OGH 2Ob178/15p

OGH2Ob178/15p19.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger sowie die Hofrätinnen Dr. E. Solé und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 18. August 2014 verstorbenen E***** N*****, zuletzt wohnhaft in *****, über den Revisionsrekurs des Witwers R***** S*****, vertreten durch Dr. Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 22. Juli 2015, GZ 22 R 128/15b‑12, womit infolge Rekurses des Rechtsmittelwerbers der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 17. Februar 2015, GZ 4 A 84/15x‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Inventarisierung des Nachlasses angeordnet wird.

Die Parteien haben die Kosten ihrer Rechtsmittelschriften jeweils selbst zu tragen.

Begründung

Die Erblasserin hatte den Antragsteller am 8. August 2012 geheiratet. Aufgrund ihrer am 11. Jänner 2013 eingebrachten Klage hob das Erstgericht die Ehe aus dem Verschulden des Antragstellers auf, wogegen dieser berief. Noch vor Ergehen der zweitinstanzlichen Entscheidung starb die Erblasserin. Das Berufungsgericht setzte das Verfahren über Antrag des dort beklagten Antragstellers nach § 460 Z 8 ZPO fort. Es sprach aus, dass das Urteil des Erstgerichts in der Hauptsache wirkungslos sei, bestätigte jedoch die Kostenentscheidung. Nach den in diesem Verfahren vom Erstgericht getroffenen Feststellungen hatte der Antragsteller die Erblasserin über seine Bereitschaft getäuscht, nach der Eheschließung durch Samenspende an der künstlichen Befruchtung einer ihr entnommenen Eizelle mitzuwirken. Hätte die Erblasserin dies gewusst, hätte sie ihn nicht geheiratet.

Während des Aufhebungsverfahrens hatte die Erblasserin ihre Eltern und eine Schwester in einem handschriftlichen Testament als Erben eingesetzt.

Der Antragsteller beantragte unter Hinweis auf seine Pflichtteilsberechtigung die Inventarisierung des Nachlasses (§ 804 ABGB). Der Vater der Erblasserin trat dem unter Hinweis auf die Entscheidungen im Eheaufhebungsverfahren entgegen. Daraus ergebe sich, dass die Ehe aus dem Verschulden des Antragstellers aufgehoben worden wäre, weshalb dieser nach § 759 Abs 2 ABGB nicht als Noterbe anzusehen sei.

Das Erstgericht folgte dieser Auffassung und wies den Antrag ab.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Die Frage, ob die Ehe des Erblassers aufgrund einer vor dem Tod eingebrachten Klage aus dem Verschulden des überlebenden Gatten geschieden oder aufgehoben worden wäre, sei im Regelfall als Vorfrage im Erbrechtsverfahren (§§ 161 f AußStrG) zu beurteilen. Ein solcher Erbrechtsstreit sei hier aber nicht anhängig. Vielmehr sei zu prüfen, ob der Antragsteller berechtigt sei, die Inventarisierung des Nachlasses zu verlangen. Grundsätzlich sei er wegen der im Todeszeitpunkt aufrechten Ehe als Noterbe anzusehen. Die Testamentserben könnten aber ‑ wie im Fall der Enterbung oder Erbunwürdigkeit ‑ den Wegfall des gesetzlichen Erbrechts und damit des Noterbrechts bescheinigen. Das sei ihnen durch den Hinweis auf die Entscheidungen im Eheaufhebungsprozess gelungen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob diese Möglichkeit der Erben tatsächlich bestehe oder ob es dazu eines Verfahrens nach den §§ 161 f AußStrG bedürfe.

In seinem Revisionsrekurs macht der Antragsteller geltend, dass seine Noterbenstellung aus der im Todeszeitpunkt aufrechten Ehe folge. Die Testamentserben müssten „gerichtlich beweisen“, dass den überlebenden Ehegatten ein Verschulden an der Aufhebung der Ehe getroffen habe. Die Entscheidungen im Vorverfahren reichten dafür nicht aus.

Die Eltern und die Schwester der Verstorbenen halten dem in der Revisionsrekursbeantwortung entgegen, dass der Wegfall des Erbrechts und damit auch des Noterbrechts durch die Entscheidungen im Vorverfahren ausreichend bescheinigt sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

1. Nach § 804 ABGB kann die Errichtung des Inventars auch von demjenigen verlangt werden, „dem ein Pflichtteil gebührt“. Bei der Entscheidung über den Antrag ist nach ständiger Rechtsprechung nur zu prüfen, ob der Antragsteller im konkreten Fall Noterbe iSd § 762 ABGB ist, nicht aber, ob und in welchem Ausmaß seine Pflichtteilsforderung materiell zu Recht besteht (4 Ob 539/95, SZ 68/126 mwN; RIS-Justiz RS0013007, zuletzt etwa 7 Ob 212/13x und 10 Ob 35/14s).

