Spruch:
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird keine Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 6. Oktober 2014, AZ D 6/14, wurde Rechtsanwalt Dr. ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt. Danach hat er „im Pflegschaftsverfahren des Bezirksgerichts Scheibbs, AZ 10 P 64/11x, einerseits die Interessen des Kaufinteressenten J***** St*****, in dessen Namen er das Kaufanbot vom 26. Juni 2013 auf Kauf eines Liegenschaftsvermögens der unter Sachwalterschaft stehenden Christine H***** gelegt hat, und andererseits auch gleichzeitig die Interessen der Christine H***** vertreten, für die deren Sachwalterin und das zuständige Bezirksgericht trachteten, deren Liegenschaftsvermögen bestmöglich zu verwerten, wobei der Disziplinarbeschuldigte im Namen der Betroffenen darauf hingewiesen hat, den von der Sachwalterin und vom Bezirksgericht angestrebten Verkauf an den Bestbieter, einen Konkurrenten des von ihm vertretenen J***** St*****, zu verhindern und zu diesem Zweck im Namen der Betroffenen, insbesondere den Rekurs vom 20. September 2013 gegen die pflegschaftsbehördliche Genehmigung des Verkaufs an den Bestbieter eingebracht hat, wodurch er die Parteien mit entgegengesetzten Interessen vertreten hat“.
Der Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt.
Der Disziplinarbeschuldigte bekämpft dieses Erkenntnis mit einer Berufung wegen Nichtigkeit (der Sache nach § 281 Abs 1 Z 4 und 9 lit a StPO) sowie wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe.
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu:
Der Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) zuwider wurde ‑ wie sich aus dem unbedenklichen Protokoll ergibt (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 312) ‑ der (in ON 11 befindliche) „schriftliche Beweisantrag vom 6. Juni 2014“ in der Disziplinarverhandlung nicht (einmal) „aufrecht erhalten“ (vgl Verhandlungsprotokoll ON 12 S 5). Solcherart scheitert die ‑ allein auf diesem vor der mündlichen Verhandlung in einem Schriftsatz gestellten Antrag rekurrierende ‑ Rüge (Z 4) bereits an der grundlegenden Voraussetzung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags. Grundlagen einer Verfahrensrüge können indes nur auf Durchführung der begehrten Verfahrensschritte bezogene, unmissverständliche Willenserklärung in der mündlichen Verhandlung sein (vgl RIS‑Justiz RS0099099; Ratz , WK‑StPO § 82 Rz 310 ff).
Bleibt dazu noch anzumerken, dass das im schriftlichen Beweisantrag angegebene Beweisthema (wonach es „zu keinem Zeitpunkt irgendeine Interessenkollision zwischen den Interessen des J***** St***** und der Besachwalterten gab, vielmehr die Anbotslegung in enger Abstimmung zwischen der Besachwalterten und J***** St***** ausschließlich auf Veranlassung und zur Wahrung der Interessen der Besachwalterten erfolgte“) im Übrigen weder eine entscheidende Tatsache betraf noch erheblich war, also die Eignung, die Beweisführung mit Blick auf die Feststellung entscheidender Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 340 f).
Der im Rahmen der Schuldberufung gestellte Antrag auf Vernehmung des J***** St***** zum Beweis dafür, dass zwischen Christine H***** und ihm „vollkommen gleichgelagerte Interessenslagen bestanden, weil er selbst grundsätzlich an einem Ankauf der Liegenschaft der Besachwalterten nicht interessiert war und sich nur aus dem Motiv einer Hilfestellung für die Besachwalterte zur Verhinderung eines Verkaufs an die Mitinteressenten K***** bereiterklärte, ein Kaufanbot zu legen“, scheiterte bereits daran, dass nicht dargetan wurde, worum dem Disziplinarbeschuldigten eine entsprechende Antragstellung im Verfahren vor dem Disziplinarrat nicht möglich gewesen sei (§ 49 zweiter Satz DSt).
