European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00230.15X.0127.000
Spruch:
Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.391,28 EUR (darin enthalten 731,88 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) ist der Rekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 iVm § 528a ZPO).
1. Am 3. 7. 2011 brannte das bei der Beklagten feuerversicherte Gasthaus der Klägerin ab. Dem Versicherungsverhältnis der Streitteile liegen die 10T ‑ Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung (ABS), die 11T ‑ Allgemeine Feuerversicherungs-bedingungen (AFB), die FMG‑Feuerversicherung Medium, die FMI‑Feuerversicherung Medium und die 17T ‑ Sonder-bedingungen für die Neuwertversicherung von Gebäuden und Einrichtungen zugrunde.
Die für das Rekursverfahren wesentlichen Bedingungen lauten auszugsweise:
„ 10T ‑ Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung (ABS)
[...]
Art 11
Sachverständigenverfahren
(1) Jeder Vertragspartner kann verlangen, dass Ursache und Höhe des Schadens durch Sachverständige festgestellt werden. Die Feststellungen, die die Sachverständigen im Rahmen ihrer Zuständigkeit treffen, sind verbindlich, wenn nicht nachgewiesen wird, dass sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen.
(2) Für das Sachverständigenverfahren gelten, [...]:
a) Jeder Vertragspartner ernennt einen Sachverständigen. [...].
Beide Sachverständigen wählen vor Beginn des Feststellungsverfahrens einen Dritten als Obmann. […].
b) Die Sachverständigen reichen ihre Feststellungen gleichzeitig dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer ein. Weichen die Feststellungen voneinander ab, übergibt der Versicherer sie unverzüglich dem Obmann. Dieser entscheidet über die strittig gebliebenen Punkte innerhalb der Grenzen beider Feststellungen und reicht seine Feststellung gleichzeitig dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer ein.
[...]
11T ‑ Allgemeine Feuerversicherungs-Bedingungen (AFB)
[...]
Art 4
Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Schadenfall
(1) Der Versicherungsnehmer hat im Fall eines drohenden Schadens oder eines eingetretenen Schadens, für den er Ersatz verlangt, folgende Obliegenheiten:
a) Er hat nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und dabei die Weisungen des Versicherers zu befolgen; gestatten es die Umstände, so hat er solche Weisungen einzuholen. Wegen des Ersatzes der Aufwendungen siehe Art 6.
[...]
(2) Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehenden Obliegenheiten, ist der Versicherer nach Maßgabe des § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG), im Fall der Verletzung der unter 1 lit a) genannten Obliegenheiten nach Maßgabe des § 62 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei.
[...] “
2. Art 11 ABS sieht zu Gunsten beider Parteien zum Zwecke der Herbeiführung einer raschen und kostengünstigen Entscheidung ein fakultatives (RIS‑Justiz RS0116382 zur Ärztekommission) Schiedsgutachterverfahren im Sinn des § 64 VersVG vor (7 Ob 126/08t).
3.1 Nach den Feststellungen wurden bei der Abführung des Sachverständigenverfahrens die in Art 11 Abs 2 ABS festgelegten Verfahrensregeln nicht (der Obmann der Sachverständigen wurde entgegen Art 11 Abs 2 lit a ABS erst nachträglich bestellt; die von den Sachverständigen der Parteien erstatteten Privatgutachten wurden nicht nach Art 11 Abs 2 lit b ABS eingereicht) eingehalten. Die nicht bedingungsgemäß (unter Missachtung der in den ABS festgelegten Verfahrensregeln) erfolgte Feststellung der Ursache und der Höhe des Schadens durch die Sachverständigen kann zur Folge haben, dass sie für die Parteien nicht bindend ist (RIS‑Justiz RS0082506).
3.2 Richtig ist, dass sich die Parteien auf abweichende Verfahrensregeln für das Sachverständigenverfahren einigen können. Wird in einem solchen Fall das Sachverständigenverfahren unter Beachtung dieser Verfahrensregeln durchgeführt, so ist die von den Sachverständigen im Rahmen ihrer Zuständigkeit getroffene Feststellung für die Parteien verbindlich, wenn sie dies vereinbart haben (RIS‑Justiz RS0080438).
3.3 Dahingestellt bleiben kann, ob die allenfalls nicht bedingungsgemäß erfolgte Feststellung nicht bindend ist und ob die Parteien von Art 11 Abs 2 lit a und b ABS abweichende Verfahrensregeln zur Bestellung des Obmanns und der Einreichung des Gutachtens vereinbarten. Dies aus nachstehenden Gründen:
4.1 Nach Art 11 Abs 1 ABS haben die bestellten Sachverständigen die Aufgabe, die Ursache und Höhe des behaupteten Schadens festzustellen. Gegenstand eines Schiedsgutachtervertrags ist lediglich die einer oder mehreren Personen übertragene Aufgabe, einzelne Tatbestandselemente oder einzelne Tatsachen festzustellen und allenfalls über die reine Tatsachenfeststellung hinaus den Parteiwillen durch einen entsprechenden Ausspruch zu ergänzen oder zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0045365). Die bestellten Sachverständigen haben nur die Aufgabe, die Ursache und Höhe des behaupteten Schadens festzustellen. Sie dürfen Rechtsfragen nicht lösen und sie sollen sich aus einer Stellungnahme zu solchen Fragen heraushalten; sie sind nur zur Feststellung einzelner Tatbestandselemente berufen (RIS‑Justiz RS0080464). Die Frage, ob überhaupt ein versicherungspflichtiger Unfall vorliegt, ist nicht von den Sachverständigen, sondern von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden. Soweit ein Versicherungsfall keine Leistungspflicht des Versicherers auslöst, zB wegen schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalls oder wegen Verletzung einer Obliegenheitspflicht oder wegen Nichtzahlung einer Folgeprämie bleibt kein Raum für die Durchführung des Schiedsverfahrens (RIS‑Justiz RS0080449 zur Ärztekommission). Setzt sich der Obmann über die ihm von den Parteien eingeräumten Grenzen seiner Entscheidung hinweg, so ist sein Spruch unverbindlich (7 Ob 148/14m = RIS‑Justiz RS0129822).