2. Die Noterbenstellung wird in diesem Zusammenhang verneint, wenn der Antragsteller einen wirksamen Pflichtteilsverzicht abgegeben hat (2 Ob 229/09d, SZ 2010/69; 7 Ob 212/13x; 10 Ob 35/14s), wobei ihm aber die Möglichkeit eingeräumt wird, zu bescheinigen, dass der Verzicht unwirksam war (2 Ob 229/09d; 7 Ob 212/13x). Ist die Auslegung des Pflichtteilsverzichts „nicht völlig zweifelsfrei“, so ist ein Inventar zu errichten, und die Wirksamkeit des Verzichts ist erst im Pflichtteilsprozess zu prüfen (6 Ob 205/12h, iFamZ 2013/113 [insofern zustimmend Tschugguel ]). Hingegen wird die Rechtswirksamkeit einer vom Erblasser ausgesprochenen Enterbung jedenfalls dem materiellen Pflichtteilsrecht zugeordnet, sodass eine solche Enterbung ‑ unabhängig von ihrer Berechtigung ‑ einer Inventarisierung nicht entgegensteht (4 Ob 539/95, SZ 68/126; 4 Ob 342/98t, SZ 72/19 [obiter]; ebenso [allerdings nur diese Rsp referierend] Sailer in KBB 4 § 804 Rz 2; Welser in Rummel/Lukas 4 § 804 Rz 3; Spruzina in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.01 § 804 Rz 3; unklar allerdings ders in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 165 Rz 9).

3. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

3.1. Die Unterscheidung zwischen Pflichtteilsverzicht und Enterbung beruht offenkundig nicht bloß auf formalen Erwägungen, sondern auch auf der Wertung, dass ein wirksamer Pflichtteilsverzicht wegen der insofern bestehenden Formpflicht (RIS-Justiz RS0013794, RS0012320) typischerweise leicht nachzuweisen ist, während die Wirksamkeit einer Enterbung tatsächlich und rechtlich strittig sein kann. Daher soll die letztgenannte Frage ausschließlich im Zivilprozess geprüft werden und nicht ‑ wie das Vorliegen eines Pflichtteilsverzichts ‑ auch als Vorfrage der Inventarisierung. Dieser Wertung entspricht auch die bereits genannte Entscheidung 6 Ob 205/12h, wonach bei Zweifeln über die Auslegung eines Pflichtteilsverzichts ein Inventar zu errichten ist. Auch dem liegt zugrunde, dass das Verfahren über die Anordnung der Inventarisierung nicht durch möglicherweise schwierige Tat- oder Rechtsfragen belastet werden soll.

3.2. Richtig ist, dass eine vom enterbten Noterben beantragte Nachlassseparation unterbleibt, wenn die Erben den Enterbungsgrund bescheinigen (2 Ob 559/50, SZ 23/321; RIS-Justiz RS0006496). Die Rechtmäßigkeit der Enterbung ist daher ‑ anders als bei der Inventarisierung ‑ als Vorfrage zu prüfen. Schon in den Entscheidungen 4 Ob 539/95 und 4 Ob 342/98t wurde aber erläutert, weshalb die Inventarisierung insofern an weniger strenge Bedingungen geknüpft werden kann als die Nachlassseparation: Das Inventar hat im Kern beweissichernde Funktion (1 Ob 690/89; RIS-Justiz RS0007726) und ist ‑ abgesehen von der damit verbundenen beschränkten Erbenhaftung auch bei unbedingter Erbantrittserklärung (§ 807 ABGB; RIS‑Justiz RS0111972) ‑ nur für das Verlassenschaftsverfahren von Bedeutung (RIS‑Justiz RS0006465). Hingegen schließt eine Nachlassseparation die erbantrittserklärten Erben von der Verwaltung der Verlassenschaft (§ 810 ABGB) aus und wirkt auch über die Einantwortung hinaus ( Welser in Rummel/Lukas 4 § 812 Rz 28 mwN). Sie greift daher ungleich stärker in die Rechtsstellung der Erben ein als die Errichtung eines Inventars. Dieser Umstand spiegelt sich auch in den insofern differenzierenden Regeln des Rechtspflegergesetzes wider: Die Entscheidung über die Errichtung des Inventars obliegt ‑ außer in den Fällen des § 18 Abs 2 Z 1 RPflG ‑ nach allgemeinen Grundsätzen dem Rechtspfleger, während jene über die Nachlassseparation nach § 18 Abs 2 Z 2 lit a RPflG immer dem Richter vorbehalten ist. Auf dieser Grundlage ist es nicht unsachlich, wenn die Separation an strengere Voraussetzungen geknüpft ist als die Errichtung eines Inventars.