Der in diesem Zusammenhang weiters erhobene Vorwurf, die Nichtaufnahme von dem Beschuldigten entlastenden Beweisen sei „in rechtsstaatlicher Hinsicht“ als „an den Grundfesten des Rechtsstaates rüttelnd“ bedenklich, bleibt die Darlegung schuldig, wodurch der Disziplinarbeschuldigte selbst an der Ausübung seines Rechts auf zweckdienliche Antragstellung gehindert gewesen sein soll (RIS‑Justiz RS0115823, RS0114036; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 480 mwN).
Aus der Treuepflicht zum eigenen Mandanten (§ 9 RAO; § 10 RL‑BA) resultiert für den Rechtsanwalt unter anderem das Verbot der Doppelvertretung, wobei zwischen der echten (materiellen) und der unechten (auch formellen) Doppelvertretung zu unterscheiden ist.
Unterfälle der echten (materiellen) Doppelvertretung sind einerseits die eigentliche Doppelvertretung, bei welcher der Rechtsanwalt beide Teile im nämlichen Rechtsstreit vertritt oder ihnen auch nur einen Rat erteilt (§ 10 Abs 1 zweiter Satz RAO), sowie andererseits die uneigentliche Doppelvertretung, bei der ein Rechtsanwalt unter anderem eine Partei vertritt oder berät, nachdem er die Gegenpartei in der selben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten (oder beraten) hatte (§ 10 Abs 1 erster Satz RAO; RIS‑Justiz RS0054995). Das solcherart in § 10 Abs 1 RAO statuierte Verbot der Doppelvertretung ist sowohl begrifflich als auch aus der Sicht rechtspolitischer Zielsetzung umfassend zu verstehen. Es betrifft alle Rechtskonstellationen, in denen Interessenkollisionen zweier Parteien vorliegen bzw sich bereits abzeichnen (RIS‑Justiz RS0117715).
Der Begriff Gegenpartei im Sinne des § 10 RAO ist nach der Rechtsprechung weit auszulegen. Er ist demnach nicht nur auf die formal prozessbeteiligten (juristischen und physischen) Personen beschränkt. Vielmehr ist auch auf den Widerstreit der Interessenlagen abzustellen (RIS‑Justiz RS0117715, RS0054995).
Unechte formelle Doppelvertretung ist ‑ nach Konkretisierung dieses Verbots durch § 12a RL‑BA (RIS‑Justiz RS0054995) ‑ gegeben, wenn der Anwalt ein neues Mandat übernimmt oder ein bestehendes Mandat nicht niederlegt, obwohl dies die Wahrnehmung der Interessen der jeweiligen Partei in den Mandaten beeinträchtigt. Eine solche Konstellation liegt insbesondere dann vor, wenn die Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezüglich der von einer früheren Partei anvertrauten oder im Zuge der Vertretung sonst erlangten Information besteht, wenn die Kenntnis der Belangen einer früheren Partei der neuen Partei zu einem unlauteren Vorteil gereichen würden, wenn es zu einem Interessenskonflikt zwischen diesen Parteien kommt oder wenn die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts bei der Mandatsausübung auch nur gegenüber eine der Parteien nicht gesichert erscheint.
Das Verbot der unechten formellen Doppelvertretung ergibt sich ‑ wie im Übrigen folgerichtig auch jenes der echten materiellen Doppelvertretung ‑ aus der Annahme, dass der Rechtsanwalt bestimmte Verhaltensweisen, Einstellungen sowie wirtschaftliche Gegebenheiten seines Mandanten kennt und diese Kenntnis bei der Vertretung einer anderen Partei zu dessen Nachteil nutzen könnte. Das gleichzeitige Auftreten in der Öffentlichkeit, einmal gegen und das andere Mal für ein und dieselbe Partei (der Frontwechsel oder auch nur der Anschein einer solchen), erschüttert überdies das Vertrauen der rechtsuchenden Bevölkerung in den Rechtsanwaltsstand, und zwar selbst dann, wenn ein Vertrauensbrauch konkret nicht vorliegt.
