European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00157.15Z.1209.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, im zweiten Rechtsgang (vgl 15 Os 38/15z) ergangenen und auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Benjamin H***** ‑ soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant ‑ des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 24. Juli 2014 in W***** Jürgen W***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er ihm ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von neun Zentimeter gezielt in den Hals rammte, wobei der Stich die Halsschlagader nur knapp verfehlte.
Unter Bezugnahme auf die im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsene Bejahung der Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB haben die Geschworenen im zweiten Rechtsgang die ihnen gestellte (alternativ gefasste) Zusatzfrage nach Notwehr, Notwehrüberschreitung (aus asthenischem Affekt), Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung (aus asthenischem Affekt) verneint.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene, auf § 345 Abs 1 Z 8 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.
Der Instruktionsrüge (Z 8) ist voranzustellen, dass ihr Gegenstand der auf die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlungen, auf welche die Fragen an die Geschworenen gerichtet sind, die Auslegung der in diesen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage bezogene Inhalt der von §§ 321, 323 Abs 1 und 327 Abs 1 StPO genannten Belehrungen ist, der überdies eine Einheit bildet, die nur als Ganzes betrachtet richtig oder unrichtig sein kann (RIS‑Justiz RS0125434; Ratz , WK‑StPO § 345 Rz 53 ff).
Mit der Behauptung, den Geschworenen sei zur bezeichneten Zusatzfrage eine unrichtige Rechtsbelehrung erteilt worden, weil nicht nur die Notwehr, sondern rechtlich unzutreffend auch die Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt, die Putativnotwehr und die Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt „undifferenziert als Rechtfertigungsgründe“ bezeichnet worden seien, wodurch bei den Geschworenen der falsche Eindruck erweckt worden sei, „dass hier die gleichen Beurteilungskriterien vorliegen müssen“ und auch bei den drei zuletzt genannten Schuldausschließungsgründen „die Handlung des Angeklagten gerechtfertigt sein muss“, zeigt die Beschwerde keinen (in diesem Zusammenhang allein nichtigkeitsrelevanten) Verstoß gegen § 321 Abs 2 StPO auf.
Denn sie übergeht die Rechtsbelehrung in ihrer Gesamtheit (Anhang zu ON 73 S 1 ff), wurden doch die gesetzlichen Voraussetzungen der für die Beantwortung der Zusatzfrage maßgebenden Gründe nach der einleitenden pauschalen Bezeichnung ihrer Oberbegriffe als Rechtfertigungsgründe in der Folge ‑ unter Hinweis auf die unterschiedlichen Voraussetzungen und unter Thematisierung des Ausschlusses der Rechtswidrigkeit nur bei der Erörterung des Begriffs Notwehr, jedoch ohne (unrichtigen) Verweis auf das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen bei den drei Schuldausschließungsgründen ‑ umschrieben (RIS‑Justiz
Warum die gesetzlichen Voraussetzungen der Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt „zu unklar erklärt“ worden seien, macht die Beschwerde mit der bloßen Behauptung, die Rechtsbelehrung hätte die Formulierung verwenden sollen, dass „der Täter sich irrig für angegriffen hält und jenes Maß an Verteidigung überschreitet, das bei Zutreffen seiner Vorstellungen erlaubt wäre“, und ohne Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Belehrungsinhalt (insbesondere mit jener Passage, wonach der Angeklagte „im Sinne der Ausführungen zur Putativnotwehr einen Angriff irrig annehmen und sodann im bei ihm tatsächlich vorliegenden asthetischen Affekt die hypothetisch zulässige Notwehr überschreiten“ müsse), nicht klar ( Ratz , WK‑StPO § 345 Rz 65).
Mit der Behauptung, die Instruktion schränke die „Anwendung der Regelung der Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt“ unzutreffend auf die (nicht weiter erklärte) „hM“ ein, obwohl diese auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entspreche,
wird eine Unrichtigkeit der den Geschworenen zuteil gewordenen - im Übrigen die analoge Anwendung des § 3 Abs 2 StGB ausdrücklich für berechtigt bezeichnenden - juristischen Information (basierend auf einem Vergleich der erteilten Rechtsbelehrung mit ihrem nach § 321 Abs 2 StPO erforderlichen Inhalt) erneut nicht zur Darstellung gebracht (
RIS‑Justiz
RS0119549; vgl im Übrigen Philipp, WK‑StPO § 321 Rz 11 und Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 60).
Indem der Beschwerdeführer vermeint, es hätte „im Rahmen der Rechtsbelehrung (…) überhaupt erklärt werden müssen, was ein Rechtfertigungsgrund ist, sowie was einen Schuldausschließungsgrund darstellt“ und „worin die dogmatischen Unterschiede bestehen“, bezieht er sich neuerlich nicht auf die in § 321 Abs 2 StPO genannten Kriterien und verlässt damit den Gegenstand der Instruktionsrüge (RIS‑Justiz
RS0125434). Die Folgen der Bejahung oder Verneinung der Zusatzfrage legt die Rechtsbelehrung - dem weiteren Beschwerdeeinwand zuwider - hingegen klar (RIS‑Justiz RS0119549).
Nicht an der angeblich verletzten Verfahrensnorm ausgerichtet ist schließlich auch der Einwand, die Instruktion hätte „abstrakt losgelöst von den Einzelheiten und der Täterpersönlichkeit des Angeklagten“ darauf verweisen müssen, dass ein asthenischer Affekt „auch durch eine Persönlichkeitsstörung, wie vorliegendenfalls vielfach vom psychiatrischen Sachverständigen attestiert,“ ausgelöst werden könne, hat doch die (schriftliche) Rechtsbelehrung (nur) abstrakte rechtliche Umstände, nicht aber solche, die sich in concreto aus dem Beweisverfahren ergeben, zu enthalten (RIS‑Justiz
RS0109476; Philipp , WK‑StPO § 321 Rz 13).
Der Nichtigkeitsgrund der Z 10a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen aufkommen lassen, somit eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen ‑ wie sie die Schuldberufung im Einzelrichterverfahren einräumt ‑ wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583). Beschwerden, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).
Indem der Rechtsmittelwerber mutmaßt, die Geschworenen hätten die Verneinung der Zusatzfrage „offensichtlich (…) ausschließlich auf die Aussage des Zeugen W***** gestützt“ und bei der Beurteilung des Vorliegens einer Putativnotwehrsituation „völlig die Ergebnisse des psychiatrischen Sachverständigengutachtens übergangen respektive missverstanden“, vermag er ebenso wenig erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken wie mit dem Hinweis einerseits auf das Gutachten des Sachverständigen Univ.‑Doz. Dr. D*****, wonach die erhöhte Angstbereitschaft des Angeklagten zu „wahnhaften Fehlinterpretationen der Welt“ führen könne, andererseits auf die Angaben des Angeklagten, er habe sich zum Tatzeitpunkt aufgrund einer vorangegangenen Herzoperation in einem „untypisch erhöhten ängstlichen Beeinträchtigungszustand“ befunden.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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