OGH 27Os7/15d

OGH27Os7/15d2.2.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 2. Februar 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Schlager und Dr. Kretschmer als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen einer einstweiligen Maßnahme über die Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 17. Juni 2015, AZ D 159/14, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 60 Abs 1 OGH Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0270OS00007.15D.0202.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass Dr. ***** das Vertretungsrecht vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, den diesem in Strafsachen nachgeordneten Bezirksgerichten sowie all diesen Gerichten beigeordneten Strafverfolgungsbehörden bis zur rechtskräftigen Beendigung des Disziplinarverfahrens längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Disziplinarbeschuldigten oder bis zu einem rechtskräftig freisprechenden Urteil entzogen wird.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 17. Juni 2015, AZ D 159/14, wurde über den Disziplinarbeschuldigten Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, eine einstweilige Maßnahme nach § 19 Abs 1 Z 1 und Abs 3 Z 1 lit d DSt verhängt. Danach wurde ihm das Vertretungsrecht vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, den diesem in Strafsachen nachgeordneten Bezirksgerichten sowie all diesen Gerichten beigeordneten Strafverfolgungsbehörden bis zur rechtskräftigen Beendigung des Disziplinarverfahrens gegen den Disziplinarbeschuldigten entzogen.

Anlass dafür war das gegen den Disziplinarbeschuldigten zu AZ 32 St 47/14h der Staatsanwaltschaft Wien wegen des Verdachts des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 15 Abs 1, 146, 147 Abs 3 StGB geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Vorlage eines ihn (den Disziplinarbeschuldigten) begünstigenden Testaments und der entsprechenden Geltendmachung von Erbansprüchen nach dem am 20. August 2013 verstorbenen Mag. R***** B*****.

Gegen den Beschluss erhob der Disziplinarbeschuldigte Beschwerde mit dem Antrag, seine Sperre nach einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu beheben. Subsidiär beantragte er die Dauer der Sperre mit der Dauer des Ermittlungs‑, in eventu Strafverfahrens und mit der Wirksamkeit für das Landesgericht für Strafsachen Wien zu begrenzen. Der Beschwerde kommt teilweise Berechtigung zu.

Gemäß § 19 Abs 1 Z 1 DSt kann der Disziplinarrat einstweilige Maßnahmen bereits dann beschließen, wenn gegen einen Rechtsanwalt als Beschuldigten oder Angeklagten ein Strafverfahren nach der StPO geführt wird. Für die Verhängung der einstweiligen Maßnahme ist nicht der Nachweis einer gerichtlich strafbaren Handlung erforderlich, sondern es genügt eine ausreichende entsprechende Verdachtslage (RIS‑Justiz RS0119609, RS0107306). Für die Verhängung der einstweiligen Maßnahme ist die Besorgnis von schweren Nachteilen für die rechtsuchende Bevölkerung oder für das Ansehen des Anwaltsstands ausreichend (RIS‑Justiz RS0078293). Schwere Nachteile für die Bevölkerung sind aufgrund eines eingeleiteten Strafverfahrens bereits mit der Möglichkeit gegeben, dass der vom Rechtsanwalt seinen Mandanten geschuldete umfassende Einsatz für Strafgerichte nicht mehr gewährleistet ist, wenn sich dieser selbst als Beschuldigter zu verantworten hat (RIS‑Justiz RS0104960, RS0056748, RS0056752).

Rechtliche Beurteilung

Das gegen den Disziplinarbeschuldigten eingeleitete Strafverfahren zu AZ 32 St 47/14h der Staatsanwaltschaft Wien ist weiterhin anhängig. Der Beschwerde sind keine Argumente zu entnehmen, welche das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verhängung der einstweiligen Maßnahme in Zweifel ziehen. Die vom Disziplinarbeschuldigten ins Treffen geführten Gründe, wonach er bei der Errichtung des Testaments durch Mag. R***** B***** nicht anwesend, sondern im Ausland gewesen sei, bereits drei ihn vollständig entlastende Schriftsachverständigengutachten vorliegen und die drei mehrmals vernommenen Testamentszeugen den Sachverhalt „vollkommen nachvollziehbar“ dargelegt hätten, stellen lediglich Würdigungen der bisher im Ermittlungsverfahren hervorgekommenen Beweise dar, greifen aber die Voraussetzungen für die Verhängung der einstweiligen Maßnahme nicht an. Sie entkräften somit auch die mit Zwischenbericht des Untersuchungskommissärs dargestellte Verdachtslage nicht.

Der Beschwerde kommt jedoch im Sinne des Eventualantrags teilweise Berechtigung zu.

Bei der Anordnung einer einstweiligen Maßnahme nach § 19 DSt ist im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darauf zu achten, dass der Eingriff so behutsam wie möglich erfolgt, um dem Rechtsanwalt nicht seine wirtschaftliche Existenz zu entziehen (RIS‑Justiz RS0117087). Daher ist der Fall mit zu berücksichtigen, dass das gegen den Disziplinarbeschuldigten von der Staatsanwaltschaft geführte Ermittlungsverfahren eingestellt oder das gerichtliche Strafverfahren mit einem Freispruch endet, darüber hinaus aber das Disziplinarverfahren weiterhin anhängig bleibt. In einem solchen Fall wäre die Aufrechterhaltung des Entzugs des Vertretungsrechts im Sinne der angeordneten Maßnahme gesetzwidrig.

Der Antrag des Disziplinarbeschuldigten, die Maßnahme auf das Landesgericht für Strafsachen Wien zu beschränken, ist dagegen nicht berechtigt.

Abgesehen davon, dass nach Maßgabe der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens auch ein gerichtliches Strafverfahren bei einem dem Landesgericht für Strafsachen Wien nachgeordneten Bezirksgericht eingeleitet werden könnte, wären Nachteile für Mandanten, für die der Disziplinarbeschuldigte vor einem solchen Gericht tätig wäre, auch dann zu befürchten, wenn das Landesgericht, vor dem sich der Disziplinarbeschuldigte als Angeklagter zu verantworten hätte, in diesen Fällen als Rechtsmittelgericht in Betracht kommt. Nachteile für Mandanten des Disziplinarbeschuldigten sind umso mehr zu gewärtigen, wenn er für sie vor jener Strafverfolgungsbehörde tätig würde, die gegen ihn ermittelt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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