Eine unzulässige Doppelvertretung kann somit auch dann anzunehmen sein, wenn den Mandanten letztlich kein Schaden entstand oder sich die bestehende Gefahr der Interessenkollision nicht verwirklichte (vgl RIS‑Justiz RS0054985, RS0055014), also auch bereits dadurch, dass ein Rechtsanwalt in Rechtssachen, die in keinem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen, zeitlich das eine Mal als Vertreter der einen Partei und das andere Mal als Vertreter der anderen Partei tätig wird (RIS‑Justiz RS0054995 sowie 24 Os 1/14y mwN).
Die ‑ vor der Rechtsrüge zu behandelnde (vgl Ratz , WK‑StPO § 476 Rz 9) ‑ Schuldberufung wendet sich ‑ kurz zusammengefasst ‑ insbesondere gegen die Feststellung des Disziplinarrats, dass nicht gleichgelagerte Interessen der Christine H***** und des J***** St***** vorlagen. Diesen Ausspruch begründete der Disziplinarrat logisch und empirisch einwandfrei unter Hinweis auf die zwischen dem Disziplinarbeschuldigten und der Sachwalterin Mag. Silvia F***** geführte Korrespondenz, insbesondere auch auf jenes Schreiben vom 27. Juni 2013, worin der Disziplinarbeschuldigte im Namen seines Mandanten J***** St***** die Unterbreitung eines besseren Anbots bis 1. Juli 2013 in den Raum stellte. Die vom Berufungswerber vorgetragenen Beweiswerterwägungen und spekulativen Thesen, etwa das zur Frage der Motivation des J***** St***** für die Anbotslegung nur seine ‑ auch nicht durch die Korrespondenz widerlegbaren ‑ Angaben vorgelegen haben sowie dass es vor Stellung des Kaufanbots am 26. Juni 2013 auch andere Unterstützungsangebote des J***** St***** an Christine H***** unter Aufrechterhaltung deren Eigentums gegeben habe und dieser sogar zugesagt habe, sich an den Sanierungskosten zu beteiligen, wenn das Eigentumsrecht der Betroffenen bestehen bleiben würde, vermögen keine Bedenken an den vom Disziplinarrat getroffenen Feststellungen zu wecken. Gegenständlich vertrat der Disziplinarbeschuldigte die unter Sachwalterschaft stehende Christine H***** im Zusammenhang mit der Abwehr des Verkaufs ihrer Liegenschaft durch deren Sachwalterin, gleichzeitig aber auch die Interessen des J***** St*****, welcher am Ankauf eben dieser Liegenschaft interessiert war. Da der Disziplinarbeschuldigte solcherart in ein und der selben Rechtssache einerseits für und andererseits gegen Christine H***** agierte, verstieß er unter Berücksichtigung der sich ganz klar abzeichnenden Interessenkollision gegen das ‑ wie dargelegt weitreichende ‑ Verbot der Doppelvertretung, wodurch er schuldhaft Pflichten seines Berufs verletzte und überdies durch sein Verhalten das Ansehen des Standes beeinträchtigte.
Weshalb Feststellungen erforderlich sein sollten, zu welchem Zeitpunkt der Disziplinarbeschuldigte vom Inhalt des mit der Familie K***** geschlossenen Kaufvertrags Kenntnis erlangte (dem Sinne nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO), leitet der Berufungswerber nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab.
Da im Übrigen die Verletzung der Pflicht, Doppelvertretungen zu unterlassen, ein reines Formaldelikt ist, es also nicht auf den tatsächlichen Eintritt einer Schädigung oder Gefährdung materieller Interessen der Klienten ankommt (RIS‑Justiz RS0054985), spielt es auch keine Rolle, ob es für den Disziplinarbeschuldigten „einschätzbar“ war, ob das Kaufanbot des J***** St***** „im wirtschaftlichen Sinn schlechter“ als jenes der Familie K***** zu beurteilen gewesen wäre oder nicht.
