OGH 11Os156/15y

OGH11Os156/15y16.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Februar 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B. als Schriftführerin in der Strafsache gegen Salifou D***** wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3, Abs 4 zweiter Fall FPG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 12. Oktober 2015, GZ 20 Hv 52/15w‑45, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00156.15Y.0216.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass werden das Konfiskations‑ und das Einziehungserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Linz verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Salifou D***** (zu 1) mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2 FPG (zu ergänzen: in der Fassung BGBl I 2013/144) und (zu 2) des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3, Abs 4 FPG schuldig erkannt.

Danach hat er (zusammengefasst und anhand der Entscheidungsgründe ergänzt) gewerbsmäßig die rechtswidrige Einreise oder Durchreise einer größeren Zahl von Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt (in einem den adäquaten Fuhrlohn übersteigenden Betrag) unrechtmäßig zu bereichern, indem er diese mit einem Fahrzeug der Marke Fiat Ducato Kombi transportierte, und zwar

(1) anlässlich von drei Fahrten in den Nächten zum 23., 24. und 25. Juli 2015 jeweils etwa sieben syrische Staatsangehörige (US 3, 5) von Ungarn über Österreich nach Deutschland;

(2) in der Nacht zum 26. Juli 2015 14 syrische Staatsangehörige gegen ein Entgelt von 500 Euro pro Person, wobei die Genannten, insbesondere während der Beförderung, längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden, weil sie auf engstem Raum über mehrere Stunden ausharren und um ihr Leben fürchteten mussten, da D***** aufgrund seiner Übermüdung mehrfach einschlief, wodurch das Fahrzeug wiederholt ins Schleudern geriet, die Leitplanken touchierte und ein weiterer Unfall nur durch den ins Lenkrad greifenden Beifahrer verhindert werden konnte, demnach die Tat auch auf eine das Leben der Fremden gefährdende Art und Weise begangen.

Gemäß § 19a Abs 1 StGB wurde das „im Eigentum des Angeklagten stehende, von diesem zur Begehung seiner vorsätzlichen Straftaten nach § 114 FPG verwendete Handy samt Ladegerät und der Asus Tablet‑Computer“ konfisziert.

Gemäß § 26 Abs 1 StGB wurde das „tatgegenständlich sichergestellte“ Navigationsgerät eingezogen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus Z 5, 9 [lit a] und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

§ 114 Abs 1 FPG stellt auf die Förderung der rechtswidrigen Einreise oder Durchreise von Fremden, also von Personen ab, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen (§ 2 Abs 4 Z 1 FPG). Gegen die Feststellungen zum Bewusstsein des Angeklagten um die Schleppung von „Flüchtlingen“ gerichtet, lässt die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) keinen Konnex zu schuld- und subsumtionsrelevanten Umständen erkennen und verfehlt solcherart den Bezugspunkt des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0106268). Im Übrigen erschöpft sich das Vorbringen, wonach das Erstgericht verkenne, dass dem Beschwerdeführer zugesichert worden sei, dass es sich bei den Passagieren um Verwandte seines syrischen Nachbarn handle (vgl dazu US 7), darin, die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung zu kritisieren.

Soweit die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) offenbar unzureichende Begründung der Feststellungen zur gewerbsmäßigen Intention behauptet, sich dabei aber nicht an der Gesamtheit der dafür maßgeblichen Entscheidungsgründe (vgl dazu US 9) orientiert, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt (US 9; RIS‑Justiz RS0119370).

Gleiches gilt für die den Schuldspruch 1) betreffende Kritik des Beschwerdeführers (Z 5 vierter Fall) an der Begründung der Feststellungen zu einem auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz, den das Erstgericht nicht nur aus der von der Rüge beanstandeten Gerichtsnotorietät von zu erbrachten Leistungen inadäquaten Schlepperlöhnen und dem Vorgehen bei der letzten Tat, sondern auch aus der ursprünglichen, von den Tatrichtern für glaubwürdig befundenen Verantwortung des Rechtsmittelwerbers ableitete, für alle vier Fahrten 5.000 Euro erhalten zu haben (US 8), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist.

Aktenwidrig (Z 5 letzter Fall) ist ein Urteil nur dann, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage (oder Urkunde) in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig (iS eines „falschen Zitats“) wiedergibt (RIS‑Justiz

RS0099431).

Die Feststellungen zum Schuldspruch 2 und zur Todesangst der Fremden über einen Zeitraum von mehr als drei Stunden sowie zur Gefährdung von deren Leben durch die Fahrweise und die starke Übermüdung des Angeklagten gründete das Erstgericht auf die für glaubwürdig befundenen Angaben der Zeugen Shahama A*****, Abdel‑Rahman M***** und des Khaled W***** (US 4, 9 f).

Ein Referat der einzelnen Aussagen der Zeugen zum von diesen übereinstimmend geschilderten Einschlafen des Angeklagten und zur Verhinderung eines Unfalls durch den Beifahrer findet sich in den Entscheidungsgründen nicht, weshalb die vom Beschwerdeführer unter dem Aspekt der mittelbaren und unmittelbaren Wahrnehmung behauptete Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) von vornherein ausscheidet.

Das gegen das Touchieren der Leitplanke gerichtete Vorbringen erschöpft sich im Übrigen darin, die tatrichterlichen Erwägungen ohne Aktenbezug in Zweifel zu ziehen.

