OGH 7Ob200/15k

OGH7Ob200/15k19.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch die Holter ‑ Wildfellner Rechtsanwälte OG in Grieskirchen, und der Nebenintervenientin Z*****‑Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U***** Versicherungen AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 23.632,66 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Juli 2015, GZ 1 R 74/15g‑61, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Jänner 2015, GZ 37 Cg 4/12k‑55, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00200.15K.1119.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Klägerin war (nunmehr unstrittig) für den gegenständlichen Versicherungsfall bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Auf dieses Vertragsverhältnis sind die „Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung ARB 2005 ‑ Fassung 10/2006“ (kurz: ARB 2005) anzuwenden.

Art 6.6.1. ARB 2005 lautet:

„Der Versicherer zahlt die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwaltes bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien; in gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren werden Nebenleistungen des Rechtsanwaltes maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt.“

Artikel 10.3. ARB 2005 lautet:

„Das Wahlrecht nach Pkt. 1 und 2 bezieht sich nur auf Personen, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist. Wenn am Ort dieses Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde nicht mindestens vier solcher Personen ihren Kanzleisitz haben, erstreckt sich das Wahlrecht auf eine im Sprengel des zuständigen Landesgerichtes ansässige vertretungsbefugte Person.“

Die Klägerin begehrte ‑ soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich ‑ die Zahlung von (weiteren) 5.650,01 EUR sA an Vertretungskosten für das von ihr gegen einen Bauherrn wegen unterbliebener Bezahlung der durchgeführten Schlosser‑ und Stahlbauarbeiten geführte Gerichtsverfahren, das mit einem Vergleich beendet wurde. Dieser Teil des Zahlungsbegehrens blieb erfolglos.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Frage, ob, unter welchen Bedingungen und nach welchen Maßgaben eine geltungserhaltende Reduktion einer Selbstbehaltsklausel zulässig sei, noch nicht beantwortet sei und zudem zur Frage des Vorliegens eines einzelnen Versicherungsfalls grundsätzlicher Klärungsbedarf bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Die vom Berufungsgericht angeführten Zulassungsgründe beziehen sich auf Rechtsfragen, die die Beklagte ansprach und deren Rechtsstandpunkt die Vorinstanzen nicht teilten. Diese Rechtsansicht der Vorinstanzen wird von der Klägerin naturgemäß nicht angezweifelt.

2. Die Klägerin wurde im Bauprozess zunächst von einer ortsansässigen (Wiener) Rechtsanwaltskanzlei vertreten, ließ sich jedoch in der Folge von ihrer nunmehrigen Rechtsvertreterin vertreten, die ihren Sitz außerhalb des Gerichtssprengels der Klägerin und überdies noch weiter entfernt von Wien hat. Die Vorinstanzen versagten der Klägerin die Zuerkennung des doppelten Einheitssatzes für Leistungen ihrer Rechtsvertreterin in zwei Gerichtsverhandlungen und sprachen ihr nur den einfachen zu. Dies folge daraus, dass ein von der Klägerin entsprechend Art 10.3. ARB 2005 gewählter (hier: Wiener) Rechtsanwalt für Verhandlungen nur den einfachen Einheitssatz ersetzt erhalten hätte (vgl § 23 Abs 5 RATG).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Die rechtsschutzversicherte Klägerin ist Unternehmerin. Sie vermag nicht darzulegen, warum ihr der Ersatz des doppelten Einheitssatzes zustehen sollte. Aus der unberechtigten Ablehnung der Deckung durch die Beklagte ergibt sich dies nicht, ebenso nicht aus dem Titel des Schadenersatzes. Wenn sie damit argumentiert, ihr sei es verwehrt gewesen, „unter Vorweis einer Deckungsbestätigung eine Honorarvereinbarung mit einem Rechtsanwalt zum loco‑Tarif abzuschließen“, ist darauf zu verweisen, dass sie im Prozess zunächst von einer ortsansässigen Rechtsanwaltsgesellschaft vertreten wurde. Die Klägerin darf zwar einen nicht ortsansässigen Rechtsvertreter ihres Vertrauens wählen, muss aber entsprechend dem Grundgedanken des Art 10.3. ARB 2005 die Mehrkosten selbst tragen und kann diese nicht auf den beklagten Versicherer überwälzen (vgl RIS‑Justiz RS0125556; der Judikatur zustimmend Ertl , Der Massenschaden in der Finanzkrise ‑ Zu den E 16.12.2009, 7 Ob 194/09v, 7 Ob 197/09k, 7 Ob 198/09g, 7 Ob 199/09d, 7 Ob 206/09h und 7 Ob 218/09y, ecolex 2010, 933 [935]; Kronsteiner , Die Auswirkungen der OGH‑Urteile über die „Massenschadenklausel“ auf die Rechtsschutzversicherung, VR 2010 H 7‑8, 37 [40]).

Die Auslegung des Prozessvorbringens der Beklagten ist eine Frage des Einzelfalls. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich der Einwand der Beklagten gegen den doppelten Einheitssatz auch auf die Verhandlung vom 30. 5. 2012 bezog, ist nicht korrekturbedürftig.