3.3. Daher hat es grundsätzlich dabei zu bleiben, dass ein Inventar immer dann zu errichten ist, wenn eine nach § 762 ABGB im konkreten Fall pflichtteilsberechtigte Person das beantragt. Diese Voraussetzung ist zwar nicht erfüllt, wenn diese Person wirksam auf den Pflichtteil verzichtet hat, worüber allenfalls, wie oben dargestellt, ein Bescheinigungsverfahren zu führen ist. Eine von den Erben behauptete Enterbung ist demgegenüber unerheblich; gleiches muss aus den dargestellten Gründen für die Behauptung einer Erbunwürdigkeit gelten. Ob solche Gründe dem Pflichtteilsanspruch entgegenstehen, ist erst in einem allfälligen Pflichtteilsprozess zu prüfen. Anders wäre ‑ aufgrund allgemeiner Grundsätze ‑ nur zu entscheiden, wenn der Antrag auf Errichtung eines Inventars aufgrund des unstrittigen Sachverhalts geradezu rechtsmissbräuchlich wäre.

4. Damit bleibt zu prüfen, wie in diesem Zusammenhang der hier strittige Fall des § 759 Abs 2 ABGB zu beurteilen ist.

4.1. Nach dieser ‑ nicht in die Neukodifikation des Erbrechts (ErbRÄG 2015, BGBl I 2015/87) übernommenen ‑ Bestimmung ist das gesetzliche Erbrecht dem überlebenden Ehegatten „versagt“, wenn der Erblasser eine Klage auf Aufhebung oder Scheidung der Ehe erhoben hatte, die zur Scheidung oder Aufhebung der Ehe aus dem Verschulden des überlebenden Gatten geführt hätte. Wenn sich der überlebende Gatte auf sein Erbrecht stützt und widerstreitende Erbantrittserklärungen vorliegen, ist der hypothetische Ausgang des Aufhebungs- oder Scheidungsverfahrens als Vorfrage im Erbrechtsstreit zu prüfen, nach geltendem Recht also im Verfahren nach den §§ 161 f AußStrG (7 Ob 153/07m, SZ 2007/133).

4.2. Aus der „Versagung“ des Erbrechts folgt zwingend, dass der überlebende Ehegatte unter den Voraussetzungen des § 759 Abs 2 ABGB auch das Pflichtteilsrecht („Noterbrecht“) verliert. Soweit er nur den Pflichtteil geltend macht, ist daher im Pflichtteilsprozess auf Einwand des Beklagten zu prüfen, ob die vom Verstorbenen erhobene Klage Erfolg gehabt und den überlebenden Gatten das Verschulden an der Aufhebung oder Scheidung der Ehe getroffen hätte.

4.3. In Bezug auf die Inventarisierung kann die auf § 759 Abs 2 ABGB gegründete „Versagung“ des Erb- und Pflichtteilsrechts nicht anders behandelt werden als eine Enterbung oder Erbunwürdigkeit. Denn auch dabei geht es letztlich um das Vorliegen eines gegen den Erblasser gesetzten, von der Rechtsordnung missbilligten Verhaltens des Noterben. Hielte man diese Frage für relevant, könnte die dann notwendige vorfrageweise Beurteilung ebenfalls dazu führen, dass in einem dafür nicht geeigneten Verfahren schwierige Tat- oder Rechtsfragen gelöst werden müssten. Dies spricht für eine Gleichbehandlung der beiden Fälle. Auch das von den Erben behauptete Vorliegen der Voraussetzungen des § 759 Abs 2 ABGB ist daher für die Bewilligung der Inventarisierung unerheblich. Anders wäre wieder nur im ‑ hier nicht vorliegenden ‑ Fall eines Rechtsmissbrauchs zu entscheiden.

5. Aus diesen Gründen hat der Revisionsrekurs des Antragstellers Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist dahin abzuändern, dass die Inventarisierung des Nachlasses angeordnet wird. Ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 759 Abs 2 ABGB erfüllt sind, wird gegebenenfalls im Pflichtteilsprozess zu klären sein.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 185 AußStrG.

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