Genauso wenig wird im weiteren Berufungsvorbringen aus dem Gesetz abgeleitet, worum es für die disziplinarrechtliche Beurteilung des vorgeworfenen Verhaltens von Bedeutung sein sollte, dass der Disziplinarbeschuldigte von J***** St***** den Auftrag erhielt, Christine H***** „in jeder Hinsicht zu unterstützen“, sei es auch in Form der Legung eines Kaufanbots durch J***** St*****. Die Motive der zuletzt genannten Person für ihr Handeln spielen mit Blick auf die ‑ wie dargestellt ‑ offenkundig ersichtliche Interessenkollision keine Rolle.
Der kritisierte Ausspruch des Disziplinarrats, wonach „die Durchsetzung der Interessen des J***** St***** für Christine H***** eine wesentliche finanzielle Schlechterstellung bewirkt hätten“, betrifft einmal mehr keine entscheidende Tatsache, weil ‑ wie dargestellt ‑ bereits der Anschein der Treueverletzung auch ohne konkrete Schädigung oder konkreten Nachweis schädlicher Kenntnisse tatbildlich ist (RIS‑Justiz RS0054995). Solcherart ist dieser Punkt von vornherein einer Anfechtung entzogen (RIS‑Justiz RS0117499, RS0106268; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 398 f). Auf das insoweit umfangreich erstattete Vorbringen brauchte nicht weiter eingegangen werden.
Die für sich keine entscheidende Tatsache betreffende Feststellung des Disziplinarrats, dass der Disziplinarbeschuldigte Christine H***** „im Zusammenhang mit der Abwehr des Abverkaufs ihrer landwirtschaftlichen Liegenschaft durch die Sachwalterin generell und insbesondere an die Familie K***** vertrat (ES 7), steht ‑ dem Berufungsvorbringen zuwider ‑ auch keineswegs in einem nach den Denkgesetzen unvereinbaren (§ 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO) Widerspruch zur Annahme, dass die Wahrnehmung dieser rechtlichen Interessen der Christine H***** und die gleichzeitige Vertretung der Interessen des ‑ am ursprünglichen Kaufanbot festhaltenden ‑ J***** St***** nicht möglich war, vielmehr die beiden Interessenlagen „im ausdrücklichen Widerspruch“ zueinander standen (ES 7).
Die auch im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) enthaltenen überschießenden Annahmen, denen zufolge der Disziplinarbeschuldigte im Namen der Christine H***** zwecks Verhinderung des Verkaufs der Liegenschaft an die Familie K***** einen Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Scheibbs vom 4. September 2013 (mit welchem der von der Sachwalterin Mag. Silvia F***** im Namen der Betroffenen am 10. Juli 2013 mit der Familie K***** abgeschlossene Kaufvertrag genehmigt wurde) erhob, sind ohne Bedeutung für die rechtliche Einordnung der dem Disziplinarbeschuldigten angelasteten Doppelvertretung, war doch J***** St***** in diesem Stadium am Verfahren nicht mehr beteiligt, sodass die Anfechtung dieses Punkts mangels Relevanz ins Leere geht (RIS‑Justiz RS0118585; vgl auch Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 546, 610). Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf das gegen diese Annahmen gerichtete Berufungsvorbringen des Disziplinarbeschuldigten.
Der Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher keine Folge zu geben.
Bei der Strafbemessung wertete der Disziplinarrat als mildernd den Umstand, dass beiden Mandanten des Disziplinarbeschuldigten kein wesentlicher Schaden entstand und Dr. ***** an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkte. Als erschwerend wurde das Zusammentreffen einer Berufspflichtenverletzung mit einer Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes berücksichtigt.
Demgegenüber begehrt der Berufungswerber unter Hinweis auf seine bisherige Unbescholtenheit und der Behauptung eines geringen Verschuldens die Anwendung von § 39 DSt. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass der Verstoß gegen das Verbot der Doppelvertretung gerade im Bezug auf eine besachwalterte Mandantin ein Verschuldensausmaß signalisiert, aufgrund dessen ein Schuldspruch allein nicht genügt, um den Disziplinarbeschuldigten von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten.
Der Berufung wegen Strafe war daher gleichfalls ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 36 Abs 2 DSt.
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