European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00139.15Y.1201.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Ivan B***** und Desislav M***** jeweils der Verbrechen (richtig: des Verbrechens) der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, 2, 3, Abs 4 erster und zweiter Fall FPG idF vor BGBl I 2015/121 schuldig erkannt.
Danach haben sie am 9. Juli 2015 in S***** und andernorts mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit mehreren namentlich im Spruch des Urteils angeführten Mittätern als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung gewerbsmäßig die rechtswidrige Ein- und Durchreise von 47 Fremden in und durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union gefördert, indem sie diese mit einem Kastenwagen transportierten, wodurch die Fremden während der Beförderung längere Zeit hindurch unter Lebensgefahr in einen qualvollen Zustand versetzt wurden, weil sie während mehrstündiger ununterbrochener Fahrt ohne Sitze und Sicherheitsgurte im Dunkeln mit geringer Luftzufuhr stehend, ohne Getränke und Nahrung ausharren mussten.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richten sich die jeweils auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a, 10 sowie 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des B*****:
Die gegen die Annahmen der gewerbsmäßigen Tendenz im Rahmen einer kriminellen Vereinigung und der Lebensgefährdung der Fremden gerichtete Mängelrüge (Z 5 vierter Fall, dSn auch Z 10) beschränkt sich auf die unsubstantiierte Behauptung hiefür „unzureichender Gründe“ und übergeht die Bezug habenden ‑ unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstandenden -Ausführungen der Tatrichter in ihrer Beweiswürdigung (US 8 bis 11; RIS‑Justiz RS0119370). Die ebenfalls die Gesamtheit der Entscheidungsgründe missachtende Spekulation, der Beschwerdeführer sei bloß von einer kriminellen Vereinigung beauftragt worden, aber nicht Mitglied derselben, bekämpft bloß die Beweiswürdigung des Erstgerichts gleich einer nur im Einzelrichterverfahren vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (US 8; vgl überdies Fabrizy, StGB11 § 278 Rz 5a).
Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) ‑ ohne konkrete Bezugnahme auf aktenkundige, in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweismittel ‑ aus vom Beschwerdeführer behaupteten „Wertungswidersprüchen“ in den Annahmen des Erstgerichts zur Mitgliedschaft bei der kriminellen Vereinigung eigenständige Hypothesen zur Rolle der Angeklagten als „Auftragserfüller“ und der subjektiven Tatseite („bewusste Fahrlässigkeit“) aufstellt, verfehlt sie deren prozessordnungskonforme Darstellung (RIS‑Justiz RS0117961).
Die Subsumtionsrüge (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) orientiert sich nicht an den Feststellungen zur Absicht der Angeklagten, sich ‑ aufgrund der Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung auch über einen längeren Zeitraum (US 7) ‑ durch die wiederkehrende Begehung von Schlepperfahrten iSd § 114 Abs 1 FPG eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (US 6; US 10 zur Intention der Erzielung eines Vielfachen ihres sonstigen Monatseinkommens).
Das weitere, gegen die rechtliche Unterstellung der Tat auch unter § 114 Abs 4 zweiter Fall FPG gerichtete Vorbringen übergeht die Konstatierungen der Tatrichter zur (mit darauf bezogenem [Eventual‑]Vorsatz erfolgten [US 6; US 9]) konkreten Gefährdung (US 11; vgl Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 24 f) der Fremden: Die unzureichende Luftzufuhr (US 4) und Hitzeentwicklung im ‑ trotz Wahrnehmung von Schreien und Klopfzeichen durch die Angeklagten ununterbrochen verschlossen gehaltenen ‑ Laderaum des Fahrzeugs (US 5), führte zu Atemproblemen, Angstzuständen und beinaher Bewusstlosigkeit mehrerer beförderter Personen (US 5 f), deren ungesicherte Beförderung im Laderaum zu unfallkausalen Verletzungen zumindest zweier Fremder (US 6 und 11).
Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter [nominell dritter] Fall) leitet die Behauptung bereits erfolgter Tilgung der vom Beschwerdeführer in Bulgarien (rechtskräftig am 14. November) 1989 wegen „Vergewaltigung“ und vier von (richtig:) 2000 bis 2006 jeweils wegen „Diebstahls“ erlittenen Vorstrafen (US 3, 11 f; ON 24 S 3 bis 9) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 698, 705).
Der Vollständigkeit halber sei ausgeführt: Die Tilgungsfrist dieser ‑ den in § 7 Abs 1 TilgG genannten Voraussetzungen entsprechenden ‑ ausländischen Ver-urteilungen beginnt nach § 7 Abs 2 TilgG mit dem Tag, der sich ergibt, wenn man dem Tag ihrer Rechtskraft (soweit hier wesentlich) die Dauer der mit ihnen ausgesprochenen Freiheitsstrafen hinzurechnet. Sie ist ‑ ausgehend von der am 14. Juli 2001 in Rechtskraft erwachsenen Verurteilung zu drei Jahren Freiheitsstrafe und der zuletzt am 15. März 2006 in Rechtskraft erwachsenen Verurteilung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe (ON 24 S 3 bis 7, ON 43 S 6) ‑ nach Maßgabe der in §§ 3 ff TilgG normierten Fristen weder bei gemäß § 4 Abs 2 zweiter Halbsatz und zweiter Satz iVm § 3 Abs 1 Z 3 TilgG verlängerter Einzeltilgungsfrist noch bei Summentilgungsfrist nach § 4 Abs 2 erster Halbsatz iVm § 3 Abs 1 Z 4 TilgG (Kert, WK‑StPO TilgG § 4 Rz 9 ff; Rz 11 und 14) abgelaufen.
