 21. April 2015, AZ 9 Bs 28/15h und AZ 9 Ns 17/15w, gerichtet ist, sie aber inhaltlich unbekämpft lässt, wird er Letzterem nicht gerecht.
Die (einzige) geltend gemachte Rechtsverletzung wäre vielmehr - auf Basis des Antragsvorbringens - durch den die (erste) Beschwerde des Beschuldigten vom 19. Jänner 2015 (als verspätet) zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 29. Jänner 2015, AZ 9 Bs 28/15h, bewirkt worden. Gegen diese Entscheidung stand dem Beschuldigten kein weiterer Rechtszug offen (§ 89 Abs 6 StPO).
Den Beginn der Frist des Art 35 Abs 1 MRK verzögern nur jene Rechtsbehelfe, die der Beschuldigte ergreifen muss, um dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs genüge zu tun (vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 13 Rz 22, 39).
Dies aber trifft nur auf effektive (wirksame, aussichtsreiche) Rechtsbehelfe zu; also solche, die nach innerstaatlichem Recht normalerweise verfügbar sowie geeignet und ausreichend sind, um das Gericht in die Lage zu versetzen, die behauptete Konventionsverletzung (wenigstens im Kern) zu prüfen und gerade im Hinblick darauf Abhilfe zu schaffen ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 13 Rz 26; Meyer-Ladewig , EMRK 3 Art 35 Rz 9 f, zu unzulässigen und aussichtslosen Rechtsbehelfen insbesondere Rz 23).
Dass die (zweite) Beschwerde vom 2. März 2015 oder der Wiedereinsetzungsantrag vom 18. Februar 2015 in diesem Sinn effektiv gewesen wären, wird vom Erneuerungswerber ‑ zu Recht ‑ gar nicht behauptet.
Von vornherein unzulässig war nämlich die ‑ auch unter Zugrundelegung der im Antrag vertretenen Rechtsauffassung ohnehin jedenfalls verspätete ‑ (zweite) Beschwerde des Beschuldigten vom 2. März 2015, die darauf abzielte, eine (andere, nämlich meritorische) Entscheidung des Beschwerdegerichts in derselben, bereits (letztinstanzlich) entschiedenen Sache herbeizuführen (vgl RIS‑Justiz RS0101270). Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumen der Beschwerdefrist wiederum hätte nur bei Vorliegen von im § 364 Abs 1 StPO genannten Gründen Erfolg versprochen, aber keineswegs die ‑ den behaupteten Konventionsverstoß betreffende ‑ Prüfung ermöglicht, ob das Gericht in seinem die (erste) Beschwerde des Beschuldigten zurückweisenden Beschluss rechtsirrig von Fristversäumnis ausgegangen sei (RIS‑Justiz RS0101189; Lewisch , WK‑StPO § 364 Rz 12).
In Bezug auf den (hier: in der angeblich konventionswidrigen Anwendung des § 88 Abs 1 zweiter Satz StPO gelegenen) Beschwerdegegenstand letztinstanzliche, somit endgültige innerstaatliche Entscheidung (RIS‑Justiz RS0122736 [T1]) war demnach der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 29. Jänner 2015, AZ 9 Bs 28/15h. Die ‑ nach der Aktenlage am 5. Februar 2015 erfolgte ‑ Zustellung einer Ausfertigung dieses Beschlusses an den Verteidiger des Beschuldigten löste somit die Frist des Art 35 Abs 1 MRK aus (vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 13 Rz 38).
Der am 23. September 2015, also mehr als sechs Monate danach eingebrachte Antrag ist daher, soweit er diesen Beschluss anficht, verspätet.
Bereits aus diesen Gründen war der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363b Abs 1, Abs 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)