OGH 9Ob61/15h

OGH9Ob61/15h27.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M*, geboren am * Jänner 2002, *, vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirke 3, 11, 1030 Wien, Karl‑Borromäus‑Platz 3), wegen Herabsetzung des Unterhalts, infolge Antrags des Vaters J*, über den Revisionsrekurs des Kindes, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21. Juli 2015, GZ 44 R 296/15b‑81, mit dem über Rekurs des Kindes der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. April 2015, GZ 97 PU 99/13a‑71, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E113868

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

Nach der ständigen Rechtsprechung hat dem Unterhaltsschuldner ein Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist (RIS‑Justiz RS0008667). Die Bestimmungen der Exekutionsordnung können als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung dienen. Die Unterhaltsbemessung kann im Hinblick auf § 292b EO zwar über die Grenze des § 291b EO hinausgehen, jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Unterhaltspflichtige nicht so weit belastet wird, dass er in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre (RIS‑Justiz RS0017946; RS0047455; RS0047686 [T8] ua). Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen kann daher auch unter das ‑ auch als „absolute Belastungsgrenze“ bezeichnete ‑ niedrigste Existenzminimum in Höhe von 75 % des allgemeinen Grundbetrags herabgegangen werden (RIS‑Justiz RS0125931; 1 Ob 160/09z [verst Senat]; 6 Ob 81/10w). Als ein solcher Ausnahmefall wurde der ‑ hier auch von der Revisionsrekurswerberin geltend gemachte ‑ Fall angesehen, dass der Unterhaltspflichtige einen geringeren Geldbedarf hat, wenn üblicherweise aus dem Existenzminimum abgedeckte Kosten für Verpflegung oder Unterkunft durch einen mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebenden und über eigene Einkünfte verfügenden Ehegatten oder Lebensgefährten anteilig getragen werden (6 Ob 184/06m; 1 Ob 160/09z).

Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen nicht abgewichen. Die konkrete Festlegung des Mindestbetrags, der dem Unterhaltspflichtigen jeweils zu verbleiben hat, lässt sich immer nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantworten und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG (6 Ob 81/10w). Eine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen, die im Anlassfall keinen besonderen Ausnahmefall im dargestellten Sinn erblickt haben, zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf. Nach dem insofern unstrittigen Sachverhalt lebt der gegenüber der Revisionsrekurswerberin, seiner minderjährigen Tochter aus einer früheren Beziehung, geldunterhaltspflichtige Vater mit seiner nunmehrigen Ehegattin und ihren drei gemeinsamen minderjährigen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Die Ehegattin bezieht Kinderbetreuungsgeld, hat aber im Übrigen keine Einkünfte.

Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Kinderbetreuungsgeldanspruch der Ehegattin gemäß § 42 KBGG hier kein Einkommen darstellt und deren Unterhaltsanspruch gegenüber dem Vater nicht schmälert, stellt die Revisionsrekurswerberin nicht in Frage. Sie hält dem im Wesentlichen entgegen, dass das der Ehegattin zukommende Kinderbetreuungsgeld dennoch faktisch vorhanden sei, sodass nach der Erfahrung davon auszugehen sei, dass sich die Ehegattin anteilig an den Lebenshaltungskosten des Vaters beteilige. Dem hat der Oberste Gerichtshof in vergleichbaren Konstellationen jedoch bereits mehrfach entgegengehalten, dass der Gesetzgeber in § 42 KBGG eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, dass er im Bereich des Unterhaltsrechts das Kinderbetreuungsgeld nicht als Einkommen des Kindes oder eines Elternteils behandelt haben will (6 Ob 200/08t; 6 Ob 219/08m; RIS‑Justiz RS0124356 [T1], zuletzt 2 Ob 230/09a; zur Verfassungskonformität dieser Bestimmung VfGH G 9/09 ua). Dass die Regelung des § 42 KBGG im Einzelfall zu rechtspolitisch unbefriedigenden Ergebnissen führen mag (vgl dazu Gitschthaler in EF‑Z 2008/27, 45 f), kann von den Gerichten nicht aufgegriffen werden, weil es nicht Aufgabe der Rechtsprechung ist, allenfalls unbefriedigende Regelungen zu korrigieren (6 Ob 200/08t mzwH).

Zielsetzung des Kinderbetreuungsgeldes ist die finanzielle Unterstützung der Eltern während der Betreuung ihres Kindes in den ersten Lebensjahren im Sinn einer Abgeltung der Betreuungsleistung oder der Ermöglichung der Inanspruchnahme außerhäuslicher Betreuung (VfGH G 9/09 ua). Das Kinderbetreuungsgeld soll nach der Intention des Gesetzgebers daher dem Haushalt des beziehenden Elternteils zukommen, ohne damit mittelbar eine Entlastung des Unterhaltspflichtigen herbeizuführen (Kolmasch, Auswirkungen des Kinderbetreuungsgeldes auf Unterhaltsansprüche und ‑pflichten des Beziehers, Zak 2009/93, 67). Vor diesem Hintergrund lässt sich eine von der Revisionsrekurswerberin behauptete Verpflichtung der Ehegattin des Vaters, sich aufgrund des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld „entsprechend“ an den Lebenshaltungskosten des gemeinsamen Haushalts zu beteiligen, nicht ableiten.

Einer weiteren Begründung bedarf der Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

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