Soweit das Vorbringen der Sache nach auf die bulgarische Rechtslage rekurriert, verkennt der Beschwerdeführer, dass das Gesetz auf eine Tilgung nach dem Recht des Urteilsstaats nur dann abstellt, wenn sie durch eine ‑ hier nicht vorliegende ‑ öffentliche Urkunde bescheinigt ist (§ 7 Abs 3 TilgG; vgl zuletzt 14 Os 140/13i).
Die Behauptung einer Unangemessenheit der Strafhöhe zufolge unzureichender Berücksichtigung des Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 17 StGB stellt ein Berufungsvorbringen dar.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des M*****:
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) des Angeklagten M***** orientiert sich nicht an den Konstatierungen zu seinem auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz (US 4, US 6; vgl auch US 9 und 10) und leitet unter dem Aspekt hinreichenden Sachverhaltsbezugs dieser Feststellungen (RIS‑Justiz RS0119090) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, dass ein jeglicher legalen Gestaltung widerstreitender Transport von 47 Personen in einem nur 7,83 Quadratmeter umfassenden Laderaum überhaupt einen Anspruch auf einen dafür adäquaten Fuhrlohn (vgl dazu 13 Os 9/14v, 11 Os 125/15i) auslösen könnte.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) orientiert sich nicht an den Feststellungen zur Absicht der Angeklagten, sich über einen längeren Zeitraum (US 7) durch die wiederkehrende Begehung von Schlepperfahrten iSd § 114 Abs 1 FPG eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (US 6; US 10) und verfehlt damit den gesetzlichen Bezugspunkt. Die (eingeschobene) unsubstantiierte Behauptung unzureichender Begründung übergeht die Ausführungen des Erstgerichts (insbesondere US 10). Die Forderung, „grundsätzlich wird § 70 StGB idF BGBl I 2015/112 (Strafrechts-änderungsgesetz 2015) anzuwenden sein“, entbehrt wiederum methodengerechter Ableitung aus dem Gesetz (Art 12 § 1 StRÄG 2015: In‑Kraft‑Treten am 1. Jänner 2016).
Das weitere Vorbringen übergeht die bereits oben angeführten Konstatierungen des Erstgerichts zur konkreten Gefährdung der Fremden und legt ‑ unter dem Aspekt hinreichender Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) ‑ nicht dar, weshalb die diesen Feststellungen zugrunde liegenden Schlussfolgerungen der Tatrichter (US 9 und 11) den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0099413) widersprechen sollen. Indem sich der Beschwerdeführer darauf beschränkt, diesen Annahmen ‑ unter Behauptung des Erfordernisses der Beiziehung eines nicht näher bezeichneten Sachverständigen ‑ eigene Auffassungen und Erwägungen gegenüberzustellen, bekämpft er bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld die Beweiswürdigung des Schöffengerichts.
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt anzumerken:
Die Annahme jeweils mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, 2, 3, Abs 4 erster und zweiter Fall FPG (idF vor BGBl I 2015/121) war auf Grund im konkreten Fall vorliegender tatbestandlicher Handlungseinheit verfehlt. Die unrichtige Subsumtion und die Wertung des Zusammentreffens strafbarer Handlungen (US 11) bei beiden Angeklagten als erschwerend waren für die Angeklagten jedoch nicht nachteilig, weil das Erstgericht die bei richtiger Subsumtion gebotene Berücksichtigung der Vielzahl der geschleppten Personen, sowie deren Versetzung in einen qualvollen Zustand und in Lebensgefahr nicht als erschwerend berücksichtigte. Ein amtswegiges Vorgehen ist schon im Hinblick auf die solcherart vorliegende Fehlerkompensation somit nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0114927). Im Übrigen besteht hinsichtlich der aufgezeigt verfehlten Subsumtion keine (dem Angeklagten zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RIS‑Justiz RS0118870).
Überdies begründet das beim Zweitangeklagten ‑ von ihm (mit „Nichtigkeitsrüge“) ausschließlich unter dem Aspekt des § 71 StGB (vgl aber Jerabek in WK2 StGB § 71 Rz 5 und 8 [mwN] zum Vorliegen der gleichen schädlichen Neigung bei durch Gewinnstreben gekennzeichneter [Schlepper‑]Kriminalität [vgl Tipold in WK2 StGB FPG § 114 Rz 12] und der Vermögensdelinquenz [iSd sechsten Abschnitts des StGB]) bekämpfte ‑ als erschwerend gewertete Vorliegen von zwei einschlägigen Vorverurteilungen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB; US 11) Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO: Hinsichtlich der vom Erstgericht festgestellten ‑ jeweils wegen „Diebstahls“ erfolgten, am 24. Jänner 2001 bzw 20. Juni 2001 in Rechtskraft erwachsenen (ON 25 S 3 f, ON 43 S 6) ‑ Verurteilungen dieses Angeklagten zu einer Geldstrafe und einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von einem Jahr in Bulgarien (US 3, 11 f) ist gemäß § 7 Abs 2 iVm §§ 4 Abs 2, 3 Abs 1 Z 2 TilgG bereits vor dem Zeitpunkt der Fällung des Ersturteils Tilgung eingetreten (§ 1 Abs 1 TilgG).
Diesem Umstand wird das Oberlandesgericht im Rahmen der Berufungsentscheidung Rechnung zu tragen haben (RIS‑Justiz RS0114427; Ratz, WK‑StPO § 283 Rz 1, § 290 Rz 28 f).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)