OGH 8Ob88/15x

OGH8Ob88/15x25.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Familienrechtssache der mj 1. I*****, 2. H*****, 3. C*****, alle in Pflege und Erziehung ihrer Mutter L*****, vertreten durch das Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung Kinder‑ und Jugendhilfe, *****, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters M*****, vertreten durch Mag. Oliver Simoncic, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 20. Mai 2015, GZ 23 R 184/15d‑43, mit dem der Teilbeschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 1. April 2015, GZ 2 PU 85/11b-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00088.15X.1125.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionsrekurswerber hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

Der Ehe der Eltern, die 2012 einvernehmlich geschieden wurde, entstammen die minderjährigen Kinder T*****, I*****, H***** und C*****. Die drei jüngeren Kinder leben im Haushalt der Mutter, der älteste Sohn, der mj T*****, wohnt seit Oktober 2014 beim Vater.

Am 23. Februar 2015 beantragte der Vater, die von ihm für seine drei jüngeren Kinder zu erbringenden Unterhaltsleistungen ‑ rückwirkend für drei Jahre ‑ auf insgesamt 114 EUR monatlich herabzusetzen (je 40 EUR für I***** und H*****; 34 EUR für C*****). Er verfüge schon seit April 2011 nur über ein Einkommen von 1.033,40 EUR aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung für sich und seinen bei ihm lebenden Sohn T*****. Mit diesem Einkommen könne er die bisher festgesetzten Unterhaltsbeträge nicht aufbringen. Zudem sei er aufgrund eines posttraumatischen Belastungssyndroms nicht arbeitsfähig. Für die Lebenskosten seines Sohnes T***** müsse er allein aufkommen; er erhalte weder Unterhaltsleistungen der Mutter, noch einen Unterhaltsvorschuss.

Die drei jüngeren Kinder sprachen sich gegen die Herabsetzung aus. Der Vater erhalte Mindestsicherung und beziehe eine Mietbeihilfe, weshalb sein Einkommen insgesamt höher sei als die Bemessungsgrundlage, die das Gericht anlässlich der Festsetzung der bisherigen Unterhaltsbeiträge herangezogen habe.

Mit dem angefochtenen Teilbeschluss wies das Erstgericht den Antrag auf Unterhaltsherabsetzung für den Zeitraum ab 1. November 2014 ab. Bei Anwendung der für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen maßgeblichen Prozentsätze zeige sich, dass die festgesetzten Unterhaltsbeiträge für die drei bei der Mutter lebenden Kinder der Leistungsfähigkeit des Vaters entsprächen.

Die Entscheidung über den früheren Antragszeitraum behielt sich das Erstgericht wegen der Notwendigkeit weiterer Erhebungen vor.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters gegen die Abweisung des Herabsetzungsantrags ab 1. November 2014 nicht Folge. Der bisherigen, im Jahr 2011 erfolgten Unterhaltsfestsetzung sei ein vom Vater bei Anspannung seiner Kräfte erzielbares Einkommen von 950 EUR netto monatlich zuzüglich Sonderzahlungen, somit eine Bemessungsgrundlage von rund 1.100 EUR, zugrunde gelegen. Seinem nunmehrigen Vorbringen sei zu entnehmen, dass er für sich und seinen Sohn T***** 1.033,70 EUR an Mindestsicherung sowie Wohnbeihilfe von 87,17 EUR erhalte. Auch ohne Anwendung des Anspannungsgrundsatzes sei daher sein bisheriges Einkommen geringfügig höher als die der letzten Unterhaltsfestsetzung zugrunde gelegte Bemessungsgrundlage. Die vom Rekurswerber geltend gemachten Fixkosten seien als jedermann treffende Kosten des täglichen Lebens nicht als Abzugsposten zu berücksichtigen. Dass der Vater bisher keinen Geldunterhalt für den ältesten Sohn von der Mutter gefordert habe, könne nicht zu Lasten der drei weiteren Unterhaltsberechtigten gehen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Rekursgericht in die Bemessungsgrundlage auch jene 239,36 EUR einbezogen habe, um die sich die vom Vater bezogene bedarfsorientierte Mindestsicherung von 794,41 EUR erhöhe, weil nunmehr sein Sohn T***** bei ihm wohne. Zur Frage, ob dieser Betrag in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen oder ob er auszuscheiden und statt dessen kein prozentueller Abschlag für dieses Kind bei der Festsetzung der anderen Unterhaltsbeiträge vorzunehmen sei, fehle es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, ab 1. November 2014 die monatlichen Unterhaltsbeiträge antragsgemäß herabzusetzen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsgegner haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