4.2 Der Obmann stellte bei der Erstattung seines Gutachtens vom 1. 7. 2013 darauf ab, welche Sanierungsmaßnahmen unter der Prämisse notwendig sind, dass sämtliche Erstmaßnahmen (Trocknung, Ausräumen, Verhinderung weiterer Wassereintritte) unter Einhaltung eines von ihm als üblich angenommenen Zeitraums durchgeführt worden wären. Auf dieser Basis errechnete er Zeitwert, Neuwert und Verkehrswert. Die von ihm erstellten Sanierungskonzepte stellten regelmäßig auf einen Zeitpunkt von vier Wochen nach dem Schadenseintritt ab.
Entgegen der Ansicht der Beklagten geht es hier nicht darum, dass der Obmann innerhalb der Grenzen der Privatgutachten der Streitteile einen anderen Bewertungsstichtag heranzog. Vielmehr errechnete er die Schadenshöhe lediglich fiktiv unter der Annahme zeitnah erfolgter Sanierungsmaßnahmen. Damit beurteilte er die Schadenshöhe aber unter Bejahung der von der Beklagten behaupteten Verletzung der Schadensminderungspflicht nach Art 4 AFB durch die Klägerin.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Spruch des Obmanns, der durch die Beurteilung einer Rechtsfrage die ihm gesetzten Grenzen überschritten habe, sei schon aus diesem Grunde unwirksam, weshalb das Gericht die Schadenshöhe selbständig zu beurteilen habe, hält sich im Rahmen der bestehenden oberstgerichtlichen Judikatur.
5. Der nunmehrige Einwand der Beklagten ‑ für den Fall der Unverbindlichkeit des Schiedsgutachtens ‑ mangle es an der Fälligkeit des Zahlungsbegehrens infolge Fehlens des nach den ABS vorgesehenen Schiedsgutachtens, geht ins Leere. Richtig ist zwar, dass grundsätzlich vor dem Abschluss oder dem endgültigen Scheitern des Schiedsverfahrens keine Fälligkeit des Leistungsanspruchs eintritt (RIS‑Justiz RS0082250). Nach Durchführung eines vom beklagten Versicherer behaupteter Maßen abgeschlossenen und verbindlichen Schiedsverfahrens, dessen Unverbindlichkeit sich letztlich im Gerichtsverfahren ergibt, bleibt die bereits eingetretene Fälligkeit bestehen.
6. Die Verbindung eines Feststellungsbegehrens mit einem Leistungsbegehren ist nach der Rechtsprechung zulässig, wenn ein Teil der Ansprüche bereits fällig, mit weiteren Ansprüchen jedoch zu rechnen ist und daher durch das Feststellungsbegehren die Häufung von Rechtsstreiten vermieden werden kann (RIS‑Justiz RS0038970).
Die Klägerin verband die Leistungsklage auf Zahlung des Zeitwertschadens mit einer Klage auf Feststellung der Zahlungspflicht der Beklagten für den Neuwertschaden. Die Beklagte wendet mangelndes Feststellungsinteresse ein, weil sie ohnedies zugesagt habe, bei Vorlage der Rechnungen die Zahlung der Differenz zum Neuwert zu begleichen. Hier übersieht die Beklagte aber, dass auch die Frage der Neuwertentschädigung im Hinblick auf die von ihr eingewandte (teilweise) Leistungsfreiheit infolge Verletzung der Rettungsobliegenheit durch die Klägerin dem Grunde nach zu klären ist. Im Hinblick darauf und vor dem Hintergrund, dass für die Wiederherstellung des Gebäudes als Voraussetzung für den Anspruch auf Neuwertentschädigung noch keine ausreichende Sicherheit besteht, kann zwar grundsätzlich ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten für die Neuwertentschädigung derzeit nicht ausgeschlossen werden. Mit der Klägerin wird aber zu erörtern sein, dass entgegen ihrem Vorbringen die Formulierung ihres Klagebegehrens ein zahlenmäßig bestimmtes Leistungsbegehren darstellt und keine Deckungsklage. Die Klägerin wird daher ihr Begehren entsprechend umzuformulieren haben.
7. Der Aufhebungsbeschluss des Berufungs-gerichts ist daher nicht zu beanstanden.
8. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rekurses hingewiesen.
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