Soweit die Mängelrüge eine im Urteil hervorgehobene Passage der Aussage des Shahama A***** zum Verhalten des Angeklagten nach der Verhinderung des Unfalls durch den Beifahrer (vgl US 5) falsch zitiert und auf dieser Basis einen Begründungsfehler im Sinn von Z 5 fünfter Fall des § 281 Abs 1 StPO behauptet, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Mit dem Einwand, auch die Angst, welche die Zeugen einvernehmlich schildern, sei nicht auf eigene Wahrnehmungen zurückzuführen, verlässt die Rüge (Z 5 fünfter Fall) den dargestellten Anfechtungsrahmen ebenso wie wenn sie auf die Anzahl der Sitzplätze des Fahrzeugs (US 10) und das Einlegen von Pausen (US 4) verweist.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810).

Indem die Rüge (nominell Z 9 lit a, der Sache nach auch Z 10) mehrere Feststellungen, und zwar zur subjektiven Tatseite in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Einreise und Durchreise der Fremden (US 5), zu einem auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz (US 5) und zur gewerbsmäßigen Intention (US 5) bestreitet, wird sie den dargelegten Anfechtungskriterien nicht gerecht.

Entgegen dem Einwand der Sanktionsrüge (Z 11) stellt das Abstellen auf generalpräventive Belange (vgl auch §§ 37 Abs 2, 43 Abs 1 StGB) weder einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) noch einen unvertretbaren Verstoß gegen die Bestimmungen über die Strafbemessung dar (vgl dazu RIS-Justiz RS0120234, RS0090946; Ebner in WK 2 StGB § 32 Rz 23 ff, 26, 59 f, 72).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Unter dem Blickwinkel des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO ist festzuhalten, dass den zu 1) ergangenen Schuldsprüchen wegen mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2 FPG idF BGBl I 2013/144 ein vom Beschwerdeführer ungerügt gebliebener Subsumtionsfehler anhaftet. Da die am 23., 24. und 26. Juli 2015 begangenen Taten nicht in tatbestandlicher Handlungseinheit begangen wurden, ging das Erstgericht zwar zu Recht von einer mehrfachen Begründung des Grundtatbestands des § 114 Abs 1 FPG (und mit Blick auf die Feststellungen zur gewerbsmäßigen Intention auch vom Vorliegen des Qualifikationstatbestands des § 114 Abs 3 Z 1 FPG) aus. Als rechtlich verfehlt erweist sich hingegen die Zusammenrechnung der Anzahl der bei den Transporten jeweils geschleppten Personen (vgl US 11) zur Annahme der Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 2 FPG. Eine § 29 StGB oder § 39 FinStrG vergleichbare Anordnung zur Bildung einer

Subsumtionseinheit mit der Folge, dass dadurch prozessual auch nur eine strafbare Handlung begangen worden wäre, findet sich im FPG nicht. Aus der Wortfolge des § 114 Abs 3 FPG „die Tat“ ist vielmehr abzuleiten, dass § 114 Abs 1 Z 2 FPG nur im Fall tateinheitlicher Schleppung der von der Qualifikationsnorm geforderten Personenanzahl zur Anwendung gelangt (s auch 11 Os 151/15p).

Der Qualifikationstatbestand des § 114 Abs 3 Z 2 FPG idF vor BGBl I 2015/121 ist bei den Schuldsprüchen 1) demzufolge nur dann anzulasten, wenn die einzelne Tat in Bezug auf eine größere Zahl von Fremden begangen wurde. Dies ist nach der Rechtsprechung ab einem Richtwert von etwa zehn Personen gegeben ( Jerabek in WK 2 StGB § 69 Rz 7; RIS‑Justiz RS0066542). Diesem Tatbestandserfordernis genügt die hier im Urteil festgestellte Förderung der Einreise oder Durchreise von jeweils sieben Personen (US 3) nicht. Der in der Annahme der Qualifikation auch nach § 114 Abs 3 Z 2 FPG gelegene Subsumtionsfehler stellt aber per se keinen Nachteil für den Angeklagten dar, weil er sich angesichts der weiteren Qualifikationen weder auf die Strafdrohung auswirkt noch darauf bezogene Erschwerungsmomente in Rechnung gestellt wurden (US 12; vgl Ratz, WK-StPO §

290 Rz 23 bis 25). Es bestand daher kein Anlass für ein Vorgehen im Sinn

des § 290 Abs 1 StPO (für das Oberlandesgericht s RIS‑Justiz RS0118870).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ auch von weiteren nicht geltend gemachten Nichtigkeiten überzeugt (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO), die dem Angeklagten zum Nachteil gereichen.

Nach § 19a Abs 1 StGB idF BGBl I 2010/108 sind zum Zeitpunkt der Entscheidung im Eigentum des Täters stehende Gegenstände zu konfiszieren, wenn sie vom Täter zur Begehung einer vorsätzlichen Straftat verwendet wurden oder von ihm dazu bestimmt worden waren, bei der Begehung der Straftat verwendet zu werden, oder durch diese Handlung hervorgebracht worden sind. Derartige Feststellungen sind dem Urteil aber nicht zu entnehmen (US 3, 5).

Einziehung nach § 26 Abs 1 StGB setzt voraus, dass die vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an (RIS‑Justiz RS0121298). Davon kann bei einem Navigationsgerät ‑ ohne Hinzutreten besonderer Eigenschaften ‑ in der Regel nicht die Rede sein. Feststellungen hiezu hat das Erstgericht nicht getroffen.

Da sich die Berufung des Angeklagten lediglich gegen die Strafe (nicht auch gegen Konfiskation und Einziehung) richtet, ist dem Berufungsgericht zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung der angeführten Nichtigkeiten zugunsten des Angeklagten nicht möglich und waren diese daher vom Obersten Gerichtshof gemäß §§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO aufzugreifen.

Über die Berufung des Angeklagten wird vorerst das Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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