1.  Zu dem als Unterhaltsbemessungsgrundlage dienenden Einkommen zählen alle tatsächlich erzielten Einnahmen des Unterhaltspflichtigen in Geld oder geldwerten Leistungen, über die er verfügen kann (RIS‑Justiz RS0107262 [T21, T29]; RS0003799 [T18]).

2.  Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass auch Sozialleistungen, die nicht dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwands für einen Sonderbedarf dienen oder nach gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind (zB Sozialhilfe, Ausgleichszulage, Notstandshilfe), als Einkommen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen werden (RIS‑Justiz RS0080395; RS0047454; RS0047456 [T5, T11]; RS0047465; RS0080404; Barth / Neumayr in Fenyves / Kerschner / Vonkilch , Klang 3 § 140 Rz 159; Gitschthaler , Unterhaltsrecht 3 Rz 1317 mwN). Dabei ist nicht nur der Richtsatz heranzuziehen, sondern es sind auch zusätzliche Beihilfen, beispielsweise für Unterkunft und Heizung, deren Bedarf von den Richtsätzen nicht erfasst wird, zu berücksichtigen (10 Ob 96/05y; 3 Ob 250/97d).

3.  Demgemäß ist im Revisionsrekursverfahren auch nicht mehr strittig, dass der vom Vater bezogene Grundbetrag der bedarfsorientierten Mindestsicherung von 794,41 EUR ebenso wie die ihm gewährte Mietbeihilfe von 87,17 EUR in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist.

Strittig ist vielmehr ausschließlich, ob die vom Vater für den (seit Oktober 2014) mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn bezogene erhöhte bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) zur Gänze in die Bemessungsgrundlage für die Unterhaltspflicht gegenüber seinen drei weiteren, bei der Mutter lebenden Kindern einzubeziehen ist, oder ob ‑ wie der Revisionsrekurswerber meint ‑ für die Berechnung seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinen drei anderen Kindern der für den zu seiner Bedarfsgemeinschaft gehörenden Sohn T***** zuerkannte Erhöhungsbetrag herauszurechnen ist.

4.  Diese Frage wurde in der Rechtsprechung bislang nicht behandelt. Auch im Zusammenhang mit der Sozialhilfe, die im Wesentlichen durch die bedarfsorientierte Mindestsicherung ersetzt wurde, hat sich die Rechtsprechung mit dieser Problemstellung noch nicht fundiert auseinandergesetzt. In der Entscheidung 10 Ob 96/05y wurde dazu lediglich darauf verwiesen, dass zwischen den Parteien Übereinstimmung bestehe, nur den auf die Unterhaltspflichtige entfallenden Anteil, nicht aber auch den auf ihren minderjährigen Sohn entfallende Anteil an Sozialhilfeleistungen bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage für andere Kinder zu berücksichtigen. Die Entscheidung 3 Ob 250/97d bezieht sich auf das deutsche Bundessozialhilfegesetz und leitet aus diesem ab, dass die laufenden Leistungen für bedürftige Personen nach Regelsätzen nicht als Einkommen des Vaters als Haushaltsvorstand, sondern als jeweils eigenes Einkommen der bedürftigen Person anzusehen sind. Auch diese Entscheidung erlaubt daher ‑ wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird ‑ für die hier zu beurteilende Leistung keine verwertbaren Rückschlüsse.