3. Das Berufungsgericht erkannte der Klägerin nicht den doppelten Einheitssatz für den Schriftsatz ihrer Rechtsvertreterin vom 23. 11. 2011 zu. Sie vermeint, ihr stünde dieser „zweite Einheitssatz“ nach § 21 RATG zu. Soweit in den erstgerichtlichen Feststellungen dazu festgehalten wird, dass das in diesem Schriftsatz erstattete Vorbringen „gemäß § 21 RATG nach Art und Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigt“ und dafür der doppelte Einheitssatz gebührt, handelt es sich um eine in den Sachverhalt aufgenommene rechtliche Beurteilung.

Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin hat die Beklagte nach Art 6.6.1. ARB 2005 keinen Zuschlag nach § 21 Abs 1 RATG zu decken, weil diese Bestimmung nicht den Honoraranspruch des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten regelt, wohl aber einen Mehraufwand nach § 2 Abs 2 RATG, der sich auf das Mandatsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Klient bezieht (RIS‑Justiz RS0129370). Mehrkosten, die der Anwalt nach § 2 Abs 2 RATG seinem Mandanten verrechnen darf, sind grundsätzlich nach Art 6.6.1. ARB 2005 gedeckt. Erforderlich ist, dass dieser Aufwand zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und angemessen war. Ob der Mehraufwand in einer konkreten Rechtssache gerechtfertigt ist, ist eine Frage des Einzelfalls (7 Ob 233/13k = RIS‑Justiz RS0129370). In diesem Schriftsatz nahm die Klägerin zur Frage der Verjährung der begehrten einzelnen (Leistungs‑)Positionen Stellung. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass keine besonderen Umstände und auch keine von der Klägerin veranlasste besondere Inanspruchnahme ihrer Rechtsvertreterin einen höheren Anspruch als den im Tarif vorgesehenen rechtfertigten (vgl § 2 Abs 2 RATG), ist im Einzelfall nicht zu beanstanden. Aus den Feststellungen ergibt sich nichts Gegenteiliges.

4. Unter TP 1 I lit c RATG fallen Ansuchen und Erklärungen, die Fristen, Tagsatzungen, Zustellungen und ähnliche Vorgänge des Verfahrens betreffen. Nach der Rechtsprechung ist eine Vertagungsbitte und Bekanntgabe (so sie überhaupt zweckmäßig ist) nach TP 1, und nicht nach TP 2 RATG, zu honorieren (9 Ob 33/03y). Wenn daher das Berufungsgericht das Entschuldigungsschreiben der Klägerin vom 27. 2. 2012 (Entschuldigung ihres Geschäftsführers verbunden mit dem Ersuchen um allfällige Verlegung einer Tagsatzung) nur gemäß TP 1 I lit c RATG honorierte, ist dies durch die Rechtsprechung gedeckt.

5. Auch in Bezug auf die Kosten der Vergleichsgespräche (die Klägerin begehrte 9.109,17 EUR, zugesprochen wurden ihr 5.568,62 EUR) kommt es nicht nur darauf an, wieviele Stunden der Rechtsanwalt aufwendete, sondern darauf, ob dieser Aufwand zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und angemessen war (vgl 7 Ob 233/13k). Gemäß § 23 Abs 4 RATG sind die außergerichtlichen Nebenleistungen vom Einheitssatz umfasst, falls sie keinen erheblichen Aufwand an Zeit und Mühe erforderten.

Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass die Mehrzahl der verzeichneten Einzelleistungen der Rechtsvertreterin der Klägerin für die Vergleichsgespräche (kurze Telefonate; Schreiben; Ruhensvereinbarungen, damit die Beklagte einen Vergleichsvorschlag unterbreiten könne; Urgenzen und Ähnliches) kein über das gewöhnliche Prozessverhalten hinausgehender oder davon hinreichend abgrenzbarer erhöhter Aufwand seien. In der Revision argumentiert die Klägerin, die internen Vorarbeiten wie die Terminkoordination der Vergleichsgespräche, das Erfordernis, den von der Rechtsvertreterin der Gegenseite ausgesprochenen Verjährungsverzicht (wiederholt) zu verlängern, und auch der „(Teil‑)Vergleich, dass zunächst einfaches Ruhen des Verfahrens vereinbart wurde“, seien erforderliche Leistungen, die die Beklagte gemäß Art 6.6.1. ARB 2005 zu ersetzen habe. Damit vermag sie aber im Einzelnen nicht näher aufzuzeigen, weshalb ihr die diesbezüglich nicht zuerkannten Kosten von immerhin 3.540,55 EUR sA zugesprochen werden sollten. Ebenso wie die Informationsaufnahme durch den einfachen Einheitssatz abgegolten ist (§ 23 Abs 1 RATG; 9 ObA 174/89 = RIS‑Justiz RS0072313), gilt dies auch für die Terminkoordination. Zudem zeigt die Klägerin in der Revision keine konkreten Umstände auf, aus denen sich ergibt, dass die nicht zuerkannten Leistungen einen erheblichen Aufwand an Zeit und Mühe verursachten (vgl § 23 Abs 4 RATG).

6.1. Eine Rechtsfrage mit der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO stellt sich daher insgesamt nicht; die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen der Judikatur. Die Revision ist damit unzulässig und zurückzuweisen.

6.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 und § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente der Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (vgl RIS‑Justiz RS0035962; RS0035979). Der in zweiter Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 und 2 ZPO erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (1 Ob 44/14y mwN; 2 Ob 145/14h; 4 Ob 99/15k). Da die Beklagte im Revisionsverfahren nur der Klägerin gegenübersteht, gebührt ihr nicht der verzeichnete Streitgenossenzuschlag (vgl § 15 lit a RATG).

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