5.  Mit einer zumindest vergleichbaren Konstellation hat sich der Oberste Gerichtshof allerdings in der Entscheidung 7 Ob 152/03h auseinandergesetzt: Nach dieser Entscheidung ist die von einem unterhaltspflichtigen Pensionisten bezogene Ausgleichszulage als Einkommen des Unterhaltspflichtigen in die Unterhaltsbemessungsrundlage einzubeziehen. Es ist nicht danach zu differenzieren, ob sich die Ausgleichszulage im Hinblick auf einen im gleichen Haushalt mit dem Unterhaltspflichtigen lebenden Ehegatten oder mit ihm lebender Kinder erhöht hat, besteht doch hinsichtlich einer solchen Erhöhung, wenn sie auch im Hinblick auf sich gemäß § 293 ASVG in höheren Richtsätzen niederschlagende höhere Bedürfnisse gewährt wird, kein Anspruch des Ehegatten und der Kinder, sondern wird damit lediglich das Einkommen des unterhaltspflichtigen Pensionsbeziehers insgesamt erhöht (RIS‑Justiz RS0117834; zust Schwimann / Kolmasch , Unterhaltsrecht 7 10).

6. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung wurde mit der ihr zugrunde liegenden Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art 15a B‑VG, BGBl I Nr 96/2010, zur Herstellung eines bundesweit einheitlichen Mindeststandards und harmonisierter landesgesetzlicher Regelungen in der Sozialhilfe sowie zur Armutsbekämpfung eingeführt (ErläutRV 677 BlgNR XXIV. GP  1). Sie soll vor allem durch Geldleistungen eine Deckung der Grundbedürfnisse (insbesondere Lebensunterhalt und Wohnbedarf sowie Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung) ermöglichen (ErläutRV 677 BlgNR XXIV. GP  7 und 8).

Diesen Vorgaben entsprechend bestimmt § 1 des hier maßgebenden WMG, dass durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen insbesondere der Lebensunterhalt und der Wohnbedarf gesichert werden sollen. Den Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben ‑ bei Erfüllung der im Gesetz normierten Voraussetzungen ‑ gemäß § 7 Abs 1 WMG volljährige Personen. Der Anspruch auf Mindestsicherung kann für mehrere im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen („Bedarfsgemeinschaft“) nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören (§ 7 Abs 1 WMG).

7.  Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass die öffentlich‑rechtlichen Leistungen der Ausgleichszulage für Pensionsbezieher und der Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung im Hinblick auf die Frage der Berücksichtigung von (wegen weiterer im Haushalt lebender Personen) erhöhten Richtsätzen bei der Unterhaltsbemessung für andere, nicht im gemeinsamen Haushalt mit dem Unterhaltsschuldner lebende Kinder vergleichbar sind. Bei beiden auch von ihrer Zweckwidmung her vergleichbaren Leistungen steht der Anspruch auf die (erhöhte) Leistung dem Unterhaltsschuldner zu (insofern anders 3 Ob 250/97d zum dBSHG). Wenngleich die Erhöhung im Hinblick auf die Bedürfnisse der weiteren im Haushalt lebenden Person erfolgt, besteht mangels entsprechender gesetzlicher Anordnung kein Anspruch dieser (minderjährigen) Person; vielmehr wird mit der Erhöhung lediglich das Einkommen des unterhaltspflichtigen Leistungsbeziehers insgesamt erhöht (7 Ob 152/03h).

Damit erweist sich aber die Rechtsauffassung des Rekursgerichts als zutreffend.

8.  Dass unter dieser Voraussetzung im hier maßgebenden Zeitraum seit der letzten Unterhaltsfestsetzung keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, die eine Reduzierung der Unterhaltsbeiträge rechtfertigen könnte, wird im Revisionsrekurs gar nicht bestritten.

9.  Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 iVm § 101 Abs 2 AußStrG, wonach im Verfahren über die Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder ein Kostenersatz nicht stattfindet (8 Ob 62/13w).

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